Schweizer Expertenkommentare zum Update der ACCP-Guidelines
Start der Artikelserie: Neue Empfehlungen des «American College of Chest Physicians» zur antithrombotischen Therapie

Schweizer Expertenkommentare zum Update der ACCP-Guidelines

Aktuell
Ausgabe
2016/4950
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2016.02832
Schweiz Med Forum 2016;16(4950):1059-1060

Affiliations
a Abteilung Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor, Luzerner Kantonsspital, Luzern, und Universität Bern, b Sanofi-Aventis (Schweiz) AG, Vernier, c Departement Medizin und Labor für Molekulare Kardiologie, Kantonsspital Baden AG und Universität Zürich, d Universitätsklinik für Angiologie, Inselspital und Universitätsspital Bern

Publiziert am 06.12.2016

Internationale Richtlinien – was bringen da Schweizer Kommentare?

Nicht für alle klinischen Situationen, die bei der praktischen Arbeit mit Patienten auftreten, gibt es fundierte Evidenz, die zu klaren Handlungsanweisungen führt. Dort wo eine Evidenz fehlt, ist es hilfreich zu wissen, wie erfahrene Kolleginnen und Kollegen in diesen ­Situationen entscheiden. Zudem entsprechen viele Empfehlungen in den Guidelines des «American College of Chest Physicians» (ACCP) schwachen Empfehlungen (Grad 2C). Auch in solchen Situationen hilft es zu wissen, wie erfahrene Experten diese Fragen in ihrem praktischen Arbeitsumfeld beantworten. Aus­serdem ist es so, dass sich gewisse Aspekte im nationalen Umfeld ­anders darstellen als im internationalen oder US-amerikanischen Kontext. Darauf wird in den vorliegenden Schweizer Kommentaren eingegangen. Wie bis anhin werden diese in deutscher und französischer Sprache publiziert.
Was hier von den Schweizer Experten vorgelegt wird, ist damit nicht einfach ein weiterer Katalog von Richtlinien. Sondern es sind Kommentare zu den ACCP-Richtlinien, mit denen versucht werden soll, (1) die Erneuerungen der international gültigen ACCP-Richtlinien auf die Schweiz zu übertragen, (2) die in der Schweiz übliche antithrombotische Behandlung zu reflektieren und (3) die für die Schweiz adaptierten ACCP-Richtlinien in Kürze zusammenzufassen und allenfalls divergierende Ansichten zu diskutieren.
Diese Schweizer Kommentare zu den ACCP-Guidelines haben bereits Tradition, erstmals sind sie 2005 [1, 2] unter der Leitung von Prof. H. Bounameaux erschienen.

Gestaffelte Aktualisierung – 1. Kapitel: Therapie der venösen Thromboembolie

Gleichsam als «10. Auflage» ist als Erstes das Update zur antithrombotischen Therapie bei venösen Thromboembolien erschienen [3]. Das Kollegium des ACCP hat damit diesmal ein etwas anderes Vorgehen gewählt. Bisher erschien jeweils eine neue Auflage, die ein Update sämtlicher Kapitel enthielt. Wir realisieren allerdings, dass die medizinische Entwicklung in Diagnostik und Therapie nicht in allen Bereichen gleichmässig fortschreitet und es Bereiche gibt, wo sich rascher etwas verändert. Dies ist der Fall für die Therapie der venösen Thromboembolien, wo zum Beispiel mit den direkten oralen Antikoagulantien neue Medikamente zur Verfügung stehen. Dem wurde nun Rechnung getragen, indem das Update zu diesem Kapitel erarbeitet und ­publiziert wurde, bevor entsprechende Updates für alle anderen Kapitel zur Verfügung stehen.
Die Updates der anderen Kapitel dürften in den nächsten ein bis zwei Jahren folgen. Mit diesem Vorgehen soll auch der Kritik vorgebeugt werden, dass Guide­lines in der Regel nach wenigen Jahren veraltet sind und einer Erneuerung bedürfen. Mit der situations­angepassten Revision der entsprechenden Kapitel soll zeitnah ein Update vorliegen, das die für die Patientenbetreuung wichtigen Neuerungen aufnehmen und ­integrieren kann.

Systeme zur Graduierung der Evidenz

Die Richtlinien werden auch in den neuesten Guide­lines nach dem sogenannten GRADE-System («Grades of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation») eingeteilt beziehungsweise einer ACCP-Adaptation desselben (Tab. 1). Es gibt Grad-1- (starke) und Grad-2- (schwache) Empfehlungen basierend auf Grade A (hoher), Grad B (moderater) und Grade C ­(tiefer) Evidenz [4–7]. Damit wird die Einteilung, die in der 6. Ausgabe der ACCP-Richtlinien eingeleitet wurde, beibehalten.
Tabelle 1: Empfehlungen gemäss Konsensus des «American College of Chest Physicans» (ACCP).
EmpfehlungsgradNutzen-Risiko-Verhältnis (Grad 1/2)Methodische Qualität der Daten, auf die sich die Empfehlungen stützen (A–C)
Grad 1A /2AGrad 1: Die erwünschten Wirkungen sind deutlich grösser als die­unerwünschten (oder umgekehrt)

Grad 2: Erwünschte und unerwünschte Wirkungen halten sich ­ungefähr die Waage
A Konsistente Ergebnisse aus kontrollierten randomisierten ­Studien ohne wesentliche Einschränkungen
Grad 1B /2BB Konsistente Ereignisse aus kontrollierten randomisierten ­Studien mit wesentlichen Einschränkungen oder sehr ­suggestive Resultate aus observationellen Studien
Grad 1C /2CC Nachweis über mindestens ein kritisches Ereignis aus ­observationellen Studien, Fallserien oder randomisierten ­Studien mit Bias
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir, dass Ihnen diese Kommentare bei der optimalen Betreuung Ihrer Patienten in der Praxis hilfreich sind. Kritische Rückmeldungen nehmen wir gerne entgegen.
Wir bedanken uns bei allen Schweizer Experten für ihren wertvollen Beitrag und bei den Sponsoren für die Unterstützung.
Die Kommentare von Schweizer Experten zu den ACCP-Richtlinien wurden durch die Firmen Bayer (Schweiz) AG, Daiichi Sankyo, Pfizer und Sanofi-Aventis (Schweiz) AG mit einem «unrestricted educational grant» unterstützt. Prof. W. A. Wuillemin ist/war Speaker/Advisor und/oder erhielt Forschungsunterstützung für/von Bayer, Böhringer Ingelheim, BMS, Daiichi Sankyo, Mepha, Pfizer und Sanofi-Aventis (Schweiz) AG. PD Dr. D. Spirk ist ein Mitarbeiter von Sanofi-Aventis (Schweiz) AG, Vernier. Prof. J. H. Beer war/ist Speaker/Advisor für Bayer, Böhringer, BMS, Pfizer, Astra Zeneca, Daiichi Sankyo und ­erhielt finanzielle Unterstützung von Bayer, Böhringer und Pfizer. Prof. I. Baumgartner hat keine finanziellen oder persönlichen ­Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. Dr. med. Walter A. Wuillemin
Abteilung Hämatologie
Luzerner Kantonsspital
CH-6000 Luzern 16
walter.wuillemin[at]luks.ch
1 Antithrombotische und thrombolytische Behandlung: Internationale EBM-Guidelines, kommentiert von Schweizer Experten. The 7th ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic therapy. Schweiz Med Forum. 2005;5(Suppl.27):1–48S.
2 Traitement antithrombotique et thrombolytique: Commentaire des experts suisses concernant les «EBM-guidelines» internationales. 7th ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic therapy. Forum Med Suisse 2005;5(Suppl.28):1–48S.
3 Kearon C, Akl EA, Ornelas J, et al. Antithrombotic Therapy for VTE Disease - CHEST Guideline and Expert Panel Report.
Chest. 2016;149(2):315–352.
4 Guyatt G, Gutterman D, Baumann MH, et al. Grading strength of recommendations and quality of evidence in clinical guidelines: report from an american college of chest physicians task force. Chest. 2006;129(1):174–181.
5 Balshem H, Helfand M, Schünemann HJ, et al. GRADE guidelines: 3. Rating the quality of evidence. J Clin Epidemiol 2011;
64(4):401-406.
6 Andrews J, Guyatt G, Oxman AD, et al. GRADE guidelines: 14. Going from evidence to recommendations: the significance and presentation of recommendations. J Clin Epidemiol. 2013;
66(7):719–725.
7 Andrews JC, Schünemann HJ, Oxman AD, et al. GRADE guidelines: 15. Going from evidence to recommendation - determinants of a recommendation’s direction and strength. J Clin Epidemiol. 2013;66(7):726–735.
8 Wuillemin WA, Spirk D, Baumgartner I, Lüscher TF. Die neuen Empfehlungen des American College of Chest Physicians (ACCP) über antithrombotische Behandlung. Schweiz Med Forum. 2013;13(33):616–617.
9 Wuillemin WA, Spirk D, Baumgartner I, Lüscher TF. Nouvelles recommandations de l’American College of Chest Physicians (ACCP) sur les traitements antithrombotiques. Forum Med Suisse. 2013;13(33):616–617.