Nichtinvasive Beatmung zu Hause
Fünf Dinge, die man wissen sollte

Nichtinvasive Beatmung zu Hause

Aktuell
Ausgabe
2018/2627
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03237
Swiss Med Forum. 2018;18(2627):575-576

Affiliations
Service de Pneumologie, Hôpitaux Universitaires de Genève

Publiziert am 27.06.2018

Die nichtinvasive Beatmung zu Hause ist eine aufwendige und schwere Behandlung, an der zahlreiche Akteure beteiligt sind. Fünf Dinge, die bei der Behandlung zu beachten sind.

Der Behandlungserfolg der nichtinvasiven Beatmung (NIV) zu Hause beruht auf (1) einer korrekt gestellten Indikation, (2) einer regelmässigen medizinisch-technischen Kontrolle mit wiederholten therapeutischen Schulungen, (3) einer systematischen Beurteilung der Lebensqualität des Patienten und der Nebenwirkungen der NIV während der gesamten Behandlungsdauer. Ferner soll es in diesem Beitrag um (4) NIV bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und (5) die Rolle der systematischen Evaluierung von Komorbiditäten nach einer ersten hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz gehen.

Indikationen

Die Verordnung von NIV zu Hause hat mit der Adipositasepidemie und der steigenden Prävalenz der COPD stark zugenommen. Laut EuroVent-Umfrage unterscheiden sich die Verordnungsmodalitäten für nicht­invasive Beatmung in 16 europäischen Ländern stark voneinander [1]. In der Schweiz sind die COPD und das Obesitas-Hypoventilationssyndrom die häufigsten Indikationen für NIV zu Hause [2, 3].
Patienten, bei denen das Risiko für eine chronische Hypoventilation besteht (Tab. 1), sollten regelmässig überprüft werden, um festzustellen, ob sie einer NIV-Behandlung bedürfen. Tagesschläfrigkeit, Fatigue, Kopfweh, Stimmungsschwankungen und Dyspnoe [4] stellen Frühsymptome dar, die jedoch nicht spezifisch für eine Hyperkapnie sind [4]. Daher sollten alle Patienten einem Funktionstest unterzogen werden, der mindestens die Bestimmung der forcierten Vitalkapazität, eine Blutgasanalyse sowie eine nächtliche Pulsoxymetrie umfasst, um zu entscheiden, ob eine elektive NIV-Behandlung eingeführt werden soll. Bei Adipositas wird häufig zusätzlich eine umfassende Schlafuntersuchung (Polygraphie) und bei neuromuskulären Erkrankungen eine Messung der Atemmuskelkraft durchgeführt. Durch die vor Kurzem entwickelte transkutane Kapnographie kann die nächtliche Blutgasanalyse heute durch eine nichtinvasive kontinuierliche PtCO2-Messung ersetzt werden [5].
Tabelle 1: Patienten mit erhöhtem Ateminsuffizienzrisiko, die einer Beatmung zu Hause bedürfen.
Erkrankungen Erwarteter Nutzen
Obesitas-Hypoventilationssyndrom Grosser Einfluss auf ­Überlebensrate, Lebensqualität, Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, Atemwegssymptome und Schlafqualität.
Erkrankungen der Brustwand– Kyphoskoliose
– Tuberkulosefolgen
Neuromuskuläre Erkrankungen– Duchenne-Muskeldystrophie
– Poliomyelitisfolgen
– Amyotrophe Lateralsklerose
– Spinale Muskelatrophie
– Zwerchfellparese
Obstruktives Syndrom– Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
– «Asthma-COPD-Overlap-Syndrom»
– Bronchiektasen
siehe Punkt 4
Sonstige– Medikamente
– Neurologische Erkrankungen (Arnold-Chiari-Malformation, Tumore, Infektionen, zentrale Hypoventilation)
 

Medizinisch-technische Kontrolle eines zu Hause beatmeten Patienten [6]

Das vorrangige Ziel einer regelmässigen medizinisch-technischen Kontrolle (alle 3–6 Monate) eines mit NIV zu Hause behandelten Patienten ist eine Verbesserung seines klinischen Zustands und eine Normalisierung des PaCO2-Werts, um dem Risiko einer akuten respira­torischen Insuffizienz vorzubeugen. Eine frühzeitige und wiederholte therapeutische Schulung ist unerlässlich, um die für den Erfolg der Behandlung erforderliche Compliance zu gewährleisten. Bei jedem Kontrollbesuch muss der optimale Beatmungskomfort ermittelt werden. Durch strukturiertes Vorgehen bei der Untersuchung zu Hause beatmeter Patienten können die oben genannten Aspekte ohne komplexe Untersuchungen geklärt werden (Polysomnographie unter NIV) [7, 8].

Lebensqualität und Nebenwirkungen der NIV

Die typischerweise verwendeten physiologischen NIV-Variablen sagen nur wenig über die Lebensqualität der Patienten aus. Daher ist es wichtig, systematisch zu evaluieren, ob die NIV-Behandlung mit einer höheren Lebensqualität und akzeptablen Nebenwirkungen assoziiert ist. Mithilfe des SRI- («Severe Respiratory Insufficiency Questionnaire») [9] und des MRF-28-Fragebogens («Maugeri Foundation Respiratory Failure Questionnaire») kann die Lebensqualität zu Hause beatmeter Patienten mit chronischer Ateminsuffizienz spezifisch beurteilt werden. Zusätzlich zur Kontrolle der physiologischen Parameter können mehrere Be­reiche analysiert werden, die von Interesse für den ­Patienten sind, wie Atemwegssymptome, Mobilität, Schlafqualität, soziale Beziehungen, Ängste, psychologisches Wohlbefinden und Sozialverhalten.
Die Anwendung von NIV ist nach wie vor mit Neben­wirkungen verbunden, welche dem erwarteten Behandlungsnutzen entgegenwirken können. Folglich muss beim Kontrollbesuch systematisch nach dem subjek­tiven Nutzen und Nebenwirkungen gefragt werden. Die häufigsten Nebenwirkungen sind unserer Erfahrung nach Beschwerden oder Schmerzen aufgrund der Atemmaske, Leckage und Halstrockenheit [10]. Werden diese frühzeitig erkannt, können häufig einfache Anpassungen Abhilfe schaffen, durch welche die Verträglichkeit und die Qualität der Behandlung verbessert werden.

COPD: von einer Notfallbehandlung 
zur dauerhaften Behandlung zu Hause

Obgleich COPD in der Schweiz eine der Hauptindikationen für NIV zu Hause darstellt, ist diese gleichzeitig am umstrittensten. Tatsächlich geht der natürliche Krankheitsverlauf immer wieder mit Ateminsuffizienzen einher, bei denen eine vorübergehende Atemunterstützung erforderlich ist. Allgemein ist davon auszugehen, dass die Chancen für eine endgültige Entwöhnung von der NIV nach einer ersten hyperkapnischen Insuffi­zienz steigen, wenn ein auslösender Faktor festgestellt werden konnte. Bei einer langsam fortschreitenden Ateminsuffizienz, für die kein auslösender Faktor gefunden wurde, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Fortsetzung der Behandlung zu Hause hingegen erhöht. In vor Kurzem veröffentlichten grossangelegten klinischen Studien konnten Indikationen für NIV bei COPD ermittelt werden. Diese sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Unter diesen Bedingungen sind von der NIV zu Hause eine Verbesserung der Lebensqualität, eine längere Zeitspanne bis zur nächsten Spitaleinweisung und eine verbesserte Überlebensrate zu erwarten [11, 12].
Tabelle 2: Kriterien, welche bei COPD eine nichtinvasive Beatmung zu Hause rechtfertigen.
Hypoventilationssymptome bei stabiler COPD (Fatigue, morgendliches Kopfweh, Schwitzen, …) mit starker Hyperkapnie >7 kPA (>53 mm Hg) [12].
Persistierende Hyperkapnie >7 kPA (>53 mm Hg) 14 Tage nach einer akuten hyperkapnischen Exazerbation [11].
Entwicklung einer symptomatischen Hyperkapnie während der Einstellung einer langfristigen Sauerstofftherapie [15].
Prävention einer wiederholten hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz [16].
COPD-Patienten mit ACOS («Asthma-COPD-Overlap-Syndrom»). Nach der Normalisierung des PaCO2 kann, wenn keine hyperkapnische Insuffizienz vorliegt, eine CPAP-Behandlung («continuous positive airway pressure) in Erwägung gezogen werden [17].

Suche nach unbekannten Komorbiditäten nach einer ersten Hyperkapnieepisode bei Patienten mit chronischer Ateminsuffizienz

Die systematische Suche nach Komorbiditäten nach ­einer ersten hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz bei COPD- oder Adipositaspatienten wird in der Literatur kaum erwähnt. Nichtsdestotrotz hat eine vor Kurzem durchgeführte systematische Kontrolle der Herzfunktion, Atmung und Schlafqualität gezeigt, dass häufig eine Multimorbidität besteht, die unterdiagnostiziert und wahrscheinlich mit früheren erneuten Spitaleinweisungen assoziiert ist [13]. Da es sich hierbei um eine Beobachtungs- und nicht um eine randomisierte Studie handelt, können die Autoren nicht formal schlussfolgern, dass eine systematische Behandlung der Komorbiditäten die Zahl der erneuten Spital­einweisungen verringert. Nichtsdestotrotz dürfte die Behandlung von mit COPD, Herzinsuffizienz oder Schlafapnoe assoziierten Symptomen logischerweise eine Auswirkung auf die Lebensqualität haben. Lediglich die Blutgaswerte zu korrigieren, ohne die Komorbiditäten in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen, stellt in jedem Fall eine verpasste Gelegenheit für eine gute medizinische Versorgung dar [14].
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. Dan Adler
Service de Pneumologie
Hôpitaux Universitaires de Genève
4, rue Gabrielle-Perret-Gentil
CH-1205 Genève
Dan.adler[at]hcuge.ch
 1 Lloyd-Owen SJ, Donaldson GC, Ambrosino N, et al. Patterns of home mechanical ventilation use in Europe: results from the Eurovent survey. Eur Respir J. 2005;25:1025–31.
 2 Janssens JP, Derivaz S, Breitenstein E, et al. Changing patterns in long-term noninvasive ventilation: a 7-year prospective study in the Geneva Lake area. Chest. 2003;123:67–79.
 3 Cantero C, Pasquina P, Adler D, Younossian AB, Gasche P, Janssens JP. 112 Home non-invasive ventilation in the canton of Geneva: a comprehensive descriptive study. Population and medical follow-up. CHEST. 2017;151(5):A7.
 4 Clinical Indications for Noninvasive Positive Pressure Ventilation in Chronic Respiratory Failure Due to Restrictive Lung Disease, COPD, and Nocturnal Hypoventilation – A Consensus Conference Report. CHEST. 2014;116:521–34.
 5 Storre JH, Magnet FS, Dreher M, Windisch W. Transcutaneous monitoring as a replacement for arterial PCO(2) monitoring during nocturnal non-invasive ventilation. Respiratory medicine. 2011;105:143–50.
 6 Adler D, Rabec C, Janssens J-P. Home monitoring and follow-up of long-term NIV. ERS Practical Handbook of Noninvasive Ventilation. 2015:265.
 7 Adler D, Perrig S, Takahashi H, et al. Polysomnography in stable COPD under non-invasive ventilation to reduce patient-ventilator asynchrony and morning breathlessness. Sleep & breathing = Schlaf & Atmung. 2012;16:1081–90.
 8 Gonzalez-Bermejo J, Perrin C, Janssens JP, et al. Proposal for a systematic analysis of polygraphy or polysomnography for identifying and scoring abnormal events occurring during non-invasive ventilation. Thorax. 2012;67:546–52.
 9 Windisch W, Freidel K, Schucher B, et al. The Severe Respiratory Insufficiency (SRI) Questionnaire A specific measure of health-­related quality of life in patients receiving home mechanical ventilation. J Clin Epidemiol. 2003;56:752–9.
10 Dupuis-Lozeron E, Gex G, Pasquina P, et al. P167 Development and first validation of a simple tool for clinical assessment of patients treated with home NIV: The S3-NIV questionnaire. CHEST Journal. 2017;151:A65–A.
11 Murphy PB, Rehal S, Arbane G, et al. Effect of home noninvasive ventilation with oxygen therapy vs oxygen therapy alone on hospital readmission or death after an acute copd exacerbation: A randomized clinical trial. JAMA. 2017;317:2177–86.
12 Köhnlein T, Windisch W, Köhler D, et al. Non-invasive positive pressure ventilation for the treatment of severe stable chronic obstructive pulmonary disease: a prospective, multicentre, randomised, controlled clinical trial. Lancet Respir Med. 2014;2:698–705.
13 Adler D, Pepin JL, Dupuis-Lozeron E, et al. Comorbidities and Subgroups of Patients Surviving Severe Acute Hypercapnic Respiratory Failure in the Intensive Care Unit. Am J Respir Crit Care Med. 2017;196:200–7.
14 Simonds AK. The Road Not Taken: Missed Opportunities in Managing Acute Exacerbations of Hypercapnic Respiratory Failure. Am J Respir Crit Care Med. 2017;196:124–5.
15 McEvoy RD, Pierce RJ, Hillman D, et al. Nocturnal non-invasive nasal ventilation in stable hypercapnic COPD: a randomised controlled trial. Thorax. 2009;64:561–6.
16 Tuggey JM, Plant PK, Elliott MW. Domiciliary non-invasive ventilation for recurrent acidotic exacerbations of COPD: an economic analysis. Thorax. 2003;58:867–71.
17 Marin JM, Soriano JB, Carrizo SJ, Boldova A, Celli BR. Outcomes in patients with chronic obstructive pulmonary disease and obstructive sleep apnea: the overlap syndrome. Am J Respir Crit Care Med. 2010;182:325–31.