Limitierte Osteo­porosebehandlung
Wenn die Krankenkassen über die Therapiedauer entscheiden!

Limitierte Osteo­porosebehandlung

Fallberichte
Ausgabe
2018/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03199
Schweiz Med Forum 2018;18(08):182-184

Affiliations
OsteoRheuma, Bern

Publiziert am 21.02.2018

Hintergrund

Mit der Begründung, die Wirtschaftlichkeit der Therapie überprüfen zu müssen, haben es sich Krankenkassen in der Schweiz zum Gebrauch gemacht, nach einigen Jahren einer Bisphosphonat- oder Denosumab-Therapie den DXA-Verlaufswert anzufordern, um von diesem abhängig zu machen, ob die Therapiekosten noch weiter übernommen werden. Ärzte fühlen sich dadurch genötigt, eine klinisch eventuell noch notwendige Behandlung abzubrechen. Wozu dies führen kann, zeigt der folgende Fall:

Fallbeschreibung

Eine 57-jährige Frau erkrankt an einem Mammakarzinom. Sie wird operiert, nachbestrahlt und mittels Chemotherapie nachbehandelt. Nach Abschluss dieser Therapie wird eine adjuvante Nachbehandlung mit einem Aromatasehemmer eingeleitet. Drei Jahre später erfolgt eine osteodensitometrische Ausgangsmessung mittels DXA. Diese ergibt einen T-score der LWS von –2,4 SD, worauf die Indikation zur präventiven Therapie mit Denosumab gestellt wird.
Fünf Jahre nach Beginn des Aromatasehemmers wird dieser abgesetzt. Gleichzeitig erfolgt eine osteodensitometrische Verlaufskontrolle, die Patientin hat unterdessen 5 Denosumab-Spritzen à 60 mg in halbjährlichen Intervallen erhalten. Bei einem T-score der LWS von –1,7 SD (Zunahme um 9,8%) weigert sich die zuständige Krankenkasse, eine weitergehende Denosumab-Therapie oder eine Nachbehandlung mit Bisphosphonaten zu übernehmen. Sie verweist bei ihrem Entscheid auf die bestehende Limitatio des BAG [1]: Limitatio für Denosumab: Begleitbehandlung bei Frauen mit Brustkrebs unter adjuvanter Behandlung mit Aromatasehemmern und bei Männern mit Prostatakarzinom unter Hormonablation, wenn ein erhöhtes Frakturrisiko vorliegt. Nach Abschluss der adjuvanten Behandlung mit Aromatasehemmern ist auch die Behandlung mit Denosumab zu beenden.
Drei Jahre später wird die Patientin zur osteodensitometrischen Verlaufskontrolle zugewiesen. Seitens des Mammakarzinoms besteht eine anhaltende Vollremission. Sie ist jedoch 3 cm kleiner geworden und hat den Eindruck, einen leichten Wittwenbuckel entwickelt zu haben.
Osteodensitometrisch liegt der T-score an der LWS nun bei –2,7 SD (–12,1%) (Abb. 1A und 1B). In der gleichzeitig durchgeführten vertebralen Frakturanalyse zeigen sich neu im Vergleich zur Voruntersuchung Keilwirbeldeformationen von BWK 7, BWK 8 und BWK 11 (Abb. 2).
Abbildung 1: Knochendichte der LWS (L1–4) und Gesamthüfte (total hip) zu Beginn der Therapie mit Denosumab nach 3-jähriger Aromatasehemmer-­Therapie (2011), bei Abschluss nach fünf Denosumab-Spritzen und bei Abschluss der Aromatasehemmer-Therapie (2014) und bei der Nachkontrolle drei Jahre später (2017).
Abbildung 2: A: Vertebrales Fraktur-Assessment (VFA) bei Abschluss nach fünf Denosumab-Spritzen bzw. bei Abschluss der Aromatasehemmer-Therapie (2014). 
 B: Vertebrales Fraktur-Assessment bei der Nachkontrolle drei Jahre später (2017).

Diskussion

Osteoporose betrifft weltweit mehrere Hundert Millionen Menschen. Das jährliche Risiko einer Fragilitätsfraktur übersteigt bei einer amerikanischen postmenopausalen Frau das kombinierte Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen und invasiver Mammakarzinome. Dennoch wird die Diagnostik, Prävention und Therapie der Osteoporose von den Behörden und Krankenkassen der Schweiz in unverständlicher Weise nach wie vor sehr stiefmütterlich behandelt.
Knochendichtemessungen werden seit den 1990er Jahren als «Vorsorgeuntersuchungen» eingestuft und nur bei bestimmten Indikationen von den Krankenkassen bezahlt. Bezahlt wird in diesen Fällen auch nur eine Messregion, obwohl sämtliche relevanten internationalen Fachgesellschaften (inkl. ISCD und IOF) seit Jahren fordern, dass mindestens zwei Regionen (LWS und Hüfte) gemessen werden sollen.
Die Übernahme von Osteoporosemedikamenten (Bisphosphonate, SERM, Teriparatide und Denosumab) ist mit einer Limitatio belegt, welche paradoxerweise eine Knochendichtemessung mittels DXA mit einem T-score <–2,5 SD erfordert, dies, obwohl sich schon vor vielen Jahren gezeigt hat und die Fachgesellschaften sich einig sind, dass die Indikation für eine medikamentöse ­Osteoporosetherapie nicht mehr von der Knochendichte allein, sondern vom 10-Jahres-Frakturrisiko abhängig gemacht werden soll.
Der hier präsentierte Fall zeigt eindrücklich, dass Denosumab nicht ohne Nachbehandlung abgebrochen werden darf, ansonsten nicht nur ein übermässiger Knochendichteverlust, sondern auch spontane Wirbelfrakturen riskiert werden. Dieser Effekt ist uns praktizierenden Ärzten längst bekannt und inzwischen auch wissenschaftlich belegt [2, 3]. Die Herstellerfirma hat deshalb bereits im Dezember 2016 in einem Letter darauf hingewiesen. Die Limitatio für Denosumab wurde aber bisher nicht angepasst, weshalb zu befürchten ist, dass Denosumab auch weiterhin ohne Nachbehandlung sistiert werden wird.

Fazit

Behörden und Krankenkassen dürfen nicht die letzt-entscheidende Kompetenz erhalten, über die Indikation und Dauer einer Behandlung zu entscheiden. Dieser Entscheid muss immer beim behandelnden Arzt bleiben! Nur dieser ist in der Lage, die Komplexität jedes individuellen Patienten und die sich daraus ergebende Indikation für oder gegen eine Therapie zu beurteilen und die Therapiedauer zu bestimmen. Bei der Krankheit Osteoporose greift die Rückfrage nach einem kürzlich bestimmten T-score viel zu kurz. Das alleinige Abhängigmachen von diesem Wert kann, wie der geschilderte Fall belegt, für den betroffenen Patienten dramatische Folgen haben.
Osteoporose verdient es, dass obsolete Limitationen betreffend Kostenübernahme bei der Diagnostik (mittels DXA) und Therapie vom BAG revidiert und den heutigen wissenschaftlichen Kenntnissen und Empfehlungen angepasst werden!

Das Wichtigste für die Praxis

• Der Abbruch einer medikamentösen Osteoporosetherapie mit Denosumab ohne Nachbehandlung mit anderen antiresorptiven Substanzen führt zu einem übermässigen Verlust der Knochendichte mit in dieser Phase auch erhöhtem Risiko für Wirbelfrakturen.
• Die aktuell gültige Praxis der Krankenkassen, gemäss bestehenden Limitationen die Kostenübernahme für eine längerdauernde oder nachfolgende Therapie aufgrund eines T-scores >–2,5 SD zu verweigern, provoziert solche Therapieabbrüche und gefährdet betroffene Patienten.
• Der definitive Entscheid über Art und Dauer einer Osteoporosetherapie muss deshalb beim behandelnden Arzt bleiben!
• Obsolete Limitationen bei der Diagnostik und Therapie der Osteoprose bedürfen dringend einer Anpassung durch das BAG.
Der Autor deklariert, keine aktuellen finanziellen Verbindungen zu Amgen zu haben, jedoch 2012 Investigator bei der von Amgen ­finanzierten CAMPOS-Studie gewesen zu sein.
Dr. med. Thomas Lehmann
OsteoRheuma Bern
Bahnhofplatz 1
CH-3011 Bern
lehmann[at]hin.ch
2 Popp AW, Zysset PK, Lippuner K. Rebound-associated vertebral fractures after discontinuation of denosumab – from clinic and biomechanics. Osteoporos Int. 2016;27:1917–21.
3 Lamy O, Gonzales-Rodriguez E, Stoll D, Hans D, Aubry-Rozier B. Severe rebound-associated vertebral fractures after denosumab discontinuation: Lamy O, Gonzales-Rodriguez E, Stoll D, Hans D, Aubry-Rozier B. (2016) Severe rebound-associated vertebral fractures after denosumab discontinuation: nine clinical cases report. J Clin Endocrinol Metab. 2017;102(2)354–8.