Infektiologie: Infektionsprävention ist «Change Management»
Infektiologie

Infektiologie: Infektionsprävention ist «Change Management»

Schlaglichter
Ausgabe
2018/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03151
Schweiz Med Forum 2018;18(0102):13-15

Affiliations
Universität und UniversitätsSpital Zürich, Zürich

Publiziert am 03.01.2018

Effiziente Infektionsprävention ist mehr als «Spitalhygiene». Zur Reduktion von nosokomialen Infektionen und von Übertragungen resistenter Pathogene braucht es eine lebendige Sicherheitskultur, ein Verständnis für unerwünschte Verhaltensweisen und die Bereitschaft zum institutionellen Wandel.

Hintergrund

Nosokomiale Infektionen sind häufig. Etwas mehr als 7% aller hospitalisierten Patienten in der Schweiz erleiden während einem Spitalaufenthalt eine infektiöse Komplikation, die direkt mit der Hospitalisation assoziiert ist. Zahlreiche Interventionen wie operative Eingriffe, die Einlage von Gefäss- oder Urinkathetern oder künstliche Beatmung sind mit einem relevanten Infektionsrisiko verbunden. Aber auch ohne spezifische ­Interventionen sind Pneumonien und Harnwegsinfektionen bei hospitalisierten Patienten gehäuft. Antibiotikatherapien, ob indiziert oder nicht, sind die wichtigsten Risikofaktoren für Clostridium difficile-assoziierte Diarrhoe und zahlreiche Patienten werden in jeder Grippesaison im Spital mit respiratorischen Viren – Influenza oder anderen – angesteckt. Nosokomiale Infektionen sind mit einer signifikanten Morbidität und Mortalität assoziiert und führen über die Verlängerung der Hospitalisationsdauer und die Notwendigkeit von zusätzlichen Interventionen zu erhöhten direkten und indirekten Kosten für das Spital und den Patienten. Aus verschiedenen Studien ist bekannt, dass 30–50% der nosokomialen Infektionen verhinderbar sind, auch in Ländern mit hochentwickelten Gesundheitssystemen wie der Schweiz.
Doch wie funktioniert effiziente Infektionsprävention im 21. Jahrhundert?

Moderne Infektionsprävention

Die moderne Infektionsprävention zielt weit über den verstaubten Begriff der «Spitalhygiene» hinaus, welcher traditionell geprägt ist von Händehygiene, Reinigung, Desinfektion und Sterilisation. Ungeachtet der Wichtigkeit in der Verhinderung der Übertragung von Keimen durch diese sogenannt «horizontalen» Massnahmen lag der Fokus in den letzten Jahren zunehmend auf der zielgerichteten Prävention von nosokomialen Infektionen durch die Implementierung von evidenzbasierten Massnahmenpaketen («bundles», sog. «vertikale» Massnahmen).

Kernkomponenten für effektive Infektions­prävention

Die WHO hat 2017 in evidenzbasierten Empfehlungen die 8 Kernkomponenten für effektive Infektionsprävention beschrieben (Tab. 1) [1]. Auf einen ersten, oberflächlichen Blick scheint die WHO dabei den Schwerpunkt vor allem auf die Strukturqualität zu setzen, welche in entwickelten Ländern bereits etabliert sein sollte. Kein Interventionsbedarf für die Schweiz also? Mitnichten. Die reine Strukturqualität ist zwar eine notwendige Grundvoraussetzung, reicht aber für die Zielerreichung in Bezug auf die Reduktion der Infektionsraten nicht mehr aus. Einige Teilzeit-Stellenprozente, die durch eine/n Fachexperten/Fachexpertin für Infektionsprävention mit halbherziger Unterstützung der Spitaldirektion abgedeckt werden und Hygienerichtlinien, die unauffindbar im spitaleigenen Intranet darben, sind eine reine Alibiübung. Dies implizieren auch die WHO-Richtlinien, die bei genauerer Durchsicht neben der vordergründigen Strukturqualität in hohem Masse auch auf Prozessqualität setzen. Denn damit Strukturqualität sich in messbare Ergebnisse umsetzt, ist es notwendig, die Prozesse so anzupassen, dass Infektionsprävention im Alltag auch gelebt werden kann oder – noch besser – gelebt werden muss.
Tabelle 1: WHO-Kernkomponenten von effektiven Infektionspräventionsprogrammen (adaptiert nach [1]).
KernkomponenteWichtigste Empfehlungen
InfektionspräventionsprogrammeLokal: Infektionspräventionsprogramm mit spezialisiertem Team. Konkrete Zielsetzungen gemäss lokaler Epidemiologie und Prioritätensetzung gemäss lokaler Risikoanalyse. Hauptfokus ist die Prävention nosokomialer Infektionen und die Verhinderung der ­Verbreitung von resistenten Keimen.
National: Eigenständiges nationales Infektionspräventionsprogramm zur Prävention nosokomialer Infektionen und zur Verhinderung der Verbreitung von resistenten Keimen mit definierten Zielen und Aktivitäten.
RichtlinienEntwicklung und Implementierung von evidenzbasierten Guidelines zur Infektions­reduktion und Verhinderung der Verbreitung resistenter Keime. Umfasst auch gezielte Ausbildung und Training und die Überprüfung der Adhärenz mit den Richtlinien.
Ausbildung und TrainingAusbildung aller Spitalangestellten, einschliesslich Bedside- und Simulationstrainings. Überprüfung der Effektivität dieser Ausbildungsprogramme.
Ausbildung und Training soll von nationalen Programmen als eine der Kernfunktionen unterstützt werden; umfasst auch Ausbildungsprogramme für Spezialisten für Infektions­prävention auf Seiten von Pflegefachpersonen und Ärzteschaft.
SurveillanceLokale Überwachung von Infektionsraten, um gezielte Interventionen zu entwickeln und Ausbrüche rechtzeitig zu erkennen. Schliesst auch die Überwachung von ­Antibiotikaresistenz mit ein.
National: Programme und Netzwerke zur Überwachung von nosokomialen Infektionen und Antibiotikaresistenz mit rechtzeitigen Feedback der Zahlen zum Benchmarking
Multimodale StrategienImplementierung von multimodalen Programmen zur Infektionsprävention und ­Verhinderung der Ausbreitung von Antibiotikaresistenz.
Monitoring/Audits und Feedback der Massnahmen zur Infektions­präventionLokal: Regelmässige Audits und Monitoring von Prozessen zur Infektionsprävention, inkl. Feedback der Resultate.
National: Nationales Programm zur Evaluation der Standards in Infektionsprävention.
Arbeitsbelastung, Staffing und ­BettenauslastungPersonalschlüssel soll der Arbeitsbelastung angepasst werden und Bettenauslastung soll nicht überschritten werden.
Infrastruktur, Materialien und Aus­rüstung für InfektionspräventionInfrastruktur und Materialien sollen effektive Infektionsprävention ermöglichen und unterstützen.
Doch was braucht es für den Schritt von der Spitalhy­giene zur gelebten Infektionsprävention?

Das Fundament: Auseinandersetzung mit der ­Sicherheitskultur

Zusätzlich zur Fachexpertise und zu gezielten Massnahmenpaketen braucht es eine institutionelle Auseinandersetzung mit der Sicherheitskultur, um effiziente Rahmenbedingungen zu schaffen [2]. Dazu sind Kenntnisse über das Sicherheitsklima an der Institution in Bezug auf Infektionsprävention notwendig. Sicherheitslücken müssen im Austausch mit allen Mitarbeitenden erkannt und mittels gezielter Interventionen geschlossen werden. Deren hohe Priorität wird durch den Einbezug von hochrangigen Spitalleitungsmitgliedern und Meinungsbildnern signalisiert. Hier ist nicht ausschliesslich die hierarchische Stellung, sondern vielmehr der Einfluss dieser Personen auf das Verhalten der Mitarbeitenden wichtig. Auch dieser Aspekt wurde in den WHO-Richtlinien berücksichtigt.

«Change Management» auf institutioneller Ebene

Die Erarbeitung und Implementierung solcher Interventionen und der damit verbundene institutionelle Wandel wird im Englischen als «Change Management» bezeichnet. Verschiedene Autoren beschreiben die für einen effektiven institutionellen Wandel notwendigen Massnahmen, die hauptsächlich auf den Pfeilern «Teamwork» und «Kommunikation» aufbauen. Kotters «Eight Steps of Change» umfassen im Wesentlichen (1.) die Erzeugung eines Gefühls von Vordringlichkeit («sense of urgency»), (2.) die Zusammenstellung einer führenden Koalition unter Einbezug einflussreicher Persönlichkeiten, (3.) die Entwicklung einer gemeinsamen Vision und Strategie, (4.) die Kommunikation dieser Vision und Strategie innerhalb der Institution, (5.) die Ermächtigung von Mitarbeitenden, Verantwortung zu übernehmen und Änderungen in Bezug auf die Zielerreichung umzusetzen («empowerment»), (6.) die Definition von erreich- und messbaren Zwischenzielen («short-term wins»), (7.) die Konsolidierung dieser Erfolge und, darauf aufbauend, die konsequente Weiterverfolgung der Strategie und (8.) die Verankerung dieser neuen Ansätze in der Unternehmenskultur [3].

«Change Management» auf individueller Ebene: Verhaltensänderungen

Für die Implementierung von infektpräventiven Massnahmen auf individueller Ebene sind meist Verhaltensänderungen notwendig. Somit braucht es zusätzlich zum Problembewusstsein und zur Analyse von Risikofaktoren für Infektionen eine genaue Evaluation der damit verbundenen Verhaltensweisen der Mitarbeitenden. Auf die Frage, ob etwas falsch gemacht wird, muss zwingend die Frage folgen, weshalb dieser Fehler auftreten kann. Oftmals sind sogenannte «facilitators» vorhanden, welche Fehlverhalten unterstützen bzw. «barriers», welche die Änderung von unerwünschtem Verhalten erschweren. Wie soll der Chirurg wissen, wie lange er sich die Hände für den Eingriff desinfizierten soll, wenn keine Uhr am Waschplatz vorhanden ist? Oder wie sollen die 5 Momente der Händedesinfektion gelebt werden, wenn das Händedesinfektionsmittel zwar prominent, aber völlig nutzlos, draussen vor der Zimmertür angebracht ist? Die Beispiele scheinen auf den ersten Blick banal, sind aber aus dem Spitalalltag gegriffen. Somit müssen vor allem die Umstände von Fehlverhalten analysiert werden, inkl. psychosozialer und (Unternehmens-)kultureller Faktoren, welche die Dynamik erklären. Die Korrektur dieser Prozesse ist dann ein wichtiger zusätzlicher Messparameter und Erfolgsfaktor bei der Analyse der Infektionsraten.

Wo stehen wir in der Schweiz?

In verschiedenen nationalen Programmen werden aktuell Rahmenbedingungen und Instrumente geschaffen, welche die Qualität der Infektionsprävention und damit die Patientensicherheit in der Schweiz zu verbessern suchen [4–6]. Diese nationalen Programme sollen lokale Experten und Massnahmen unterstützen und Schranken beseitigen. Sicherheitskultur und «Change Management» spielen in der Erarbeitung und Umsetzung dieser Strategien eine wichtige Rolle. Damit unsere Patientinnen und Patienten davon profitieren, muss aber jede Institution für sich bereit sein, Veränderungspotential zu erkennen, bei allen Mitarbeitenden einen «sense of urgency» zu kreieren und Veränderungen in die Unternehmenskultur zu integrieren.
Wie wird an Ihrem Spital die Sicherheitskultur gelebt? Haben Sie noch eine Spitalhygiene oder betreiben sie schon Infektionsprävention?
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. Stefan Kuster
UniversitätsSpital Zürich
Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
stefan.kuster[at]usz.ch
1 Storr J, Twyman A, Zingg W, et al. Core components for effective infection prevention and control programmes: new WHO evidence-based recommendations. Antimicrob Resist Infect Control. 2017;6:6.
2 Pronovost P, Needham D, Berenholtz S, et al. An intervention to decrease catheter-related bloodstream infections in the ICU. N Engl J Med. 2006;355:2725–32.
3 Kotter JP, Rathgeber H. Our iceberg is melting: Changing and succeeding under any conditions. New York: St. Martin’s Press; 2006.