Fokus auf … subklinischer Hypothyreose

Fokus auf … subklinischer Hypothyreose

Kurz und bündig
Ausgabe
2017/42
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03081
Schweiz Med Forum 2017;17(42):895-896

Publiziert am 18.10.2017

Fokus auf … subklinischer Hypothyreose

Definition:
Erhöhtes TSH bei (noch) normaler freier T4-Konzentration
– Fast die Hälfte der Patienten mit einem TSH <10 mU/l normalisieren ihre TSH-Werte innerhalb von 1 bis 2 Jahren («Spon­tanremission»).
– Hypothyreosesymptome und kardiovaskuläre «Ereignisse» sind signifikant gehäuft.
– Allerdings: Ob eine T4-Substitution diese Ereignisse reduziert, ist unklar.
Generelle Empfehlung:
T4-Substitution bei TSH-Werten von >10 mU/l, bei jüngeren Pa­tienten auch ohne Symptome, bei >70-Jährigen bei Zeichen der Hypothyreose oder bei erhöhtem kardiovaskulären Risiko.
Ziel-TSH:
– 0,4–2,5 mU/l bei ≤70 Jahren
– 1–5 mU/l bei ≥70 Jahren
Wichtig: TSH nicht maximal supprimieren (kataboler Effekt auf Knochen)!
N Engl J Med. 2017;376:2556–65.

Praxisrelevant

Gesunder Kaffee: endlich Klarheit?

Lange vorbei ist die Zeit, als Kaffeekonsum fälschlicherweise für das Entstehen von Pan­kreaskarzinomen verantwortlich gemacht wurde [1]. Diesem weltweit neben reinem Wasser wohl am häufigsten konsumierten Getränk werden mittlerweile und unter anderen antionkogene (Koffein als Antioxidans) und antidiabetische (Koffein als Insulin-Sensitizer) Wirkungen nachgesagt. Der Konsum ist auch invers korreliert mit dem Auftreten von M. Parkinson und Lebererkrankungen. Der Konsum auch relativ hoher Koffeinmengen scheint sicher und frei von kardiovaskulären Nebenwirkungen oder Verhaltensauffälligkeiten («Koffeinpsychose») zu sein.
Auf eine epidemiologische Studie mit 520 000 Individuen in 18 Europäischen Ländern [2] folgte auf dem Fuss eine Studie mit 185 000 afrikanischen, japanischen, weissen, hispanischen und hawaiianischen Individuen und beschreibt – ausser bei den Hawaiianern – wieder eine inverse Assoziation zwischen Kaffee­konsum und Gesamtmortalität [3]. Kaffee­konsum scheint also sicher zu sein (4–5 Tassen Kaffee pro Tag oder 400 mg/Tag), jedoch ist dem Editorialisten [4] zuzustimmen, wenn er davor warnt, die Gesundheitsförderung und anscheinend lebensverlängernde Wirkung von Koffein schon generell zu propagieren. Wenn auch die vergleichbaren Untersuchungsresultate in verschiedenen ethnischen Gruppen die Relevanz der ­Resultate erhöhen, liegt immer noch erst eine Assoziations- und keine Kausalitätsbeziehung vor.
1 N Engl J Med. 1981;304:630–3.
2 Ann Intern Med. 2017;167(4):236–47.
3 Ann Intern Med. 2017;167(4):228–35.
4 Ann Intern Med. 2017;167(4):283–4.

Magenschutz durch Protonenpumpen­inhibitoren (PPI): nicht so unbedenklich!

Die sog. PPI sind eine der am häufigsten verschriebenen und konsumierten Medikamente. Sie sind gar in einigen Ländern rezeptfrei ­erhältlich. Sie haben selbstverständlich die Behandlung säureassoziierter Erkrankungen des oberen Gastrointestinaltraktes seit den 1980er Jahren revolutioniert. Es gibt aber Hinweise, dass sie u.a. als Magenschutz bei Stress und kurzfristigem NSAR-Gebrauch und bei Dyspepsie/Ösophagitis zu häufig und zu lange gegeben werden, bevor sie korrekterweise ausgeschlichen und abgesetzt werden.
Wichtige Nebenwirkungen sind Hypomagnesiämien, akute interstitielle ­Nephritis sowie ein erhöhtes Risiko, eine chronische Nierenerkrankung mit schnellerer Progredienz zu erleiden. Weiter erwähnenswert sind die erhöhten Inzidenzen von Osteoporose und von Frak­turen, inkl. des Schenkelhalses und der Wir­belsäule, und die erhöhte Wahrscheinlichkeit, ­einen Clostridium difficile-Infekt zu erleiden.
Eine longitudinale Beobachtungs­studie an ­einer riesigen Patientenpopulation des «Veterans Administration Systems» in den USA (also schwergewichtige ältere weisse Männer) über einen Zeitraum von 5,7 Jahren nach der Erstverschreibung eines PPI ergab eine signifikant erhöhte Gesamtmortalität. Dies traf sowohl im Vergleich mit gar keiner und einer Histaminrezeptorenblocker-­The­rapie zu. Das Mortalitätsrisiko korrelierte si­gnifikant mit der Dauer der PPI-Therapie. Eine klare biologische Erklärung für diese beun­ruhigende Assoziation ist nicht ersichtlich. Diese Studie sollte als weiterer Weckruf angesehen werden: Verschreibung von PPI nur bei bewiesenen ­Indikationen und mit Limitierung der Therapiedauer!
BMJ Open 2017;7:e015735.

Neues aus der Biologie

Darmbakterien verbessern die antidia­betische Wirkung von Metformin

Metformin ist preiswert, hat kein Hypoglyk­ämierisiko und verbessert neben der Blut­zuckerkontrolle auch das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko. Ein Hauptmechanismus seiner Wirkung ist die Abnahme der Glukoseproduktion in der Leber. Das könnte aber nicht die ganze therapeutische Wirkung sein: Bei Patienten mit neu dia­gnostiziertem («behandlungsnaivem») Diabetes mellitus Typ 2 führte das Metformin im Vergleich zu Plazebo zu einer charakteristischen Änderung des intestinalen Mikro­bioms, was mittels sogenannter Metagenomik und Metatranskriptomik (s. erklärenden Text unten) analysiert wurde. Die Forscher transferierten dann Faeces von mit Metformin oder Plazebo behandelten Patienten in keimfrei gezogene Mäuse, die also kein intestinales Mikrobiom auf­wiesen. Diese Mäuse zeigten eine Verbesserung der Insulinwirkung bzw. der Glukosetoleranz nur, wenn die Faeces von Metformin-behandelten Pa­tienten stammte.
Nature Med. 2017;23(7):850–8.
Analytik des Mikrobioms
Unter «Mikrobiom» versteht man die ­Gesamtheit der kommensalen, pathogenen oder symbio­tischen Mikroorganismen, welche einen Makroorganismus besiedeln. Im Falle des Menschen geht man ­davon aus, dass diese Zusammensetzung eine Vielzahl physiologischer und pathophysiologischer Prozesse beeinflusst und somit als mittelbares Therapieziel schon grosse Erwartungen geweckt hat.
Die genetische Analyse und das RNA-Muster sowie die Änderung der sezernierten Moleküle von Mikroorganismen im Darm oder auch in der Umwelt werden mit dem Wortteil «meta» bezeichnet, also Metagenomik (DNA), Metatranskriptomik (RNA), Metaproteomik (Eiweissprofil) und Metabolomik (Gesamtanalyse biochemischer Substanzen).
Die metagenomische Analytik erfordert angesichts der Menge an DNA eine hocheffiziente und automatisierte Technik. Das Genom wird mittels Schrottschuss-Genomik («shotgun genomics») quasi zerkleinert und dann analysiert: Zuerst erfolgt die Spaltung des Genoms in eine Vielzahl von DNA-Fragmenten von je mehreren Hundert Basenpaaren. Diese Technik ist nötig, weil bei kontinuierlicher Basensequenzierung nach einer Strecke von 1000 Basen immer mehr Lesefehler auftreten. In der besprochenen Studie etwa wurden pro Stuhlprobe ca. 38 Millionen solcher Bakterien-DNA-Fragmente analysiert (die analytischen Methoden werden kontinuierlich verbessert) und dann computerisiert mit ­einer riesigen Datenbasis verglichen. So kann dann für jedes Individuum eine spezifische Darmbakterien-«Karte» gewonnen und diese gegebenenfalls auch nach einer Intervention nochmals analysiert werden.
Zur Analyse und Quantifizierung nicht nur der vorhandenen Bakterien, sondern auch von deren funktioneller Aktivität braucht man noch die (Messenger-)RNA, d.h. die Gen­expression zu analysieren (Transkriptomik), wobei analog/sinngemäss zur Genomik vorgegangen wird.

Immer noch lesenswert

Aufhebung der fortgeschrittenen Digitoxinintoxikation

Digitalis ist immer noch ein wichtiges frequenzkontrollierendes Medikament bei Vorhofflimmern. Die therapeutische Breite ist ­allerdings relativ eng und es besteht keine gute Beziehung zwischen Toxizität und Digitalisspiegeln. Nur das Ausmass der Hyperkaliämie ist ein guter Gradmesser für den Schweregrad der Intoxikation (Digitalis hemmt die zelluläre Kaliumaufnahme durch Hemmung der ubiquitären Na-K-ATPase).
Vor 40 Jahren wurde ein neues Prinzip der ­Behandlung einer Digitalisintoxikation (Neutralisierung des Digitalis durch sog. Fab-­Fragmente von Anti-Digitalis-Antikörpern) tierexperimentell getestet. Die Zufuhr von ­Digitoxin als intravenöser Bolus bei Hunden (0,5 mg/kg KG) führte nach ca. 25 Minuten zu 100% letalen ventrikulären Tachykardien. Infundierten die Forscher nach Auftreten dieser Kammertachykardie das Anti-Digoxin-Fab-Fragment (Bolus, gefolgt von Kurzinfusion über 30 Minuten) sistierte die Tachykardie und alle Hunde überlebten. Heute sind ­Anti-Digoxin-Fab-Fragmente beim Menschen die Therapie der Wahl geworden (und geblieben) bei Digoxinintoxikation mit lebensbedrohlichen Arrhythmien, Endorganschäden (v.a. Niereninsuffizienz) und Hyperkaliämie ­>5,5–6,0 mmol/l.
J Clin Invest. 1977;60(6):1303–13.

Das hat uns gefreut

Weniger Nepotismus!

Nepotismus, d.h. Anstellungen von direkt verwandten Nachkommen, ist unbestritten Gift für eine Gesellschaft und im Besonderen die Freiheit und Qualität der akademischen Wissenschaften. Auch in der Medizin kommt dies selbstverständlich vor! Der «Kurz und Bündige» hat aber für die Schweiz nur ausgewählte, wenn auch bedenkenswerte Beobachtungen gemacht, die er lieber für sich behält, aber dafür unverfänglicher auf eine Studie in den USA, Frankreich und Italien verweist. Familiennamen kann man im Rahmen der sog. Namensforschung als Näherungsparameter für genetische Verwandtschaft verwenden. Auf die Wissenschaft angewendet kann man so Anhaltspunkte für die Mobilität von Akademikern, den Geschlechteranteil in verschiedenen Wissenschaftsdomänen und eben den Nepotismus erhalten. Schön ist es zu erfahren, dass gemäss dieser Studie in Italien «the plague of nepotism» (Zitat aus dem Manuskript italienischer Autoren) in den akademischen Wissenschaften langsam im Abnehmen zu sein scheint.
Proc National Acad Sciences (USA). 2017;114(29):7600–5.

Für ÄrztInnen am Spital

Sind notfallmässige Wochenendeintritte in Spitäler gefährlich?

Die 30-Tages-Mortalität von Patienten, welche am Wochenende oder über Feiertage notfallmässig in eines von 4 universitären Spitälern der Gegend von Oxford eintreten mussten, lag mit 5,1% und einem p von <0,0001 (!) hochsignifikant über der Mortalität von ebenfalls notfallmässigen Wochentagseintritten (4,7%). Allerdings reduzierte sich dieser Überschuss an Mortalität um einen Drittel, wenn die Autoren die Unterschiede in den Resultaten von 15 einfachen Labortests (vor allem Harnstoff- und Natriumkonzentration sowie Leukozytenzahl) korrigierten. Es scheint also wahrscheinlich, dass bei Wochenendeintritten die Patienten im Durchschnitt kränker sind und dass es sich beim beobachteten Phänomen nicht um Folgen von unterdotiertem oder weniger erfahrenem Personal handelt. Indirekte Zeichen der Arbeitsbelastung in den Spitälern korrelierten ebenfalls nicht mit der Mortalität. Andere Faktoren (nicht untersucht) wie spätere Zuweisungswahrscheinlichkeit am Wochenende könnten auch eine Rolle spielen. Zu klären bleibt auch die Beobachtung, dass die «gefährlichste» Eintrittszeit zwischen 11 und 15 Uhr lag.
Lancet. 2017;390(10089):62–72.