Fokus auf … dem diabetischen Fuss

Fokus auf … dem diabetischen Fuss

Kurz und bündig
Ausgabe
2017/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03080
Schweiz Med Forum 2017;17(41):871-872

Publiziert am 11.10.2017

Fokus auf … dem diabetischen Fuss

Entstehungsgründe:

1. Diabetische Polyneuropathie:
– Sensorisch: führt zu Verlust protektiver Warnsignale
– Autonom: führt zum Verlust des Schwitzens und trocknet die Haut aus
– Motorisch: führt zu Fussdeformitäten mit Druckstellenbildung
2. Zusatzfaktoren:
– Rezidivierende (Mikrotraumen): Schuhwerk! Barfüssigkeit!
– Peripher-arterielle Gefässkrankheit
Weltweit 9–26 Millionen diabetische Fussulzera pro Jahr.
Nur 77% davon sind innert 12 Monaten abgeheilt.

Bewiesene Präventionsmassnahmen:

– Gute Diabetes-Einstellung
– Professionelle Fusspflege alle 1–3 Monate
– Adäquates Schuhwerk
– Einbezug und Instruktion der Patienten
– Früherkennung mit Drucksensoren in Schuhen, Infrarotwärmesonde zur Entzündungssuche
N Engl J Med. 2017;376:2367–75.

Praxisrelevant

Gastrointestinale Blutungen: Weniger Hospitalisationen und Endoskopien 
dank digitaler Rektaluntersuchung

Die digitale Rektaluntersuchung (DRU) kann bei akuten gastrointestinalen Blutungen einen wichtigen Beitrag zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen liefern. Diese werden vom zeitlichen Auftreten und der Natur der Blutung bestimmt. Die DRU kann schnell, einfach und sicher wichtige Informationen liefern: Reines Blut, Blut vermischt im Stuhl oder Melaena verifizieren die Blutung und helfen in der Differentialdiagnose von oberer und unterer gastrointestinaler Blutungsquelle. Sie lassen auch Rückschlüsse über das Ausmass der Blutung und das Rezidivrisiko zu. Aber: Sowohl Hausärzte, Notfallärzte als auch Gastroenterologen führen eine solche DRU häufig nicht durch, je jünger der Patient, desto seltener. Bei 1237 Notfallzuweisungen wegen (vermuteter) gastrointestinaler Blutung wurde in nur 55,6% eine DRU durchgeführt. Die DRU erlaubte aber – bei gleichem Outcome –, das Risiko einer Hospitalisation um fast 50% und dasjenige einer Endoskopie und des Beginns einer medizinischen Therapie wie PPI um etwa einen Drittel signifikant zu senken. «Chosing wisely» heisst in diesem Falle, etwas mehr als leider üblich geworden zu tun!
Am J Med. 2017;130:819–25.

Dokumentieren Sie den Blutdruck einen Monat nach Beginn einer antihypertensiven Therapie?

Die 2002 publizierte AllHAT-(Anti­hypertensive and Lipid-Lowering treat­ment to prevent heart attack trial-)Studie hatte bei 39 763 Studienteilnehmern gezeigt, dass unter den getesteten Antihypertensiva die Thiazide (= Chlorthalidon) im Vergleich zu Lisinopril oder Amlodipin einen signifikant besseren Schutz vor kardiovaskulären Ereignissen boten und billiger waren. In einer weiteren Analyse dieser Pa­tienten zeigte sich jetzt, dass 85,5% innerhalb des ersten Monats eine signifikante Blutdrucksenkung aufwiesen, während bei 14,5% im ersten Monat kein Ansprechen und dann erst ein über Monate sich erstreckender Blutdruckabfall beobachtet wurde. Unter Chlor­thalidon war die Chance, dass der Blutdruck bereits innerhalb des ersten Monats abfiel, signifikant höher. Sie ist relevant für die Pro­gnose: Patienten mit verzögertem Blutdruck­abfall («non-immediate responders» in der Sprache der Autoren) entwickelten in den ­Folgejahren signifikant mehr Schlaganfälle, Herzinsuffizienz und arterielle Gefässkrankheiten. Die Ursachen dafür sind noch nicht ganz klar: Vorbestehende, aber noch nicht dia­gnostizierte Herzinsuffizienz, genetische Varianten mit unterschiedlicher Wirkung der Antihypertensiva, fortgeschrittene Gefässerkrankung wie erhöhte Gefässsteifigkeit oder sekundäre Hypertonieformen. Praktisch gesehen brauchen solche Patienten wahrscheinlich eine engere Betreuung und Kontrolle sowie noch intensivere Beeinflussung modifizierbarer Risikofaktoren. Und: Wieder mehr die Thiazide in der Blutdruckbehandlung berücksichtigen?
Hypertension. 2017;70:94–102.

Neues aus der Biologie

Eine neue Indikation für Imatinib?

Imatinib ist ein Proteinkinasehemmer, der erfolgreich in der Therapie der chronischen myeloischen Leukämie (CML), gastrointestinalen Stromatumoren (sog. GIST) und anderer Malignome eingesetzt wird. Im Rahmen der Kontrolle von Patienten mit CML hat man gesehen, dass die Zahl der Mastzellen und eines ihrer Sekretionsprodukte (Serum-Tryptase) sich massiv reduzierten. Der Grund ist, dass Imatinib auch eine Tyrosinkinase auf den Mastzellen hemmt (Rezeptor-Proto-Onkogen-Tyrosinkinase, sog. KIT) und dadurch die Entwicklung und Überlebenszeit von Mastzellen einschränkt. Mastzellen spielen eine wichtige Rolle beim Asthma bronchiale, sie können trotz topischer und systemischer Glukokortikoide in den Luftwegen überleben und tragen durch Degranulation (z.B. nach IgE-Bindung) ver­schiedener Mediatoren (wie Histamin, Leukotriene, Proteasen, Prostaglandine) zur Pathophysiologie des Asthmas bei. Im Rahmen einer randomisierten, placebokontrollierten Studie mit 62 Pa­tienten mit schwerem Asthma (per­sistierende Hyperreagibilität trotz maximaler anti-asthmatischer Therapie) erreichten Patienten mit Imatinib nach 6 Monaten eine deutliche Abschwächung der bronchialen Hyperreagibilität und einen Abfall der Serum-Tryptase. Diese Studie ist ein in-vivo-Beweis für die pathophysiologische Bedeutung von Mastzellen beim Asthma und weist den Weg zu einem möglichen neuen Behandlungsansatz.
N Engl J Med. 2017;376:1911–20.

Immer noch lesenswert

Angewandte Physiologie

Aufbauend auf eine lange Forschungstätigkeit über die gastrointestinalen Wasser- und Elektrolyttransportprozesse konnte John S. Fordtran 1980 über eine Natriumsulfat-basierte Lösung berichten, welche hochwirksam laxativ wirkte, aber – das war der grosse Fortschritt – nur minimale Veränderungen der intestinalen Elektrolyt- und Wasserabsorption bzw. -sekretion nach sich zog. Diese in der Folge lange Jahre als Fordtran-Lösung be­zeichnete Flüssigkeit ist die Basis der heute gebräuchlichen Lösungen zur effizienten «Reinigung» des Dickdarmes und die Basis dafür, dass diese Lösungen auch gefahrlos bei älteren Menschen und solchen mit Hypervol­ämie, z.B. Herzinsuffizienz, appliziert werden können. Wohltuend ist die bescheidene Konklusion der Autoren: «This new solution might be useful in colon cleansing before colonoscopy ...». Wenn sie nur noch etwas geschmacksneutraler gemacht würde!
Gastroenterology. 1980;78:991–5.

Das hat uns gefreut

… und zwar immer noch, denn es ist schon eine Weile her: Am 22. April 2017 gingen weltweit an verschiedenen Orten erstmals mehrere Hunderttausend Menschen für die Förderung der Wissenschaften auf die Strasse («March for Science»). Ist dies Ausdruck des Bewusstseins, dass die drängenden globalen Probleme nur mit innovativer Wissenschaft bewältigt werden können?
Endocrine News. 2017;5:22–8.

Das hat uns weniger gefreut

Eine zweite Infektion mit dem Dengue-Virus (z.B. mit Subtyp 2 nach früherer Infektion mit Subtyp 1) kann zu viel schwereren, z.T. tödlichen Krankheitsverläufen führen. Verantwortlich für dieses Phänomen wird das sog. «antibody dependent enhancement» gemacht. Antikörper gegen den früheren Subtyp binden an die Zelloberfläche des neuen Subtyps, neu­tralisieren diesen aber nicht, sondern führen zu einer vermehrten Zytotoxizität, weil sie die zelluläre Aufnahme der Viren fördern. Nun gibt es Hinweise, dass dieses Phänomen auch zwischen verwandten Viren, namentlich Dengue-, Westnil- und Zika-Viren (alles Flavi­viren) besteht. Wenn sich die Beobachtung bestätigt, dass eine früher durchgemachte Dengue-Infektion zu einem schwereren Verlauf einer Zika-Infektion führt, würde ein neues, riesiges Gesundheitsproblem entstehen!
J Infect Dis. 2017;215(5):781–5.

Für ÄrztInnen am Spital

Wie viel «Volumen» für Patienten 
mit akuter Pankreatitis?

Laut der 19. Ausgabe von Harrison’s Princi­ples of Medicine sollen Patienten mit akuter Pan­kreatitis einen initialen Flüssigkeitsbolus mit Ringerlaktat oder 0,9% NaCl bis zu 20 ml/kg KG (also etwa 1,5 Liter) und danach 3 ml/kg KG, also 200–250 ml/Stunde oder 5–6 l/Tag mit dem Ziel erhalten, das Urinvolumen über 0,5 ml/kg KG/Stunde (also über ca. 35 ml pro Stunde) zu behalten. Eine kürzlich durchgeführte prospektive Untersuchung bei Patienten mit leichter Pankreatitis fand, dass man mit dieser Strategie gut liegt: Fast doppelt so viele Patienten (70 versus 42%), welche nach diesem Protokoll behandelt wurden, erreichten innerhalb der ersten 36 Stunden im Spital die prädefinierten Outcome-Kriterien (Schmerzreduktion), Abfall von Harnstoff und Kreatinin sowie des Hämokrits (als Zeichen effektiver Hämodilution) sowie Beginn oraler Nahrungszufuhr. Bei schwereren Pankreatitiden (mit sog. SIRS, Abszessen oder Nekrosen) sind unter z.B. 6-stündlicher initialer Kontrolle des Volumenstatus, des Blutdrucks und der Urinproduktion mutmasslich aber noch höhere Mengen notwendig. Nicht in dieser Form anwendbar ist die Studie auch bei vorbestehend expandiertem Extrazellulärvolumen, Herzinsuffizienz sowie dekompensierter Leberzirrhose und einem Kreatinin über ca. 200 μmol/l. Die Botschaft ist einmal mehr: grosszügig(er)e Volumenzufuhr bei akuter Pankreatitis! Die Individualisierung des Bolus wie auch der Erhaltungsmenge bleiben (zum Glück) der sorgfältigen klinischen Beurteilung vorbehalten.
Am J Gastroenterol. 2017;112:797–803.