Feinstaub beeinflusst Gesundheit und Klima
Forschungsergebnisse vom CERN und Jungfraujoch

Feinstaub beeinflusst Gesundheit und Klima

Aus der Forschung
Ausgabe
2017/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03064
Schweiz Med Forum 2017;17(39):838-840

Affiliations
a Labor für Atmosphärenchemie, Paul Scherrer Institut, Villigen, Schweiz
b Department of Physics, University of Helsinki, Helsinki, Finland

Publiziert am 27.09.2017

Aufgrund von epidemiologischen Studien schätzt man, dass weltweit über 3 Millionen Personen jährlich vorzeitig an Luftverschmutzung sterben, mehr als an Malaria und HIV zusammen. Der Hauptverursacher dafür ist der Feinstaub.

Hintergrund

Feinstaub gelangt auf verschiedenen Wegen in die Atmosphäre (Abb. 1). Winde wirbeln Staub und Sand auf, aus der Meeresgischt werden Salzpartikel gebildet, Vulkanausbrüche und natürliche Waldbrände emittieren Partikel in die Atmosphäre. Neben diesen natürlichen Prozessen steigt Feinstaub auch durch verschiedene menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre, zum Beispiel aus Holzfeuerungen, Dieselmotoren etc. Dieser sogenannt primäre Feinstaub macht etwa 20–40% der Feinstaubmasse aus. Der grösste Teil, sogenannter sekundärer Feinstaub, wird in der Atmosphäre selber gebildet. Abgase von Autos, Heizungen und industriellen Feuerungen, Verdunstungen von Benzin, Lacken und Farben werden in der Atmosphäre oxidiert, woraus zum Teil sehr schwerflüchtige Moleküle entstehen, die sich auf den Feinstaubpartikeln ablagern und so die Gesamtmasse des Feinstaubes beträchtlich vergrös­sern. Auch Pflanzen und Bäume emittieren Gase die in der Atmosphäre oxidiert werden. Somit ist ein gewisser Anteil des sekundären Feinstaubes auch natürlichen Ursprungs.
Abbildung 1: Feinstaub und seine Auswirkungen auf Gesundheit und Wolkenbildung. Gase (grün, z.B. Schwefeldioxid [SO 2 ], Stickstoffmonoxid [NO], organische Gase [OG]) und kleinste Partikel (schwarz, z.B. Russ) gelangen durch menschliche Aktivitäten oder natürliche Prozesse, z.B. Ausdünstungen von Pflanzen/Bäumen, in die Atmosphäre. Dort werden die Gase chemisch umgewandelt (oxidiert) und einige der Oxidationsprodukte kondensieren auf dem Feinstaub oder bilden neue Partikel (grüne Klumpen). Der Nachdruck des Logos der Schweizerischen Lungenstiftung erfolgt mit freundlicher Genehmigung.
Betrachtet man die Anzahlkonzentration der Partikel schätzt man, dass etwa die Hälfte erst in der Atmosphäre gebildet wird. Als Hauptverursacher wurde bis anhin Schwefeldioxid (SO2) angenommen. SO2 entsteht bei der Verbrennung von Benzin und Öl, wird von Vulkanen ausgestossen und in der Atmosphäre zu Schwefelsäure umgewandelt. Diese schwerflüchtigen Moleküle heften sich aneinander, bilden kleine Klumpen und wachsen durch Kondensation von weiteren schwerflüchtigen Oxidationsprodukten zu grösseren Partikeln, dem Feinstaub.
Wie oben bereits erwähnt, ist bekannt, dass dieser Chemikaliencocktail im Feinstaub gesundheitsschädlich ist. Feinstaubpartikel dienen aber auch als Keime für die Wolkenbildung. Wolkentropfen entstehen nur, wenn sich Wasserdampf an ein Feinstaubpartikel anlagern kann. Dies geschieht, wenn das Partikel wasserliebend ist und eine bestimmte Grösse hat (>50 nm). Sind viele Partikel vorhanden, bilden sich viele kleine Wolkentröpfchen. Eine solche Wolke reflektiert mehr Sonnenlicht und regnet weniger schnell aus, wodurch weniger Sonnenlicht die Erde erreicht. Die Quantifizierung dieses abkühlenden Effektes bei der Klimaerwärmung ist jedoch mit sehr hohen Unsicherheiten behaftet.

Zielsetzung und Hypothese

Damit präzisere Prognosen für die Klimaerwärmung möglich sind, müssen diese Prozesse genauer verstanden werden. Es stellen sich folgende Fragen:
1. Welche Gase können zur Partikelbildung, auch Nu­kleation genannt, beitragen?
2. Wie stark ist die Partikelbildung in verschiedenen Regionen der Atmosphäre?
3. Wie stark war die Partikelbildung vor der Industrialisierung?
4. Wie und wie viele der neu gebildeten Partikel wachsen so weit an, dass sie zu Wolkenkeimen werden?

Methodik / wichtigste Ergebnisse

Zur Klärung dieser Fragestellungen wurden Laborexperimente im Rahmen des internationalen Forschungsprojektes CLOUD am CERN («Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire») sowie Messungen auf dem Jungfraujoch durchgeführt, um die gewonnen Ergebnisse in der freien Atmosphäre zu evaluieren. Die Experimente am CERN wurden in einer hochreinen Stahlkammer von 4,3 m Höhe und 3 m Durchmesser, die weltweit einzigartig ist, vorgenommen. Die Partikelbildung konnte somit unter Bedingungen wie in der natürlichen Atmosphäre bei sehr geringer Luftverschmutzung untersucht werden. Durch die internationale Kollaboration kommen hier viele neu entwickelte und hochempfindliche Messgeräte zum Einsatz. Darunter sind Massenspektrometer zur chemischen Identifikation von Molekülen und Clustern als auch Partikelmessgeräte zur Bestimmung der Grös­se von Clustern und grösseren Partikeln. Dadurch ergibt sich ein detailliertes Gesamtbild der Entstehung und des Wachstums der Partikel.
Die Laborexperimente zeigten, dass Schwefelsäure allein nur in sehr kalten Regionen der Atmosphäre, das heisst der mittleren und oberen Atmosphäre, Partikel bilden kann. Mit Zugabe von Ammoniak, was zur Bildung von Säure-Basen-Paaren führt, beschleunigt sich dieser Prozess um einen Faktor 10–100. Bisher haben Messungen in der bodennahen Atmosphäre gezeigt, dass die Konzentrationen der beiden Gase zu gering sind, um die dort beobachtete Partikelbildung zu erklären. Wurden jedoch geringste Mengen von Aminen zugegeben, das sind starke organische Basen wie Dimethylamin, wurden Partikelproduktionsraten erreicht, wie sie in der bodennahen Atmosphäre gemessen werden. Da die Emission von Aminen aus natürlichen Quellen minim ist, dürften Nukleationen mit diesen Substanzen nur in der Nähe von menschlichen Emissionsquellen vorkommen.
Weitere Experimente wurden mit α-Pinen gemacht, einem Gas, das vor allem von Nadelbäumen ausgedünstet wird und den typischen Waldgeruch erzeugt. Wurde nun dieses Gas in der Kammer durch Ozon oxidiert, beobachteten wir Nukleation auch ohne Schwefelsäure [1]. Die chemische Analyse der gebildeten Oxidationsprodukte und Cluster zeigte, dass nach der Reaktion von Ozon mit α-Pinen eine Autoxidation stattfinden kann, die kleine Mengen von hochoxygenierten Molekülen (HOM) bildet (Abb. 2). Bei dieser Reaktion lagern sich mehrere Sauerstoffatome in einer Kettenreaktion im Molekül an. Die Autoxidation ist eigentlich ein bekannter Mechanismus und führt zum Beispiel zum Ranzigwerden von mehrfach ungesättigten Fetten. Diese relativ grossen HOM (Molekulargewicht 200–600 g/mol) sind sehr schwerflüchtig und können sich zu Clustern zusammenklumpen, dem ersten Schritt bei der Partikelbildung. Um Wolkenkeime zu werden, müssen sie aber weiter wachsen. Nun lagern sich auch weniger stark oxidierte Produkte, die in viel höheren Konzentrationen gebildet werden, an die vorhandenen Partikel an [2]. Dieser interessante Befund deckt einen Mechanismus für die Entstehung von Partikeln in der vorindustriellen Atmosphäre auf, als menschliche Emissionen von SO2 noch sehr gering waren. Überdies konnte auch gezeigt werden, dass Schwefelsäure zusammen mit HOM auch sehr effektiv Partikel bilden kann.
Abbildung 2: Entstehung von Wolken. Gase, zum Beispiel Terpene, die von Nadelbäumen emittiert werden, werden durch 
chemische Reaktionen mit Hilfe von Sonnenlicht oxidiert, wodurch auch sehr schwerflüchtige hochoxygenierte Moleküle (HOM) entstehen. Diese klumpen sich zu Clustern und bilden neue Partikel. Wenn sie durch Kondensation von weiteren Oxi­dationsprodukten genug gross werden, können diese Partikel zu Keimen für die Bildung von Wolkentropfen werden.
Um die im Labor beobachteten Mechanismen zur Nu­kleation in der Natur zu bestätigen, wurden Messungen auf dem 3500 m hohen Jungfraujoch durchgeführt. In der Tat konnte hier zum ersten Mal die Entstehung von Partikeln aus Schwefelsäure und Ammoniak in freier Natur beobachtet werden. Aber noch wichtiger war die Beobachtung, dass sich Partikel aus rein organischen Stoffen gebildet haben [3]. Auch hier zeigte sich, dass die daran beteiligten Moleküle hoch-oxygeniert sind.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Experimente in der CLOUD-Kammer am CERN haben gezeigt, dass Schwefelsäure allein in der bodennahen Atmosphäre bei der Partikelbildung keine Rolle spielt. Es braucht zusätzliche Stoffe wie Ammoniak, Amine oder hochoxygenierte organische Verbindungen, die das Zusammenkleben der Gasmoleküle zu Clustern stabilisieren und das sofortige Verdampfen verhindern. Zudem wurde erkannt, dass durch die Oxidation von α-Pinen HOM gebildet werden die auch ohne Schwefelsäure zu einer Nukleation führen. Heute ergeben sich Nukleationen überwiegend durch Schwefelsäure mit Ammoniak oder HOM. In der vorindus­triellen Zeit waren jedoch HOM bei der Partikelbildung dominant. Daraus folgt, dass es damals mehr Feinstaub als bisher angenommen gab, was die prognostizierte Klimaerwärmung deutlich verringert (gemäss Modellrechnungen um etwa 27%).
Gemäss einer Hypothese sind reaktive Sauerstoffspezies (in englisch «reactive oxygen species» [ROS]) für die gesundheitlichen Schädigungen durch Feinstaub verantwortlich. HOM werden vermutlich auch bei der Oxidation von Gasen aus menschlichen Quellen gebildet. Wird nun Feinstaub eingeatmet, gelangen solche HOM in die Atemwege und könnten dort ROS erzeugen, weil sie hochreaktiv sind, wie unsere Messungen gezeigt haben [4]. Ob diese Überlegungen zutreffen muss noch erforscht werden.
Für die Unterstützung der Forschung danken wir dem Schweizerischen Nationalfonds (200020_135307, 20020_152907, 206021_144947, CR32I3-140851), MeteoSwiss im Rahmen von Global Atmosphere Watch und EC FP7 Marie Curie Initial Training Network (CLOUD-TRAIN, no. 316662).
Dr. Josef Dommen
Paul Scherrer Institut
CH-5232 Villigen
josef.dommen[at]psi.ch
1 Kirkby J, et al. Ion-induced nucleation of pure biogenic particles. Nature. 2016;533:521–6.
2 Tröstl J, et al. The role of low-volatility organic compounds in initial particle growth in the atmosphere. Nature. 2016;533:527–31.
3 Bianchi F, et al. New particle formation in the free troposphere: A question of chemistry and timing. Science. 2016;352:1109–12.
4 Krapf M, et al. Labile peroxides in secondary organic aerosol. Chem. 2016;1:603–16.