Phytobezoar in einem Meckel-Divertikel
Seltene Komplikation

Phytobezoar in einem Meckel-Divertikel

Fallberichte
Ausgabe
2017/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03047
Schweiz Med Forum 2017;17(39):842-844

Affiliations
Chirurgische Klinik, Stadtspital Waid, Zürich

Publiziert am 27.09.2017

Hintergrund

Das Meckel’sche Divertikel, benannt nach dem deutschen Anatomen Johann Friedrich Meckel (1781–1833), stellt ein Rudiment des embryonalen Ductus omphalentericus mit einer Prävalenz von 2–4% in der Bevölkerung dar. Die meisten Meckel-Divertikel verhalten sich klinisch stumm. Komplikationen können jedoch in bis zu 16% der Fälle auftreten [1]. Neben der Divertikelblutung aufgrund ektoper Magenschleimhaut bei Kindern, sind beim Erwachsenen ein mechanischer Ileus aufgrund von Intussuszeption, Vernarbungen oder Verwachsungen zur Bauchwand gefolgt von der Meckel-Divertikulitis am häufigsten zu nennen [1].
Der Begriff Bezoar stammt aus dem Arabischen und bezeichnet ein unverdauliches Konglomerat im Gastrointestinaltrakt [2]. Landläufig bekannt ist vor allem der Trichobezoar nach dem Verschlucken von massenweise Haaren im Rahmen einer Trichotillomanie. Die häufigeren Phytobezoare bestehen hingegen aus einer Ansammlung nicht verdaulichen Pflanzenmaterials, wie z.B. Zellulose, Lignine oder Tannine. Bezoare finden sich vor allem im Magen, können jedoch ebenfalls primär im Dünndarm entstehen. Eine vollständige Obstruktion durch einen Bezoar kann wiederum Ursache eines mechanischen Ileus sein [2].

Fallbericht

Dem klassischen Gesetz der Duplizität der Fälle folgend, wurden in unserem Hause innerhalb von nur 24 Stunden zwei Patienten mit mechanischem Ileus bei Phytobezoar in einem Meckel-Divertikel behandelt.

Fall 1

Der erste Patient war 51 Jahre alt und wies weder Nebenerkrankungen noch Voroperationen auf. Nach dem einmaligen Konsum von etwa 1,5 Kilogramm Clementinen zur Grippeprävention, entwickelte dieser innerhalb von 24 Stunden eine akute abdominale Schmerzsymptomatik, begleitet von Obstipation und Nausea ohne Vomitus. Es erfolgte die Vorstellung auf unserer Notfallstation. Klinisch präsentierte sich ein afebriler Patient mit distendiertem Abdomen. Die Darmgeräusche waren hochgestellt. Das Abdomen war ubiquitär druckdolent. Laborchemisch fanden sich keine Auffälligkeiten. In einer Computertomographie des Abdomens zeigte sich das Bild eines mechanischen Dünndarmileus mit Kalibersprung im Bereich eines Dünndarmdivertikels, welches eine Faeces-artige Füllung mit Lufteinschlüssen aufwies, die sich in den proximalen Dünndarmabschnitt fortsetzte (Abb. 1). Die Indikation zur explorativen Laparotomie wurde gestellt. Intraoperativ zeigten sich ausgeprägt dilatierte Dünndarmschlingen etwa 100 Zentimeter oral des ileo­zökalen Übergangs im Bereich eines 4 cm durchmessenden Meckel-Divertikels (Abb. 2). Etwa 30 Zentimeter oral sowie wenige Zentimeter aboral des Divertikels war der Dünndarm mit zähem, plastisch verformbaren Material gefüllt. Weiter aboral zeigten sich normalkalibrige bzw. kollabierte Dünndarmschlingen. Wir entschieden uns zur Dünndarmsegmentresektion des Meckel-Divertikels. Nach der Enterotomie konnten grosse Mengen zellulosehaltigen Materials aus dem Dünndarm entfernt werden, die makroskopisch der inneren Fruchthaut der Clementinen entsprach. Histologisch zeigte sich ein reizloses Dünndarmdivertikel ohne Nachweis von ektopem Gewebe oder Malignität.
Abbildung 1: CT-Abdomen mit Nachweis eines Phytobezoars in einem Meckel-Divertikel (Pfeil).
Abbildung 2: Intraoperativer Situs mit Meckel-Divertikel (Pfeil).

Fall 2

Der zweite Patient war 64 Jahre alt und litt nebenbefundlich an einem Diabetes mellitus Typ I und einer APC-Resistenz bei Faktor-V-Leiden-Mutation. An Vor­operationen bestand ein Status nach laparoskopischer Netzplastik einer Umbilikalhernie vor Jahren. Dieser Patient hatte am Vorabend der Aufnahme eine, für seine sonstigen Ernährungsgewohnheiten, ausserordentlich grosse Mengen Favabohnen zu sich genommen und im Verlauf ebenfalls akut einsetzende Abdominalschmerzen mit Obstipation entwickelt. Klinisch präsentierte sich ein afebriler Patient mit geblähtem Abdomen bei hochgestellten Darmgeräuschen und ausgeprägter Druckdolenz. Laborchemisch zeigte sich eine Leukozytose von 12,6 G/l sowie ein erhöhtes CRP von 6 mg/l. Auch hier konnte die Computertomographie des Abdomens das Bild eines mechanischen Dünndarmileus mit intraluminaler, Faeces-artiger Substanz im Bereich eines Dünndarmdivertikels nachweisen (Abb. 3). Nachdem wir uns ebenfalls zur explorativen Laparotomie entschieden hatten, präsentierte sich im Vergleich zum ersten Patienten ein nahezu identisches, intraoperatives Bild: Neben dilatierten Dünndarmschlingen fand sich etwa 100 cm oral des ileozökalen Übergangs ein 5 cm durchmessendes Meckel-Divertikel mit plastisch verformbarem Dünndarminhalt oral und knapp aboral von diesem (Abb. 4). Bei der ebenfalls durchgeführten Segmentresektion konnten aus dem Dünndarm grosse Mengen an Bohnenschalen geborgen werden. Histologisch zeigte sich eine akute Divertikulitis ohne Nachweis ektopen Gewebes oder Malignität.
Abbildung 3: CT-Abdomen mit Nachweis eines Phytobezoars in einem Meckel-Divertikel (Pfeil).
Abbildung 4: Intraoperativer Situs mit Meckel-­Divertikel (Pfeil).

Diskussion

Bei einer Passagestörung durch ein Phytobezoar handelt es sich um eine äusserst seltene Komplikation ­eines Meckel-Divertikels. In einer aktuellen Literaturrecherche finden sich insgesamt weniger als 20 weitere Einzelfallbeschreibungen, von denen die erste 1960 publiziert wurde [5]. Beide Entitäten können für sich allein genommen jeweils Ursache eines mechanischen Ileus sein [1, 2]. In der Kombination scheint jedoch ein Meckel-Divertikel die Formation eines Bezoars bei entsprechender Kost durch ein Blindsackphänomen mit Retention und retrograder Ansammlung von weiterem, unverdaulichen Material zu begünstigen [3]. Da das Meckel-Divertikel als echtes Divertikel alle Wandschichten enthält, wird zusätzlich eine hierdurch bedingte Motilitätsstörung des Dünndarms postuliert [3, 4]. Eine Computertomographie kann das typische Bild eines Bezoars im Sinne eines intraluminalen Konglomerates mit multiplen Lufteinschlüssen zeigen, das in Form eines umgedrehten Y bis in das Meckel-Divertikel reicht [4]. Die Therapie ist wie beim mechanischen Ileus anderer Genese chirurgisch und schliesst sowohl die Resektion des Meckel-Divertikels, als auch die Entfernung des Bezoars mit ein.

Das Wichtigste für die Praxis

• Ein mechanischer Ileus durch ein Phytobezoar in einem Meckel-Divertikel stellt eine Rarität dar.
• Die endgültige Diagnose wird in aller Regel erst intraoperativ gestellt, auch wenn eine Computertomographie hinweisend sein kann.
• Therapie der Wahl stellt die Resektion des Meckel-Divertikels sowie die Entfernung des Bezoars dar.
Wir bedanken uns bei PD Dr. med. T. Jung, Chefarzt Radiologie am Stadtspital Waid, Zürich, für die Abbildungen 1 und 3.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Benjamin Wagner, dipl. Arzt
Klinik für Viszeral-,
Thorax- und Gefässchirurgie
Stadtspital Triemli
Birmensdorferstrasse 497
CH-8063 Zürich
benjamin.wagner[at]
triemli.zuerich.ch
1 Sagar J, Kumar V, Shah DK. Meckel’s diverticulum: a systematic review. J R Soc Med. 2006;99(10):501–5.
2 Iwamuro M, Okada H, Matsueda K, Inaba T, Kusumoto C, Imagawa A, Yamamoto K. Review of the diagnosis and management of gastrointestinal bezoars. World J Gastrointest Endosc. 2015;7(4):336–45.
3 Hussein BA, Khammas A, Al-Ozaibi L, Abdallah A, Busharar H, Al-Mazrouei A, Badri F. Phytobezoar impaction in a Meckel’s diverticulum; a rare cause of bowel obstruction: case report and review of literature. Int J Surg Case Rep. 2016;30:165–8.
4 Bingham JR, Causey MW, Haque MI. Phytobezoar within Meckel’s diverticulum: an unusual cause of intestinal obstruction. Am Surg. 2014;80(3):E94–6.
5 Hamburger SW. Phytobezoar associated with a Meckel’s diverticulum: an unusual cause for intestinal obstruction.
Ann Surg. 1960;152:106–8.