PCSK9-Inhibitoren
Neue Studien und die Situation in der Schweiz im Jahr 2017

PCSK9-Inhibitoren

Übersichtsartikel
Ausgabe
2017/45
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03102
Schweiz Med Forum 2017;17(45):979-986

Affiliations
a Medizinische Poliklinik, Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern, Bern; b Service de cardiologie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genève; c Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität von Bern, Bern; d ­Service ­d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme, CHUV, Lausanne 

Publiziert am 08.11.2017

Die Schwierigkeiten bei der Behandlung einiger Hypercholesterinämien sind Ärztinnen und Ärzten bekannt. Dabei ist es sowohl problematisch, die entsprechenden LDL-Cholesterin-Zielwerte zu erreichen, als auch Nebenwirkungen von Therapien zu vermeiden. PCSK9-Inhibitoren, seit Juli 2017 auf der Spezialitätenliste, sind eine neue Therapieoption, mit welcher der LDL-Cholesterin-Spiegel um die Hälfte gesenkt werden kann. Laut den nachfolgend hier zusammengefassten neuesten Studien scheinen sowohl ihr Nutzen in Bezug auf klinische Ereignisse als auch ihre Sicherheit gut zu sein.

Einleitung

Die Senkung des LDL-Cholesterin(LDLC)-Spiegels ist ein Eckpfeiler der Prävention kardiovaskulärer (KV) Erkrankungen. Statine sind Bestandteil der Dyslipid­ämiebehandlung bei Patienten mit hohem KV-Risiko, und ihre Wirksamkeit als Sekundärprävention ist eindeutig erwiesen. In der Praxis ist es jedoch manchmal schwierig, die empfohlenen LDLC-Zielwerte zu erreichen. Dies hat eine Schweizer Studie gezeigt, in der die Zielwerte ein Jahr nach einem akuten Koronarsyndrom lediglich bei 47% der Patienten erreicht wurden [1], was durch eine variable individuelle pharmakologische Wirkung, eine geringe Therapieadhärenz oder eine Medikamentenunverträglichkeit bedingt sein kann. Bis vor Kurzem wurde die Häufigkeit von Myalgien unterschätzt, von denen bis zu 10–25% der Patienten unter Statinen betroffen sind [2]. Aus diesen Gründen sind neue Therapieoptionen willkommen.
Dank der Gensequenzierung bei familiärer Hypercholesterinämie (FH) wurde im Jahr 2003 ein neuer Faktor des LDLC-Stoffwechsels identifiziert: die Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9). Rasch wurden Inhibitoren und monoklonale Antikörper gegen PCSK9 entwickelt, welche eine starke Senkung des LDLC-Spiegels bewirken. Diese wurden im Jahr 2016 auf den Markt gebracht. Es mussten jedoch noch die Resultate zweier grosser Studien im März 2017 abgewartet werden, um zuverlässige Aussagen bezüglich klinischer Ereignisse (FOURIER-Studie) [3] und Sicherheit (EBBINGHAUS-Studie) [4] machen zu können. Mitte 2017 wurden dann beide Wirkstoffe in die Spezialitätenliste aufgenommen. Das Ziel dieses Beitrags besteht darin, einen Überblick über die Funktionsweise von PCSK9-Inhi­bitoren zu geben, die Resultate neuer Studien vorzustellen sowie auf die Empfehlungen und Indikationen für die Behandlung hinzuweisen.

Geschichte

Im Jahr 2003 sequenzierte ein Forscherteam das Genom französischer Patienten mit schwerer FH über mehrere Generationen, welche nicht die bekannten Mutationen an den Genen des LDL-Rezeptors (LDLR) oder des Apolipoproteins B (APOB) aufwiesen. Dabei entdeckten die Forscher die Mutation eines Gens, welches für die PCSK9 mit unbekannter Funktion kodiert [5]. Im Jahr 2005 wurden in einer Kohorte von 6000 Patienten in den USA weitere Mutationen festgestellt. Überraschenderweise wiesen die Personen mit einer Mutation, durch welche die PCSK9 deaktiviert wurde, um 40% geringere LDLC-Spiegel auf als Patienten ohne Mutation [6]. Mäuse mit deaktiviertem PCSK9-Gen («double knock-out mice») zeigten verringerte LDLC-Spiegel, während diese bei Mäusen mit Überexpression des Gens erhöht waren [5].
Folglich ist PCSK9 bei bestimmten Patienten mit FH beteiligt, und es besteht eine Korrelation zwischen ­Mutationen und klinischen Manifestationen: Eine Funk­tionszunahme führt zu Hypercholesterinämie, während ein Funktionsverlust eine Senkung des Cholesterinspiegels bewirkt.

Pathophysiologie und Pharmakologie

Laut aktueller Erkenntnisse findet die Hauptaktivität von PCSK9 an der Oberfläche der Hepatozyten statt. Das zirkulierende PCSK9 bindet an die LDL-Rezeptoren (LDLR) und markiert diese zum Abbau in den Lysosomen, wodurch sich die LDLR an der Zelloberfläche ­verringern und das zirkulierende LDLC zunimmt. Bei fehlender oder gehemmter PCSK9 können die LDLR hingegen an der Oberfläche der Hepatozyten mehrfach recycelt werden. Dadurch binden sie mehr zirkulierendes LDLC und der LDLC-Spiegel im Blut sinkt (Abb. 1).
Abbildung 1: Wirkmechanismus der Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9). Im physiologischen Zustand (links) bindet PCSK9 an den LDL-Rezeptor (LDLR) der Hepatozyten und bewirkt so dessen Abbau in den Lysosomen, wodurch sich die Zahl der LDLR an der Zelloberfläche verringert und das zirkulierende LDL-Cholesterin (LDLC) zunimmt. Bei Hemmung der PCSK9 (rechts), beispielsweise durch einen Antikörper, werden die LDLR hingegen an der Oberfläche der ­Hepatozyten ­recycelt, können mehr zirkulierendes LDLC binden und verstoffwechseln, wodurch der LDLC-Spiegel im Blut sinkt.
Mit der Entdeckung dieses neuen Therapieansatzes im Jahr 2003 begann die rasche Entwicklung gegen PCSK9 gerichteter monoklonaler Antikörper. Daraufhin kamen im Jahr 2016 zwei spezifische Antikörper auf den Markt: Evolocumab (Repatha®) und kurze Zeit später Alirocumab (Praluent®). Diese werden alle zwei oder vier Wochen mithilfe eines Fertigpens subkutan injiziert.

Nutzen

Auswirkungen auf den Cholesterinspiegel

Zahlreiche randomisierte klinische Studien haben ­gezeigt, dass PCSK9-Inhibitoren eine Senkung des LDLC-Spiegels bei bereits mit Statinen behandelten Patienten bewirken (Tab. 1). Im Vergleich zur Statin-Monotherapie sank der LDLC-Spiegel bei zusätzlicher Behandlung mit Evolocumab innerhalb von 2–3 Wochen um ca. 60%. Dieser Effekt blieb auch bei bis zu vierjährigem Follow-up bestehen [7]. Unter Alirocumab sank der LDLC-Spiegel innerhalb von 24 Wochen um 62% und blieb im Vergleich zu Plazebo bis zu 19 Monate konstant [8].
Tabelle 1: Zusammenfassung der aktuellen klinischen Studien über den Nutzen und die unerwünschten Wirkungen von Alirocumab und Evolocumab.
StudiePatientenVergleichDauerSenkung des 
LDLC-SpiegelsKV-AuswirkungenUnerwünschte Wirkungen
ODYSSEY ­LONG-TERM [8]2341 Patienten mit ­hohem KV-Risiko mit LDLC-Spiegel von >1,8 mmol/l, ­unter StatinenAlirocumab vs. Plazebo24 Wo.62%KV-Ereignisse: 1,7% vs. 3,3%, HR 0,52, KI ­0,31–0,90 ­(Post-hoc-Analyse)Reaktionen an der Einstichstelle: 5,9% vs. 4,2%.
Myalgien: 5,4% vs. 2,9%.
Augenprobleme: 2,9% vs. 1,9%.
Neurokognitive Störungen: 1,2% vs. 0,5%.
ODYSSEY­
OUTCOMES
Patienten mit kürzlich 
aufgetretenem akutem 
KoronarsyndromAlirocumab vs. PlazeboEnde des 
Follow-up 
2018wird noch 
durchgeführtwird noch ­durchgeführtwird noch durchgeführt
Metaanalyse des ODYSSEY-Studienprogramms [15]5234 Patienten des ODYSSEY-Studienprogramms (4 ­Phase-2-Studien, 10 Phase-3-Studien)Alirocumab vs. Plazebo/
Ezetimib
8–12 Wo. (Phase 2); ­24–104 Wo. (Phase 3)25% mit LDLC <0,65 mmol/l;
9,4% mit LDLC <0,4 mmol/l
Nicht evaluiertMyalgien: 4,0% vs. 4,1%.
Neurokognitive Störungen: 0,7% vs. 0,7%.
Katarakt: 1,0% vs. 0,9%, jedoch häufiger bei Personen mit sehr niedrigem LDLC-Spiegel <0,65 mmol/l (2,6%) vs. Personen mit einem LDLC-Spiegel von >0,65  mmol/l (0,8%), HR 3,40, KI 1,58–7,35
FOURIER [3]27 564 Patienten mit 
AS und LDLC-Spiegel >1,8 mmol/l, unter 
StatinenEvolocumab vs. Plazebo48 Wo.59%KV-Ereignisse: 9,8% vs. 11,3%, HR 0,85, KI ­0,79–0,92Myalgien: 5,0% vs. 4,8%.
Reaktionen an der Einstichstelle: 2,1% vs. 1,6%.
Katarakt: 1,7% vs. 1,8%.
Neurokognitive Störungen: 
1,6% vs 1,5%.
EBBINGHAUS [4], lediglich mündlich vorgetragen 
(ACC, 2017)1974 in die ­FOURIER-Studie ­eingeschlossene ­Patienten [3]Evolocumab vs. Plazebo48 Wo.59% (wie in der FOURIER-Studie)Nicht evaluiertVom Patienten oder den Ärzten ­berichtete kognitive Störungen: kein ­signifikanter Unterschied
Kognitive Tests (CANTAB-Testbatterie): kein Unterschied
Kein Unterschied mit LDLC <0,65 mmol/l
GLAGOV [9]846 Patienten mit AS-Plaques in den Koronararterien und LDLC >1,8 mmol/l, unter StatinenEvolocumab vs. Plazebo78 Wo.61%Rückgang des AS-Plaquevolumens in den Koronar­arterien im endovaskulären Ultraschall um 1%, KI –1,8% bis –0,64%Myalgien: 7,0% vs. 5,8%.
Neurokognitive Störungen: 1,4% vs. 1,2%.
Reaktionen an der Einstichstelle: 0,4% vs. 0,0%.
Metaanalyse ­neurokognitiver ­Ereignisse, Khan et al. [13]10 656 Patienten (11 Studien) mit ­KV-Erkrankung oder hohem KV-RisikoAlirocumab / Evolocumab vs. Plazebo / Standardbehandlung24–104 Wo.Nicht evaluiertNicht evaluiertMyalgien (8 Studien): 14,2% vs. 12,7%, OR 1,01, KI 0,87–1,13
Neurokognitive Störungen (8 Studien): 0,8% vs. 0,5%, OR 1,29, KI 0,64–2,59, Nichtübereinstimmung der beiden ­grossen Studien mit den anderen (siehe Text)
Metaanalyse der Wirksamkeit und Sicherheit, ­Navarese et al. [11]10 159 Patienten (24 Studien, davon die Hälfte zu familiärenHypercholesterin­ämien)Alirocumab / Evolocumab vs. Plazebo / StandardbehandlungMedian 
44,6 Wo.47,5%Gesamtsterblichkeit OR 0,45, KI ­0,23–0,86Keine signifikanten Unterschiede ­bezüglich schwerer Nebenwirkungen
KV-Sterblichkeit OR 0,50, KI ­0,23–1,10
Myokardinfarkt OR 0,49, KI ­0,26–0,93
Abkürzungen: AS = Arteriosklerose/arteriosklerotisch; KV = kardiovaskulär; HR = Hazard Ratio; KI = Konfidenzintervall; LDLC = LDL-Cholesterin; OR = Odds Ratio.
In den Spalten zu den KV-Auswirkungen und Nebenwirkungen steht die erste Zahl für die Prozentzahl der Patienten unter PCSK9-Inhibitoren und die zweite für die Prozentzahl der Patienten unter Plazebo oder Standardbehandlung.

Auswirkungen auf arteriosklerotische Plaques

Die GLAGOV-Studie hat bei 846 Patienten unter Statinen mit angiographisch nachgewiesener koronarer Herzkrankheit (KHK) folgenden Nutzen festgestellt: Nach 78-wöchiger Evolocumab-Anwendung ging das arteriosklerotische Plaquevolumen in den Koronararterien im Vergleich zu Plazebo um 1% zurück (KI 95% −1,8 bis −0,64%; p <0,001) [9]. In absoluten Zahlen kann der klinische Nutzen einer Regression des Plaquevolumens um 4,9 mm3 (KI 95% −7,3 bis −2,5; p <0,001) bei einem durchschnittlichen Ausgangsvolumen von 175 mm3 jedoch infrage gestellt werden. Nichtsdestotrotz stellt die Plaquedarstellung mithilfe bildgebender Verfahren einen validierten Marker zur Bestimmung des KHK-Grads und der Vorhersage zukünftiger KV-Ereignisse dar.

Auswirkungen auf klinische Ereignisse

Bis März 2017 war die Abnahme der KV-Ereignisse (HR 0,47, KI 95% 0,28–0,78, für Evolocumab; HR 0,52, KI 95% 0,31–0,90 für Alirocumab) durch sekundäre Post-hoc-Analysen begründet. Auf diese beziehen sich die letzten Empfehlungen von Ende 2016, welche weiter unten im Detail aufgeführt sind [10].
Heute steht uns eine grössere Studie zur Verfügung, deren Hauptziel die Nachbeobachtung der klinischen Ereignisse war (FOURIER-Studie) [3]. In dieser wurden 27 500 Erwachsene im Alter von 40–85 Jahren mit hohem KV-Risiko, vorbestehender KV-Erkrankung und LDLC-Spiegeln von ≥1,8 mmol/l randomisiert und erhielten zu ihrer bestehenden Behandlung mit ≥20 mg Atorvastatin/Tag (oder einem Äquivalent) ± Ezetimib zusätzlich entweder Evolocumab oder Plazebo. Die untersuchte Population war zu 75% männlich; 81% hatten bereits einen Herzinfarkt, 19% einen nicht hämorrhagischen Schlaganfall und 13% eine symptomatische arterielle Verschlusskrankheit der unteren Extremitäten erlitten. Wie erwartet, gingen die LDLC-Spiegel (Medianwert bei Studieneinschluss 2,4 mmol/l, IQR 2,1–2,8 mmol/l) um 59% zurück, wodurch 87% der Teilnehmer den Zielwert von <1,8 mmol/l, mitunter jedoch sehr viel niedrigere Werte erreichten (Medianwert 0,78 mmol/l, IQR 0,49–1,2 mmol/l). Die Rate der klinischen KV-Ereignisse (der primäre Endpunkt war eine Kombination aus KV-Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, instabiler Angina pectoris und koronarer Revaskularisation) ging um 15% zurück (HR 0,85, KI 95% 0,79–0,92). Die Anzahl der notwendigen Behandlungen (NNT) zur Verhinderung eines KV-Ereignisses während eines medianen Follow-up von 26 Monaten betrug 67. Der Behandlungsnutzen bestätigte sich auch bei einem bis zu 36-monatigen Follow-up.
Die Nachbeobachtungszeit war kurz und lediglich 5% der Probanden nahmen Ezetimib, die Second-Line-Therapie der empfohlenen Behandlungen, ein (siehe Abschnitt «Europäische Empfehlungen und Indikationen in der Schweiz ab 1. Juli 2017»). Der Unterschied zwischen dem relativen Rückgang der KV-Ereignisse um 15% [3] und dem Rückgang um die Hälfte in den Post-hoc-Analysen ist bemerkenswert [10]. Nichtsdestotrotz sind diese Resultate interessant und werden durch andere Phase-2-Studien mit einem freiwilligen vierjährigen Follow-up, jedoch ohne Aussagen zu den KV-Ereignissen, ergänzt [7]. Die ODYSSEY OUTCOMES-Studie mit Alirocumab wird bis Anfang 2018 mit ähnlich langem Follow-up durchgeführt.
Überdies hat eine Metaanalyse von 24 Studien mit 10 159 Patienten einen Rückgang der Gesamtsterblichkeit (OR 0,45, KI 95% 0,23–0,86, p = 0,015), eine Abnahme der KV-Mortalität (OR 0,50, Ki 95% 0,23–1,10, p = 0,08) und von Myokardinfarkten (OR 0,49, KI 95% 0,26–0,93, p = 0,03) bei mit PCSK9-Inhibitoren behandelten Patienten im Vergleich zu Plazebo festgestellt [11]. Die Hälfte der Studien wurde jedoch an Patienten mit FH durchgeführt, wodurch der Einfluss eventuell überschätzt wurde. Überdies handelte es sich dabei um Post-hoc-Analysen, bei denen die klinischen Ereignisse nicht als Outcome berücksichtigt wurden.
Der Rückgang der KV-Ereignisse geht mit der Senkung des LDLC-Spiegels (nach dem Motto «the lower the better») einher. Könnte er jedoch noch mit anderen unbekannten Mechanismen zusammenhängen? Eine Wirkung auf die anderen Lipidfraktionen, die Stabilisierung arteriosklerotischer Plaques oder die Hemmung der Entzündungskaskade könnten ebenfalls zu einer Verringerung des KV-Risikos beitragen. Dies gilt es in Zukunft zu untersuchen [12].

Sicherheit

Neben dem KV-Nutzen stellt sich die Frage, ob ein zu niedriger LDLC-Spiegel langfristig neurokognitive, hormonelle oder Schäden anderer Organe zur Folge haben kann (Tab. 1).
Als Antwort darauf werden von einigen die Teilnehmer einer amerikanischen Kohorte ohne zirkulierendes PCSK9 [6] (wegen einer Mutation, welche alle Allele des PCSK9-Gens deaktiviert), genannt. Diese haben sehr niedrige LDLC-Spiegel, entwickeln jedoch keine neurologischen oder hormonellen Langzeitschäden. Dagegen wird angeführt, dass die oben genannten Personen mit diesen sehr niedrigen LDLC-Spiegeln geboren wurden und im Gegensatz zu Menschen mit funktionellem PCSK9-Gen keinen grösseren Veränderungen durch den Beginn der Behandlung mit einem PCSK9-Inhibitor (und in manchen Fällen das Absetzen des letzteren) unterliegen.
Zu den anerkannten unerwünschten Wirkungen zählen gelegentliche Nasopharyngitiden, grippeähnliche Zustände und vor allem Reaktionen an der Einstichstelle in 4–6% der Fälle (Juckreiz, Rötung, Schwellung) [7, 8]. Generalisierte allergische Reaktionen scheinen in den Verum- und Plazebogruppen bei der Behandlung mit Alirocumab (Verumgruppe 10,1% vs. Plazebo 9,5%) [8] und Evolocumab (Verumgruppe 3,1% vs. Plazebo 2,9%) [3] in etwa gleich häufig aufzutreten, obgleich das Design dieser Studien wahrscheinlich nicht aussagekräftig genug ist, um endgültige Schlussfolgerungen bezüglich der unerwünschten Wirkungen zu ziehen.
Ähnlich wie bei Statinen scheinen infolge der starken LDLC-Senkung neurokognitive Störungen aufzutreten. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse von 11 randomisierten Studien mit 10 656 Patienten hat einen Zusammenhang zwischen der Behandlung mit PCSK9-Inhibitoren und einer leichten Zunahme neurokognitiver Störungen ergeben (0,8% vs. 0,5%, OR 1,29, KI 95% 0,64–2,59) [13]. Die Definition der kognitiven Störungen war jedoch ungenau: Dabei handelte es sich um von den Probanden berichtete Ereignisse («self-reported») ohne objektive medizinische Diagnose. Die kleinen Studien zeigten günstige Resultate (nicht mehr neurokognitive Störungen), während die beiden zu diesem Zeitpunkt verfügbaren grossen Studien (OSLER und ODYSSEY LONG-TERM) diesbezüglich leichte negative Auswirkungen der Antikörper im Vergleich zu Plazebo feststellten [13].
Die FOURIER-Studie ergab keinen Unterschied in der Zahl der neurokognitiven Störungen oder hämorrhagischen Schlaganfälle [3]. Infolge der FDA-Warnung bezüglich der kognitiven Auswirkungen von Statinen wurden in die vom Hersteller finanzierte EBBINGHAUS-Substudie fast 2000 Patienten der FOURIER-­Studie eingeschlossen, um mögliche neurokognitive Auswirkungen von Evolocumab mithilfe einer umfangreichen Testbatterie von Gedächtnistests zu untersuchen [4]. Die auf einem Kongress vorgestellte Studie dürfte demnächst veröffentlicht werden und scheint laut der derzeit verfügbaren Informationen keine schädlichen neurokognitiven Auswirkungen gezeigt zu haben.
Die Behandlung mit PCSK9-Inhibitoren könnte sich negativ auf fettlösliche Vitamine und Steroidhormone auswirken (Brüche, Sehschärfenverringerung, Blutungen, Nebenniereninsuffizienz, Unfruchtbarkeit usw.). In einer Sekundäranalyse der DESCARTES-­Studie war keine klinisch signifikante Abnahme des Vitamin-E-Spiegels oder der Steroidhormone unter Evolocumab festzustellen [14]. Die ODYSSEY LONG-TERM-Studie mit Alirocumab hat keine klinisch si­gnifikante Verringerung der Steroidhormone beziehungsweise der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K gezeigt [15]. Nichtsdestotrotz dauerte das Follow-up höchstens ein Jahr und es sind längere sowie detailliertere Studien erforderlich.
Die Katarakt ist eine weitere Nebenwirkung, welche in einer kürzlich durchgeführten Metaanalyse von 14 Phase-2–3-Studien und 4029 Patientenjahren unter Alirocumab sowie 2114 Patienten unter Plazebo/Ezetimib nachgewiesen wurde [15]. Bei sehr niedrigen LDLC-Spiegeln <0,7 mmol/l schien die Kataraktinzidenz erhöht zu sein (2,6% vs. 0,8%, HR 3,4, KI 95% 1,6–7,4), hingegen kam es nicht zu mehr neuen Fällen von Diabetes, neurokognitiven Komplikationen und Myalgien.
Die FOURIER-Studie hat keinen Unterschied bezüglich der Inzidenz von Katarakt, Myalgien oder neu diagnostiziertem Diabetes mellitus gezeigt (HR 1,05, KI 95% 0,94–1,17) [3], randomisierte Studien haben jedoch nur eine beschränkte Aussagekraft bezüglich unerwünschter Wirkungen. In naher Zukunft sind zahlreiche Sekundär- und Subgruppenanalysen zu erwarten, die uns mehr Informationen über eventuelle unerwünschte Wirkungen von PCSK9-Inhibitoren liefern werden.

Langzeitwirkung?

Die bis dato längsten Studien waren alle unter der 5-Jahresmarke. Es wäre jedoch nur durch Langzeit-Post-Marketing-Studien möglich, Informationen über die weitere Entwicklung der Patienten und die Sicherheit nach mehreren Jahren zu erhalten.
Ein Beispiel für die Wichtigkeit weiterer Studien sind die enttäuschenden Resultate von Bococizumab, dem dritten gegen zirkulierende PCSK9 gerichteten Antikörper, woraufhin das gesamte SPIRE-Studienprogramm vorzeitig abgebrochen wurde [16]. Im Gegensatz zu den beiden anderen Medikamenten, bei denen es sich um vollständig menschliche Antikörper handelt, ist Bococizumab ein humanisierter Antikörper, der noch 3% der genetischen Sequenz der Maus enthält. Dies könnte die Entstehung gegen das Molekül gerichteter Antikörper und die mit der Zeit abnehmende Wirkung des Medikaments erklären. Je mehr dieser Antikörper sich im Blut befanden, desto stärker nahm die Wirksamkeit von Bococizumab ab [16]. Überdies gab es unter der Behandlung in 10% der Fälle Reaktionen an der Einstichstelle, gegenüber 1% unter Plazebo, welche wahrscheinlich mit den gegen das Medikament gerichteten Antikörpern zu erklären sind.

Abnahme der Wirkung von Evolocumab oder Alirocumab?

Die bis dato längste Studie, die OSLER-1-Studie, hat in sehr seltenen Fällen (0,3%) die Entwicklung neuer Antikörper gezeigt, wobei keiner dieser Antikörper das Medikament neutralisierte. Somit wird nicht davon ausgegangen, dass die langfristige Wirksamkeit, zumindest während des vierjährigen Follow-up von Evolocumab, nachlässt [7].
Die Forscher, welche die Wirkung von Alirocumab untersuchten, teilten wiederum mit, dass das Medikament keine Antikörperbildung bewirke und während des bis zu 1,5-jährigen Follow-up voll wirksam blieb [17]. Ihre grosse Studie zu KV-Ereignissen wird 2018 erwartet (ODYSSEY OUTCOMES).

Europäische Empfehlungen und Indika­tionen in der Schweiz ab 1. Juli 2017

Laut einer europäischen Expertengruppe werden die Behandlungen in einer vor Kurzem veröffentlichten Pu­blikation mit strukturierten Entscheidungsalgorithmen in drei klinischen Situationen empfohlen [10] (Tab. 2):
Tabelle 2: Vergleich der europäischen Empfehlungen und der in der Schweiz anerkannten Indikationen.
Europäische Empfehlungen [1].
1. Patienten mit hohem KV-Risiko, definiert als:
– Klinisch manifeste KV-Erkrankung: akutes Koronarsyndrom, Schlaganfall, transitorische ischämische Attacke, periphere ischämische arterielle Verschlusskrankheit, Aortenaneurysma, koronare oder periphere arterielle Revaskularisation
– eindeutig mittels bildgebender Verfahren (Koronarangiographie oder Karotis­ultraschall) nachgewiesene KV-Erkrankung
– Diabetes mit Beeinträchtigung eines Zielorgans oder mit anderen schweren ­KV-Risikofaktoren
2. Heterozygote FH
3. Myalgien bei Statineinnahme (mit oder ohne erhöhte Kreatininkinasewerte) nach Behandlungsversuch mit 2–3 verschiedenen Statinen bei Patienten mit sehr hohem KV-Risiko
In der Schweiz anerkannte Indikationen [2]
1. Erwachsene mit klinischen arteriosklerotischen KV-Erkrankungen
a. LDLC-Spiegel >3,5 mmol/l zur Sekundärprävention; und/oder
b. LDLC-Spiegel >2,6 mmol/l und progrediente arteriosklerotische KV-Erkrankung (wiederholtes akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder sonstige ungeplante koronare Revaskularisationen innerhalb von 5 Jahren nach dem ersten KV-Ereignis)
2. Erwachsene mit heterozygoter FH und
a. LDLC-Spiegel >5,0 mmol/l zur Primärprävention; oder
b. LDLC-Spiegel >4,5 mmol/l in Kombination mit mindestens einem der folgenden zusätzlichen Risikofaktoren:
– Diabetes
– Lipoproteinwert (a) >50 mg/dl
– Schwere arterielle Hypertonie
– Klinische frühzeitige familiäre arteriosklerotische KV-Erkrankung 
(M <55 Jahre, F <60 Jahre)
3. (ausschliesslich Evolocumab) Patienten mit homozygoter FH ab dem Alter von 12 Jahren
a. LDLC >5,0 mmol/l zur Primärprävention
b. LDLC >3,5 mmol/l zur Sekundärprävention
Bedingungen vor der Kostenerstattung [2]
– Angemessene Ernährung
– Kontrolle der anderen KV-Risikofaktoren: Blutdruckkontrolle, Blutzuckerkontrolle mit HbA1c-Wert von <7,5%, Überprüfung der Nikotinabstinenz.
– Die oben genannten LDLC-Zielwerte wurden während einer ≥3-monatigen intensiven lipidsenkenden Behandlung mit maximal verträglicher Dosis, d.h. unter ≥2 Statinen ± Ezetimib oder Ezetimib + sonstigem lipidsenkendem Medikament nicht erreicht.
Abkürzungen: KV = kardiovaskulär; F = Frauen; M = Männer; FH = familiäre Hypercholesterinämie; LDLC = LDL-Cholesterin.
1 Die europäischen Empfehlungen wurden von einer Expertengruppe der Europäischen ­Gesellschaft für Kardiologie und der Europäischen Arteriosklerose-Gesellschaft herausgegeben [10].
2 Die in der Schweiz anerkannten Indikationen wurden vom BAG herausgegeben (siehe Text) [20].
1. Patienten mit hohem KV-Risiko, definiert als:
– klinisch manifeste KV-Erkrankung;
– eindeutig mittels bildgebender Verfahren nachgewiesene KV-Erkrankung;
– Diabetes mit Beeinträchtigung eines Zielorgans oder anderen ausgeprägten KV-Risikofaktoren (Ta­bakkonsum, schwere Hypertonie, schwere Hypercholesterinämie).
2. Heterozygote FH.
3. Myalgien bei Statineinnahme (mit oder ohne erhöhte Kreatininkinasewerte) nach Behandlungsversuch mit 2–3 verschiedenen Statinen bei Patienten mit sehr hohem KV-Risiko.
Bei den ersten beiden Patientengruppen werden PCSK9-Inhibitoren als Third-Line-Therapie empfohlen, (1) wenn es nicht gelingt, den LDLC-Zielwert mit einem Statin in maximal verträglicher Dosis (40–80 mg Atorvastatin oder 20–40 mg Rosuvastatin pro Tag) zu erreichen, (2) eventuell in Kombination mit 10 mg Ezetimib/Tag.
Für Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (hier definiert als glomeruläre Filtrationsrate von <30 ml/min/1,73 m2) gelten diese Empfehlungen auch bei hohem KV-Risiko nicht, da die monoklonalen Antikörper diesbezüglich nicht getestet wurden [10].
Zu FH-Screening und -diagnostik sei den Lesern der vor Kurzem von Dr. med. Brun und Kollegen verfasste Beitrag [18] empfohlen. Überdies möchten wir an den Nutzen des «Dutch Lipid Clinic Network-Score» beim Screening erinnern (Tab. 3). Für die endgültige Diagnosestellung bei dieser erblichen Erkrankung sind jedoch häufig eine genetische Beratung und Gentests erforderlich. Zuvor muss eine Fachberatung im Hinblick auf die Auswirkungen für die Familie und die Kosten der Genanalyse (welche nur selten von der Krankenversicherung erstattet werden) erfolgen. Es ist jedoch anzumerken, dass eine Genmutation lediglich in 1,7–1,9% der Fälle als Ursache für einen LDLC-Spiegel von ≥4,9 mmol/l festgestellt wird [19].
Tabelle 3: Der «Dutch Lipid Clinic Network-Score» zur Diagnostik familiärer Hypercholesterinämie (adaptiert nach dem Risikorechner auf der Website www.agla.ch).
KriterienScore
Positive Familienanamnese­(höchstens 2 Punkte)Verwandter ersten Grades mit:
– Frühzeitiger kardiovaskulärer Erkrankung (Männer <55 Jahre, Frauen <60 Jahre)
– LDL-Cholesterin >5 mmol/l
– Xanthoma tendinosum und/oder Arcus senilis

1
1
2
Verwandter ersten Grades <18 Jahren mit LDL-Cholesterinwerten >95. Perzentile in ­seiner Alters- und Geschlechtsgruppe2
Persönliche Anamnese (höchstens 2 Punkte)Frühzeitige ischämische Herzkrankheit2
Frühzeitiger Schlaganfall und/oder frühzeitige periphere arterielle Verschlusskrankheit1
Körperliche Untersuchung
(höchstens 6 Punkte)
Xanthoma tendinosum6
Frühzeitiger Arcus senilis vor dem Alter von 45 Jahren4
LDL-Cholesterinwert
(höchstens 8 Punkte)
>8,5 mmol/l8
6,5–8,4 mmol/l5
5,0–6,4 mmol/l3
4,0–4,9 mmol/l1
GenanalyseMutation eines Gens, welches für den LDL-, ApoB- oder PCSK9-Rezeptor kodiert.
Auswertung>8 Punkte«Eindeutige» familiäre Hypercholesterinämie
6–8 PunkteFamiliäre Hypercholesterinämie wahrscheinlich
3–5 PunkteFamiliäre Hypercholesterinämie möglich
<3 PunkteFamiliäre Hypercholesterinämie unwahrscheinlich

Der Evidenzgrad der Empfehlungen

Es muss betont werden, dass der Evidenzgrad der Empfehlungen sich entsprechend der Indikationen unterscheidet. Bei Patienten mit manifester KV-Erkrankung ist der Evidenzgrad hoch. Obgleich nur eine einzige Studie existiert, wurde der Nutzen in einer randomisierten Studie nachgewiesen. Bezüglich der anderen Indikationen (z.B. durch Ultraschall nachgewiesene Arteriosklerose oder Diabetes) handelt es sich bis dato nur um Expertenmeinungen. Die Empfehlungen sollten unter Berücksichtigung der Gesamtsituation des Patienten befolgt werden.

Die Situation in der Schweiz seit dem 1. Juli 2017

Mit der Aufnahme in die Spezialitätenliste des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) wurden die Indikationen für die Behandlung präzisiert [20]. Zusammenfassung siehe unten (Tab. 2):
1 Für Erwachsene mit klinischen arteriosklerotischen KV-Erkrankungen und einem LDLC-Spiegel von >3,5 mmol/l zur Sekundärprävention; und/oder einer klinisch progredienten arteriosklerotischen KV-Erkrankung (wiederholtes akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder sonstige ungeplante koronare Revaskularisationen innerhalb von 5 Jahren nach dem ersten KV-Ereignis) mit einem LDLC-Spiegel von >2,6 mmol/l oder
2 Erwachsene mit schwerer heterozygoter FH und einem LDLC-Spiegel von >5,0 mmol/l zur Primärprävention; oder einem LDLC-Spiegel von >4,5 mmol/l in Kombination mit mindestens einem der folgenden zusätzlichen Risikofaktoren: Diabetes, Lipoproteinwert (a) >50 mg/dl, schwere arterielle Hypertonie oder klinische frühzeitige familiäre arterio-skle­rotische KV-Erkrankung (Männer <55 Jahre, Frauen <60 Jahre) oder
3 (Ausschliesslich Evolocumab) Homozygote FH ab dem Alter von 12 Jahren mit einem LDLC-Spiegel von >5,0 mmol/l zur Primärprävention oder einem LDLC-Spiegel von >3,5 mmol/l zur Sekundärprävention.
Zu den Erstattungsbedingungen zählen eine angemessene Ernährung und die Kontrolle der anderen KV-Risikofaktoren (Blutdruckkontrolle, HbA1c-Wert von <7,5% und Überprüfung der Nikotinabstinenz) sowie eine mindestens dreimonatige lipidsenkende Intensivbehandlung mit maximal verträglicher Dosis, das heisst ≥2 Statine ± Ezetimib, oder Ezetimib + sonstige lipidsenkende Behandlung (bei Statinunverträglichkeit).
Eine Statinunverträglichkeit wird berücksichtigt und kann zur Erstattung von PCSK9-Inhibitoren führen, wenn bei Behandlungsversuchen mit mehreren Statinen Myalgien, erhöhte Kreatininkinasewerte (>5-Faches des oberen Grenzwerts) oder eine schwere Lebererkrankung aufgetreten sind. Es ist anzumerken, dass die Anwendung der Medikamente zur Primärprävention bei einer Statinunverträglichkeit, wie in den europäischen Richtlinien empfohlen, in der Schweiz nicht anerkannt und weiterhin umstritten ist [21].

Zuständige Fachärzte

Die Diagnostik, die Erstverschreibung und regelmäs­sige Kontrollen müssen durch einen Facharzt für Angiologie, Kardiologie, Endokrinologie/Diabetologie, Nephrologie, Neurologie oder durch einen anerkannten Experten für Lipidkrankheiten erfolgen.
Schliesslich muss nach 6-monatiger Behandlung bei der Kontrolluntersuchung eine Senkung des LDLC-Spiegels, die mindestens 40% unter dem Wert während der intensiven lipidsenkenden Behandlung mit maximaler Dosis liegt, oder ein LDLC-Spiegel von <1,8 mmol/l (ausgenommen bei FH) erzielt worden sein.

Kosten der PCSK9-Inhibitoren

Zwei unabhängige medizinwirtschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Behandlung mit PCSK9-Inhibitoren nicht immer kosteneffektiv («cost-effective») ist. In Modellen mit Patienten mit hohem KV-Risiko haben Arrieta et al. Kosten von 350 000 USD pro zusätzlichem qualitätskorrigiertem Lebensjahr (QALY) bei einem jährlichen Medikamentenpreis von 14 000–15 000 USD errechnet [22]. Eine weitere Studie (ebenfalls mit einer FH-Population) kam zu dem Ergebnis, dass die jährlichen Kosten auf 4250 USD gesenkt werden müssten, um zu erreichen, dass die Kosten eines zusätzlichen QALY-Jahres 100 000 USD betragen [23]. Diese Aussagen beruhen natürlich auf Simulationen und müssen in zukünftigen Studien mit realen Zahlen überprüft werden.
Laut europäischen Schätzungen, basierend auf den aktuellen Empfehlungen (EUROASPIRE IV) [24], könnten fast 80% der Patienten von einer dauerhaften Behandlung mit PCSK9-Inhibitoren zur Sekundärprävention profitieren [10]. Medizinwirtschaftliche Analysen für Europa oder die Schweiz konnten wir hingegen nicht ausfindig machen. Die aktuellen Kosten für PCSK9-Inhibitoren in der Schweiz betragen 558 CHF pro Packung (für 4 Wochen), das heisst 7264 CHF pro Jahr.

Perspektiven

Die Geschichte dieser neuen Therapieklasse ist ein gutes Beispiel für die enge Zusammenarbeit zwischen Forschern und Ärzten sowie für das Tempo des medizinischen Fortschritts. Zwischen der Entdeckung des PCSK9-Gens und der klinischen Anwendung der neuen Inhibitor-Moleküle liegen weniger als fünfzehn Jahre. Neben den gegen zirkulierende PCSK9 gerichteten monoklonalen Antikörpern werden andere Inhibitionsmechanismen, zum Beispiel in Form eines Medikaments, welches die Synthese von PCSK9 mittels «small interfering RNA» (siRNA) verhindert, entwickelt: Die Resultate der Phase-1- und -2-Studien mit In­clisiran sind vielversprechend mit einer Senkung des LDLC-Spiegels um beinahe 50% innerhalb von sechs Monaten [25]. Wenn sich diese bestätigen, könnte eine halbjährliche Injektion für unsere Patienten eine interessante Option darstellen. Unabhängig vom angewendeten Mechanismus könnte die Entwicklung von Ta­bletten statt Injektionen von Bedeutung für die Akzeptanz und die Kosten der Behandlung sein.
Und schlussendlich haben aktuelle Studien die klinische Wirksamkeit der PCSK9-Inhibitoren zur KV-Sekundärprävention bei akzeptablem Sicherheitsprofil gezeigt. Durch Gespräche zwischen BAG und Herstellern konnten die Indikationen und Anwendungsbedingungen des Medikaments präzisiert werden. Nichtsdestotrotz ist diese Behandlungsform nach wie vor kostenintensiv und wird nicht in allen klinischen Situa­tionen erstattet, in denen sie von Nutzen wäre. Es stellt sich die Frage, welchen Preis das Gesundheitssystem bereit und in der Lage ist, für eine wirksame Verringerung der KV-Ereignisse zu zahlen.
Bei alledem sollte jedoch bedacht werden, dass diese Erkrankungen multifaktoriell bedingt sind. Daher sind die Behandlung der anderen KV-Risikofaktoren sowie Massnahmen zur Lifestyle-Änderung für die Zukunft unserer Patienten unabdingbar.

Das Wichtigste für die Praxis

• Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9(PCSK9)-Inhibitoren sind eine neue Hypercholesterinämiebehandlung, bei deren Empfehlungen es jedoch Unterschiede zwischen den Fachgesellschaften gibt.
• Vor Kurzem wurde ihre Wirksamkeit als Sekundärprävention zur Verringerung kardiovaskulärer Ereignisse nachgewiesen.
• Die Sicherheit in Bezug auf mittelfristige Nebenwirkungen (<5 Jahre) ist akzeptabel. Bezüglich der Langzeitwirkungen werden ab 2018 weitere Studien veröffentlicht.
• In der Schweiz hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) vor Kurzem die Anwendungsbedingungen der Behandlung in Bezug auf drei verschiedene Indikationen präzisiert: (1) Sekundärprävention bei klinischen arteriosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen, (2) schwere heterozygote familiäre Hypercholesterinämie und (3) ausschliesslich für Evolocumab, homozygote familiäre Hypercholesterinämie.
• Vor der Verschreibung muss ein Antrag auf Kostenerstattung an den Vertrauensarzt der Krankenversicherung gestellt werden.
• Angesichts der derzeitigen Kosten der Behandlung empfehlen wir eine detaillierte Evaluation der möglichen Gründe, warum der LDL-Cholesterinspiegel nicht gesenkt werden kann. Laut Vorgaben des BAG muss diese Evaluation durch einen Facharzt für Angiologie, Kardiologie, Endokrinologie/Diabetologie, Nephrologie, Neurologie oder einen anerkannten Experten für Lipidkrankheiten erfolgen, bevor der Antrag auf Kostenerstattung gestellt, die Behandlung begonnen und langfristig fortgeführt werden kann.
BG hat deklariert, dass er als Mitarbeiter der Abteilung für Kardiologie des HUG von Amgen und Sanofi einen Zuschuss zur Teilnahmegebühr des Kongresses einer Fachgesellschaft erhalten hat. Die anderen Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im ­Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Tinh-Hai Collet
Consultation des Lipides,
Service d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme
CHUV, Av. de la Sallaz 8
CH-1011 Lausanne
tinh-hai.collet[at]chuv.ch
 1 Gencer B, et al. Expected impact of applying new 2013 AHA/ACC cholesterol guidelines criteria on the recommended lipid target achievement after acute coronary syndromes. Atherosclerosis. 2015;239:118–24.
 2 Thompson PD, Panza G, Zaleski A, Taylor B. A. Statin-Associated Side Effects. J Am Coll Cardiol. 2016;67:2395–410.
 3 Sabatine MS, et al. Evolocumab and Clinical Outcomes in Patients with Cardiovascular Disease. N Engl J Med. 2017;376:1713–22.
 4 Giugliano RP, et al. Design and rationale of the EBBINGHAUS trial: A phase 3, double-blind, placebo-controlled, multicenter study to assess the effect of evolocumab on cognitive function in patients with clinically evident cardiovascular disease and receiving statin background lipid-lowering therapy-A cognitive study of patients enrolled in the FOURIER trial. Clin Cardiol. 2017;40:59–65.
 5 Abifadel M, et al. Mutations and polymorphisms in the proprotein convertase subtilisin kexin 9 (PCSK9) gene in cholesterol metabolism and disease. Hum Mutat. 2009;30:520–9.
 6 Cohen JC, Boerwinkle E, Mosley TH, Hobbs HH. Sequence variations in PCSK9, low LDL, and protection against coronary heart disease. N Engl J Med. 2006;354:1264–72.
 7 Koren MJ, et al. Long-term Low-Density Lipoprotein Cholesterol-Lowering Efficacy, Persistence, and Safety of Evolocumab in Treatment of Hypercholesterolemia: Results Up to 4 Years From the Open-Label OSLER-1 Extension Study. JAMA Cardiol. 2017;2:598–607.
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12 Navarese EP, et al. Proprotein Convertase Subtilisin/Kexin Type 9 Monoclonal Antibodies for Acute Coronary Syndrome: A Narrative Review. Ann Intern Med. 2016;164:600–7.
13 Khan AR, et al. Increased Risk of Adverse Neurocognitive Outcomes With Proprotein Convertase Subtilisin-Kexin Type 9 Inhibitors. Circ Cardiovasc Qual Outcomes 10, e003153 (2017).
14 Blom DJ, et al. Effects of Evolocumab on Vitamin E and Steroid Hormone Levels: Results From the 52-Week, Phase 3, Double-Blind, Randomized, Placebo-Controlled DESCARTES Study. Circ Res. 2015;117:731–41.
15 Robinson JG, et al. Safety of Very Low Low-Density Lipoprotein Cholesterol Levels With Alirocumab: Pooled Data From Randomized Trials. J Am Coll Cardiol. 2017;69:471–82.
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20 BAG-Bulletin 28/2017. bag.admin.ch 1–28 (2017).
21 Waters DD, Hsue PY, Bangalore S. PCSK9 Inhibitors for Statin Intolerance? JAMA. 2016;315:1571–2.
22 Arrieta A, Page TF, Veledar E, Nasir K. Economic Evaluation of PCSK9 Inhibitors in Reducing Cardiovascular Risk from Health System and Private Payer Perspectives. PLoS ONE. 2017;12:e0169761.
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24 Reiner Z, et al. Lipid lowering drug therapy in patients with coronary heart disease from 24 European countries – Findings from the EUROASPIRE IV survey. Atherosclerosis. 2016;246:243–50.
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