Langes Sitzen: Gefahr?

Langes Sitzen: Gefahr?

Und anderswo ...?
Ausgabe
2017/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.02804
Schweiz Med Forum 2017;17(07):151

Publiziert am 14.02.2017

Langes Sitzen: Gefahr?

Fragestellung

1953 hatte eine englische Studie ein erhöhtes KHK-Risiko bei Londoner Busfahrern (sitzend) im Vergleich zu Kontrolleuren (stehend), festgestellt. Heute werden zunehmend mehr ­Tätigkeiten im Sitzen ausgeführt, welche den Grossteil der Wachzeit einnehmen. Dies führt nachweislich zu einer erhöhten Sterblichkeit und einer Zunahme chronischer Erkrankungen. Die entscheidende Frage ist, wie sich körperliche Aktivität auf den negativen Effekt des Sitzens und die Mortalität auswirkt. Kann erstere die Risiken des Sitzens ausgleichen?

Methode

Die nachfolgende Metaanalyse umfasst die Resultate von 16 aus 8300(!) ausgewählten Studien zu diesem Thema. Anhand eines zuvor definierten Studienprotokolls konnten die Resultate der unterschiedlichen Studien, die alle prospektiv sind, harmonisiert werden. Mittels Fragebogen wurden die im Sitzen oder vor dem Fernseher verbrachte Zeit sowie die tägliche körperliche Aktivität erfasst. Diese wurde anhand der verbrauchten MET (MET = metabolisches Äquivalent, Schlafen: 0,9 MET; schnelles Laufen: 17 MET) beurteilt. Die körperliche Betätigung pro Woche wurde in 4 Kategorien unterteilt: 2,5 MET-h/Woche (Mindestaktivität), 16 MET-h/Woche (25–35 min moderate Aktivität/Tag), 30 MET-h/Woche (50–60 min moderate Aktivität/Tag) und >35,5 MET-h/Woche (60–75 min moderate Aktivität/Tag). Moderate Aktivität war definiert als schnelles Gehen mit 5–6 km/h. Zudem wurde die sitzend verbrachte Zeit in Quartile unterteilt: 0–4 h/Tag, 4–6 h, 6–8 h und >8 h. Die Daten wurden mit der Gesamtsterblichkeit, der kardiovaskulären, der brust- und darmkrebsbedingten Sterblichkeit assoziiert.

Resultate

Aus der Kombination der Quartile ergeben sich 16 Daten, die hier nicht alle wiedergegeben werden können. Es wurden >1 000 000 Personen eingeschlossen und 2,8–18 Jahre lang nachbeobachtet. In dieser Zeit verstarben 85 000 Personen. Als Kontrollgruppe dienten die Probanden mit der stärksten körperlichen Aktivität und der kürzesten Sitzzeit sowie einer HR von 1. Die Sterblichkeitsraten der ersten zwei Quartile mit der geringsten Aktivität waren um 12–59% höher. Im Quartil mit der geringsten Aktivität und der längsten Sitzdauer betrug die HR 1,6. Die HR für die Sterblichkeit bildet eine gleichmässig ansteigende Parabel mit einer HR von 1–1,6 in der Gruppe mit den ungünstigsten Bedingungen. Aus den Daten geht ferner hervor, dass ~60 min moderate tägliche Aktivität das durch >8 h Sitzen/Tag erhöhte Risiko vollständig ausgleichen. Die meisten Todesfälle waren kardiovaskulär bedingt, mit einer leichten ­positiven Wirkung von körperlicher Aktivität auf Krebserkrankungen.

Probleme

Die Population war >45 Jahre alt und der Einfluss von körperlicher Aktivität und Sitzen auf die Sterblichkeit jüngerer Populationen ist unbekannt. In die Studie wurden nur Westeuropa, die USA und Australien eingeschlossen. Es können unberücksichtigte Störfaktoren vorliegen (Ernährung, Gewicht usw.). Die Daten wurden lediglich einmal erhoben.

Kommentar

Die Resultate sind eindeutig: Langes Sitzen erhöht die Sterblichkeit und körperliche Aktivität verringert sie. Mit steigender körperlicher Betätigung werden die negativen Folgen des Sitzens ausgeglichen. Allerdings arbeiten viele Menschen >8 h/Tag im Sitzen und nur wenige werden nach einer 2-stündigen Fahrt mit der Metro oder dem Auto noch die Musse haben, 60 min/Tag schnell zu gehen. Überdies müsste die Zahl der sicheren Fahrradwege ­erhöht werden. Die gute Nachricht: Bereits wenige Minuten körperlicher Aktivität pro Tag sind von Nutzen …
Ekelund U, et al. Lancet. 2016;388:1302–10.
Masern: der Preis fürs Nichtimpfen
Noch immer gibt es Nischen, in denen aus reli­giösen Gründen oder aufgrund «guter»? Ratschläge einiger unwissender Ärzte (Adjuvanzien verursachen Autismus …) bzw. sektiererischer Heilpraktiker (die Erkrankung muss natürlich durchgemacht werden …) nicht gegen Masern geimpft wird. So hat die Amish-Gemeinde in den USA z.B. eine Impfrate von fast null. Zwei Gemeindemitglieder, die bei ihrer Rückkehr von den Philippinen Masern einschleppten, infizierten 383 Menschen ihrer Gemeinde. 90% der Patienten waren ungeimpft. Und dies, obwohl bekannt ist, dass Masern schwer, mitunter sogar tödlich verlaufen können …
Gastañaduy PA, et al. N Engl J Med. 2016;375:1343–54.

Screening-Koloskopie:
unnütz für >70-Jährige?

Unter Verwendung der Daten von Medicare (einer Versicherung für ältere Menschen in den USA) zu Screening-Koloskopien haben die Studienautoren gezeigt, dass das 8-Jahres-­Risiko für ein Kolorektalkarzinom bei 70–74 Jahre alten Patienten, die sich einer Screening-Koloskopie unterzogen hatten, 2,19% und bei Patienten ohne Screening 2,62% betrug. Bei 75–79-Jährigen war der Unterschied mit 2,84 vs. 2,79% noch geringer. Nicht zu vergessen, dass eine Koloskopie mitunter schwere Nebenwirkungen hat: Bis 74 Jahre traten 5,6 Ereignisse/1000 Patienten und von 75–79 Jahre 10,3/1000 Patienten auf. Die Entscheidung bleibt jedem selbst, entsprechend seiner Ängstlichkeit, überlassen …
García-Albéniz X, et al. Ann Int Med. 2016;166:18.

Schwere Depression: Omega-3-Fettsäuren?

In einer Metaanalyse wurde die zusätzliche Gabe von Folsäure oder Omega-3-Fettsäuren zur Behandlung mit Antidepressiva im Vergleich zur zusätzlichen Gabe von Plazebo untersucht. Die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren, insbesondere von Eicosapentaensäure, wirkte sich positiv auf depressive Symptome aus. Ein Nutzen schien insbesondere bei schweren Depressionen zu bestehen, während der Effekt bei leichten Depressionen, die häufig eine günstige Prognose haben, schwerer nachweisbar war. Einfach und möglicherweise von Nutzen (sowie wahrscheinlich ohne Nebenwirkungen …).
Simon G. Ann Intern Med. 2016;165(6):JC29.

Thrombektomie per Katheter 
bei ­Schlaganfall: wann?

Die endovaskuläre Thrombektomie mit Kathetern der 2. Generation ist bei Patienten mit Schlaganfall infolge einer Thrombose der ­grossen Hirngefässe bekanntermassen von Nutzen. Sie ist von der FDA bis 8 Stunden nach einem Schlaganfall zugelassen. Eine Metaanalyse von >1200 Patienten hat einen klinisch ­signifikanten Rückgang der Punktzahl der Patienten nach 90 Tagen auf der modifizierten Rankin-Skala bezüglich Invalidität und Abhängigkeit ergeben, wenn sie innerhalb von 3 Stunden behandelt wurden. Mit jeder weiteren Stunde der Nichtbehandlung war eine ­höhere Punktzahl assoziiert. Wie auch beim Herzen: time is brain …
Saver JL, et al. JAMA. 2016;316(12):1279–89.