Kann ein Medikament abgesetzt werden?

Kann ein Medikament abgesetzt werden?

Kurz und bündig
Ausgabe
2017/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03171
Schweiz Med Forum 2017;17(5152):1143-1144

Publiziert am 20.12.2017

Fokus auf …«asymptomatischer» Sprue (Zöliakie)

– Die Sprue als autoimmune Erkrankung betrifft global etwa 1% der Weltbevölkerung.
– Gemäss der «Eisberghypothese» könnten 6 von 7 Spruefällen einer akkuraten Diagnostik (und damit Therapie) entgehen.
– Bis zu 50% der PatientInnen weisen keine gastroenterologischen Symptome auf.
– Die Zeit bis zur korrekten Diagnose bei PatientInnen ohne Magen-Darm-Symptome beträgt 3,5 Jahre.
Die wichtigsten Präsentationsformen bei diesen Fällen sind anderweitig nicht erklärte:
– Veränderungen des Schilddrüsenstoffwechsels;
– Anämie (auch isolierter Eisenmangel);
– Abnahme der Knochenmineraldichte.
Am J Med. 2017;130(11):1318–23.
Verfasst am 21.11.2017.

Praxisrelevant

Plötzlicher Herzstillstand beim Sport: nur selten die Folge einer strukturellen Herzerkrankung!

Basierend auf der Annahme und gestützt durch Kohortenbeobachtungen, dass bei jungen Erwachsenen plötzliche Herzstillstände beim Sport vor allem bei der hypertrophen Kardiomyopathie und der arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie auftreten, gibt es verschiedene Empfehlungen zur Abklärung vor Aufnahme einer kompetitiven sportlichen Aktivität. Gemäss einer Analyse aller plötz­lichen, Sport-assoziierten Herzstillstände in einer nicht vorab­geklärten Kohorte in der Provinz Ontario (Kanada) liegt die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses bei 0,76 Fällen auf 100 000 Patientenjahre mit einer mittleren Überlebenschance von 44% (Altersgruppen 12–45 Jahre). Alle Patienten waren ausserhalb des Spitals reanimiert worden. Überraschenderweise fanden die Autoren bei den 74 Fällen aber nur zwei mit hypertropher Kardiomyopathie und keinen mit arrhythmogener rechtsventrikulärer Kardiomyopathie! Man geht davon aus, dass primär arrhythmogene (ohne fassbares strukturelles Korrelat) oder ischämisch bedingte Ursachen den Grossteil dieser Zwischenfälle erklären. Eine grosse Zahl von Fällen würde also durch die gegenwärtig zur Verfügungen stehenden Abklärungsmethoden nicht vorgängig entdeckt werden können.
N Engl J Med. 2017;377(20):1943–53.
Verfasst am 20.11.2017.

Kann ein Medikament abgesetzt werden?

Man geht davon aus, dass mindestens 40% der selbständig oder in einem Alterszentrum lebenden älteren Menschen ein oder mehrere ungeeignet eingesetzte Medikamente erhalten. Dass es sich lohnt, vielleicht beim nächsten Besuch wieder einmal kritisch zu fragen «Ist das alles noch (gefahrlos) nötig?», wurde in einer Studie in 53 holländischen Alterszentren gezeigt. Bei 40% konnte mindestens ein Medikament ohne negative Folgen abgesetzt werden.
Wichtige Fragen: Stimmt die Indikation noch? Ist diese Medikation in der Gesamtsituation des betreffenden Patienten noch sinnvoll? Sind neue Symptome aufgetreten, die Nebenwirkungen auch schon länger eingesetzter Medikamente entsprechen könnten?
Ann Intern Med. 2017;167:609–17.
Verfasst am 20.11.2017.

Und in der Schweiz?

Der Zufall wollte es, dass die Tagesmedien ebenfalls am 20. November breit über den Medikamentenkonsum in Pflegeheimen berichteten. Es handelte sich dabei um einen kleinen Ausschnitt aus dem Arzneimittelreport (Ausgabe 2017) des Krankenversicherers Helsana. PflegeheimpatientInnen nehmen anscheinend zumindest zu Beginn etwa neun Medikamente pro Tag (darin eingeschlossen z.B. Kalziumsupplemente, Vitamin D etc.) ein, nicht erstaun­licherweise doppelt so viele wie die selbständig lebende, alterskorrigierte Kontrollpopulation. Die Abbildung 1, die aus dieser Publikation stammt, zeigt aber auch, dass mit zunehmendem Alter die Medikamentenliste und damit die Kosten pro Person (in Heimen und zuhause) deutlich reduziert werden. Dabei wurden wohl die oben erwähnten Fragen von den HausärztInnen zusammen mit den Patient­Innen verantwortungsvoll gestellt (und sinnvoll beantwortet).
Abbildung 1: Tageskosten für Medikamentenbezüge von über 65-Jährigen, Vergleich von Pflegeheimbewohnern und der Schweizer Bevölkerung (2013–2016), Hochrechnung für die gesamte Schweiz. Aus: Helsana-Arzneimittelreport, Ausgabe 2017. https://www.helsana.ch/docs/arzneimittelreport-2017.pdf . Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.
Helsana-Arzneimittelreport, Ausgabe 2017,
Verfasst am 21.11.2017.

Neues aus der Biologie

Ein Grund für die Diuretikaresistenz bei der Herzinsuffizienz

Die renale Antwort auf eine verminderte Herz­auswurfleistung besteht – unter anderem vermittelt durch vermehrte sympathoadrenerge Aktivität und Aktivierung der Renin-Angiotensin-II-Aldosteron-Achse – in einer vermehrten tubulären Natrium(chlorid)-Rückresorption, wobei alle vier Natrium-rückre­sorbierenden Tubulussegmente (proximaler Tubulus, Henle-Schleife, distal-konvoluierter Tubulus und Sammelrohr) beteiligt sind. Aus quanti­tativen Gründen haben Schleifendiuretika einen wichtigen Platz in der Induktion einer negativen ­Natriumbilanz zur Ödembehandlung ­respektive -prävention erhalten. Deren Wirkung kann aber nachlassen («Diuretikaresistenz»), zum Beispiel als Folge der Progression der Grunderkrankung, ver­minderter intestinaler Resorption des Diuretikums (z.B. Darmwandödem) oder Hyperreabsorption von Natriumchlorid (NaCl) in anderen Nierentubuli als der Henle’schen Schleife (dem Wirkungsort der Schleifendiu­retika). Aus Tierexperimenten war schon ­bekannt, dass in dieser Situation der distal-konvoluierte Tubulus (den Na/Cl-Kotransporter, den Wirkungsort der Thiazide, exprimierend) hypertrophiert und vermehrt aktiv ist. Eine aggravierende Rolle könnte die Schleifendiuretika-­induzierte Hypokaliämie spielen, da diese durch Phosphorylierung die Aktivität des NaCl-Transporters erhöht. In sorgfältigen ­Studien bei ambulanten, herzinsuffizienten Patient­Innen wurde ein Vergleich der Lithium- mit der Natrium-Clearance (bzw. der fraktionellen Ausscheidung) angestellt. Lithium ist repräsentativ für die Natriumrückresorption in den proximalen Tubulusabschnitten (inkl. der Henle-Schleife). In Übereinstimmung mit den tierexperimentellen Befunden konnte bei Schleifendiuretika-Resistenz eine vermehrte Rückresorption in den distalen Tubulus­abschnitten dokumentiert werden. Es ergibt also durchaus Sinn – was von vielen Klinikern schon so gehandhabt wird – in ­dieser Situation Schleifen- mit Thiaziddiuretika zu kombinieren. Am besten appliziert man die Thiazide zeitlich vor den Schleifen­diuretika (z.B. 30 Minuten).
CAVE: Bei langdauernder Vorbehandlung mit Schleifendiuretika kann der Zusatz von Thiaziden zu einer massiven Natriurese mit schnellem Gewichtsverlust (Gefahr der prärenalen Niereninsuffizienz) führen.
J Am Soc Nephrol. 2017;28(11):3137–8.
Verfasst am 21.11.2017.

Immer noch lesenswert

«Neue» Energiequellen für das Gehirn

Ausgangspunkt für diese Studie war das für die Autoren faszinierende Paradox, dass der Mensch länger fasten kann, als wenn seine Kohlehydratreserven aufgebraucht sind (maximal 300 g Glykogen) und theoretisch sein gesamter Muskelbestand (6–8 kg) für die Glukoneogenese hätte verwendet werden müssen. Am berühmten Peter-Bent-Brigham-­Spital in Boston (siehe «House of God») wurden drei übergewichtige Patienten unter einer Null-Kalorien-Diät (während 38–41 Tagen) mittels simultanem Katheterismus der Arteriae carotides und der Venae iugulares untersucht. Hauptbefund war, dass das Gehirn praktisch ausschliesslich Ketokörper (Azetoazetat und Beta-Hydroxy-Butyrat) als Energiesubstrat verwendete. Ketokörper entstehen beim Fasten in den Mitochondrien der Leber via die sogenannte Beta-Oxidation von Fettsäuren. Durch psychometrische Tests und elektroenzephalographische Untersuchungen wurde auch gezeigt, dass Ketokörper für eine intakte Hirnleistung eine genügend wertvolle Energiequelle darstellen.
J Clin Invest. 1967;46(10):1589–95.
Verfasst am 20.11.2017.

Für ÄrztInnen am Spital

Eine ROSE ist nicht nur eine Rose ...* (Abb. 2)

Abbildung 2: * «A rose is a rose is a rose» ­(Gedicht von Gertrude Stein).
© Sa1amanteri | Dreamstime.com.
Unter ROSE («rapid onsite cytological evaluation») versteht man die Präsenz von Mikroskop und ZytologInnen direkt am Interventionstisch, beispielsweise bei Feinnadelaspirationen. Lässt sich dieser Mehraufwand auch in verbesserte Diagnostik und kürzere Untersuchungszeiten übersetzen? Gemäss einer systematischen Review führte diese Technik bei der transbronchialen Feinnadelbiopsie weder zu einer Verkürzung der Untersuchungszeiten noch zu einer besseren Diagnostik. Aus Pa­tientensicht scheint aber entscheidend, dass die Anzahl der Punktionsversuche pro Eingriff und als Folge davon die Komplikationsrate signifikant tiefer ausfielen.
Wo in der Schweiz ist ROSE schon oder auch Standard? Möglicherweise lohnt sich der Mehraufwand nicht nur zum Schutz der Patient­Innen, sondern auch ökonomisch (weniger Komplikationen).
Chest. 2017 Nov 15. pii: S0012-3692(17)33072-6.
Verfasst am 21.11.2017.