Angiologie: Panta rhei
Angiologie

Angiologie: Panta rhei

Schlaglichter
Ausgabe
2018/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03147
Schweiz Med Forum 2018;18(0102):6-8

Affiliations
a Abteilung Angiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, Kantonsspital Aarau; b Schweizer Herz- und Gefässzentrum Bern, Universitätsklinik für Angiologie, Inselspital Bern; c Division of Angiology and Hemostasis, Department of Medical Specialties, Geneva University Hospital and Faculty of Medicine

Publiziert am 03.01.2018

Panta rhei – alles fliesst. Wir Angiologen setzen alles daran, das Blut in Arterien, ­Venen und die Lymphe in den Lymphgefässen im Fluss zu halten. Dieses Jahr standen vor allem die Venen im Fokus: Einfache Scores ermöglichen es, die Wahrscheinlichkeit einer venösen Thromboembolie zusammen mit schnell bestimmbaren ­Laborparametern sicher und effizient zu bestimmen.

Hintergrund

Für die Therapie der venösen Thromboembolie (VTE) beantworten die Guidelines aber leider nicht alle Fragen: Was tun bei einer isolierten Muskelvenenthrombose? Was tun bei einer oberflächlichen Venenthrombose oder wenn nur eine Unterschenkelvenenthrombose vorliegt? Antikoagulieren in prophylaktischer oder gar in therapeutischer Dosierung? Bei zu niedriger Do­sierung ein Fortschreiten der Thrombose oder gar eine Lungenembolie riskieren oder eine Blutungskomplikation? Wie kann man ein postthrombotisches Syndrom als potentiell invalidisierende Spätfolge am besten verhindern? Lokale oder systemische Lyse? Katheterintervention? Operatives Vorgehen?
Innovative Ansätze kommen aus der Schweiz, die nicht nur national, sondern auch international Aufsehen ­erregt haben. Wieder eröffnete Gefässe über längere Zeit offen zu halten, ist eine grosse Herausforderung. Bei den Arterien rückt das Risikofaktorenmanagement sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprophylaxe in den Vordergrund. Neue Hoffnungen gibt es bei der Behandlung der schweren Dyslipidämie mit der Einführung der PCSK9-Inhibitoren, auf die wir hier aber noch nicht eingehen wollen. Bei der therapierefraktären Hypertonie scheint wieder ein Licht am Horizont aufzugehen.

«Bern Venous Stent Registry»

Eine besonders schwierige Situation findet sich bei ­Patienten mit einem chronischen Verschluss der Vena cava inferior. Im «Bern Venous Stent Registry» wurden technischer Erfolg, Offenheitsrate und klinisches Ergebnis nach komplexer endovaskulärer Rekonstruktion der Vena cava inferior untersucht. 62 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen, bei 33 lag ein postthrombotisches Syndrom, bei 20 eine akute Thrombose und bei 9 ein nichtthrombotischer Verschluss der Vena cava inferior vor. Bei 98% war die Intervention primär erfolgreich. Während der Beobachtungszeit von durchschnittlich 21 Monaten musste bei 37% der Patienten eine Reintervention wegen einer symptomatischen Stentthrombose und bei 23% wegen eines kompletten Stentverschlusses durchgeführt werden.
Nach 24 Monaten betrug die primäre Offenheitsrate 57%, die primär assistierte Offenheitsrate 76% und die sekundäre Offenheitsrate 87%. Keiner der Patienten entwickelte eine neues Ulcus cruris, bei allen acht Pa­tienten mit einem Ulcus cruris zeigte sich eine vollständige Abheilung. Eine signifikante Verbesserung der klinischen Beschwerden fand sich bei 50% der Pa­tienten und 40% zeigten keinerlei Symptome ­einer venösen Hypertonie.

HERDOO2-Score

Die im vergangenen Jahr publizierten Guidelines des «American College of Chest Physicians» (ACCP) haben zwar die meisten, aber noch lange nicht alle ­Fragen ­beantwortet. So ist die optimale Therapiedauer bei Pa­tienten mit einer idiopathischen venösen Thromboembolie noch nicht klar. Bei einigen Subgruppen, wie zum Beispiel bei Patienten mit postoperativer Thrombose, findet sich ein jährliches Rezidivrisiko von weniger als 1% pro Jahr, sodass eine dreimonatige Antikoagu­lation ausreichend ist. Bei Patienten mit einer nicht provozierten (idiopathischen) Thrombose beträgt das Rezidivrisiko innerhalb von sechs Monaten je nach Studie 5–27% im ersten Jahr, gefolgt von 5% im darauffolgenden und 2–3% in den folgenden Jahren. Mit einer Antikoagulation erreicht man eine relative Reduktion des Rezidivrisikos von 90%, allerdings erkauft man sich diesen Erfolg mit einem Risiko für eine Major-Blutung von 0,9–3% pro Jahr [1].
Der kürzlich publizierter HERDOO2-Score («men continue and her do too») soll zur Entscheidungsfindung beitragen und jene weiblichen Patienten identifizieren, bei denen die Antikoagulation mit akzeptabler Sicherheit beendet werden kann [2].
Gemäss diesem Score wird die orale Antikoagulation bei allen Männern und bei Frauen, die mehr als zwei der folgenden Risikofaktoren nach 5–12 Monaten aufweisen, weitergeführt:
– postthrombotische Zeichen (HER: Hyperpigmentation, Edema, Rötung) in einem Bein;
– D-Dimer ≥250 mg;
– Adipositas: BMI ≥30 kg/m2;
– Alter ≥65.

Risikofaktorenmanagement mit ­Rivaroxaban/Acetylsalicylsäure

In die COMPASS-Studie [3] wurden 27 395 Patientinnen und Patienten mit stabiler atherosklerotischer vaskulärer Erkrankung eingeschlossen. Es wurde untersucht, ob eine niedrig dosierte Antikoagulation mit dem Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban alternativ oder zusätzlich zu Acetylsalicylsäure (ASS) 100 mg/Tag den kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall und Myokardinfarkt signifikant reduziert. Verglichen wurden drei Therapieregimes (2 × 2,5 mg Rivaroxaban plus 100 mg ASS/Tag, versus 2 × 5 mg Riva­roxaban/Tag versus 100 mg ASS/Tag). Nach einem mittleren Follow-up von 23 Monaten wurde die Studie wegen Überlegenheit der Rivaroxaban/ASS-Kombination vorzeitig beendet. Unter 2 × 2,5 mg Riva­roxaban plus 100 mg ASS/Tag erreichten 4,1%, unter ASS 100 mg/Tag 5,4% den primären Endpunkt. Unter 2 × 5 mg Riva­roxaban/Tag zeigte sich ein positiver Trend, aber kein signifikanter Unterschied im Vergleich zu ASS 100 mg/Tag. Die Gesamtmortalität – einer der sekundären Endpunkte – war unter der Rivaroxaban/ASS-Kombination ebenfalls signifikant reduziert.
Major-Blutungen traten in den Rivaroxaban-Gruppen signifikant häufiger auf. Als Major-Blutung wurde auf Behördenwunsch in dieser Studie auch jede Blutung, die zumindest zu einer ambulanten Vorstellung im Spital führte, gewertet (aber auch nach der klassischen Definition der «International Society on Thrombosis and Haemostasis» [ISTH] traten Major-Blutungen in den Rivaroxaban-Gruppen signifikant häufiger auf). Andererseits wurden für die Analyse des positiven Netto-Benefits nur tödliche Blutungen und symptomatische Blutungen in ein kritisches Organ einbezogen. Dies kann durchaus zu Verwirrung und Fehlinterpretationen Anlass geben.
In der COMPASS-PAD-Substudie wurden 7470 Patientinnen und Patienten, die entweder eine koronare Herzkrankheit und einen pathologischen «ankle-brachial-index» (ABI), eine symptomatische peripher-arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) der unteren Extremitäten oder eine Karotisstenose >50% beziehungsweise einen Status nach Karotis-Revaskularisation aufwiesen, analysiert. Die Ergebnisse stimmten im Wesentlichen mit der Hauptstudie überein. Bei jeweils ca. 2500 Patientinnen und Patienten in jeder Gruppe zeigten sich unter der Kombination Rivaroxaban/ASS nur 5, unter ASS 17 Amputationen.
Erfreulich ist aus angiologischer Sicht, dass der Endpunkt «MALE» («major adverse limb event») zunehmend Beachtung findet.
Während die positiven Ergebnisse bei Patientinnen und Patienten mit stabiler atherosklerotischer vaskulärer Erkrankung nicht unbedingt zu erwarten waren, bleibt aus angiologischer Perspektive spannend, welche Ergebnisse die Voyager-PAD-Studie (ASS versus ASS + Rivaroxaban periinterventionell oder perioperativ bei PAVK der unteren Extremitäten) bringen wird.

Renale Denervation

Die Hypertonie ist einer der wichtigsten Risikofaktoren bei der Genese einer Atherosklerose. Für die Behandlung von Patienten mit therapieresistenter Hypertonie werden seit mehreren Jahren verschiedene interven­tionelle, kathetergestützte Verfahren eingesetzt. Mit Abstand das bekannteste ist die renale Denervation (RDN), bei der mittels Radiofrequenzablation die renale Sympathikusaktivität durch Verödung der sympathischen Nervenfasern in der Gefässwand der Nierenarterien zu einer Blutdrucksenkung führen soll. Aufgrund der einfachen Durchführbarkeit und den vielversprechenden Ergebnissen aus den ersten Studien folgte, nach anfänglicher Euphorie über einen vermeintlichen «Therapiedurchbruch», tiefe Ernüchterung. Wider Erwarten blieb die RDN in der bis dato grössten kontrollierten Studie (Symplicity-HTN3) [4] gegenüber einer Schein(«Sham»)-Population den Nachweis schuldig, den Blutdruck signifikant senken zu können.
Um sich Klarheit über die Bedeutung der RDN als antihypertensive Therapie zu verschaffen, wurden die SPYRAL-HTN-Studien als «proof of concept» konzipiert. Kürzlich wurden nun Interimsdaten der OFF-MED-Gruppe publiziert [5]. Darin wurden Patienten mit unbehandeltem Blutdruck eingeschlossen, die entweder noch nie Blutdruckmedikamente eingenommen oder spätestens vier Wochen vor Studienbeginn abgesetzt hatten. «Unbehandelter Bluthochdruck» wurde als Praxisblutdruck systolisch zwischen 150–180 mm Hg und diastolisch >90 mm Hg und ein durchschnitt­licher systolischer Wert von 140–170 mm Hg bei einer 24-Stunden-Messung definiert. Die Einteilung der ­Patienten erfolgte in zwei Gruppen, bei einer wurde die RND durchgeführt, bei der zweiten eine «Sham»-Prozedur.
Nach drei Monaten kam es in der RND-Gruppe (n = 38) zu einer Reduktion des Praxisblutdruckes um 10 mm Hg (systolisch) und 5,3 mm Hg (diastolisch). In der Kontrollgruppe (n = 42) waren die entsprechenden Werte –2,3 und –0,3 mm Hg. In der ambulanten 24-Stunden-Messung war bei den RDN-Patienten eine Reduktion des systolischen und diastolischen Blutdruckwertes um 5,5 mm Hg respektive 4,8 mm Hg zu beobachten, in der Kontrollgruppe betrugen diese Werte nur 0,5 und 0,4 mm Hg. Alle Blutdruckveränderungen erwiesen sich als signifikant.

Diskussion

Neue, innovative Techniken zur Behandlung von chronischen oder akuten Verschlüssen der Vena cava in­ferior wurden entwickelt, ein neuer Score soll zuver­lässig dazu beitragen, die Antikoagulationsdauer bei Frauen mit einer idiopathischen Venenthrombose ­sicher abschätzen zu können und bei der Sekundärprophylaxe arterieller Probleme hat ein aussergewöhn­liches Therapiekonzept für einige Aufmerksamkeit ­gesorgt. Last but not least zeichnen sich bei der therapierefraktären Hypertonie als einem der gefährlichsten Risikofaktoren wieder neue Entwicklungen ab.
Es bleibt spannend und mit grosser Freude sehen wir den Schlaglichtern des kommenden Jahres entgegen.
AK hat Vortragshonorare von der Firma Bayer deklariert. Die anderen Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Korrespondenz
Dr. med. Ernst Groechenig
Chefarzt Angiologie
Abteilung Angiologie
Medizinische Universitätsklinik Aarau
Tellstrasse 1
CH-5000 Aarau
ernst.groechenig[at]ksa.ch
1 Agnelli G, Prandoni P, Becattini C, et al. Extended oral anticoagulant therapy after a first episode of pulmonary embolism. Ann Intern Med 2003;139:19–25.
2 Rodger MA, Le Gal G, Anderson DR, et al. Validating the HERDOO2 rule to guide treatment duration for women with unprovoked venous thrombosis: multinational prospective cohort management study. Bmj 2017;356:j1065.
3 Eikelboom JW, Connolly SJ, Bosch J, Dagenais GR, Hart RG, Shestakovska O, et al; COMPASS Investigators. Rivaroxaban with or without Aspirin in Stable Cardiovascular Disease. N Engl J Med. 2017;377(14):1319–30.
4 Bhatt DL, et al. A controlled trial of renal denervation for resistant hypertension. N Engl J Med 2014;370:1293–401.
5 Townsend RR, et al. Catheter-based renal denervation in patients with uncontrolled hypertension in the absence of antihypertensive medications (SPYRAL HTN-OFF MED): a randomised sham-­controlled, proof-of-concept trial. Lancet. 2017 Aug 25. pii: S0140-6736(17)32281-X. [Epub ahead of print].