Chirurgie: Oligometastasierung – soll operiert werden oder nicht?
Chirurgie

Chirurgie: Oligometastasierung – soll operiert werden oder nicht?

Schlaglichter
Ausgabe
2017/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.02885
Schweiz Med Forum 2017;17(04):0

Affiliations
Service de Chirurgie viscérale, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genève

Publiziert am 24.01.2017

Die Chirurgie ist nach wie vor die Behandlung der ersten Wahl beim lokalisierten Adenokarzinom des Magens und ösophagogastralen Übergangs. Ihr Stellenwert bei lokal begrenzter Metastasierung bleibt unklar. Studien mit multimodalen Ansätzen führen allerdings relativ eindeutig zu der Hypothese, dass Subgruppen von Patienten mit metastasiertem Adenokarzinom des Magens und der Speiseröhre von einer chirurgischen Behandlung profitieren können.

Einleitung

Beim lokalisierten Adenokarzinom des Magens und des ösophagogastralen Übergangs stellt die Chi­rurgie nach wie vor die Behandlung der ersten Wahl dar. In der radikalen und vollständigen Tumorresektion besteht für die betroffenen Patienten die einzige Chance auf Kuration. Der Einsatz der Systemtherapie prä- und/oder postoperativ kann die Heilungsraten zusätzlich verbessern. Im fernmetastasierten Stadium besteht abgesehen von Tumoren mit besonders günstiger Tumorbiologie und begrenzter Metastasierung (Oligometastasierung) in der Regel kaum noch eine Heilungs­aussicht. In dieser häufig palliativen Situation steht die Abwägung von Therapienutzen und therapieassoziierten Nebenwirkungen im Vordergrund.
Die aktuell gültigen Leitlinien für das Magen- und Ösophaguskarzinom sehen im metastasierten Stadium keine Indikation zur operativen Therapie [1, 2], da bislang keine prospektiven Daten zur Überlegenheit einer operativen Therapie gegenüber einer palliativen Chemotherapie vorliegen. Diese Leitlinienempfehlung basiert zumeist auf Daten aus der Ära vor Etablierung der multi­modalen Therapie, sodass der Stellenwert der Chirurgie bei lokal begrenzter Metastasierung letztlich unklar ist und unter Berücksichtigung multimodaler Therapieansätze neu bewertet werden sollte [3].

«To resect or not resect in metastatic gastric cancer: that is the question»

In einem Editorial in Gastric Cancer wurde 2012 von Florian Lordick (Onkologe) diese Fragestellung für das metastasierte Magenkarzinom aufgegriffen [4]. Dabei stellte er die These auf, dass es keinen Grund gibt, Subgruppen mit Oligometastasierung im Zeitalter effektiver multimodaler Therapiekonzepte grundsätzlich von der chirurgischen Therapie auszuschliessen.

Definition der Oligometastasierung nach dem ­RENAISSANCE-Protokoll


1. Retroperitoneale Lymphknotenmetastasen (para-aortal, intra-aorto-cava, parapankreatisch oder mesenterial)
oder/und
2. Maximal einer der folgenden Punkte mit oder ohne retroperitoneale Lymphknotenmetastasierung nach folgendem Schema:
I. Lokalisierte potentiell operable Peritonealkarzinomatose (siehe Abb. 1)
II. Leber: maximal 5 Metastasen
III. Lunge: einseitiger Befall
IV. Uni-oder bilaterale Krukenberg-Tumoren (ovariale Metastasen)
V. Uni-oder bilaterale Nebennierenmetastase
VI. Extraabdominelle Lymphknotenmetastasen (z.B. supraklavikuläre Lymphknoten)
VII. Lokalisierter Knochenbefall
VIII. Eine andere Metastasenlokalisation, die als limitiert beurteilt wird

Stellenwert der Chirurgie

Standardtherapie metastasierter Magenkarzinome und metastasierter Karzinome des ösophagogastralen Übergangs (AEG) ist gemäss der aktuell gültigen Leitlinien eine palliative Chemotherapie, da das mediane Über­leben der Patienten selten über einem Jahr liegt und in der Regel keine Aussicht auf ein Langzeitüberleben besteht [1, 2].
Da eine Verbesserung der Prognose durch die Einführung neuer Erstlinienmedikamente aktuell eher unwahrscheinlich ist, werden zukünftig individualisierte multimodale Therapiekonzepte benötigt.
Bereits heute wird in Einzelfällen beim metastasierten Magenkarzinom oder AEG abseits der Leitlinien eine chirurgische Therapie im Tumorboard in kurativer oder lebensverlängernder Zielsetzung empfohlen und durchgeführt. In diversen retrospektiven Studien konnte ein positiver Effekt der chirurgischen Therapie für Subgruppen aufgezeigt werden [3]. In einer 2015 publizierten Metaanalyse mit 1712 metastasierten Patienten nach Resektion in kurativer Intention (Gastrektomie und Metastasenresektion) lag das mittlere Gesamtüberleben bei 21,9 Monaten (Tab. 1). Demgegenüber überlebten ­Patienten nach palliativer Gastrektomie 10,7 Monate. Bei Patienten, die eine palliative Chemotherapie ohne Operation erhielten, lag das mittlere Überleben bei 6,6 Monaten (zitiert nach [3]).
Tabelle 1: Medianes Überleben nach radikaler Resektion oder palliativer Chemotherapie, modifiziert nach [3].
  Medianes Überleben in Monaten
AutorJahrRadikale 
ResektionPalliative 
Chemotherapie
Tiberio et al. 201413,0 3,0
Mohri et al. 201421,9 7,2
Yang et al. 201314,5NA
Chen L et al. 201322,3 5,5
Chen S et al. 201228,913,8
Miki et al. 201233,4 8,7
Liu et al. 201215,0NA
Dittmar et al. 201148,0 9,0
Kim et al. 201128,0 9,0
Makino et al. 201031,2 NA
Tiberio et al. 200923,0 5,0
Ueda et al. 200824,0NA
Cheon et al. 200820,0NA
Kunieda et al. 2002 7,6 3,3
Takeda et al. 199010,8 5,3
Okuyama et al. 1985 8,0 3,0
Insgesamt 
16 Publikationen 21,96,6

Spezielle Aspekte

Lebermetastasierung

Zum Stellenwert der Chirurgie bei Patienten mit Lebermetastasen eines Adenokarzinoms des Magens und der Speiseröhre liegen zwei aktuell publizierte Metaanalysen vor. In der Metaanalyse von Petrelli wurden 870 Patienten nach Resektion von Lebermetasten eingeschlossen; das gepoolte 5-Jahres-Überleben in dieser Gruppe lag bei 23,4% [5].
In der zweiten Metaanalyse mit insgesamt 1010 lebermetastasierten Magenkarzinompatienten konnten signifikant höhere Überlebensraten bei den Patienten mit radikaler Resektion der Lebermetastasen im Vergleich zur alleinigen Gastrektomie ohne Behandlung der Lebermetastasen und/oder systemischen Therapie nachgewiesen werden. Die vorwiegend retrospektiven Daten aus diesen Metaanalysen bestätigen, dass Patienten mit einer begrenzten Anzahl von Lebermetastasen von einer R0-Resektion im Rahmen einer multimodalen Therapie profitieren können [6].

Peritonealkarzinose

Ob Patienten mit limitierter Peritonealkarzinose (Abb. 1) von der Kombination aus zytoreduktiver Chi­rurgie (CRS) und hyperthermer intraperitonealer Chemoperfusion (HIPEC) profitieren können, ist Gegenstand kontroverser Diskussion.
Abbildung 1: Lokalisierte Peritonealkarzinose bei einem Adeno­karzinom des Magens.
Vergleicht man die alleinige zytoreduktive Chirurgie mit der Kombination aus CRS und HIPEC, liefert die Kombinationstherapie eine knapp signifikante Verbesserung des Überlebens bei ähnlicher Toxizität [3]. Der Stellenwert der HIPEC in diesem Konzept bleibt aber unklar und wird aktuell in prospektiven multizentrischen Phase-III-Studien evaluiert.
In den aktuell gültigen Leitlinien wird die zytoreduktive Chirurgie in Kombination mit HIPEC nur innerhalb von Studien empfohlen [1, 2].

Oligometastasierung: potentiell kurativer Therapieansatz?

Trotz der positiven Daten bleibt der Stellenwert einer ­Erweiterung der Operationsindikation in der metastasierten Situation mangels randomisierter Studien weiter unklar. Die Studien mit multimodalen Ansätzen führen allerdings relativ eindeutig zu der Hypothese, dass Subgruppen von Patienten mit metastasiertem Adenokarzinom des Magens und der Speiseröhre von einer chi­rurgischen Behandlung profitieren können [5, 6].
Die FLOT-3-Studie der Deutschen Krebsgesellschaft konnte eine Subgruppe identifizieren, die trotz metastasierter Erkrankung nach Ansprechen auf eine Induktionschemotherapie von einer operativen Therapie profitiert hat. 60 Patienten, die auf der Grundlage festgelegter Kriterien als limitiert metastasiert (weniger als 5 Lebermetastasen) kategorisiert wurden, erhielten insgesamt 4 Zyklen FLOT (5-FU, Folinsäure, Oxaliplatin, Docetaxel) prä- und postoperativ und die chirurgische Resektion durfte Bestandteil der Therapie sein (zitiert nach [3]). Die radikal operierten Patienten mit Oligometastasierung lebten mit 31,3 Monaten im Vergleich zu den nicht operierten Patienten mit 15,9 Monaten ­signifikant länger (p = 0,004). Diese Ergebnisse der FLOT-3-Studie lassen eine Indikationserweiterung zur Operation im multimodalen Setting bei Patienten mit Oligometastasierung erwarten.
Deshalb wurde die prospektiv, randomisierte RENAISSANCE-/FLOT-5-Studie zur Validierung dieser Frage­stellung projektiert. Sie untersucht, ob eine radikale chirurgische Therapie bei limitiert metastasierten ­Magenkarzinompatienten und Karzinomen des ösophagogastralen Übergangs in Kombination mit einem ­perioperativen Chemotherapiekonzept (FLOT) einer ­alleinigen chemotherapeutischen Behandlung über­legen ist (Abb. 2).
Abbildung 2: Schema RENAISSANCE-/FLOT-5-Studie, ­modifiziert nach [3].
Das FLOT-Regime ergab in der aktuell in Lancet Oncology publizierten FLOT-4 Studie (neoadjuvante Chemotherapie FLOT versus ECF (Epirubicin, Cisplatin, 5-FU) signifikant bessere Remissionsraten bei geringerer Morbidität im Vergleich zum bisherigen Standard ECF [7]. Aufgrund der exzellenten Remissionsraten und der guten Verträglichkeit stellt FLOT mittlerweile ein breit eingesetztes Regime bei der perioperativen Chemotherapie der Adenokarzinome des Magens und des Ösophagus dar.

Fazit

– Für oligometastasierte Adenokarzinome des Magens und des Ösophagus sollte der Stellenwert der chirurgischen Therapie im Rahmen einer multimodalen Therapie neu bewertet werden.
– Für dieses multimodale Konzept sind ausschliesslich Patienten in einem guten Allgemeinzustand mit Oligometastasierung geeignet, die mit vertretbarem Aufwand nach Remission des Tumors im Rahmen der perioperativen Therapie komplett reseziert (oder bei Lebermetastasen abladiert) werden können, möglichst im Rahmen einer klinischen Studie.
– Voraussetzung ist eine Diskussion des Falls im interdisziplinären Tumorboard.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med.
Stefan P. Mönig
Chirurgie œsogastrique
Service de Chirurgie ­viscérale
Hôpitaux Universitaires
de Genève
Rue Gabrielle Perret-Gentil 4
CH-1211 Genève 14
stefan.moenig[at]hcuge.ch
1 Moehler M, Al-Batran SE, Andus, T et al. S3-Leitlinie «Magenkarzinom» Diagnostik und Therapie der Adenokarzinome des Magens und ösophagogastralen Übergangs. Z Gastroenterol. 2011;49:461–531.
2 Hölscher AH, Stahl M, Messmann H, et al. New S3 guideline for esophageal cancer: important aspects. Chirurg 2016;87(10):865–72.
3 Mönig SP, Schiffmann LM. Resection of advanced esophagogastric adenocarcinoma: extended indications. Chirurg 2016;87(5):398–405.
4 Lordick F. Resect or not resect in metastatic gastric cancer: that is the question. Gastric Cancer 2012;15(3):229–31.
5 Petrelli F, Coinu A, Cabiddu M, Ghilardi M, Borgonovo K, Lonati V, et al. Hepatic resection for gastric cancer liver metastases: A systematic review and meta-analysis. Journal of surgical oncology. 2015;111(8):1021–7.
6 Martella L, Bertozzi S, Londero AP, Steffan A, De Paoli P, Bertola G. Surgery for Liver Metastases From Gastric Cancer: A Meta-Analysis of Observational Studies. Medicine. 2015;94(31):e1113.
7 Al-Batran SE, Hofheinz RD, Pauligk C, Kopp HG, et al. Histopathological regression after neoadjuvant docetaxel, oxaliplatin, fluorouracil, and leucovorin versus epirubicin, cisplatin, and fluorouracil or capecitabine in patients with resectable gastric or gastro-oesophageal junction adenocarcinoma (FLOT4-AIO):
results from the phase 2 part of a multicentre, open-label, randomised phase 2/3 trial. Lancet Oncol. 2016;17(12):1697–708.