Fokus auf … Schenkelhalsfrakturen

Fokus auf … Schenkelhalsfrakturen

Kurz und bündig
Ausgabe
2017/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03079
Schweiz Med Forum 2017;17(40):847-848

Publiziert am 04.10.2017

Fokus auf … Schenkelhalsfrakturen

– Weltweit ca. 1,3 Mio. Fälle/Jahr.
– Projiziert werden für 2025 2,6, für 2050 4,5 Mio. Fälle/Jahr.
– Nach einer ersten Schenkelhalsfraktur ist das Risiko, weitere sog. Fragilitätsfrakturen zu erleiden, 4- bis 8-fach erhöht.
– Multifaktoriell bedingt verdoppelt sich die Mortalität im ersten Jahr nach der Fraktur und bleibt bis ca. 10 Jahre danach signifikant erhöht.
– Die Knochenmasse nimmt auch in der kontralateralen Hüfte schnell ab.
– Mobilisation, mit möglichst schneller Gewichtsbelastung, und gute Ernährung (Eiweisse) sind zentral.
– Eine spezifische antiosteoporotische Therapie früh nach Fraktur ist wirksam, wird aber zu selten durchgeführt.
N Engl J Med. 2007;357:1799–809.

Praxisrelevant

Scheidung mit Schweigen: 
Langzeitfolgen für die Kinder

Es gibt eine Reihe von Beobachtungen, dass Kinder, deren Eltern sich scheiden liessen, eine erhöhte somatisch-physische Morbidität im eigenen Erwachsenenleben aufweisen. Es ist aber wahrscheinlich, dass nicht die Scheidung per se, sondern die Art und Weise, wie die geschiedenen Eltern danach miteinander umgehen, entscheidend ist. 18- bis 55-jährige Probanden wurden experimentell einem Erreger des «common cold», nämlich einem Rhinovirus (RV39), exponiert. Probanden, deren Eltern während ihrer Kindheit (also Jahrzehnte davor!) keinen Kontakt hatten bzw. nicht mehr miteinander sprachen, hatten eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit zu ­erkranken. Im Gegensatz dazu unterschieden sich Probanden, deren Eltern Kontakt zueinander behielten, dies­bezüglich nicht von Kontrollgruppen nicht geschiedener Eltern [1]. Eine totale (kommunikative und physische) Trennung der Eltern könnte also einen Langzeitstress bewirken. Von diesem wurde schon vor vielen Jahren gezeigt, dass er die Krankheitsanfälligkeit auf eine kontrollierte Exposition mit fünf verschiedenen «common cold»-Viren signifikant erhöht [2].
1 Proc Nat Acad Sci. 2017;114:6515–20.
2 N Engl J Med. 1991;325:606–12.

Wirbelkörperfrakturen nach Absetzen von Denosumab

Denosumab (Prolia®) ist ein humaner monoklonaler Antikörper, welcher ein Zytokin der Osteoblasten, den sog. RANKL, hemmt und wie ein künstliches Osteoprotegerin wirkt. Dadurch werden Osteo­klasten gehemmt und das Medikament reduziert das Frakturrisiko von Männern und Frauen. Aktuell wird – wie bei den Bisphosphonaten – eine initiale Behandlungsdauer von 3–5 Jahren empfohlen. Wird das Medikament abgesetzt, kommt es, im Gegensatz zu den Bisphosphonaten, zu einer deutlichen Aktivierung des Knochenumbaus. Forscher des CHUV in Lausanne berichten von 9 Pa­tientinnen mit mehreren spontanen Wirbelkörperfrakturen 9–16 Monate nach Absetzen des Denosumabs. Diese Beobachtung muss dringend pathophysiologisch und in ihrer klinischen Bedeutung weiter untersucht werden, u.a. brauchen wir auch Informationen über die individuellen Risikofaktoren, die diesen «Rebound» begünstigen.
J Clin Endocrinol Metab. 2017;102(2):354–8.

Bessere Therapien nach 
Schenkelhalsfrakturen?

Eine Schenkelhalsfraktur ist ein signifikanter und starker Risikofaktor für das Erleiden weiterer sog. Fragilitätsfrakturen. Nach einem solchen Ereignis wird an vielen Orten deshalb ein «Fracture Liaison»-Dienst angeboten, der dafür sorgen soll, dass eine umfangreiche Identifikation von Komorbiditäten (u.a. Sturzfaktoren), eine adäquate Ernährung (Vitamin D, Kalzium, Eiweisse), eine möglichst frühzeitige gewichtsbelastende Mobilisierung und eine osteoporotische Therapie evaluiert und durchgeführt werden (siehe auch: Fokus auf …). Das Auftreten neuer Frakturen kann durch Bisphosphonate (am besten geprüft Zoledronsäure) um etwa 30% gesenkt werden. In einer prospektiven Studie wurden 224 Patienten innerhalb zweier Wochen nach Operation einer Schenkelhalsfraktur 1:1 in zwei Behandlungsgruppen randomisiert: 20 μg Teriparatid s.c. täglich oder Risedronat 35 mg/Woche. Nach 6,5 Jahren zeigte die Teriparatid-Gruppe in der Lumbalwirbelsäule und im Femurhals eine ­signifikant höhere Zunahme der Knochendichte (+11,1% vs. +6,5%) und bessere Mobi­litätsfunktionsteste (v.a. sog. «timed-up-and-go»). In der Teriparatid-Gruppe traten 2, in der Risedronat-Gruppe 7 neue Frakturen auf (Trial zu klein für Signifikanz). Hyperurik­ämien und Hyperkalzämieepisoden waren unter Teriparatid häufiger. Wenn ein signifikant besserer Effekt auf die Refrakurierung nach dieser ermutigenden Studie auch wirklich bestätigt wird, könnte dies eine neue Ära für anabol wirkende Therapieprinzipien wie das Teriparatid einläuten.
J Bone Miner Res. 2017;32:1040–51.

Neues aus der Biologie

Wie viel leistet ein einzelnes Nephron des Menschen?

Ein Nephron ist die renale Funktionseinheit bestehend aus Glomerulum und dem ihm ­folgenden Tubulussystem. Kann man die Fil­trationsleistung eines einzelnen Nephrons beim Menschen messen? Bei ­Lebendnierenspendern hat man eine exakte Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) beider Nieren durchgeführt, in einer Nierenbiopsie die Nephrone (morphometrisch) gezählt und zusätzlich computertomographisch das gesamte Gewebevo­lumen der Nierenrinde bestimmt. So wurden bei diesen durchschnittlich 44-jährigen Spendern mit einer GFR von 115 ml/min 860 000 Nephrone pro Niere mit einer grossen Streuung von ±370 000 errechnet. Die GFR eines einzelnen Nephrons konnte auf 80 nl/min berechnet werden. Dieser Wert stieg mit zunehmender Glomerulo­sklerose und Arteriosklerose in der Niere an, ein indirekter Nachweis, dass mit zunehmender chronischer Nierenschädigung die Arbeit bzw. die Filtrations- und Transportleistungen der über­lebenden Nephrone zunehmen und so die Gesamtnierenfunktion lange konstant gehalten werden kann. Interessant ist, dass das Alter bis zu den untersuchten 70 Jahren und das Geschlecht keinen Einfluss darauf hatten. Eine familiäre Belastung für Nierenkrankheiten war bei den Spendern mit erhöhter GFR des einzelnen Nephrons assoziiert, was wohl Folge einer genetischen Prädisposition zu schneller alternden Nieren ist.
N Engl J Med. 2017;376:2349–57.

Immer noch lesenswert

Eine Lebensversicherung 
gegen Hyperkaliämie

In Studien an anephrischen Patienten (also mutmasslich ohne Reninsekretion) fiel auf, dass Aldosteron in den Tagen nach der Dialyse trotz Gewichts- und Volumenzunahme (die einen Abfall erwarten liessen) anstieg. Die Autoren fanden eine hochsignifikante Korrelation mit den steigenden Serumkaliumspiegeln. Bei drei Dialysepatienten wurde im Intervall zwischen zwei Dialysen der Kaliumanstieg verhindert, worauf das Aldosteron auf sehr tiefe oder nicht mehr messbare Werte abfiel. Kalium, Renin/Angiotensin II und ACTH sind die klinisch wichtigsten Determinanten der Aldosteronaktivität. Kalium ist der potenteste dieser Stimuli: Aldosteron ist bei einem Plasmakalium von 3,5 mmol/l mehr oder ­weniger nicht messbar (bei Normovolämie) und steigt darüber dann sehr steil an (Verdoppelung der Aldosteronkonzentration pro ca. 0,5 mmol/l Anstieg des Kaliums).
J Clin Invest. 1971;50:1585–95.

Das hat uns gefreut

Abusus-Prävention

Im letzten und im Verlauf dieses Jahres wurden zumindest vorerst von der FDA verschiedene Opiate zugelassen, die die Wahrscheinlichkeit einer Opiatabhängigkeit bzw. einer parente­ralen Applikation reduzieren sollen («abuse-deterrent»). Es handelt sich um eine Reihe von Tricks wie Gellösungen, Mikrosphären-Par­tikel und Polymere, welche die Auflösung und Injektion stark erschweren. Eine interessante Liste der neuesten Präparate finden Sie in der angegebenen Referenz.
N Engl J Med. 2017;376:2103–5.

Das hat uns weniger gefreut

Illegales Fentanyl

Fentanyl ist ein häufig gebrauchtes Opiat. Es passiert die Blut-Hirn-Schranke schnell, bindet an Opiatrezeptoren, was u.a. zur Ausschüttung von Dopamin mit einer konsekutiven intensiven Euphorie führt. Die letale Dosis liegt bei 2 mg. Illegal arbeitende Chemiker in China ­haben Modifikationen am Fentanyl vorgenommen. Einige dieser Analoga sind deutlich stärker als das ursprüngliche Fentanyl, z.B. das Carfentanyl. Diese Produkte werden vorerst vornehmlich in den USA und Kanada als Forschungschemikalien und illegal angeboten. Mit desas­trösen, häufig letalen Folgen.
Science. 2017;355:1364–6.

Aus Schweizer Feder

Die älteste Prothese?

Forscher des Departments Altertumswissenschaften der Universität Basel um Frau Dr. A. Gnirs-Loprieno und Frau Prof. Dr. S. Bickel haben in einem Schachtgrab einer Nekropolis westlich von Luxor in Ägypten eine Grosszehenprothese aus Holz entdeckt und sie mit aufwändigen bildgebenden Methoden untersucht. Die auch augenscheinlich sehr hübsche Prothese (Abb. 1) ist etwa 3000 Jahre alt und wurde am Fuss einer Frauenmumie gefunden. Die Beweglichkeit der Prothese dürfte ein weitgehend ungehindertes Gehen ermöglicht haben. Die Fertigungsqualität lässt vermuten, dass diese Prothese nach einer längeren Entwicklungsphase entstanden ist. Wann begann also die moderne Prothetik?
Finds, objects from the tomb TT95 and the LHTT project (Life Histories of Theban Tombs), Luxor, Egypt, October 2016.
Abbildung 1: Zehenprothese einer Frauenbestattung aus dem thebanischen Grab TT95, frühes 1. Jahrtausend v. Chr. (Foto: Matjaž Kačičnik. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Uni­versität Basel, Schweiz).