Radio-Onkologie: Frühes ­Prostatakarzinom: aktive Therapie oder aktive Überwachung?
Radio-Onkologie

Radio-Onkologie: Frühes ­Prostatakarzinom: aktive Therapie oder aktive Überwachung?

Schlaglichter
Ausgabe
2017/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.02884
Schweiz Med Forum 2017;17(04):0

Affiliations
Institut für Radiotherapie, Klinik Hirslanden, Zürich

Publiziert am 24.01.2017

Die Frage, welches das beste therapeutische Herangehen ist beim Vorliegen eines lokalisierten, durch PSA-Testung diagnostizierten Prostatakarzinoms, wird in der Fachwelt kontrovers diskutiert.

Einführung

Mit den Ergebnissen der ProtecT-Studie haben wir zum ersten Mal Ergebnisse einer randomisierten Phase-III-Studie vorliegen, welche die drei wichtigsten Therapieoptionen in dieser Situation, nämlich die Prostatektomie, die Radiotherapie und die aktive Überwachung, miteinander verglichen. Die Ergebnisse dieser Studie sind mit Spannung erwartet worden, da man sich hierdurch Klarheit über die optimale Therapieempfehlung für das frühe Prostatakarzinom versprach. Sie wurden nun in zwei Arbeiten im New England Journal of Medicine von F. C. Hamdy sowie J. L. Donovan von der University of Oxford und Kollegen veröffentlicht [1, 2].

ProtecT-Studie

In der Studie wurden zwischen 1999 und 2009 1643 Männer im Alter von 50–69 Jahren (Median, 62 Jahre) randomisiert zwischen aktiver Überwachung (n = 545), Prostatektomie (n = 553) oder Radiotherapie mit 3–6-monatiger antiandrogener Therapie (n = 545). Das Tumorstadium war bei 76% der Patienten als T1c klassifiziert und der Gleason-Score betrug 6 (77%) und 7 (21%). Der mittlere PSA-Wert betrug 4,6 ng/ml (3,0–19,9). In der aktiven Kontrollgruppe erhielten 54,8% der Patienten im Laufe der Studie eine kurative Behandlung. Diese war bei etwa der Hälfte der Patienten eine Prostat­ektomie und bei der anderen Hälfte eine Radiotherapie (externe Bestrahlung oder Brachytherapie). Der primäre Endpunkt der Studie war die Prostatakarzinom-
bedingte Mortalität nach einem mittleren Follow-up von zehn Jahren.
Die Publikation von Hamdy et al. zeigte keinen signi­fikanten Unterschied in Bezug auf das Prostatakrebs-spezifische oder Gesamtüberleben zwischen aktiver Überwachung, Prostatektomie oder Strahlentherapie bei Männern mit lokalisiertem Prostatakrebs, die durch PSA-Testung diagnostiziert wurden [1]. Jedoch zeigte sich ein Trend bei der Prostatakrebs-spezifischen Mortalität beim Vergleich der aktiven Überwachung mit der Chirurgie (Hazard Ratio [HR] 0,63; Confidence ­Intervall [CI]: 0,21–1,93) oder der Radiotherapie (HR 0,51; CI: 0,15–1,69). Der weitere Follow-up wird zeigen, ob diese Trends signifikant werden. Zusätzlich hatten Männer, die der aktiven Überwachung zugewiesen wurden, signifikant häufiger eine Krankheitsprogression (p <0,001) und Metastasen (p <0,004) als Patienten, die eine aktive Behandlung erhielten. Die Metastaseninzidenz war nach der aktiven Überwachung mehr als doppelt so hoch wie nach Prostatektomie oder nach Radiotherapie.
In einem zweiten Artikel im gleichen Journal berichten Donovan et al. über Ergebnisse in Bezug auf die Harn-, Darm- und Geschlechtsfunktion sowie über die damit verbundene Auswirkung auf die Lebensqualität bis zu sechs Jahre nach Therapie [2]. Die Patienten mit einer Prostatektomie zeigten signifikant vermehrte miktionelle und sexuelle Nebenwirkungen als die anderen beiden Therapiegruppen. Zwar zeigte sich im weiteren Follow-up nach der Operation eine partielle Erholung, jedoch blieben diese Ergebnisse über den gesamten Überwachungszeitraum von sechs Jahren signifikant schlechter als in der Strahlentherapiegruppe oder der Gruppe der aktiven Überwachung. In der aktiven Kontrollgruppe waren die sexuelle (einschliesslich erektile) Funktion sowie die Harnkontinenz und -funktion ­wesentlich weniger betroffen als in den Gruppen, die mit Operation oder Radiotherapie behandelt wurden. Jedoch kam es in der Gruppe mit aktiver Überwachung im Laufe des Follow-up allmählich zu einer zunehmenden Verschlechterung dieser Funktionen, da immer mehr Männer eine kurative Behandlung erhielten und zusätzlich altersbedingte Veränderungen der sexuellen und miktionellen Funktion auftraten. Die Darmfunktion war in der Prostatektomie- und der Überwachungsgruppe unverändert. Hingegen zeigten sich nach der Strahlentherapie vor allem in den ersten sechs Monaten signifikant mehr Darmfunktionsstörungen. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Erholung der Darmfunktion, jedoch blieb eine anhaltend erhöhte Häufigkeit von Blutabgang ab ano bestehen und die Wirkung der Darmfunktion auf die Lebensqualität war auch in der Strahlentherapiegruppe etwas schlechter als in den anderen Behandlungsgruppen. In Bezug auf Angst, ­Depression, allgemeine gesundheitsbezogene Lebensqualität oder krebsbedingte Lebensqualität wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen beobachtet.

Schlussfolgerungen

Die in der ProtecT-Studie untersuchten Behandlungsverfahren bleiben auch heute noch die drei wesent­lichen modernen Methoden der Behandlung bei lokalisiertem Prostatakarzinom. Jedoch gab es in den letzten Jahren entscheidende technische Entwicklungen in der Radiotherapie wie auch in der Prostatektomie. In Bezug auf die Strahlentherapie haben wegweisende Innovationen wie die Intensitätsmodulierte Radiotherapien (IMRT und VMAT) oder die «image-guided» Radiotherapie (IGRT) zu signifikant besserer Verträglichkeit und reduzierter Akut- als auch Spättoxizität geführt [3]. Diese Techniken wurden in der ProtecT-Studie noch nicht angewandt. Somit kann davon ausgegangen werden, dass mit einer optimalen aktuellen Therapietechnik die Radiotherapie-bedingten Nebenwirkungen im Darmbereich geringer sind als in der ProtecT-Studie beschrieben. Die verwendete Operationsmethode war bei den meisten Patienten in der Studie eine offene ­retropubische Prostatektomie. Heutzutage werden ­immer mehr roboterassistierte laparoskopischen Prostatektomien durchgeführt. Eine aktuelle Studie von Yaxley et al. hat gezeigt, dass die funktionellen Ergebnisse 12 Wochen nach einer laparoskopischen Prostatektomie vergleichbar sind mit denen einer retropubischen Operation. Damit sind die in der ProtecT-Studie beschriebenen Nebenwirkungen von Seiten der Prostatektomie wahrscheinlich immer noch aktuell [4].
Mit den Ergebnissen dieser Studien besteht Level-1-Evidenz, dass alle drei Behandlungskonzepte ähnliche, sehr hohe Überlebensraten für das frühe Prostatakarzinom zeigen. Jedoch führt ein PSA-Monitoring im Vergleich zu einer aktiven Behandlung mittels Prostat­ektomie oder Radiotherapie zu einer signifikant höheren Rate an Tumorprogression und an Metastasierung. Daher sollten Männer mit frühem Prostatakarzinom darüber aufgeklärt werden, dass, wenn sie sich für eine aktive Überwachung entscheiden, das Risiko höher ist, eine metastasierte Erkrankung und die daraus resultierenden Komplikationen zu erleiden, als nach einer Operation oder Radiotherapie. Bei der Wahl zwischen Operation und Radiotherapie sollten die Patienten die Möglichkeit haben, frei wählen zu können und dies ohne Bedenken, dass die gewählte Therapie weniger ­effektiv ist. Eine differenzierte Aufklärung über die möglichen Nebenwirkungen und ihren Einfluss auf die Lebensqualität der verschiedenen Therapieoptionen ist hierbei ebenfalls wichtig. Hierfür sollten die Patienten idealerweise vom Urologen, aber auch vom Radioonkologen vor der Therapieentscheidung aufgeklärt werden.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Hansjörg Vees
Institut für Radiotherapie
Klinik Hirslanden
Witellikerstrasse 40
CH-8032 Zürich
hansjoerg.vees[at]
hirslanden.ch
1 Hamdy FC, Donovan JL, Lane JA, et al. 10-year outcomes after monitoring, surgery, or radiotherapy for localized prostate cancer. N Engl J Med. 2016;375(15):1415–24.
2 Donovan JL, Hamdy FC, Lane JA, et al. Patient-reported outcomes after monitoring, surgery, or radiotherapy for prostate cancer. N Engl J Med. 2016;375(15):1425–37.
3 Michalski JM, Yan Y, Watkins-Bruner D, et al. Preliminary toxicity analysis of 3-dimensional conformal radiation therapy versus intensity modulated radiation therapy on the high-dose arm of the Radiation Therapy Oncology Group 0126 prostate cancer trial. Int J Radiat Oncol Biol Phys. 2013;87(5):932–8.
4 Yaxley JW, Coughlin GD, Chambers SK, et al. Robot-assisted laparoscopic prostatectomy versus open radical retropubic prostatectomy: early outcomes from a randomised controlled phase 3 study. Lancet. 2016;388:1057–66.