HBO-Therapie für Hörsturz?

HBO-Therapie für Hörsturz?

Leserbrief
Ausgabe
2017/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03090
Schweiz Med Forum 2017;17(40):867-871

Publiziert am 04.10.2017

HBO-Therapie für Hörsturz?

Leserbrief zu: Furger P, Soldner R, Pignel R, Delafosse B. Hyperbare Medizin. Schweiz Med Forum. 2017;17(18):401–5 und Schmutz J. Was ist hyperbare Sauerstoff­therapie? Schweiz Med Forum. 2017;17(18):399.
Furger et al [1] und auch Schmutz im begleitenden Editorial [2] schliessen mehr oder weniger implizit den Hörsturz in die Indikationen für eine hyperbare Sauerstoff(HBO)-Therapie ein. Kleinjung und Huber [3] veröffentlichten vor Kurzem einen Übersichtsartikel zum Hörsturz im Swiss Medical Forum und ich kann zur Klinik des Hörsturzes darauf verweisen. Bezeichnenderweise wurde von ihnen HBO als Therapie des Hörsturzes nicht aufgeführt, aus meiner Sicht zu Recht.
Furger et al [1] führen den Hörsturz in ihrer ­Tabelle 1 als Indikation mit einem «Empfehlungsgrad» von 1C auf. Ich konnte die angegebene Quelle der Tabelle 1 nicht sicher eruieren. Die «Haute Autorité de Santé» veröffentlichte 2007 eine Evaluation des HBO, in der HBO beim Hörsturz als adjuvante Therapie im Rahmen von multidisziplinären Behandlungs­protokollen aufgeführt wurde. Als Evidenz wurden «Expertenmeinungen» und die von Furger et al [1] zitierte Cochrane-Analyse von 2007 aufgeführt. Den Empfehlungsgrad 1C verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht und kann ihn auch nicht werten. Unabhängig vom Gradierungssystem ist der Evidenzgrad für eine HBO-Therapie beim Hörsturz niedrig, und damit auch der Empfehlungsgrad.
Furger et al [1] führen die bereits erwähnte Cochrane-Analyse von 2007 mit dem gleichen Zitat auf, das auch im Bericht der «Haute Autorité de Santé» erscheint. Danach hat die HBO-Therapie «in mindestens 25% der Fälle eine >50%ige Besserung zur Folge», wenn sie innerhalb der ersten 14 Tage nach Symptombeginn durchgeführt wird. Im Rahmen der von Furger et al. [1] einige Zeilen zuvor zitierten «Spontanheilungsrate von 60–89%» und angesichts der Tatsache, dass eine Spontanheilung hauptsächlich in den ersten 14 Tagen stattfindet, kann dieser Effekt auch bei gutem Willen kaum als Evidenz für eine Wirksamkeit der Therapie gelten.
Dem Hinweis von Schmutz im Editorial [2], dass «die vorhandenen Publikationen eine mindestens ebenso hohe Wirksamkeit [der HBO-Therapie] wie bei Kortisongabe zeigen», stimme ich zu. Leider weist er aber nur auf die insgesamt schwache Evidenzlage zur Hör­sturztherapie, einschliesslich der Steroidtherapie. Zu den Steroiden kam eine Cochrane-Analyse von 2012 [4] aber immerhin zum Schluss, dass sie beim Hörsturz gebräuchlich und dass mehr Evidenz notwendig ist. In Deutschland ist zurzeit eine grosse kontrollierte Studie dazu im Gange [5]. Im Gegensatz kommt die Review der Cochrane-Analyse zur HBO-Therapie beim Hörsturz von 2012 [6] zum Schluss, dass die HBO-Therapie gelegentlich gebraucht wird und die klinische Signifikanz unklar bleibt.
Ich habe auch grundsätzliche Überlegungen, die einem Einsatz der HBO-Therapie beim Hörsturz widersprechen. Während mir eine entzündliche Anregung des Gewebes durch erhöhten Sauerstoffpartialdruck und Zunahme freier Radikale bei Nekrosen und schlechter Wundheilung einigermassen einleuchten, stelle ich bei den heutigen mangelhaften Kenntnissen zur Pathophysiologie des Hörsturzes eine solche Anregung eher infrage. Tatsächlich zielt eine Steroidtherapie auf das Gegenteil, nämlich eine Verminderung des entzündlichen Geschehens. Noch wichtiger scheint mir eine mögliche Belastung und Schädigung des Mittelohrs durch eine HBO-Therapie. Bei ungenügendem Druckausgleich kann es zu bedeutendem Unterdruck im Mittelohr kommen, der sich entzündlich auswirkt und zumindest indirekt auch das Innenohr belastet. Natürlich kann dem durch eine Parazentese oder Paukendrainage vorgebeugt werden, was aber einen operativen Eingriff an einem Organ bedeutet, das geschädigt ist und am besten in Ruhe gelassen wird. Da wir so wenig Gesichertes zu Ursache, Pathophysiologie und Therapie des Hörsturzes wissen, muss das ärztliche Handlungsprinzip «primum non nocere» gelten.
Insgesamt kann ich gut nachvollziehen, warum die Gesundheitsbehörden die Kostenübernahme für eine HBO-Therapie beim Hörsturz vor Kurzem ablehnten.
1 Furger P, Soldner R, Pignel R, Delafosse B. Hyperbare Medizin. Swiss Med Forum. 2017;17(18):401–5.
2 Schmutz J. Was ist hyperbare Sauerstofftherapie? Swiss Med Forum. 2017;17(18):399.
3 Kleinjung T, Huber A. Der Hörsturz. Swiss Med ­Forum. 2016;16(48):1038–45.
4 Wei BPC, Stathopoulos D, O’Leary S. Steroids for idiopathic sudden sensorineural hearing loss. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2013;7.
5 Plontke SK, Girndt M, Meisner C, Probst R, et al. ­Multizentrische Studie zur Hörsturztherapie – ­Planung und Konzeption. HNO. 2016;64:227–36.
6 Bennett MH, Kertesz T, Perleth M, Yeung P, Lehm JP. Hyperbaric oxygen for idiopathic sudden sensorineural hearing loss and tinnitus (Review). Cochrane Database of Systematic Reviews 2012;10.