Schlaf bei älteren Menschen
Vorsicht vor althergebrachten ­Vorstellungen!

Schlaf bei älteren Menschen

Editorial
Ausgabe
2017/34
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03032
Schweiz Med Forum 2017;11(34):704

Affiliations
Centre d’investigation et de recherche sur le sommeil, CHUV, Lausanne

Publiziert am 23.08.2017

Wir alle haben wohl das Bild des Grossvaters vor Augen, der während der Familienmahlzeiten einnickt oder an einem schönen Sommernachmittag friedlich auf der Bank vor sich hindöst. Diese Vorstellung einer natürlichen altersbedingten Schläfrigkeit ist jedoch trügerisch.
Wie Dr. Mendes und ihre Co-Autoren in dieser Ausgabe des Swiss Medical Forum sehr treffend ausführen, dürfen Tagesschläfrigkeit oder andere Schlafstörungen nicht einfach auf das Alter des Patienten zurückgeführt werden [1]. Mehrere epidemiologische Studien, darunter die auf der CoLaus-Kohorte basierende Hypno­Laus-Studie, zeigen eindeutig, dass Schlafbeschwerden in dieser für die Allgemeinbevölkerung repräsentativen Stichprobe mit zunehmendem Alter eher ab- statt zunehmen [2]. Tatsächlich waren die Resultate der an die Probanden ausgeteilten Fragebögen zur Schlafqualität und Einschlafneigung während des Tages bei den Über-60- deutlich besser als bei den 40–60-Jährigen. Dies ist umso erstaunlicher, da mit zunehmendem Alter ein Rückgang der objektiven Schlafqualität (häufigeres nächtliches Erwachen, weniger Tiefschlaf) und eine Zunahme von Schlafstörungen, wie zum Beispiel dem Schlafapnoesyndrom, zu beobachten sind.
Zur Erklärung dieses Paradoxons gibt es mehrere Hypothesen: Es ist zu vermuten, dass aufgrund der geringeren Anforderungen an die berufliche Leistungs­fähigkeit bei Rentnern auch deren Erwartungen an die Schlafeffektivität zurückgehen. Möglicherweise haben Menschen im Rentenalter im Gegensatz zu berufstätigen Personen auch häufiger die Möglichkeit, tagsüber ein Nickerchen zu machen, wodurch das Tagesschläfrigkeitsrisiko logischerweise abnimmt.
Was auch immer die Ursache für diesen Unterschied zwischen der beobachteten und subjektiv empfundenen Schlafqualität bei älteren Menschen sein mag, die Botschaft von Mendes et. al. ist eindeutig: Wenn ältere Menschen über eine schlechte Schlafqualität oder Tagesschläfrigkeit klagen, darf dies nicht banalisiert, sondern es muss nach der entsprechenden Ursache gesucht werden.
Ein absolut sinnvoller, im Artikel von Mendes et al. genannter Vorschlag, insbesondere bei der Versorgung älterer Menschen mit Schlafstörungen (Abb. 1, S. 715), ist die Suche nach einer ursächlichen Komorbidität. Probleme wie chronische Schmerzen, Nykturie oder Schlafapnoe treten in dieser Altersklasse tatsächlich häufiger auf und können die Ursache für Schlafstörungen sein.
Die Verschreibung von Schlafmitteln sollte bei Insomnie, wenn keine andere (insbesondere psychiatrische) Ursache zu finden ist, angesichts des hohen Risikos des damit verbundenen Gewöhnungseffekts, von Stürzen oder kognitiven Störungen, lediglich der letzte Ausweg sein. Langwirksame Schlafmittel können auch zu einer Einschlafneigung am Tage führen, wodurch der Schlaf in der darauffolgenden Nacht noch stärker durcheinander gerät.
Wie von Mendes et. al. angeführt, sollte eine nichtmedikamentöse Behandlung mit der Empfehlung von Regeln zur Schlafhygiene die Behandlung erster Wahl sein (Tab. 1, S. 714). Die wichtigste dieser Behandlungsmethoden ist sicherlich die Abschaffung oder Verkürzung von Nickerchen am Tage sowie eine ausreichende Tageslichtexposition, um den zirkadianen Rhythmus zu stärken und zu erreichen, dass der Schlaf innerhalb eines genau festgelegten Zeitraums in der Nacht stattfindet. Daher ist es sehr wichtig, ältere Menschen tagsüber zum Hinausgehen anzuregen, wodurch ihre Tageslichtexposition steigt und das Risiko für Tagesschläfrigkeit verringert wird. Mit dieser einfachen Massnahme gelingt es in vielen Fällen, einen schlaflosen älteren Menschen in einen echten Schlafchampion zu verwandeln!
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. Raphael Heinzer
Centre d’investigation et de recherche sur le sommeil
CHUV
CH-1011 Lausanne
Raphael.Heinzer[at]chuv.ch
1 Mendes A, Perivier S, Heyrani Nobari B, Cervena K, Perrig S, Zekry D. Chronische Schlafstörungen. Swiss Medical Forum. 2017;17(32):712–8.
2 Luca G, Haba Rubio J, Andries D, Tobback N, Vollenweider P, Waeber G, et al. Age and gender variations of sleep in subjects without sleep disorders. Ann Med. 2015;47(6):482–91.