Altersabhängige Schwerhörigkeit (Presbyakusis)
Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen

Altersabhängige Schwerhörigkeit (Presbyakusis)

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2017/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.02881
Schweiz Med Forum 2017;17(10):230-235

Affiliations
a Service d’Otorhinolaryngologie et de Chirurgie cervico-faciale, CHUV, Rue du Bugnon 46, 1011 Lausanne
b Audioprothésiste brev. féd., Rue du Tunnel 5, 1005 Lausanne

Publiziert am 08.03.2017

Altersabhängige Schwerhörigkeit oder Presbyakusis ist ein multifaktorieller Prozess, von dem über ein Drittel der Menschen im Alter betroffen sind. Indirekt führt sie zu kognitiven, sozialen und körperlichen Beeinträchtigungen. Sie ist durch den Funktionsverlust der Haarzellen im Ohr bedingt und kann durch Hörgeräteversorgung gut ausgeglichen werden. Ein verbessertes Screening, die Banalisierung von Presbyakusis, eine bessere Kostenübernahme bzw. eine Senkung der Hörgerätekosten sollten eine Priorität darstellen.

Einleitung

Die Zahl der über 60-Jährigen wird von 605 Millionen im Jahr 2000 auf schätzungsweise 2 Milliarden im Jahr 2050 gestiegen sein (WHO 2012). Infolgedessen wird die altersabhängige Schwerhörigkeit zunehmen [1]. Der Fachbegriff dafür lautet Presbyakusis. Von der Erkrankung sind ca. 1/3 der Erwachsenen von 61–70 Jahren und über 80% der über 80-Jährigen betroffen. Lin schätzte im Jahr 2012 die Zahl der Menschen mit Presbyakusis auf 30 Millionen, wobei 63% der Männer und 48% der Frauen von 70–79 Jahren betroffen sein sollen [2]. In Europa wird in einer Studie von Roth eine Inzidenz von 30% der Männer und 20% der Frauen ab 70 sowie von 55% der Männer und 45% der Frauen ab 80 Jahren mit einem Hörverlust von über 30 dB beschrieben [3]. Die Presbyakusis ist durch einen progressiven, unbewussten, mehr oder minder symmetrischen, binauralen Hörverlust gekennzeichnet. Dieser betrifft insbesondere die hohen Frequenzen und tritt in lauter Umgebung stärker zutage. Die Ursachen für Presbyakusis sind multifaktoriell und durch die physiologische Alterung der Cochlea sowie zusätzliche extrinsische (Lärmexposition, ototoxische Medikamente) und intrinsische Faktoren (systemische Erkrankungen und genetische Disposition) bedingt. Aufgrund seines allmählichen progressiven Voranschreitens wird der Hörverlust von den Betroffenen erst nach mehreren Jahren bemerkt. Überdies weigern sich die Patienten häufig, ihre Hörminderung zuzugeben, was die Chancen, eine Schwerhörigkeit zu erkennen und zu akzeptieren, deutlich verringert. Lediglich 20% der über 65-Jährigen mit mässig- bis schwergradigem Hörverlust nehmen sich selbst als schwerhörig wahr. Die Betroffenen klagen darüber, nicht mehr zu verstehen, was gesagt wird, beim Hören von Musik beeinträchtigt zu sein und Probleme bei der Ortung von Geräuschquellen zu haben.
In diesem Artikel wird auf die Pathophysiologie sowie die aktuelle Behandlung der Presbyakusis eingegangen.

Pathophysiologie

Presbyakusis ist durch eine Schädigung des Innenohrs, insbesondere der Haarzellen der Cochlea (Corti-Organ) und/oder des Hörnervs bedingt. Ab dem Alter von 60 Jahren verringert sich das Hörvermögen auf jedem Ohr pro Jahr um 1 dB [4]. Ein Hörverlust ist definiert als mittlere Verminderung des Hörvermögens von über 20 dB im Frequenzbereich der gesprochenen Sprache (500-1000-2000-4000 Hz). Bei 20–40 dB spricht man von gering-, bei 41–70 dB von mittel-, bei 71–90 dB von hochgradiger und bei über 90 dB von an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Die Ätiologie von Presbyakusis ist komplex und von mehreren Faktoren abhängig. Sie ist das Ergebnis einer altersabhängigen physiologischen Degeneration der Cochleastrukturen und zusätzlicher kumulierter Auswirkungen von Medikamenten, Umwelt- und individuellen genetischen Faktoren. Presbyakusis tritt mehr oder minder symmetrisch an beiden Ohren auf. Meist sind durch die Schädigung der äusseren Haarzellen zunächst die hohen Frequenzen betroffen. Die erste Auswirkung ist ein gestörtes Sprachverständnis in hallenden und/oder lauten Umgebungen. Die Vokale werden, da sie sich in niedrigen Frequenzbereichen befinden, gehört, Konsonanten in hohen Frequenzbereichen (t, p, k, f, s) jedoch nicht mehr. Allmählich weitet sich die Hörminderung immer mehr auf die tiefen Frequenzen aus und die Beeinträchtigung des Sprachverständnisses nimmt zu. Presbyakusis beginnt, wie Presbyopie, ab einem Alter von 40 Jahren und schreitet mit jedem Jahrzehnt stärker voran (Abb. 1).
Abbildung 1: Audiometrische Kurve bei Presbyakusis gemäss ISO-Norm 7029.
Die Frequenzen (Hz) sind auf der x- und die Hörschwellen (dB HL) auf der y-Achse angeordnet. Jede Kurve zeigt den Mittelwert der Hörschwellenwerte bei einer bestimmten Frequenz für eine bestimmte Altersgruppe von 20–80 Jahren.
Presbyakusis wird entsprechend der histologischen Schädigung in verschiedene Typen unterteilt:
– die sensorielle Presbyakusis mit einer Beeinträchtigung der hohen Frequenzen infolge der Schädigung der äusseren Haarzellen in den basalen Abschnitten der Cochlea;
– die metabolische oder striale Presbyakusis mit einer flach verlaufenden Hörschwellenkurve über alle Frequenzen als Folge degenerativer Abbauprozesse der Stria vascularis (Atrophie) mit Beeinträchtigung des endocochleären Potenzials;
– die neurale Presbyakusis infolge des Verlusts von Nervenzellen im Ganglion spirale, welche z.T. die Beeinträchtigung des sprachlichen Diskrimina­tionsvermögens erklärt.
Meist liegt eine Kombination dieser Typen vor [5, 6]. Dazu kommen noch äussere Faktoren:
– Lärm, dessen Auswirkungen die äusseren Haarzellen des Corti-Organs schädigen;
– die regelmässige Exposition gegenüber Lautstärkepegeln von über 85 dB, was das Risiko eines Hörverlusts durch die mechanische oder metabolische Schädigung der Haarzellen erhöht;
– ototoxische Substanzen wie Aminoglykosid-Antibiotika und Cisplatin, welche die Haarzellen zerstören;
– Substanzen der chemischen Industrie (Toluen, Trichlorethylen) und wahrscheinlich Tabak;
– Stoffwechsel- und Immunerkrankungen mit fortschreitender Zerstörung der Vasa nervorum.
Nichtsdestotrotz ist die Ausprägung der Presbyakusis wahrscheinlich auf genetische Faktoren zurückzuführen. Bei der strialen Presbyakusis haben letztere einen stärkeren Einfluss (35–55%). Möglicherweise können mitochondriale Gene, Antioxidanzien und andere Enzyme, die vor oxidativem Stress schützen, die Intensität der altersabhängigen Schwerhörigkeit verringern. Genetische Abweichungen, welche die Kontrollmechanismen dieser Enzyme beeinflussen, können demnach zu Schwerhörigkeit führen [7]. Nach einer Studie von Lin et al. sind Schwarze aufgrund der Schutzwirkung von Melanin auf die Stria vascularis besser gegen altersabhängige Schwerhörigkeit geschützt [8].

Folgen der Presbyakusis

Presbyakusis bewirkt eine Verringerung der Lebensqualität mit verheerenden Folgen wie räumlichen Orientierungsstörungen, zu spätem Erkennen von Gefahren, erhöhter Sturzgefahr und erhöhtem Risiko, die Fahreignung zu verlieren. Kommunikation wird als frustrierend erlebt, was sozialen Rückzug, vermehrte Depressionen und Gedächtnisstörungen zur Folge hat. Ferner ist durch Presbyakusis das Demenzrisiko erhöht. Zunächst ist das Gehirn noch in der Lage, die sprachlichen Lücken auszugleichen, später jedoch nicht mehr. Die zentrale Sprachverarbeitung verschlechtert sich (auditive Deprivation) und die Aufmerksamkeit wird verstärkt für die Entschlüsselung von Lauten benötigt, wodurch die Fähigkeit, gleichzeitig andere Aufgaben auszuführen, abnimmt [9–10]. Anders gesagt, müssen Schwerhörige mehr Ressourcen für die auditive Verarbeitung nutzen, wodurch andere kognitive Prozesse wie die Merkfähigkeit vernachlässigt werden. Zur Kompensation werden im Gehirn die Bereiche des präfrontalen und parieto-temporalen Cortex benutzt, um die auditive Verarbeitung aufrechtzuerhalten, was das üblicherweise erhaltene Sprachverständnis selbst bei Demenzpatienten erklärt [11]. Eine weitere Erklärung für das erhöhte Demenzrisiko von Patienten mit Presbyakusis ist eine altersbedingte Fehlfunktion der Mitochondrien, welche sich auf das Innenohr und das Gedächtnis auswirkt [12]. Eine unbehandelte altersabhängige Schwerhörigkeit ist, unabhängig von Alter, Geschlecht und Bildungsstand, signifikant mit einer geringeren Punktzahl beim Mini-Mental-Status-Test (MMSE) assoziiert [13].

Screening und Diagnostik

Presbyakusis bleibt häufig unerkannt. Durchschnittlich warten die Patienten 5–7 Jahre, bis sie aufgrund des Hörverlusts einen Arzt aufsuchen. Daher wird für Erwachsene ab 60 Jahren ein frühzeitiges systematisches Hörscreening empfohlen. Die Diagnostik eines Hörverlusts erfolgt mittels audiometrischer Standardverfahren: der Reintonaudiometrie (Abb. 2) und der Sprachaudiometrie in Ruhe. Eine Sprachaudiometrie ist wichtig und dient zur Bestimmung der Sprachverständlichkeit (Sprachverständnis) des Patienten (Abb. 3).
Abbildung 2: Kurve einer Reintonaudiometrie mit Hochtonsteilabfall. Typische Kurve einer Reintonaudiometrie bei Presbyakusis mit Haarzellschädigung. Der Hörverlust besteht hauptsächlich im hohen Frequenzbereich und ist symmetrisch (auf beiden Ohren gleich stark). (Rote Kurve = rechtes Ohr, blaue Kurve = linkes Ohr). Die obere Kurve stellt die Hörschwelle dar. Die untere Kurve stellt die Unbehaglichkeitsschwelle dar. Die Fläche zwischen den beiden Kurven gibt Auskunft über die Restdynamik der Cochlea.
Abbildung 3: Sprachaudiometrie. Zur Ermittlung der Sprachverständlichkeit (Sprachverständnis) und der Diskriminationsfähigkeit (Fähigkeit zur Unterscheidung von Phonemen). Der Test wird mit einer Liste von 10 ein- oder zweisilbigen Wörtern durchgeführt, die in verschiedenen Lautstärkepegeln und Frequenzen abgespielt werden und vom Patienten wiederholt werden müssen. (Rote Kurve = rechtes Ohr, blaue Kurve = linkes Ohr).
Aktuell wird in Apotheken ein Hörtest zur Sensibilisierung der Bevölkerung angeboten, der ein frühzeitiges Screening ermöglicht. In Apotheken durchgeführte Hörtests haben aufgrund der Umgebungsgeräusche zwar eine geringe Aussagekraft, dienen jedoch dazu, die Patienten an einen HNO-Arzt zu überweisen, der eine Audiometrie in Ruhe durchführt. Ärzten wird von den Fachgesellschaften empfohlen, über 60-Jährige nach Hörproblemen zu fragen (bei Lärm, im Restaurant usw.). In den USA gibt es für Ärzte zahlreiche Empfehlungen zum Presbyakusis-Screening (The Institute for Clinical Systems Improvement, The Americain Speech-Language-Hearing-Association, The American Academy of Family Physicians) [4]. Ein systematisches Review aus dem Jahr 2006 kommt zu dem Schluss, dass Erwachsene, die in der Konsultation spontan oder auf Nachfrage («Haben Sie Hörprobleme?») von einer Hörminderung berichten, an einen HNO-Arzt oder Hörgeräteakustiker überwiesen werden sollten, um einen kalibrierten Hörtest durchzuführen, während Personen, die angeben, keine Hörprobleme zu haben, einem Flüstertest unterzogen werden sollten [14]. Letzterer kann in der Hausarztpraxis durchgeführt werden. Dabei werden dem Patienten aus 50 cm Entfernung Zahlen oder Buchstaben zugeflüstert, während das nicht geprüfte Ohr zugehalten wird (Fingerdruck auf den Tragus). Das Testergebnis gilt als pathologisch, wenn der Patient mindestens 3 von 6 Items falsch benennt. Worte mit Konsonanten, die hohen Frequenzen entsprechen, sollten vermieden werden, da hierbei die Gefahr besteht, die Hörminderung überzubewerten. Das «Hearing Handicap Inventory for the Elderly» (HHIE) ist ein vom Patienten einfach auszufüllender Fragebogen, der eine genaue Vorstellung einer beeinträchtigenden Presbyakusis vermittelt [15]. Er beinhaltet Fragen zum Screening älterer Menschen auf ein Hörhandicap. Auf diese Weise kann die sozial-emotionale Beeinträchtigung älterer Menschen durch die Hörminderung ermittelt werden. Der Originalfragebogen in englischer Sprache ist in Ear Hear [16] zu finden. Bei Patienten, die über eine Hörminderung klagen, sollte ferner eine Otoskopie durchgeführt werden, da das Hörvermögen, wenn der Gehörgang aufgrund von Ohrenschmalz vollständig verschlossen ist, mitunter um bis zu 30 dB geringer ausfällt.

Prävention

Der Goldstandard der Prävention ist die Vermeidung starker Lärmexposition und der langfristige Gehörschutz, um die Haarzellen des Innenohrs so lang wie möglich zu erhalten. Dies kann eine Presbyakusis zwar nicht verhindern, die kumulative Wirkung extrinsischer Faktoren jedoch verringern. Es wurden mehrere Versuche, insbesondere mit Tieren, durchgeführt, um die Schädigung der Haarzellen zu verringern: eine Erhöhung der Umgebungs- bzw. Hintergrundgeräusche (Lautanreicherung), um die Funktionen der Hörzen­tren im Gehirn zu verbessern, oder die Stärkung der antioxidativen Abwehr gegen freie Radikale und oxidativen Stress (Vitamin C, Vitamin E, Melatonin, Acetyl-L-Carnitin, Lecithin, N-Acetyl-L-Cystein) [17]. Ferner gehen einige Studien davon aus, dass das Fortschreiten der Schwerhörigkeit durch die Einnahme von Folsäure (800 mg/Tag) und hochdosierten Omega-3-Fettsäuren verlangsamt werden kann. Bis dato hat die Einnahme von Antioxidanzien jedoch keine signifikante präventive Wirkung gezeigt [18, 19].

Therapie

Aktuell stellen konventionelle Hörgeräte die Behandlung erster Wahl zur Rehabilitation von altersabhängiger Schwerhörigkeit dar. Derzeit sind Hinter-dem-Ohr- (HdO), Im-Ohr-Hörgeräte (IdO, in der Ohrmuschel) ­und Gehörgangsgeräte (CIC, im Gehörgang) erhältlich (Abb. 4). Bei Presbyakusis wird am häufigsten die «offene» Hörgeräteversorgung gewählt, d.h. es werden Hörgeräte eingesetzt, die den äusseren Gehörgang nicht verschliessen, um einen Okklusionseffekt (Wider­hall der eigenen Stimme) bestmöglich zu vermeiden. Ferner gibt es sehr kleine Empfänger-im-Gehörgang-Hörgeräte (3–4 cm) («geschlossene» Hörgeräte), die eine hohe Verstärkungsleistung haben. Es wird davon abgeraten, Empfänger-im-Gehörgang-, Im-Ohr-Hörgeräte und Gehörgangsgeräte zu verwenden, wenn der Patient einen sehr engen Gehörgang hat und/oder viel Ohrenschmalz produziert, da in diesen Fällen der Platz nicht ausreicht und die Gefahr besteht, dass der Schallschlauch des Empfängers verstopft.
Abbildung 4: Derzeitige Hörgerätearten: Hinter-dem-Ohr-, Mini-Hinter-dem-Ohr-, Im-Ohr-Hörgeräte und Gehörgangsgeräte 
(© Marion Brun – 2016).
Es ist ratsam, zwei Hörgeräte zu tragen, da gleichmässiges Hören auf beiden Ohren unerlässlich für ein gutes Sprachverständnis in lauten Umgebungen ist. Eine einseitige Hörgeräteversorgung sollte auf Patienten mit medizinischen Problemen eines Ohres (chro­nische Otitis, Ausfluss usw.) oder einer asymmetrischen Hörstörung mit einem Unterschied von über 60 dB zwischen der Hörschwelle des linken und rechten Ohres beschränkt bleiben. Anhand der Audiometrieresultate entscheidet der Hörgeräteakustiker über den verwendeten Algorithmus, um den Hörverlust bestmöglich auszugleichen. Um einen starken Abbau der Fähigkeiten zur zentralen Sprachanalyse zu vermeiden, ist eine frühzeitige Hörgeräteversorgung indiziert [10].
Ein Ziel der Anpassung von Hörgeräten besteht darin, das Diskriminationsvermögen von Sprache in lauten Umgebungen zu verbessern. Heute gibt es verschiedene Signalverarbeitungsalgorithmen in lauten Umgebungen. Mithilfe eines Richtmikrofons kann das Hörgerät die Lautstärke in Blickrichtung des Trägers automatisch verstärken und hinter ihm verringern. Andere Systeme können die Lokalisation von Sprache verstärken und die Hintergrundlautstärke dämpfen. Die Art des Hörgeräts ist entscheidend für seine tatsächliche Nutzung: Hörgeräte mit individueller Programmierung und Richtmikrofon werden durchschnittlich 8,8 Stunden täglich und damit bedeutend länger als Hörgeräte ohne personalisierte Hörprogramme verwendet [20]. Die derzeitigen Hörgeräte verfügen über verschiedene Algorithmen zur Verarbeitung von Sprach- und Umgebungsgeräuschen (Strasse, Theater, Ruhe usw.). Die meisten Hörhilfen können mit anderen Geräten wie dem Handy, dem Fernseher, dem Computer oder anderen Bluetooth-fähigen Geräten direkt verbunden werden. Die Induktionsspule ist ein System, das Schwerhörigen mit Hörgeräten helfen soll. Sie ermöglicht es Hörgeschädigten, den Ton direkt aufs Hörgerät zu übertragen, um Musik oder Sprache ohne die Interferenzen der Umgebungsgeräusche hören zu können. Neben dem Einsatz von Hörgeräten kann auch die Lautstärke des Telefons verstärkt werden und beim Fernsehen können Kopfhörer getragen werden. Ferner gibt es Vibrationssysteme mit taktilen Signalen (Wecker, Uhren).
Leider sind die mit dem Tragen von Hörgeräten verbundenen negativen Stereotypen sehr präsent (Stigmatisierung, störendes Tragegefühl [ästhetischer Aspekt]), schlechte Erstresultate, Kosten) und für den Patienten ist es frustrierend, eine Hörhilfe zu akzeptieren. Aus diesem Grund muss die Behandlung absolut zielgerichtet sein. Trotz erwiesenen Nutzens kaufen lediglich 25% der Patienten mit Presbyakusis, die ein Hörgerät benötigen, auch tatsächlich eines und nur 30% nutzen dieses langfristig. Das grösste Hindernis ist die Wahrnehmung des Patienten, dass er keine oder nur eine geringe Hörminderung aufweist, die keines Hörgerätes bedarf. Hinzu kommen noch die Kosten und technischen Aspekte (Probleme bei der Anpassung, beim Herausnehmen der Hörgeräte, bei der Reinigung, beim Batteriewechsel und beim Einstellen der Lautstärke) [21–23]. Die beste Motivation für das Tragen von Hörgeräten ist das Vertrauen, dass dies die Kommunikation verbessert. Eine Studie von Ho-Yee et al. hat die Faktoren untersucht, welche für die Akzeptanz von Hörgeräten ausschlaggebend sind. Dabei fanden sie vier audiologische Faktoren: die Intensität des Hör­verlusts, die Akzeptanz von Hintergrundgeräuschen, die Hörgeräteart, der relative Nutzen der Hörgeräte und sieben nicht-audiologische Faktoren: die subjektive Wahrnehmung des Hörverlusts, die erwarteten Auswirkungen auf die Lebensqualität, den Vergleich zwischen Gruppen von Individuen, die Unterstützung durch andere, der direkt empfundene Nutzen und die Zufriedenheit beim Tragen der Hörgeräte [24]. Die Notwendigkeit, mehrmals zu einem Hörgeräteakustiker zu gehen, um die Hörgeräte einstellen zu lassen, ist ein weiterer Ablehnungsfaktor, ebenso wie der Umgang mit neuen Technologien, das Erlernen von Nutzungstechniken (Batteriewechsel) und der ästhetische Aspekt der Hörgeräte.
Die Nutzung von Hörgeräten kann durch ihre Akzeptanz verbessert werden. Eine Studie von Kochkin et al. hat den Nutzen der Unterstützung durch die Familie bezüglich des Tragens und des Kaufes von Hörgeräten gezeigt. Ihr Einfluss betrug 53%, während die Empfehlungen von Hörgeräteakustikern, HNO- oder Hausärzten einen Einfluss von 20, 18 bzw. 12% hatten [25]. Überdies können die von Mamo et al. beschriebenen Kommunikationsstrategien angewendet werden: Gespräche mit Blickkontakt, Verringerung von Umgebungsgeräuschen, langsam statt lauter reden, das Gesprächsthema zu ­Beginn deutlich ankündigen, Fragen umformulieren, anstatt sie zu wiederholen (bessere Verarbeitung im Gehirn) [26].
In der Schweiz werden die Kosten für die Hörgeräte­anpassung von den Sozialversicherungen (AHV, IV) in Form einer Pauschale übernommen. Die Höhe der pauschalen Vergütung durch die AHV beträgt CHF 630.– für eine monaurale bzw. binaurale Hörgeräteversorgung. Personen im IV-Alter erhalten Leistungen in Höhe von CHF 840.– für eine monaurale und in Höhe von CHF 1650.– für eine binaurale Hörgeräteversorgung. Der Patient muss den Antrag auf Kostenübernahme bei der Versicherung selbst stellen, da die Pauschale direkt an die Versicherten überwiesen wird. Eine erneute Auszahlung der Pauschale ist erst nach sechs (IV) bzw. fünf Jahren (AHV) möglich. Ferner gibt es eine Batteriepauschale in Höhe von CHF 80.– und eine Reparaturpauschale in Höhe von CHF 200.– pro Jahr [27].
Aktuell kann man in einigen Geschäften kostengünstige Hörgeräte finden. Man sollte jedoch wissen, dass diese nicht individuell einstellbar sind, sondern dass es sich dabei lediglich um voreingestellte Hörverstärker handelt, die nur von geringem Nutzen sind [28]. Häufig verstärken sie nur die niedrigen Frequenzen, die noch gut gehört werden, jedoch kaum die hohen Frequenzen.
Wenn ein Patient die Anpassung eines Hörgeräts verweigert, kann ihm von den Gesundheitsfachleuten auch das Lippenlesen empfohlen werden. Einigen Pa­tienten mit hochgradiger Schwerhörigkeit, für die Hörgeräte keinen Nutzen mehr haben, kann ein Cochlea-Implantat helfen, welches eine bessere auditive Diskrimination ermöglicht [29–31].

Schlussfolgerungen

Kommunikation ist für die Verbindung von Menschen untereinander und die Teilhabe am Leben unerlässlich. Eine Verbesserung des Hörvermögens älterer Menschen wirkt sich positiv auf die sozial-emotionale Funktion, Gedächtnisstörungen und Depressionen aus. Der Zugewinn an Lebensqualität ist offensichtlich. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, von Kommunikationsstrategien bis hin zur Verstärkung durch Hörgeräte, um die Lebensqualität tausender Menschen mit Presbyakusis zu verbessern. Leider ist die Compliance der Patienten bezüglich des Kaufs und Tragens von Hörgeräten gering. Die Hausärzte und die Familien der Patienten haben bezüglich der Empfehlung von Hör­geräten einen grossen Einfluss.

Das Wichtigste für die Praxis

• Presbyakusis führt zum sozialen Rückzug, vermehrten Depressionen und Gedächtnisstörungen. Sie erhöht die Demenzinzidenz, wodurch das Hospitalisierungsrisiko steigt, und verringert die Lebensqualität.
• Ab 60 Jahren wird ein Hörscreening empfohlen.
• Patienten, die von einer Hörminderung berichten, müssen an einen HNO-Arzt überwiesen werden.
• Der Flüstertest und der Fragebogen «Hearing Handicap Inventory for the Elderly» (HHIE) sind gute Screening-Möglichkeiten.
• Die Schwere des Hörverlusts wird mittels zweier audiometrischer Standardverfahren bestimmt: der Reintonaudiometrie und der Sprachaudiometrie in Ruhe.
• Der Goldstandard der Prävention ist nach wie vor die Vermeidung starker Lärmexposition und der langfristige Gehörschutz.
• Die Verstärkung durch Hörgeräte ist die Behandlung erster Wahl bei Presbyakusis. Wenn möglich, sollte eine stereophone (binaurale) Versorgung erfolgen.
• Menschen mit Presbyakusis sollten eine geeignete Beratung erhalten, um ihre Compliance mit dem Tragen von Hörgeräten zu erhöhen.
• Andere Kommunikationsstrategien können hilfreich sein.
• Einigen Patienten mit hochgradiger Schwerhörigkeit, bei denen Hörgeräte keinen Nutzen mehr haben, kann ein Cochlea-Implantat helfen.

Nützliche Links


www.ecoute.ch
www.atidu.ch
www.pro-audito.ch
www.akustika.ch
www.verband-hoerakustik.ch
www.agirpourlaudition.org
www.soutiengestuel.ch.
Vielen Dank an Marion Brun, HNO, CHUV, für die ­Abbildungen
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Anne-Claude
Guinchard
Service d’ORL et cervico-facial
CHUV
Rue du Bugnon 46
CH-1011 Lausanne
anne-claude.guinchard[at]chuv.ch