Kristallkrankheiten Teil 2: Kalziumpyrophosphat-Ablagerungserkrankung
Altes und Neues

Kristallkrankheiten Teil 2: Kalziumpyrophosphat-Ablagerungserkrankung

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2017/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.02967
Schweiz Med Forum 2017;17(17):391-394

Affiliations
a Praxis für Rheumatologie, Kloten, und Klinik für Rheumatologie, UniversitätsSpital Zürich
b Rheumatologie und muskuloskelettale Rehabilitation, Kantonsspital Winterthur
Die beiden Autoren haben zu gleichen Teilen zum Manuskript beigetragen.

Publiziert am 26.04.2017

Diese Form der Kristallarthropathie, auch Chondrokalzinose oder Pseudogicht ­genannt, entsteht durch Ablagerungen von Kalziumpyrophosphatkristallen in den Gelenkknorpel. Ihre sehr unterschiedlichen klinischen Manifestationen haben ihr auch den Übernamen «Chamäleon der Rheumatologie» eingebracht.

Einleitung

Die Ablagerung von Kalziumpyrophosphat(«calcium pyrophosphate dihydrate», CPPD)-Kristallen, vor allem im Knorpel, weniger im periartikulären Gewebe, kann asymptomatisch bleiben oder aber zu verschiedenen klinischen Manifestationen führen, die unter diesem Titel zusammengefasst werden. Oft synonym verwendet werden die Begriffe Chondrokalzinose (was aber eigentlich ein morphologischer Begriff respektive ein radiologischer oder sonographischer Befund ist, nämlich der Nachweis von Knorpelverkalkungen) oder Pseudogicht (was einer der verschiedenen klinischen Manifestationen entspricht) [1–3].

Epidemiologie

Die Ablagerung von CPPD-Kristallen nimmt mit dem Alter zu, dementsprechend sind fast immer ältere Menschen betroffen. Die Prävalenz von Knorpelverkalkungen im Röntgenbild beträgt im Alter von 70 Jahren ca. 15%, bei über 80-jährigen Menschen 50%. Betroffen sind beide Geschlechter, die Frauen etwas häufiger. Wenn die Erkrankung bereits unter 50-jährig auftritt, muss an eine sekundäre Form gedacht werden [1, 4].

Ätiologie und Pathogenese

1962 beschrieb McCarty erstmals die CPPD-Kristalle in der Synovialflüssigkeit. Sie sind meist kleiner als die Uratkristalle, von rhomboider Form und schwach doppelbrechend unter dem Polarisationsmikroskop (Abb. 1) [1–3].
Abbildung 1: CPPD-Kristalle unter dem Polarisationsmikro­skop (40-fache Vergrösserung).
Der Mechanismus der Ablagerung von CPPD-Kristallen in der Knorpelmatrix ist komplex und multifaktoriell. Durch die eingelagerten Kristalle kann es zu verschiedenen Krankheitsmanifestationen kommen: Werden CPPD-Kristalle aus dem Knorpel ins Gelenk freigesetzt (durch Abschilferung, was z.B. begünstigt werden kann durch Traumen oder Infekte), kommt es analog zu den Uratkristallen zu einer akuten Arthritis («Pseudogicht», Abb. 2) durch die Aktivierung von Phago­zyten und Neutrophilen, die proinflammatorische ­Zytokine wie beispielsweise Interleukin-1 freisetzen. Es kann auch zu einer subakuten oder chronisch verlaufenden Synovitis kommen, ähnlich einer rheuma­toiden Arthritis. Andererseits führt die Einlagerung dieser Kristalle zu einer Destruktion des Knorpels und damit zu einer Sekundärarthrose, typischerweise auch in Gelenken, die bei der «primären» Arthrose nicht betroffen sind [1–3].
Abbildung 2: Akute Handgelenkarthritis bei CPPD-Kristallarthropathie.
Meistens ist keine Ursache ersichtlich (sogenannt idiopathisch). Es gibt aber auch genetisch determinierte Formen (familiäre Chondrokalzinose – typischerweise tritt hier die Erkrankung schon früher auf) sowie einige metabolische oder endokrine Erkrankungen, die mit der CPPD-Erkrankung assoziiert sind, wie Hämochromatose, Hyperparathyreoidismus, Hypomagnesiämie und Hypophosphatasie.

Klinische Manifestationen

In vielen Fällen bleibt die Ablagerung von CPPD-Kristallen im Gelenkknorpel ohne Symptome.
Die klinischen Manifestationen (es sind meist die peripheren Gelenke betroffen, aber auch die Wirbelsäule kann involviert sein) umfassen ein grosses Spektrum (Tab. 1) [1–3].
Tabelle 1: Klinische Manifestationen der Kalzium­pyrophosphatablagerung.
Asymptomatisch (radiologische Kalzifikationen)
Sekundärarthrose
Akute Arthritis («Pseudogicht»)
Symmetrische chronische Polyarthritis («pseudorheumatoide Arthritis»)
Polymyalgisches Syndrom
Wirbelsäulenbefall, z.B «crowned dens syndrom» 
mit sog. «Pseudomeningitis»

Diagnose

Labor

Als Goldstandard gilt auch hier (wie bei der Gicht) der mikroskopische Kristallnachweis in der Synovialflüssigkeit. Im klinischen Alltag stützt man die Diagnose aber häufig auch auf die typischen, oben bereits auf­geführten Manifestationen und den Nachweis von charakteristischen Knorpelverkalkungen im konventionellen Röntgenbild oder hochauflösenden Ultraschall, welche die Wahrscheinlichkeit einer CPPD-Arthropathie deutlich erhöhen, sie aber bei Fehlen nie ausschliessen. Im Fall einer perakuten Monarthritis bei einem älteren Menschen ist die klinische Diagnose oft naheliegend, bei atypischer Präsentation (etwa «pseudorheumatoide Arthritis» oder polymyalgisches Syndrom) dagegen schwieriger [1].

Röntgen

Charakteristisch sind feine lineare oder gepunktete Verkalkungen im Faserknorpel (z.B. Meniskus, Symphyse, Discus triangularis oder Labrum) oder hyalinen Knorpel. Prinzipiell kann jedes Gelenk betroffen sein; ein­facher zu finden sind die Verkalkungen meist in den grossen Gelenken wie Knie, Hüfte oder Schulter. Oft findet man diese typischen Verkalkungen im Bereich der Hände: im Discus triangularis (Abb. 3), in den intracarpalen Gelenken und dem 2. und 3. Metacarpopha­langeal(MCP)-Gelenk [1, 5].
Abbildung 3: Röntgenbild des Patienten von Abb. 2 mit pathognomonischen Knorpelverkalkungen im Discus triangularis und scapholunär sowie typischer STT-Arthrose (Scapho-Trapezo-Trapezoidal-Arthrose).
Neben den Knorpelverkalkungen («Chondrokalzinose») führt die Ablagerung der CPPD-Kristalle wie erwähnt auch zu degenerativen Veränderungen (Sekundärarthrosen). Typischerweise werden davon Gelenke betroffen, die bei der primären (idiopathischen) Arthrose nicht befallen sind wie z.B. Radiocarpalgelenk, Scapho-Trapezo-Trapezoidal(STT)-Gelenk, MCP-Gelenke, Schultergelenk und Mittelfussgelenke. An anderen Gelenken unterscheidet sich das Bild von der «normalen» Ar­throse, z.B. kommt es beim Knie zu einer lateral (und retropatellär) betonten Gonarthrose oder am Hüftgelenk zu einer konzentrischen Coxarthrose.

Ultraschall

Mit den modernen hochauflösenden Ultraschallsonden können bei entsprechender Erfahrung oft die cha­rakteristischen Verkalkungen innerhalb des hyalinen (hyperechogen-linear, parallel zur Knochenoberfläche) oder Faserknorpels (hyperechogene Punkte) nachgewiesen werden (Abb. 4) [6–8].
Abbildung 4: Hochauflösendes Ultraschallbild: Knie retropatellär quer mit Darstellung von hyperintensen CPPD-Depots im hyalinen Knorpel.

Ergänzende Abklärungen (sekundäre CPPD)

Während meistens keine Ursache für die Kalzium­pyrophosphatablagerung bekannt ist, gibt es vereinzelte familiäre Formen, und selten besteht eine andere ­Erkrankung, die zu einer (dann sogenannten sekundären) CPPD führt. In diesen Fällen manifestiert sich die Erkrankung aber oft schon früh, d.h. vor 50-jährig, weshalb es hier empfehlenswert ist, entsprechend ­labormässig nach einer assoziierten endokrinen oder metabolischen Grunderkrankung zu suchen (Tab. 2) [1, 3].
Tabelle 2: Sekundäre Kalziumpyrophosphatablagerungen.
Hämochromatose
Hyperparathyreoidismus
Hypomagnesiämie
Hypophosphatasie

Differentialdiagnose

Akute Arthritis bei CPPD

Bei einer perakuten Mono- oder Oligoarthritis mit starker Schwellung, Rötung und eventuell begleitenden Allgemeinsymptomen sowie stark leukozytenreichem Gelenkpunktat ist die wichtigste Differentialdiagnose die septische Arthritis. An ein gleichzeitiges Auftreten einer CPPD-Arthritis und einer septischen Arthritis sollte grundsätzlich immer gedacht werden und die Indikation für ein Grampräparat respektive eine Kultur grosszügig gestellt werden. Eine septische Arthritis kann einen Schub einer CPPD-Arthritis provozieren und dieser ist dann durch eine besonders hohe Dichte an Kalziumpyrophosphatkristallen im Gelenkpunktat gekennzeichnet.
Die zweite wichtige Differentialdiagnose stellt die Gicht dar. Die definitive Unterscheidung erfolgt letztendlich mit der Kristallanalyse im Gelenkpunktat; je nachdem können das Gelenkbefallmuster, Röntgen- oder Ultraschallbefunde mithelfen. Es ist auch möglich, dass diese beiden Erkrankungen einmal zusammen auftreten können (Mischkristallarthropathie).

Therapie

Die Behandlung richtet sich nach der klinischen Manifestationsform. Falls es sich um eine sekundäre Chondrokalzinose handelt, wird empfohlen, die Grunderkrankung (z.B. Hämochromatose) adäquat zu behandeln, auch wenn dies meistens nicht zu einem Verschwinden der CPPD führt. Die Therapieempfehlungen basieren hauptsächlich auf Expertenmeinungen – grosse randomisierte Studien fehlen [1, 2, 9, 10].

Asymptomatische Chondrokalzinose

Da keine ursächliche Behandlung existiert, ist bei symptomlosen Patienten (i.d.R. radiologischer Zufallsbefund) keine Therapie indiziert (ausser für eine eventuell assoziierte metabolische Grunderkrankung).

Akute CPPD-Arthritis

Auch wenn die Entzündung in den meisten Fällen selbstlimitierend ist, wird man in aller Regel eine medikamentöse Behandlung indizieren. Für die Akut­behandlung gelten dieselben Empfehlungen wie bei der Gichtarthritis: Kälte, Ruhigstellung, Gelenkpunktion und intraartikuläre Steroidinjektion (Triamcinolon 10–40 mg oder Betamethason 1,75–7 mg) – falls kein Infekt vorliegt. Wenn eine Gelenkinfiltration nicht möglich oder kontraindiziert ist: adäquat dosierte nicht­steroidale Antirheumatika (NSAR) peroral für einige Tage (falls indiziert mit Magenschutz); alternativ Steroide peroral (z.B. 20 mg Prednison über einige Tage) oder Colchicin (3–4 × 0,5 mg/d am ersten Tag und danach 1–2 × 0,5 mg/d) [1, 10].
Bei wiederkehrenden akuten Entzündungen kann eine anfallsunterdrückende «Basisbehandlung» versucht werden mit Colchicin (1–2×0,5 mg/d) [11], allenfalls niedrigdosierter NSAR-Dauertherapie oder tiefdosierter Steroiddauertherapie. Da bei der seltenen nephrogenen Hypomagnesiämie (welche zu einer sekundären CPPD führt) eine Magnesiumsubstitution zu einer Besserung führt, wird auch bei der idiopathischen CPPD empfohlen, allenfalls eine Magnesiumsupplementation zu versuchen [12].

Symmetrische chronische Polyarthritis 
(«pseudorheumatoide Arthritis»)

Neben NSAR, niedrigdosierten Steroiden und Colchicin (1–2 ×0,5 mg/d) wird der Versuch einer Basistherapie mit Hydroxychloroquin oder Methotrexat empfohlen [1, 13–16].

CPPD-induzierte sekundäre Arthrosen

Hier gelten prinzipiell die gleichen Behandlungsempfehlungen wie für die idiopathischen Arthrosen. Im Falle einer entzündlichen Aktivierung – welche häufiger vorkommt als bei der primären Arthrose – ist eine intraartikuläre Steroidinfiltration sinnvoll. Vorsicht ist geboten bei der intraartikulären Injektion von Hyaluronsäure, weil dies zu einer entzündlichen Aktivierung führen kann [17].

Verlauf/Prognose

Einzeln auftretende akute Arthritiden klingen üblicherweise mit einer symptomatischen Behandlung vollständig ab. Die Behandlung von chronisch-rezidivierenden Arthritiden ist oft schwieriger, und auch das Hemmen des Fortschreitens einer durch die CPPD-Verkalkungen ausgelösten Arthrose ist meist nicht möglich, da ja keine ursächliche Behandlungsmöglichkeit bekannt ist [1, 10].

Das Wichtigste für die Praxis

• Die Einlagerung von Kalziumpyrophosphatkristallen im hyalinen und faserigen Knorpel nimmt im Laufe des Lebens zu. Die Ursache ist meistens unbekannt. Bei Manifestationen vor 50-jährig müssen familiäre Formen oder zugrunde liegende Stoffwechselkrankheiten erwogen werden.
• Die Knorpelverkalkungen können asymptomatisch bleiben oder zu ganz verschiedenen klinischen Manifestationen führen («Chamäleon der Rheumatologie»). Häufig sind sekundäre Arthrosen, akute Arthritis («Pseudogicht»), seronegative Oligo- bis Polyarthritis und polymyalgisches Syndrom.
• Die Diagnose stützt sich auf das typische klinische Bild, die Knorpelverkalkungen und den Nachweis von CPPD-Kristallen im Gelenkpunktat.
• Die akute Arthritis muss differentialdiagnostisch von anderen Kristall­arthritiden und einer septischen Arthritis abgegrenzt werden.
• Die Therapie ist symptomatisch und richtet sich nach der klinischen Manifestation.
Dr. med. Andreas Krebs
Kalchengasse 7
CH-8302 Kloten
dr.andreas.krebs[at]
bluewin.ch
Rosenthal AK, Ryan LM. Calcium Pyrophosphate Deposition Disease.
N Engl J Med 2016;374:2575–84.
1 Rosenthal AK, Ryan LM. Calcium Pyrophosphate Deposition Disease. N Engl J Med. 2016;374:2575–84.
2 Richette P, Bardin T. Calcium pyrophosphate deposition disease. Presse Med. 2011;40:856–64.
3 Zhang W, Doherty M, Bardin T, Barskova V, Guerne PA, et al. European League Against Rheumatism recommendations for calcium pyrophosphate deposition. Part I: terminology and diagnosis. Ann Rheum Dis. 2011;70:563–70.
4 Richette P, Bardin T, Doherty M. An update on the epidemiology of calcium pyrophos-phate dihydrate crystal deposition disease. Rheumatology (Oxford). 2009;48:711–5.
5 Miksanek J, Rosenthal AK. Imaging of calcium pyrophosphate deposition disease. Curr Rheumatol Rep. 2015;17:20.
6 Filippou G, Adinolfi A, Iagnocco A, Filippucci E, Cimmino MA, et al. Ultrasound in the di-agnosis of calcium pyrophosphate dihydrate deposition disease. A systematic literature review and a meta-analysis. Osteoarthritis Cartilage. 2016;24:973–81.
7 Ellabban A, Kamel SR, Omar HA, El-Sherif AM, Abdel-Magied RA. Ultrasonographic di-agnosis of articular chondrocalcinosis. Rheumatol Int. 2012;32:3863–8.
8 Ottaviani S, Juge PA, Aubrun A, Palazzo E, Dieudé P. Sensitivity and Reproducibility of Ultrasonography in Calcium Pyrophosphate Crystal Deposition in Knee Cartilage: A Cross-sectional Study. J Rheumatol. 2015;42:1511–3.
 9 Sivera F, Andrés M, Pascual E. Current advances in therapies for calcium pyrophosphate crystal arthritis. Curr Opin Rheumatol. 2016;28:140–4.
10 Zhang W, Doherty M, Pascual E, Barskova V, Guerne PA et al. EULAR recommenda-tions for calcium pyrophosphate deposition. Part II: management. Ann Rheum Dis. 2011;70:571–5.
11 Alvarellos A, Spilberg I. Colchicine prophylaxis in pseudogout. J Rheumatol. 1986;13:804–5.
12 Doherty M, Dieppe PA. Double blind, placebo controlled trial of magnesium carbonate in chronic pyrophosphate arthropathy. Ann Rheum Dis. 1983;42(Suppl):106.
13 Chollet-Janin A, Finckh A, Dudler J, Guerne PA. Methotrexate as an alternative therapy for chronic calcium pyrophosphate deposition disease: an exploratory analysis. Arthritis Rheum. 2007;56:688–92.
14 Andres M, Sivera F, Pascual E. Methotrexate is an option for patients with refractory cal-cium pyrophosphate crystal arthritis. J Clin Rheumatol. 2012;18:234–6.
15 Finckh A, Mc Carthy GM, Madigan A, Van Linthoudt D, Weber M. Methotrexate in chron-ic-recurrent calcium pyrophosphate deposition disease: no significant effect in a random-ized crossover trial. Arthritis Res Ther. 2014;16:458.
16 Pascual E, Andrés M, Sivera F. Methotrexate: should it still be considered for chronic calcium pyrophosphate crystal disease? Arthritis Res Ther. 2015;17:89.
17 Luzar MJ, Altawil B. Pseudogout following intraarticular injection of sodium hyaluronate. Arthritis Rheum. 1998;41:939–40.