Betreuung sterbender Menschen und ihrer Angehörigen
Empfehlungen für die Praxis

Betreuung sterbender Menschen und ihrer Angehörigen

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2017/3031
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.02995
Schweiz Med Forum 2017;17(3031):624-629

Affiliations
a Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital, Universität Bern; b Palliativzentrum, Kantonsspital St.Gallen

Publiziert am 26.07.2017

Die Betreuung von Sterbenden und ihrer Familien ist eine häufige Aufgabe der Medizin. Versterben derzeit jährlich etwas mehr als 60 000 Menschen in der Schweiz, so wird diese Zahl laut Bundesamt für Statistik in den kommenden zwei Jahrzehnten auf ca. 90 000 steigen. Eine grosse Aufgabe für die Betreuung und deren Qualität!

Einführung

Wer im eigenen Umfeld einen sterbenden Menschen begleitet oder begleitet hat, kann nachspüren, was nötig ist in dieser Phase. Es geht um eine grosse Sicherheit, dass körperliches Leiden gut gelindert werden kann, eine aufmerksame Umgebung, die Ruhe vermittelt und Platz schafft für das Wesentliche; für Begegnung und Austausch, zwischen der oder dem Sterbenden und den Angehörigen, aber eben auch bei der Familie und den Freunden. Es ist eine intensive Phase für alle mit Rückblick, Erinnerung, Sorge um die Zukunft, Hoffnungen für ein «friedliches», würdevolles Ende eines immer einzigartigen Lebens. Dabei spielt die ­Medizin häufig nicht die Hauptrolle. Sie soll vielmehr bewusst im Hintergrund tätig sein und einen guten Abschluss ermöglichen, ebenso wie den Angehörigen einen letztendlich auch ermutigenden Übergang in eine neue Lebensphase. Als Mediziner und Medizinerinnen sind wir da gleichermassen als Fachperson wie als Mitmensch gefordert.
Ärztinnen und Ärzte sind durch das Studium schlecht auf eine kompetente Vorgehensweise in der Sterbephase vorbereitet: Im Curriculum der Uni Bern sind hierfür gerade einmal zwei Vorlesungsstunden von insgesamt ca. 5500 Stunden eingeplant. Auch in Ländern mit gut verankerter Palliative Care wird dieses Defizit nun angegangen. So hat der «General Medical Council» in England im Mai 2016 einen Entscheid für ein inten­siveres Training in der Betreuung von sterbenden Menschen gefällt [1].
In Spitälern wird als Vorgehen in der Sterbephase häufig der Begriff «Komforttherapie» gewählt. Dieser ist allerdings selten klar definiert [2]. Für die beste Qualität der Betreuung am Lebensanfang wurde in den letzten Jahrzehnten sehr viel investiert und kaum jemand hat heute Sorge vor «schlechter» Geburtshilfe oder Neo­natologie. Was bräuchte es für eine vergleichbare Gelassenheit am Lebensende, wenngleich auch die emo­tionale Reaktion auf beide «life events» sicher nicht vergleichbar ist? Ein Faktor könnte die fehlende spezifische Finanzierung sein. Es gibt keine «diagnosis-related group» (DRG) für die Betreuung von Sterbenden, der «Unfall» Sterben ist offenbar in alle DRGs eingerechnet. Möglicherweise ist dies ein Abbild der Annahme der Medizin, dass die Sterbebegleitung keine eigent­liche Leistung mit spezifisch medizinischer Fachkompetenz ist.

Internationale Kollaboration zur Verbesserung der Betreuung in der Sterbephase

Die «International Collaborative for Best Care for the Dying Patient» ging aus einem EU-Projekt des «7th Framework» hervor. Diese Projekt – OPCARE 9 – bündelte erstmals auf internationalem Level das vorhandene Wissen zur notabene interprofessionellen Betreuung in der Sterbephase und baute dabei auf Vorgehensweisen wie dem damaligen «Liverpool Care Pathway for the dying patient» auf.
Sind in England die Meinungen über ein standardisiertes Vorgehen in der Sterbebegleitung auch sehr kon­trovers, so konnten in einigen Ländern möglicherweise durch ein individualisierteres Vorgehen deutliche Verbesserungen erreicht werden, vor allem aus Sicht der Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen, aber auch aus Sicht der Fachpersonen in Spitälern, Pflegeheimen oder für die Betreuung zuhause [3]. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in allen internationalen Modellen in der Aus- und Weiterbildung.

Ein Vorgehen für die Schweiz

Auf Grundlage dieser Kollaboration und langjähriger Erfahrungen der Umsetzung des früheren «Liverpool Care Pathways» in einigen Zentren in der Schweiz ini­tiierte die Schweizerische Palliativgesellschaft palliative ch im Jahr 2015 eine Taskforce, um diese interna­tionalen Vorgehensweisen an die Schweiz mit ihren doch deutlichen kulturellen Unterschieden anzupassen. Die Empfehlung «Betreuung sterbender Menschen und ihrer Angehörigen» [4] wurde in einem mehrschrittigen Verfahren (Literaturreview, Experten-Delphi, Sounding Board) durch Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Berufsgruppen erarbeitet (www.palliative.ch/bestpractice). Im Nachfolgenden sollen wesentliche Inhalte dieser Empfehlung zusammengefasst werden.
Die Empfehlungen beziehen sich auf die Sterbephase, das heisst auf die letzten vier bis sieben Lebenstage. In der Praxis hat es sich bewährt, verschiedene Bereiche zu unterscheiden (Abb. 1):
Abbildung 1: Phasen der Betreuung in der Sterbephase.
– das Erkennen des Beginnes des Sterbeprozesses;
– das Erfassen und Erfragen der zu diesem Zeitpunkt wesentlichen Punkte;
– die zu treffenden Massnahmen;
– deren Evaluation auf ihre Wirksamkeit;
– die Aufgaben und das Vorgehen beim und nach dem Tod.
Die Inhalte orientieren sich an den zehn «key principles», die durch die internationale Kollaboration de­finiert wurden [5] .
Das Dokument versteht sich als Rahmenkonzept mit starker Ausrichtung auf die praktische Umsetzung, und damit als Vorlage für die Definition eigener Vor­gehensweisen in Institutionen beziehungsweise Netzwerken. Aus didaktischen Gründen werden deshalb fünf «Phasen» der Betreuung (also nicht des Sterbens!) beschrieben. Wesentlich erscheint den Autoren auch, dass die Kommunikation ganz wesentlich für die Qualität der Betreuung verantwortlich ist. Deshalb werden bei jeder «Phase» Kommunikationshilfen mit konkretem Wortlaut angeboten. Die folgenden Inhalte entsprechen teilweise im Wortlaut der Empfehlung der Fachgesellschaft.

Das Erkennen der Sterbephase

Beim Erkennen der Sterbephase handelt es sich um die Angabe einer Wahrscheinlichkeit. Es gibt keine sicheren Kriterien oder Phänomene für das Eintreten der Sterbephase. Intuition und Erfahrungen spielen dabei eine grosse Rolle. Das Erkennen der Sterbephase erfolgt deshalb soweit möglich im interprofessionellen Team; es sollten mindestens zwei verschiedene Berufsgruppen beteiligt sein.
Zwei wesentliche Faktoren stehen hier im Vordergrund:
– die klinische Einschätzung / die Intuition;
– Veränderungen der Atmung, insbesondere die verminderten Atemtiefe aufgrund der allgemeinen muskulären Insuffizienz.

Intuition / Überraschungsfrage

Der Verlauf sowie die gute Kommunikation im Team und mit den Angehörigen bezüglich eigener Beobachtungen bestimmen die Qualität des Erkennens der Sterbephase. Veränderungen beim Kranken, die sich im Bauchgefühl («gut feeling»), in der Intuition der ­betreuenden Fachpersonen und Angehörigen mani­festieren, tragen wesentlich zur Beurteilung bei. In der Praxis hilft hierbei die sogenannte Überraschungsfrage: «Wären Sie/wir überrascht, wenn der Patient in den kommenden vier bis sieben Tagen versterben würde?»

Diagnostische Hilfen für das Erkennen der ­Sterbephase

Eine besondere Rolle spielen hier die Veränderung der Atmung (Tiefe, Frequenz), die Veränderung des All­gemein-/Energiezustands (Bettlägerigkeit, Anorexie, Fatigue, Delir), das verminderte Interesse an der Einnahme von Flüssigkeit, Medikamenten und Nahrung sowie Veränderungen der Kognition einhergehend mit einem allgemeinen Rückzug und vermindertem Interesse an der Umwelt. Hauptursache pathophysiologisch ist eine gemeinsame Endstrecke der katabolen Stoffwechsellage mit massiver Einschränkung der mus­kulären Kraft, was letztendlich auch zur respiratorischen Insuffizienz führt. Weitere Phänomene können sein: Unruhe, Angst, bildhafte spirituelle Erfahrungen, die als «Tagträume» imponieren, das Bedürfnis zum Gespräch mit ausgewählten Personen, Wunsch nach Ruhe, Versöhnung und Danken. Die Sorge um die Angehörigen ist häufig («finaler Altroismus»).

Kommunikationshilfen

– «Wir machen uns grosse Sorgen wegen der Verschlechterung bei X. Vieles weist darauf hin, dass sie/er in den nächsten Tagen versterben könnte.»
– Gegebenenfalls (auch abhängig vom kulturell/re­ligiösen Kontext) Einbezug der Angehörigen: «Wie erleben Sie/wie schätzen Sie (als Angehörige/r) die jetzige Situation ein?».
Besondere Anmerkung: Es ist im Spital oder im Pflegeheim sinnvoll, die Hausärztin oder den Hausarzt zu diesem Zeitpunkt bereits über das mögliche Versterben zu informieren, was meist sehr geschätzt wird. Als Dreh- und Angelpunkt für Angehörige sind diese so in der Lage, eigene Unterstützungsangebote für Angehörige anzubieten und den Übergang in die Trauerphase zu erleichtern.

Initiales Assessment

Das initiale Assessment dient dem interprofessionellen Team dazu, die spezifischen Stressoren und Ressourcen bei der Patientin /beim Patienten und den Angehö­rigen zu erfassen und definieren; es bildet die Basis für die Planung der Massnahmen in Phase 3.

Informationsstand

Wichtig zu erfassen ist die Einschätzung der aktuellen Situation durch den/die Schwerkranke und die An­gehörigen sowie das Erfragen des aktuellen Wissensstandes. Es wird geklärt, ob und durch wen weitere Bezugspersonen über die Situation und den weiteren Verlauf informiert werden (z.B. den «verlorenen Sohn»). Besonders aufmerksam bei der Kommunikation über das Sterben werden körperliche, sprachliche, kulturelle und spirituelle Besonderheiten berücksichtigt, beispielsweise auch die Verleugnung oder Tabuisierung des Sterbens.

Ausmass des Leidens

Hauptthema hier ist die Erfassung der aktuellen Sym­ptome. Besonders erfragt werden individuelle Ängste, beispielsweise vor dem Ersticken, da diese oft durch ­eigene Vorerlebnisse bestimmt sind. Dies betrifft auch die Angehörigen, mit denen gemeinsam das Vorgehen in möglichen Notfall- und Krisensituationen geplant wird, unabhängig vom Ort der Betreuung. Es kann hilfreich sein, in besonders komplexen und instabilen ­Situationen Fachpersonen der spezialisierten Palliative Care beizuziehen.

Psychosoziale und spirituelle Stressoren

Neben den körperlichen Stressoren werden bei den Pa­tientinnen/Patienten sowie Angehörigen auch die psychischen, soziokulturellen und spirituellen Belastungen erfasst, zum Beispiel:
– Zeichen einer komplizierten Trauer bei Angehörigen (Risikofaktoren sind: wenig soziale Kontakte, Einsamkeit, vorbestehende Depression, Angst);
– Unterstützungsbedarf in der Klärung offener finanzieller Fragen;
– Unterstützungsbedarf bei der Betreuung von Kindern;
– Vorhandensein von «spiritual distress» insbesondere bei Äusserung von Sinnlosigkeit.

Bedürfnisse und organisatorische Fragen

Wünsche, Werte und Bedürfnisse der Patientin /des Patienten und der Angehörigen stehen im Vordergrund (z.B. Wunsch nach bestimmten soziokulturellen oder spirituellen / religiösen Ritualen).
Es wird mit den Betroffenen erfragt und dokumentiert, wer bei Verschlechterung der Situation und Eintreten des Todes Ansprechperson ist und zu welchen Tageszeiten informiert werden soll. Ebenso geht es um Wünsche nach Verlegung/Betreuung an einen anderen Ort, inklusive Rückführung ins Heimatland.

Kommunikationshilfen

– «Gibt es noch jemanden, der informiert werden muss, wie ernst die Situation ist?»;
– «Gibt es jemanden, den Sie jetzt noch sehen möchten?»;
– «Was belastet Sie am meisten?», aber auch «Was gibt Ihnen Kraft?», «Was trägt Sie?»;
– «Gibt es etwas, das Ihnen jetzt wichtig ist?», «Gibt es etwas, dass Ihnen beim Sterben oder nach dem Tod wichtig ist?»,;
– «Gibt es etwas, das Sie noch erledigen möchten?»;
– «Um wen machen Sie sich am meisten Sorgen?»;
– «Hätten Sie das Bedürfnis, mit einem Seelsorger zu sprechen?».

Massnahmen

Die Massnahmen beziehen sich auf die medizinisch- pflegerische Behandlung sowie die Kommunikation und den aktiven Einbezug der Angehörigen.

Überprüfen der bisherig medizinischen 
und pflegerischen Massnahmen

Es werden nur Medikamente fortgeführt, die unmittelbar symptomatisch wirksam sind. Abgesetzt werden alle sekundär prophylaktischen Medikamente, ausser diejenigen, die ein kürzlich symptomatisch sehr belastendes Symptom verhindern helfen (z.B. subkutane Antikoagulation bei kürzlicher fulminanter Lungenembolie). Zusätzlich werden potentiell lebensver­längernde Therapien abgesetzt. Hierzu gehört auch die Deaktivierung eines intrakardialen Defibrillators (ICD). Der Applikationsweg der Medikamente wird in der Regel auf parenteral gewechselt, also entweder subkutan oder intravenös und nach Absprache mit Pa­tientin/Patient und Angehörigen. Die pflegerischen Massnahmen (Körperpflege, Lagerung, Verbandwechsel etc.) werden ebenfalls den Bedürfnissen der Patientin / des Patienten angepasst. Notwendige Hilfsmittel sind vor Ort (elektrisches Pflegebett, Absauggerät etc.).

Vorausschauende Massnahmenplanung

Für die häufigsten Symptome – auch wenn aktuell nicht im Vordergrund – werden routinemässig Reservemedikamente verordnet (Schmerz, Unruhe, Sterberasseln, Übelkeit/Erbrechen, Atemnot). Hierzu sind in der Online-Version [1] der Empfehlungen Algorithmen für den Medikamentengebrauch verfügbar. Die parenterale Flüssigkeitszufuhr wird entweder sistiert oder auf ca. 500 ml pro Tag beschränkt und durch intensive Mundpflege (auch durch die Angehörigen) komplettiert. Für das Vorgehen im Notfall werden in Abhängigkeit vom Behandlungssetting Selbsthilfemassnahmen und die Erreichbarkeit (z.B. Notfallnummern) der verfüg­baren Privat- und Fachpersonen definiert. Das Notfallvorgehen umfasst auch die Definition der Rahmenbedingungen für den Fall einer palliativen/terminalen Sedierung.
Möglichkeiten zur Förderung der Resilienz und Sinnfindung sowie zum Erhalt von Hoffnung werden von Fachpersonen unterstützt, beispielsweise durch die Nutzung von kulturell-religiösen Besonderheiten/Ritualen. Dies gilt auch für Angebote für entlastende Seelsorgegespräche zu Themen wie: Schuld und Vergebung, Beichte, Trost, und Ermutigung.

Kommunikation, Instruktion und Beratung

Mit den Angehörigen werden der aktuelle Behandlungsplan und die regelmässige Evaluation besprochen sowie die aktive Mitwirkungsmöglichkeit bei der Betreuung/Behandlung seitens der Angehörigen inklusive Einüben von Notfallmassnahmen definiert. Dies umfasst auch einen familiären Anwesenheitsplan insbesondere in Institutionen, sofern gewünscht und machbar.

Kommunikationshilfen

– «Wie schon im letzten Gespräch besprochen, deutet der aktuelle Verlauf auf eine hohe Wahrscheinlichkeit hin, dass Frau/Herr X in den kommenden Tagen versterben wird. In unserem Team sehen wir die Probleme A und B als derzeit vordringlich und haben deshalb die Behandlung auf Massnahme C und D umgestellt.»;
– «Gleichzeitig sind wir auf Ihre Beobachtungen angewiesen und sind froh, wenn Sie uns mögliche neue Probleme/Änderungen mitteilen. Auf jeden Fall sind wir darauf eingerichtet, sehr rasch auf mögliches Leiden zu reagieren.»;
– «Wir empfehlen Ihnen auch, die weitere Familie zu informieren. Gerne bieten wir Ihnen auch an, dass Sie oder andere Angehörige tags und nachts hier anwesend sein können.»;
– «Wir sind froh, wenn Sie uns informieren, welche Dinge wir bei Ihrer Kultur oder Religion im Zusammenhang mit dem Sterben wissen sollten, damit wir uns möglichst richtig verhalten.».

Verlaufsevaluation

Das Ziel ist eine möglichst angst- und stressarme Sterbephase für alle Beteiligten, aber auch die Anerkennung, dass beim Sterben und Tod neben Gefühlen wie Dankbarkeit und Wärme auch sehr viele negative Emotionen wie Verzweiflung, Hadern, Aggressivität oder schlicht fast unerträgliche Traurigkeit auftreten können. Dies ist besonders häufig bei unerwartetem Versterben. Auch soll berücksichtigt werden, dass durch die Anpassung/Reduktion der Medikamente oder auch anderer Stressfaktoren eine Besserung des Zustands möglich ist – ein gut strukturiertes Vorgehen in der Sterbephase kann also in ca. 10–15% dazu führen, dass ein Weiter­leben möglich ist!
Das Betreuungsteam tauscht sich einmal pro Tag zur Einschätzung der Gesamtsituation aus:
– Besprechung aktueller Probleme;
– Neueinschätzung, ob es sich um die Sterbephase handelt;
– Besprechung vorhandener neuer Stressoren und evtl. neue Priorisierung.
Die für die Sterbende/den Sterbenden in Phase 3 festgelegten Massnahmen werden regelmässig, das heisst in der Regel täglich im interprofessionellen Team auf deren Wirkung überprüft und bei Bedarf angepasst. Dies umfasst auch das Erfragen des Befindens der ­Angehörigen und deren Bedürfnis nach Rückzug und Entlastung.

Kommunikation

Wichtig ist die Information der Angehörigen, was normal im Sterbeprozess ist. Es benötigt Erklärung, welche Phänomene mit grosser Wahrscheinlichkeit vor allem für begleitende Personen Stress bedeuten, nicht aber unbedingt für den Sterbenden: zum Beispiel Mund­atmung/-trockenheit und Rasselatmung bei bereits eingetretener Bewusstseinstrübung/-losigkeit; fehlender Stuhlgang über Tage; fehlendes Verlangen nach Flüssigkeit etc. (s. Anhang Broschüre für Angehörige über Veränderungen am Lebensende [6]).
Hilfe zur Kommunikation mit Angehörigen:
– «Wie erleben Sie heute Ihre Frau / Ihren Mann etc.?»;
– «Wie geht es Ihnen?», «Was brauchen Sie?»;
– «Haben Sie Fragen zur Behandlung?»;
– «Denken Sie, dass sie/er leidet? Wenn ja, worunter?» (vgl. Kommunikation über normale Phänomene des Sterbens);
– «Was sollten wir Ihrer Meinung nach noch mehr ­beachten/tun, damit es besser geht?»;
– «Fühlen Sie sich ausreichend unterstützt?»;
– «Haben Sie Fragen, die wir gemeinsam (und mit wem) besprechen sollten?».

Tod und Betreuung der Trauernden

Je besser die Kommunikation, das gegenseitige Kennen und Vertrauen und die Vorbereitung auf den ­bevorstehenden Tod in der Sterbephase (oder früher), desto weniger Stress entsteht für alle Beteiligten im Moment des Eintretens des Todes und der unmittel­baren Zeit danach. Der Beginn dieser Phase stellt für alle Beteiligten nochmals eine Herausforderung dar, die ein von Authentizität und Empathie geprägtes Miteinander erfordert.

Wichtig ist:


– das schrittweise und ruhige Vorgehen, nicht alles auf einmal erledigen wollen;
– Zeit und Raum für Abschied zu ermöglichen (Angehörige und Team);
– die Nachbesprechung und gegebenenfalls das Angebot der weiteren Betreuung der Angehörigen in der Trauerphase.

Überbringen der Todesnachricht

Wenn möglich soll diejenige Person, welche die aktuell intensivste Beziehung zu den Angehörigen hat, die ­Todesnachricht überbringen. Es wird im Vorfeld vereinbart, zu welchen Zeiten, an welche Person die Todesnachricht überbracht wird.

Todesfeststellung und wichtige Informationen durch den ärztlichen Dienst

Im Kontext der Feststellung des Todes (Untersuchung) ergibt sich die Möglichkeit zum Erfragen von Informationsdefiziten bezüglich Todesursache und von aktuellen Stressoren bei den Angehörigen. Dabei kann auch bei entsprechenden offenen Fragen das Thema Aut­opsie sensitiv angesprochen werden, um möglicherweise ­dadurch eine bessere Erklärung für das gegebenenfalls überraschende Versterben zu erhalten. Wichtig ist hierbei, dass die Information bezüglich der Autopsie den Weg zurück zu den Angehörigen findet und meist über den Hausarzt kommuniziert wird.
Weitere involvierte Fachpersonen, wie zum Beispiel die Hausärztin/der Hausarzt, falls der Todesfall nicht durch sie/ihn betreut wird, werden informiert. Hier finden leider die häufigsten Kommunikationsfehler, respektive das Unterlassen der Information statt, was einer Verletzung der Sorgfaltspflicht gleichkommt.

Versorgung des/der Verstorbenen und Unterstützungsmöglichkeiten für Trauernde und Team

Die Angehörigen werden über das weitere Vorgehen ­informiert (Ankleiden des Verstorbenen, Planung von Ritualen, Zeit zum Abschiednehmen, weitere Besuche etc.) und in die weitere Gestaltung (z.B. beim Ankleiden der/des Verstorbenen, bei der Gestaltung des Toten­bettes und der Umgebung) auf Wunsch einbezogen. Ebenfalls erfolgt eine Information über administrative Aufgaben sowie über Bestattungsunternehmen, was in den meisten Institutionen bereits gut organisiert ist.
Zusätzlich werden Möglichkeiten für eine erneute Kontaktaufnahme mit dem Behandlungsteam sowie der Trauerbegleitung der Hinterbliebenen vermittelt. Je nach Verlauf und Bedarf wird eine Nachbesprechung der Sterbesituation im Behandlungsteams, gegebenenfalls ein Abschiedsritual im Team oder eine Supervision geplant.

Kommunikationshilfen

Beileid

– «Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Vater, Herr XY, heute Nacht verstorben ist. Ich möchte Ihnen unser aufrichtiges Beileid aussprechen.»;
– «Ich muss Ihnen eine traurige Nachricht überbringen – können wir jetzt darüber sprechen – möchten Sie sich zuerst an einen ruhigen Ort begeben?».

Informationen (je nach Setting benötigt es nicht alle Abklärungen)

– «Möchten Sie im Moment noch nähere Informationen?»;
– «Haben Sie Fragen bezüglich der Todesursache?;
– Wünschen Sie, dass wir eine Untersuchung/Aut­opsie durchführen zur Klärung dieser Fragen?»;
– «Leider wissen wir nicht, ob ihr Angehöriger Wünsche geäussert oder Entscheidungen getroffen hatte bezüglich einer Autopsie oder Organspende. Wissen Sie Näheres darüber?».

Begleitung

– «Was brauchen Sie jetzt und wie sollen wir miteinander verbleiben?» (z.B. Abmachungen für Besuch, Angebot eines späteren Gesprächs usw.).

Der medizinische Part bei der Betreuung von Sterbenden

Die ärztlichen Aufgaben sind besonders klar beim Erkennen der Sterbephase, insbesondere im Kontext potentiell reversibler Ursachen für eine akute Verschlechterung, bei der Kommunikation als häufige Teamleader gegenüber den Angehörigen sowie bei der Anpassung der therapeutischen Massnahmen, das heisst beim ­Absetzen vorbestehender sekundär präventiver Medikamente sowie bei der oft auch prophylaktischen Verordnung von Reservemedikamenten für die häufigsten Symptome in der Sterbephase (Dyspnoe, Schmerzen, Delir, Übelkeit, bronchiale Sekretion). Hilfreich ist bei letzterem, wenn innerhalb von Netzwerken oder Institutionen im interprofessionellen Konsens aufgrund von Vorgaben, wie sie im Dokument von palliative ch enthalten sind, therapeutische Algorithmen erarbeitet werden, um dem Pflegepersonal auch ausserhalb von Kernanwesenheiten des ärztlichen Personals eine qualitativ hochstehende Symptombehandlung zu ermöglichen.
Häufig sind Hausärztinnen und Hausärzte ganz wesentliche «Bergführer» für die Betroffenen in dieser oft krisenhaften Lebenssituation aufgrund der gegenseitiger Wertschätzung und gemeinsamen Wegsuche seit Jahren. Insbesondere im Spital ist es deshalb auch hilfreich, die Hausärztin oder den Hausarzt aktiv in die Kommunikation in der Sterbephase einzubeziehen.

Schlussfolgerung

Die medizinische Ausbildung stattet Ärztinnen und Ärzte bisher kaum aus für eine qualitativ hochstehende Betreuung von sterbenden Menschen und ihren Angehörigen. Dies mag eine Folge der auf Heilung ausgerichteten Lehrinhalte sein. Die Realität spiegelt aber die häufige Konfrontation mit diesem anspruchsvollen Bereich bereits ab früher Assistentenzeit wider.
Eine hervorragende Qualität bei der Betreuung von Sterbenden baut auf einer systematischen Vorausplanung des Lebensendes und vor allem auf eine frühzeitige Kommunikation über ein mögliches Sterben auf. Die doppelte Planung gemäss der Prämisse «preparing for the worst, hoping for the best» erhöht die Qualität der Beziehung zwischen Fachperson und Patientin/­Patient beziehungsweise Angehörigen – und schadet in keiner Weise, wie viele Fachpersonen immer noch befürchten.
Aufrichtigkeit und gemeinsame Freude, wenn sich kleine Erfolge trotz widriger Lebenslage einstellen, sind wesentliche Ingredienzen der Betreuung am Lebensende, selbst in der Sterbephase, und sind menschlich und fachlich sehr befriedigend. Deshalb haben viele von uns den Arztberuf gewählt: weil wenig Vorhersehbares und wissenschaftliche Evidenz immer wieder im Wettstreit liegen und letztendlich nur durch Erfahrung und menschlich-kommunikative Qualitäten in Einklang gebracht werden können. Und das ist besonders wahr und wichtig bei der Betreuung von Sterbenden und ihren Angehörigen.

Das Wichtigste für die Praxis

Die Betreuung von Sterbenden und ihren Angehörigen gehört zum Alltag in der Medizin. Die Ärztinnen und Ärzte werden durch ihre Ausbildung aber nur ungenügend auf diese wichtige Aufgabe vorbereitet. Die Fachgesellschaft palliative ch hat deshalb auf Grundlage internationaler Evidenz und Praxis eine Empfehlung für ein Modellvorgehen in den letzten vier bis sieben ­Lebenstagen für Fachpersonen erarbeitet. Die wichtigsten Punkte sind:
• die Erkennung der Sterbephase;
• die Erfassung der wichtigsten Symptome und Stressoren;
• die Anpassung der Medikation auf symptomatisch wirksame Medikamente allein sowie intensive Kommunikation auch mit den Angehörigen;
• die regelmässige Evaluation des Verlaufs;
• im Todesfall eine gelungene Verbindung von Menschlichkeit und administrativer Anleitung.
Das Editorial zu diesem Artikel finden Sie auf S. 622 in dieser Ausgabe.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med.
Steffen Eychmüller
Universitäres Zentrum für Palliative Care (PZI)
SWAN Haus
Freiburgstrasse 28
CH-3010 Bern
steffen.eychmueller[at]
insel.ch
 2 Blinderman CD, Billings JA. Comfort Care for Patients Dying in the Hospital. N Engl J Med. 2015 Dec 24;373(26):2549–61.
 3 Raijmakers NJ, van Zuylen L, Costantini M, Caraceni A, Clark JB, De Simone G et al. Issues and needs in end-of-life decision making: an international modified Delphi study. Palliat Med. 2012;26(7):947–53.
 5 Ellershaw J, Murphy D, Fürst CJ, Abbott R, Wilkinson S. The International Programme for Best Care for the Dying Person 10 Step Implementation Model. Liverpool: The Marie Curie Palliative Care Institute. April 2015.
– Ellershaw J, Wilkinson S. Care of the Dying. A pathway to excellence. Oxford: University Press. 2011.
– Eychmüller S. Palliativmedizin Essentials. Bern: Huber. 2015.
Weitere Literatur beim Autor.