Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit
Empfehlungen für Ärzte und akkreditierte Zentren für Schlafmedizin

Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit

Richtlinien

Affiliations
a Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrum, Neurologische Universitätsklinik, Inselspital, Universität Bern; b Klinik für Pneumologie, UniversitätsSpital Zürich,
Universität Zürich; c St. Gallische Kantonale Psychiatrische Dienste, Sektor Nord; d Institut für Rechtsmedizin, Verkehrsmedizin, Universität Zürich
Unterstützt durch die Schweizerische Neurologische Gesellschaft (SNG), die Schweizerische Gesellschaft für Pneumologie (SGP)
die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) und die Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM)

Publiziert am 16.05.2017

Einleitung

Die Artikel in der Rubrik «Richtlinien» geben nicht unbedingt die Ansicht 
der SMF-Redaktion wieder. Die Inhalte unterstehen der redaktionellen Verant­wortung der unterzeichnenden Fachgesellschaft bzw. Arbeitsgruppe.
Die Beurteilung der Fahreignung bzw. der Fahrfähigkeit bei vermehrter Einschlafneigung ist Bestandteil der ärztlichen Sorgfaltspflicht und eine wichtige und alltägliche Aufgabe der praktizierenden Ärzte und auch der akkreditierten Zentren für Schlafmedizin (AZSM) [1].
Der Anteil der Verkehrsunfälle, die durch einen Sekundenschlaf verursacht werden, wird auf 10 bis 20% aller Unfälle geschätzt [2–4]. Die vorliegenden Empfehlungen gelten seit dem 1. Januar 2017.

Rechtslage in der Schweiz

Fahreignung

Unter Fahreignung versteht man die allgemeine, zeitlich nicht umschriebene und nicht ereignisbezogene physische und psychische Eignung zum sicheren Lenken eines Motorfahrzeugs im Strassenverkehr. Dabei müssen die Voraussetzungen wie genügendes Sehvermögen und ausreichende kognitive Fähigkeiten vorhanden sein, und es dürfen keine Bewusstseinsstö­rungen oder chronisch erhöhte Tagesschläfrigkeit vorliegen. Die gesetzlichen Grundlagen der Fahreignung sind im Strassenverkehrsgesetz (SVG) und in der Verkehrszulassungsverordnung (VZV, Anhang 1) geregelt. Artikel 14 Absatz 2 besagt: «Über Fahreignung verfügt, wer die erforderliche körperliche und psy­chische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen hat.» Im Anhang 1 der neuen revidierten Fassung der VZV, die per 1. Juli 2016 in Kraft getreten ist, wird für alle Führerausweiskategorien vorgeschrieben, dass «keine Erkrankungen mit erhöhter Tagesschläfrigkeit» bestehen dürfen. Konkret bedeutet dies, dass bei einer wirksamen Therapie der Schläfrigkeit (z.B. mit einer CPAP-Behandlung bei obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom, OSAS) die Fahreignung durchaus gegeben ist.

Fahrfähigkeit

Fahrfähigkeit (früher auch als Fahrtüchtigkeit bezeichnet) ist definiert als ereignisbezogene und zeitlich begrenzte Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher zu führen, ­basierend auf der momentanen körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit. Die gesetzlichen Grundlagen finden sich im Strassenverkehrsgesetz in Artikel 31, Ziffer 2: «Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmitteln oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen nicht über die geforderte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug führen.» Artikel 31 Ziffer 1 besagt, dass «der Führer das Fahrzeug ständig so beherrschen muss, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.» Damit kommt zum Ausdruck, dass nebst einer Grundleistungsfähigkeit auch eine Leistungsreserve für die Bewältigung von schwierigen, unvorhersehbaren Situationen vorhanden sein muss, eine Auslegung, die auch vom Bundesgericht mehrfach bestätigt worden ist.

Ärztliches Melderecht

Gemäss Strassenverkehrsgesetz (SVG) sind alle Ärztinnen und Ärzte berechtigt, Personen, bei denen die Fahreignung fraglich oder nicht mehr gegeben ist, der Strassenverkehrsbehörde zu melden, und zwar auch ohne Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht. Im Artikel 15d Ziffer 1 ist Folgendes festgehalten: «Bestehen Zweifel an der Fahreignung einer Person, so wird diese einer Fahreignungsuntersuchung unter­zogen, namentlich bei Buchstabe e) nach Meldung eines Arztes, dass eine Person wegen einer körperlichen oder psychischen Krankheit, wegen eines Gebrechens oder wegen einer Sucht Motorfahrzeuge nicht sicher führen kann.» Gemäss Ziffer 3 sind «Ärzte in Bezug auf Meldungen nach Absatz 1 Buchstabe e vom Berufs­geheimnis entbunden. Sie können die Meldung direkt an die zuständige kantonale Strassenverkehrsbehörde oder an die Aufsichtsbehörde für Ärzte erstatten.»

Die ärztlichen Aufgaben

Es stehen zurzeit keine validierten Testverfahren zur Verfügung, mit denen die Unfallgefahr bei exzessiver Tagesschläfrigkeit verlässlich vorausgesagt werden kann. Viele Faktoren mit komplexen Interaktionen spielen dabei eine Rolle und müssen bei der Beurteilung des Unfallrisikos und damit der Fahreignung durch den Arzt einbezogen werden:
1 der Schweregrad der Schläfrigkeit;
2 die Fähigkeit, die Schläfrigkeit rechtzeitig wahrzunehmen;
3 das vernünftige Verhalten des Fahrers;
4 allfällige Komorbiditäten, die das Sekundenschlaf­risiko erhöhen könnten.
Für den behandelnden Arzt geht es bei der Diagnostik und Therapie primär darum, die Fahreignung seiner Patienten zu erhalten bzw. wieder herzustellen (= Fahr- Rehabilitation), was bei Tagesschläfrigkeit oft auch möglich ist. Man muss vor allem auch verhindern, dass sich die Patienten wegen zu strengen Regeln bei der ­Beurteilung der Fahreignung der Behandlung und ­Therapie beim Arzt entziehen, und dass sie aus Angst, den Führerausweis zu verlieren, stattdessen unbehandelt weiterfahren.

Empfehlungen für den 
behandelnden Arzt

Verantwortung

Die primäre Verantwortung für die sichere Führung ­eines Motorfahrzeugs liegt ganz klar beim Fahrer selbst. Dieser ist verantwortlich dafür, seine Sym­ptome und Krankheiten dem Arzt und gegebenenfalls auch dem Arbeitgeber zu melden, sofern die Fahreignung oder die Arbeitsfähigkeit dadurch beeinträchtigt wird. Man geht davon aus, dass die Schläfrigkeit subjektiv wahrgenommen wird, bevor die Fahrfähigkeit am Steuer schwerwiegend beeinträchtigt ist.
Die primäre Verantwortung des behandelnden Arztes ist die Information und Aufklärung des Patienten über die Gefahren der Schläfrigkeit am Steuer und bei der ­Arbeit, über seine Eigenverantwortung, über die wirksamen Gegenmassnahmen und über allfällige rechtliche Konsequenzen bei einem Unfall wegen ­Sekundenschlaf. Der Arzt sollte sich gut informieren, welche Erfordernisse der Patient als Arbeitnehmer ­erfüllen muss. Bei der Luftfahrt oder bei den Bahnbetrieben lohnt es sich, zusätzliche Informationen beim medizinischen Dienst der Betriebe einzuholen [1, 5 a,b].
Es gehört aber auch zur Sorgfaltspflicht des Arztes abzuschätzen, ob der Patient in der Lage ist, mit einer allfälligen Tagesschläfrigkeit vernünftig umzugehen und ob seine Aussagen überhaupt verlässlich sind (Komorbiditäten?).
Bei Uneinsichtigkeit des Patienten, sich weiter abklären und behandeln zu lassen bzw. auf das Lenken eines Fahrzeuges zu verzichten, darf der Arzt von seinem Recht einer Meldung an die Strassenverkehrsbehörde Gebrauch machen (Art. 15 d SVG).

Information

Der Arzt soll den Patienten nicht nur über die Ur­sachen der vermehrten Tagesschläfrigkeit und die Behandlungsmöglichkeiten aufklären, sondern auch über deren Konsequenzen, insbesondere bezüglich der Einschränkungen zum sicheren Führen eines Motorfahrzeuges oder Ausführen von besonderen Arbeiten. Die folgenden Aspekte sollen bei der ersten Konsultation angesprochen und in den Akten dokumentiert werden:
a Zeichen der Schläfrigkeit: Drang, die Augen zu schliessen; Schwierigkeiten, sich auf Sinneswahrnehmungen, Umwelteinflüsse und Tätigkeiten zu konzentrieren; verschwommen sehen und Doppel­bilder; schwere Augenlider; Gähnen; verminderte Bewegungen und Aktivitäten wie zum Beispiel das zunehmend häufigere Vergessen, in den Rückspiegel zu schauen; Verlust des Muskeltonus; Mühe, die konstante Geschwindigkeit oder die Spur zu halten etc.
b Gegenmassnahmen: wirksam sind einzig ein Stopp auf dem Rastplatz und ein erholsamer Schlaf. Ein koffeinhaltiges Getränk unmittelbar vor dem Schläfchen kann die anschliessende Wachheit noch verbessern. Öffnen der Fenster, laute Musik hören, Zigarette rauchen etc. sind keine wirksame Massnahmen gegen eine aufkommende Schläfrigkeit! Schläfrigkeit kann sich sehr rasch verstärken, ­weshalb die Fahrt auch kurz vor dem Ziel noch unterbrochen werden soll. Patienten mit Tagesschläfrigkeit sollten jegliches Schlafmanko vermeiden, auf das Fahren in der Nacht oder unter legalen Mengen Alkohol verzichten, und längere Fahrten vermeiden.
c Rechtliche Situation: Das Einschlafen am Steuer wird analog einem Unfall unter Alkoholeinfluss beurteilt. Das Fahren in schläfrigem Zustand wird als fahrlässige Handlung eingeschätzt und als schwere Verkehrsregelverletzung interpretiert, was zusätzlich zur allfälligen Strafuntersuchung einen mehrmonatigen Führerausweisentzug, eine Busse und einen Regress der Versicherung zur Folge hat.
Nach einer derartigen Information und Aufklärung darf erwartet werden, dass vernünftige Patienten trotz einer leichten bis mässigen Tagesschläfrigkeit in der Regel die Verantwortung für ein korrektes Verhalten und damit für ihre Fahreignung und Arbeitsfähigkeit selbst übernehmen können. Wenn die wirksame ­Therapie innerhalb von ca. drei Monaten etabliert ­werden kann, darf bei Fahrern von Personenwagen (PW, Gruppe 1) in der Regel auf eine Fahrkarenz verzichtet werden.
Bei einer unkontrollierbaren schweren Tagesschläfrigkeit (einschlafen auch in aktiven Situationen, wie beim Essen, im Gespräch) soll der Patient darauf verzichten, bis zum Abschluss der Untersuchungen und bis eine wirksame Therapie etabliert ist, ein Fahrzeug zu führen. Berufschauffeure und ähnlich exponierte Arbeitnehmer (Piloten, Lokomotivführer, Kranführer etc.) sollen vom Arzt aufgefordert werden, ihre vorüber­gehend aufgehobene Fahreignung auch dem Arbeitgeber zu melden (ev. schriftliches Einverständnis mit ­definierter Frist erstellen).
Der Arzt soll dieses Aufklärungsgespräch und die konkreten Ratschläge in seinen Krankenakten oder in ­einem Konsiliarbrief schriftlich festhalten (s. [1] Kapitel H).

Beurteilung der Schläfrigkeit

Tagesschläfrigkeit ist ein häufiges Symptom bei vielen Krankheiten und vielen Medikamenten [6]. Die Beurteilung der Fahreignung soll nicht primär von einer ­Diagnose wie zum Beispiel einem OSAS oder einer ­Narkolepsie abhängig gemacht werden. Eine entsprechende Meldepflicht an die Behörden besteht in der Schweiz nicht.
Entscheidend sind die Art und das Ausmass der Tagesschläfrigkeit sowie die Fähigkeit, die Schläfrigkeit wahrzunehmen und damit vernünftig umzugehen. Bei iatrogen bedingter Schläfrigkeit durch sedierende Medikamente ist es besonders wichtig, den Patienten auf diese Nebenwirkung vor Therapie­beginn aufmerksam zu machen, weil bei der Verschreibung von Medikamenten mit relevanter Auswirkung auf die Fahr­fähigkeit eine klare Aufklärungspflicht besteht.
Es existieren keine Messparameter zur verlässlichen Beurteilung des Schweregrades der Schläfrigkeit. Das beste Instrument bleibt die ärztliche Anamnese und die klinische Untersuchung mit einer integrativen Beurteilung aller zur Verfügung stehenden Befunde und Zusatzuntersuchungen. Standardisierte Fragebögen, wie zum Beispiel die Epworth-Skala [7] sind lediglich als Screening-Instrumente nützlich, nicht aber zur ­definitiven Beurteilung der Fahreignung.
Obschon auch Epworth-Werte >10 Indikatoren für Schläfrigkeit sind, gelten Epworth-Werte ≥15 oder ein Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) >30/h als Hinweis für eine exzessive Schläfrigkeit und sollten, sofern nicht therapierbar, als Argument für eine Weiterweisung an ein AZSM zur genaueren Abklärung der Schläfrigkeit mittels eines Fahreignungs-Wachhaltetest (FE-MWT) dienen. AHI-Werte zwischen 15 und 30/h gelten als ­mässig schweres OSAS, unter anderem auch in Bezug auf die vaskulären Konsequenzen, erlauben aber im Einzelfall keine Aussage bezüglich der Tagesschläfrigkeit. Andere Vigilanztests (Osler, PVT, Steer Clear, ­Pupillographie etc.) können ebenfalls nur zur Ergänzung der klinischen Einschätzung, aber nicht als sanktionierende Methode eingesetzt werden. Eine schlechte Compliance bei der CPAP(«Continuous Positive Airway Pressure»)-Therapie (<4 h) gilt als Risikofaktor für Verkehrsunfälle und sollte eine Weiterweisung an ein AZSM nach sich ziehen [8–10] (aktuelle Liste der AZSM unter www.swiss-sleep.ch; s. auch [1] Kapitel G).
Eine relevante Tagesschläfrigkeit sollte auch nicht übersehen werden, wenn der Patient aus anderen Gründen untersucht wird.

Beurteilung der Perzeption der Schläfrigkeit

Grundsätzlich geht man davon aus, dass die Schläfrigkeit am Steuer immer wahrgenommen wird, bevor die Fahrleistung relevant beeinträchtigt ist. Weniger klar ist jedoch, ob die Betroffenen diese Schläfrigkeit korrekt einschätzen und dann auch korrekt danach handeln. Die subjektive Perzeption der Schläfrigkeit unter MWT-Bedingungen kann nicht mit der Perzeption im Fahrsimulator oder beim «real driving» verglichen ­werden [11].
Ob ein Patient seine Schläfrigkeit am Steuer verlässlich wahrnehmen kann und dann auch korrekt handelt, lässt sich in erster Line davon ableiten, ob es schon zu Sekundenschlaf oder gar zu Unfällen oder «Fast-Un­fällen» wegen Einschlafen am Steuer gekommen ist. Deswegen sollten Patienten, die über solche Ereignisse berichten, eher an ein AZSM weitergewiesen werden.

Beurteilung der Verlässlichkeit des Patienten

Wenn der behandelnde Arzt an der Verlässlichkeit des Patienten zweifelt, kann die Fremdanamnese wertvoll sein. Wenn Hinweise bestehen, dass der Betroffene seine eigene Schläfrigkeit falsch einschätzt oder wenn der Patient nicht kooperativ ist, soll eine weitergehende Untersuchung in einem AZSM durchgeführt werden. Zweifel an der Verlässlichkeit sind dann angebracht, wenn Diskrepanzen gefunden werden zwischen den anamnestischen Angaben, allfälligen fremdanamnestischen Hinweisen (frühere Unfälle) und Befunden bei der Untersuchung oder bei Zusatzuntersuchungen ­(Vigilanztests). Ein erhöhtes Risi­koverhalten sollte auch bei Komorbiditäten wie Alkohol- oder Medikamenten­abusus, ungenügender Schlafhygiene mit häufigem Schlafmanko, bei kognitiven Defiziten oder bei aggressiven Charakterzügen in Betracht gezogen werden.

Kontrolluntersuchungen

Patienten mit schlafmedizinischen Erkrankungen sollten grundsätzlich in jährlichen Abständen beim Facharzt, der im Besitz des Fähigkeitsausweises in Schlafmedizin ist, kontrolliert werden. Dieses Intervall kann bei instabiler klinischer Situation, bei unzuverlässigen Patienten oder bei multiplen Komorbiditäten auf sechs Monate verkürzt werden. Bei Fahrzeuglenkern der Gruppe 1 (PW-Lenker) kann das Kontrollintervall bei gutem Verlauf auf maximal drei Jahre verlängert ­werden.

Empfehlungen für akkreditierte Zentren für Schlafmedizin (AZSM)

Es existieren keine objektiven Zusatzuntersuchungen, die eine verlässliche Beurteilung der Fahreignung und des zukünftigen Unfallrisikos auf der Strasse oder bei der Arbeit erlauben würden. Deswegen müssen auch objektive Messverfahren immer im klinischen Kontext beurteilt werden.
Der am besten untersuchte objektive Test, den auch wir zur Quantifizierung der Schläfrigkeit empfehlen, ist der «Multiple Wachhalte-Test» (MWT), bei dem die Schläfrigkeitsmessung auf der EEG-Ableitung basiert. Dabei sitzt der Patient während 40 Minuten in einem lärmisolierten, leicht abgedunkelten Raum (im AZSM) und wird aufgefordert, so lange wie möglich wach zu bleiben. Der Test wird im Verlauf eines Tages viermal wiederholt und dabei die Zeit bis zum Einschlafen (eine Epoche eines beliebigen Schlafstadiums gemäss Kriterien der American Academy of Sleep Medicine, AASM) gemessen. Der Patient bekommt vor jedem Durchgang den Auftrag, so lange wie möglich wach zu bleiben.
Untersuchungen mit Fahrsimulatoren oder ähnliche Leistungstests (Psychomotor Vigilance, Steer Clear, ­Osler Test, Pupillographie oder neuropsychologische Tests etc.) können wegen ungenügender Datenlage nicht als vollwertiger Ersatz des MWT empfohlen ­werden. Sie können aber zur Ergänzung des klinischen Eindrucks und zum Erfassen von Komorbiditäten wertvolle Dienste leisten.
Es ist zweckmässig, dass der MWT zur definitiven, langfristigen Beurteilung der Fahreignung (FE-MWT) unter optimaler Therapie durchgeführt wird. Der Patient muss im Voraus über den besonderen Zweck des Tests informiert werden. Im Gegensatz zum diagnostischen MWT (D-MWT) soll man dem Patienten während dem FE-MWT auch erlauben, Kaffee und andere koffeinhaltige Getränke in üblichen Mengen zu konsumieren.

Anforderungen medizinische Gruppe 1 
(Führerausweiskategorien für Fahrzeuge bis 3,5 t zum privaten Gebrauch, z.B. Personenwagen, Motorrad usw.)

Neben dem Einsatz der üblichen Therapie, nebst Kaffee und anderen koffeinhaltigen Getränken in üblichen Mengen, soll den Patienten (nur Gruppe 1) zusätzlich maximal ein «power nap» von maximal 20 Minuten um die Mittagszeit zugestanden werden, soweit dies auch Bestandteil des üblichen, alltäglichen Verhaltens ist.
Als Faustregel sollte für die Fahreignung für private Fahrten in keinem der vier MWT-Durchgänge eine Einschlafzeit <20 Minuten auftreten. Eine Einschlafzeit zwischen 20 und 33 Minuten gilt als grenzwertig und eine Latenz von ≥34 Minuten als sicher. Bei Werten ­zwischen 20 und 33 Minuten sollte der vernünftige Umgang mit der Schläfrigkeit sowie allfällige Komorbidi­täten besonders genau beachtet werden. Zu Mikro­schlaffragmenten <15 Sekunden existieren aktuell keine verlässlichen Vergleiche mit der Fahrleistung auf der Strasse oder im Fahrsimulator. Ein isoliertes kurzes (<5 Sekunden) Schlaffragment dürfte unter MWT-Bedingungen noch normal sein, während wiederholte oder längere (>5 Sekunden) Schlaffragmente eher problematisch wären. In Zweifelsfällen soll der FE-MWT wiederholt werden.

Anforderungen medizinische Gruppe 2 
(höhere Führerausweiskategorien für Bus, Lastwagen, berufsmässiger Personentransport)

Bei Berufschauffeuren sollte in keinem Durchgang Schlaf mit einer Latenz von <34 Minuten auftreten. Bei «microsleep»-Episoden vor Ablauf der 34 Minuten oder bei anderen grenzwertigen Befunden ist die Wiederholung des FE-MWT innert weniger Monate nach Optimierung der Therapie inklusive der Schlafhygiene zu empfehlen.

Konkretes Vorgehen

Die Information der Patienten mit Tagesschläfrigkeit und allfällige Weiterabklärungen können auf folgenden drei Stufen erfolgen:
1. Stufe: Behandelnder Arzt, Allgemeinpraktiker, Internist, Neurologe, Pneumologe, Psychiater etc.;
2. Stufe: Akkreditiertes Zentrum für Schlafmedizin (AZSM);
3. Stufe: Verkehrsmediziner SGRM (in der Regel an 
 einem Rechtsmedizinischen Institut).

Fahreignung bei Gruppe 1 (Privatfahrer)

Stufe 1 für Patienten ohne vorausgegangene Unfälle

– Bei Patienten ohne vorausgegangenen Sekundenschlaf-Unfall erfolgt die Aufklärung und Beur­teilung (gemäss [1] Kapitel C) in der Regel durch den behandelnden Arzt.
Bei ungenügender Compliance, Verweigerung von Abklärung und/oder Therapie oder bei Therapieversagen empfehlen wir die Zuweisung an ein AZSM. In kritischen Fällen kann auch eine Meldung gemäss Art. 15d SVG an die Strassenverkehrsbehörde erfolgen.

Stufe 2 für Patienten mit vorausgegangenen Unfällen oder Fast-Unfällen

– Eine Weiterleitung an ein AZSM ist immer dann zu empfehlen, wenn der Patient bereits einen Verkehrsunfall wegen Einschlafen am Steuer verursacht hatte. Die Tatsache, dass bereits früher ein Unfall wegen Einschlafen am Steuer verursacht wurde, spricht dafür, dass der Betroffene bei Schläfrigkeit unzweckmässig gehandelt hat und dies somit auch in Zukunft tun könnte.
– Die Behörde ist bei einem polizeilich registrierten Unfall mit möglicher medizinischer Ursache verpflichtet, die Fahreignung durch einen Vertrauensarzt des Strassenverkehrsamtes oder durch einen Verkehrsmediziner SGRM (Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin; in der Regel an ­einem rechtsmedizinischen Institut) abklären zu lassen ( Stufe 3). Diese Abklärung wird bei ­einem Sekundenschlaf-Unfall meist in Zusammenarbeit mit einem AZSM durchführt.

Stufe 3 für uneinsichtige Patienten

– Wenn auch nach eingehender Abklärung im AZSM keine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann, haben sowohl der Leiter des AZSM als auch der Patient die Möglichkeit, bei einem Verkehrsmediziner SGRM (in der Regel an einem Rechtsmedizinischen Institut) mit Erfahrung bei der Beur­teilung von schläfrigen Fahrzeuglenkern eine Zweitmeinung einzuholen. Dieser Schritt ist aber gleichbedeutend mit einer Meldung an die Behörde.
– Die letztendliche Entscheidung über die Fahr­eignung eines Patienten ist nicht eine ärztliche Aufgabe. Dies muss durch die Behörden erfolgen, wobei der Arzt oder der Verkehrsmediziner als Fach­experte beigezogen werden kann.

Fahreignung bei Gruppe 2 (Berufsfahrer)

Berufsfahrer sind aus verschiedenen Gründen einem höheren Risiko für Schläfrigkeit am Steuer ausgesetzt:
a Die reine Fahrzeit pro Tag ist in der Regel höher als bei PW-Fahrern.
b Oft sind Fahrten im Schichtbetrieb nötig, also zu Zeiten in der Nacht mit einem erhöhten, zirkadian bedingten Schlafdruck. Die Schlafqualität wird beeinträchtigt durch die Umgebung (Führerstand) und durch die Schichtarbeit.
c Der wichtigste Faktor ist aber der Zeitdruck aufgrund des Auftrages (Fahrzwang). Dadurch kann sich der Fahrzeuglenker oft nicht leisten, vernunftgemäss zu handeln und während einer Fahrpause ein Tagesschläfchen einzulegen.
Berufsfahrer, Lokomotivführer, Piloten oder Personen in ähnlich verantwortungsvollen Berufen, die an Schläfrigkeit leiden, sollen in der Regel in einem AZSM abgeklärt und behandelt werden (Stufe 2) wobei in der Regel auch eine objektive Messung im FE-MWT erfolgt.
Wenn keine einvernehmliche Lösung gefunden wird (insbesondere auch bei fehlender Compliance bei der Behandlung), sollen solche Personen via Strassenverkehrsbehörde an einen Verkehrsmediziner SGRM (in der Regel an einem rechtsmedizinischen Institut) mit Erfahrung bei der Beurteilung der Schläfrigkeit am Steuer weitergewiesen werden (Stufe 3).

Fahreignung bei periodischer Kontrolle von 
>70-jährigen Fahrzeuglenkern

Die Beurteilung der Fahreignung bei über 70-jährigen Fahrzeuglenkern muss von Gesetzes wegen in periodischen Abständen alle zwei Jahre erfolgen. Diese amtliche Aufgabe wurde Mitte 2016 gesamtschweizerisch den Hausärzten übertragen, die dabei aber nicht mehr in einem therapeutischen Verhältnis zu ihrem Patienten stehen, sondern eine amtsärztliche Aufgabe übernehmen. Dadurch ändert sich auch die Verantwortung der Ärzte dem Gesetzesgeber gegenüber, indem der Arzt in dieser Situation den Auftrag (nicht nur die Erlaubnis) hat, einen Patienten mit fehlender Fahreignung den Behörden zu melden. Wenn die Fahreignung wegen einer Tagesschläfrigkeit in Frage gestellt wird, muss dies der Strassenverkehrsbehörde mit dem Vorschlag der weiteren Abklärung mitgeteilt werden.
Die behandelnden Ärzte sollten aber diese älteren Fahrzeuglenker (wie alle anderen auch) schon vor der periodischen Kontrolluntersuchung optimal therapieren, allenfalls in Zusammenarbeit mit einem Facharzt, welcher im Besitze des Fähigkeitsausweis für Schlafmedizin ist, oder mit einem AZSM.

Hinweis


Die vollständige, offizielle Version dieser Empfehlungen finden Sie unter www.swiss-sleep.ch/driving [1] sowie in der Online-Version dieses Artikels auf www.medicalforum.ch.
Prof. Dr. med.
Johannes Mathis
Universitätsklinik
für ­Neurologie
Inselspital
Freiburgstrasse
CH-3010 Bern
johannes.mathis[at]insel.ch
1 www.swiss-sleep.ch/driving
2 Mathis J, Seeger R, Ewert U. Excessive daytime sleepiness, crashes and driving capability. Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie. 154:329–38(2003).
3 Laube, R Seeger, E. W. Russi, and K. E. Bloch. Accidents related to sleepiness: review of medical causes and prevention with special reference to Switzerland. Schweiz.Med.Wochenschr. 128:1487–99. (1998).
4 Horstmann S, Hess C.W., Bassetti C, Gugger M, Mathis J. Sleepiness-related accidents in sleep apnea patients. Sleep. 23;(3):383–9. (2000).
5a https://www.bav.admin.ch/bav/de/home/themen/alphabetische-themenliste/triebfahrzeugfuehrende/zulassungen-personal/medizinische-tauglichkeitsuntersuntersuchungen.html (28.10.2016)
5b https://www.bazl.admin.ch/bazl/de/home/fachleute/ausbildung-und-lizenzen/flugmedizinischer-dienst.html (28.10.2016)
6 Mathis J., Schreier D. Tagesschläfrigkeit und Fahrverhalten. Therapeutische Umschau: 71;(11):679–86(2014).
7 Bloch K. E, Schoch O. D, Zhang J. N, and Russi E. W. German version of the Epworth Sleepiness Scale. Respiration 66;(5):440–7(1999).
8 Karimi M, Hedner J, Häbel H, Nerman O, Ludger Grote L.
Sleep Apnea Related Risk of Motor Vehicle Accidents is Reduced by Continuous Positive Airway Pressure: Swedish Traffic Accident Registry Data. Sleep. 38;(3):341–9(2015).
9 McNicholas for the Obstructive Sleep Apnoea Working Group. New Standards and Guidelines for Drivers with Obstructive Sleep Apnoea syndrome (2013), http://ec.europa.eu/transport/road_safety/pdf/behavior/sleep_apnoea.pdf
10 Strohl KP, Brown DB, Collop N, George C, Grunstein R, Han F, Kline L, Malhotra A, Pack A, Phillips B, Rodenstein D, Schwab R, Weaver T, Wilson K; ATS Ad Hoc Committee on Sleep Apnea, Sleepiness, and Driving Risk in Noncommercial Drivers. An official American Thoracic Society Clinical Practice Guideline: sleep apnea, sleepiness, and driving risk in noncommercial drivers. An update of a 1994 Statement. Am J Respir Crit Care Med. 187(11):1259–66(2013).
11 Schreier D. Roth C. Mathis J. Subjective perception of sleepiness in a driving simulator is different from perception in the maintenance of wakefulness test. Sleep Medicine. 16:994–8(2015).
1 www.swiss-sleep.ch/driving
2 Mathis J, Seeger R, Ewert U. Excessive daytime sleepiness, crashes and driving capability. Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie. 154:329–38(2003).
3 Laube, R Seeger, E. W. Russi, and K. E. Bloch. Accidents related to sleepiness: review of medical causes and prevention with special reference to Switzerland. Schweiz.Med.Wochenschr. 128:1487–99. (1998).
4 Horstmann S, Hess C.W., Bassetti C, Gugger M, Mathis J. Sleepiness-related accidents in sleep apnea patients. Sleep. 23;(3):383–9. (2000).
5a https://www.bav.admin.ch/bav/de/home/themen/alphabetische-themenliste/triebfahrzeugfuehrende/zulassungen-personal/medizinische-tauglichkeitsuntersuntersuchungen.html
(04.04.2017)
5b https://www.bazl.admin.ch/bazl/de/home/fachleute/ausbildung-und-lizenzen/flugmedizinischer-dienst.html (04.04.2017)
6 Mathis J., Schreier D. Tagesschläfrigkeit und Fahrverhalten. Therapeutische Umschau: 71;(11):679–86(2014).
7 Bloch K. E, Schoch O. D, Zhang J. N, and Russi E. W. German version of the Epworth Sleepiness Scale. Respiration 66;(5):440–7(1999).
8 Karimi M, Hedner J, Häbel H, Nerman O, Ludger Grote L.
Sleep Apnea Related Risk of Motor Vehicle Accidents is Reduced by Continuous Positive Airway Pressure: Swedish Traffic Accident Registry Data. Sleep. 38;(3):341–9(2015).
9 McNicholas for the Obstructive Sleep Apnoea Working Group. New Standards and Guidelines for Drivers with Obstructive Sleep Apnoea syndrome (2013), http://ec.europa.eu/transport/road_safety/pdf/behavior/sleep_apnoea.pdf
10 Strohl KP, Brown DB, Collop N, George C, Grunstein R, Han F, Kline L, Malhotra A, Pack A, Phillips B, Rodenstein D, Schwab R, Weaver T, Wilson K; ATS Ad Hoc Committee on Sleep Apnea, Sleepiness, and Driving Risk in Noncommercial Drivers. An official American Thoracic Society Clinical Practice Guideline: sleep apnea, sleepiness, and driving risk in noncommercial drivers. An update of a 1994 Statement. Am J Respir Crit Care Med. 187(11):1259–66(2013).
11 Schreier D. Roth C. Mathis J. Subjective perception of sleepiness in a driving simulator is different from perception in the maintenance of wakefulness test. Sleep Medicine. 16:994–8(2015).