Vegetarische und vegane Ernährung von Kindern und Jugendlichen
Praxisrelevante Aspekte

Vegetarische und vegane Ernährung von Kindern und Jugendlichen

Übersichtsartikel
Ausgabe
2018/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03258
Schweiz Med Forum 2018;18(18):393-398

Affiliations
Kantonsspital Aarau
a Klinik für Kinder und Jugendliche; b Ernährungsberatung

Publiziert am 02.05.2018

Vegetarische oder vegane Ernährung ist im Trend, auch bei Kindern und Jugendlichen. Ein Grundwissen über diese Ernährungsformen hilft, Familien adäquat zu beraten und eine drohende Mangelernährung rechtzeitig zu erkennen.

Einführung

Zunehmend mehr Menschen entscheiden, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren. Es wird geschätzt, dass sich rund 2–5% der Erwachsenen in Europa vegetarisch ernähren [1]. Swissveg, die grösste Interessenvertretung vegetarisch und vegan lebender Menschen in der Schweiz, geht davon aus, dass sich sogar rund 11% der Erwachsenen in der Schweiz vegetarisch und 3% vegan ernähren [2]. Die Anzahl hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich zugenommen [3]. Es sind mehr Frauen und Mädchen Vegetarier als Männer und Knaben. Zudem ernähren sich unter den jungen Erwachsenen deutlich mehr Personen vegetarisch oder vegan als unter den älteren Generationen [2, 4]. Wie viele Kinder und Jugendliche sich vegetarisch oder vegan ernähren, ist nicht bekannt [5]. Es liegt aber auf der Hand, dass auch in dieser Altersgruppe die fleischlose Ernährung stark zugenommen hat. Im Zuge dieser Entwicklung haben auch die Ernährungsindustrie, Restaurants und Detailhändler reagiert: Es existiert inzwischen eine grosse Vielfalt an entsprechenden Produkten und Angeboten.
Während früher praktisch ausschliesslich die Diskussion um das Risiko eines Nährstoffmangels im Mittelpunkt stand, werden heute auch zunehmend die gesundheitlichen Vorteile einer vegetarischen oder veganen Ernährung in den Vordergrund gerückt. Es gibt Hinweise, dass eine vegetarische Ernährung mit einer niedrigeren Prävalenz von Übergewicht und möglicherweise mit einer niedrigeren Mortalität infolge kardiovaskulärer Erkrankungen assoziiert ist [1]. Gerade hinsichtlich der kardiovaskulären Mortalität ist die Datenlage allerdings widersprüchlich [6]. Vegetarier haben insgesamt einen niedrigeren Body-Mass-Index (BMI). Auch andere Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum oder Bewegungsmangel werden bei erwachsenen Vegetariern weniger häufig beobachtet [3]. Es kann davon ausgegangen werden, dass die genannten Beobachtungen aber nicht ausschliesslich Effekte der spezifischen Ernährung sind, sondern allgemein auch als Ausdruck eines bewussten, «gesunden» Lebensstils von Vegetariern interpretiert werden können. Zudem bleibt es auch unklar, ob das Weglassen tierischer Produkte oder die vermehrte Einnahme pflanzlicher Lebensmittel primär für die möglichen gesundheitlichen Vorteile verantwortlich ist. Bei Kindern und Jugendlichen gibt es weniger klare Daten: Mehrere Studien wiesen bei vegetarischen Kindern tiefere Cholesterolwerte im Serum nach. Diese Angaben sind aber in anderen Studien nicht bestätigt worden [1]. Bei vegetarisch ernährten Kindern und Adoleszenten ergaben mehrere Studien ein identisches Wachstum und Gedeihen wie bei omnivor (mit Fleisch und Fisch) ernährten Kindern. Hingegen wurde gezeigt, dass vegan ernährte Kinder insgesamt möglicherweise etwas schlanker und auch kleiner sind [1, 7, 8].

Definitionen

Eine vegetarische Ernährung ist dadurch gekennzeichnet, dass keine tierischen Fleischprodukte eingenommen werden, was heisst, dass Fisch und Fleisch nicht Teil der Ernährung sind. Bei einer veganen Ernährung wird komplett auf tierische Produkte verzichtet, bis hin zu Honig. So werden ausschliesslich pflanzliche Lebensmittel verzehrt. Es gibt eine Vielzahl von Ausprägungen sowohl der vegetarischen wie auch der veganen Ernährungsweise, bei denen aus ethischen, weltanschaulichen oder religiösen Gründen die Lebensmittelauswahl noch differenzierter eingeschränkt wird. Als Beispiel sei die makrobiotische Ernährung erwähnt. In Tabelle 1 werden die wichtigsten und damit häufigsten Formen einer vegetarischen respektive veganen Ernährungsweise zusammengefasst dargestellt. Aus Übersichtsgründen behandelt dieser Artikel ausschliesslich diese Formen der fleischlosen Ernährung.
Tabelle 1: Formen der fleischlosen Ernährung.
Ovo-Lacto-VegetarierVerzicht auf Fleisch und Fisch
Lacto-VegetarierVerzicht auf Fleisch, Fisch und Eier
Ovo-VegetarierVerzicht auf Fleisch, Fisch und Milch
VeganerVerzicht auf alle tierischen Lebensmittel und Erzeugnisse (Fleisch, Fisch, Milch, Ei, Honig)
Die Motive für eine vegetarische oder vegane Ernährung sind vielfältig. Insbesondere im Kindes- und Jugendalter stehen weniger gesundheitliche oder ökologische Aspekte im Vordergrund, als vielmehr ethische oder weltanschauliche Überlegungen. Weiter gibt es mehr und mehr Elternpaare, die für sich als ganze ­Familie entscheiden, auf Fleisch oder allgemein auf ­tierische Produkte zu verzichten. Andererseits gibt es Jugendliche, die von sich aus beschliessen, vegetarisch oder vegan zu leben, manchmal auch gegen den Widerstand der eigenen Eltern. Nicht ausser Acht lassen darf man insbesondere weibliche Teenager, die eine vegetarische oder vegane Ernährung vordergründig benützen, um eine zugrunde liegende Essstörung zu maskieren: Eine Studie bei Adoleszenten in Minnesota zeigte, dass ein signifikanter Anteil Adoleszenter, die angaben, sich vegetarisch zu ernähren, diesen Umstand benutzten, um ihre ­Kalorienzufuhr und damit ihr Gewicht effizienter kontrollieren oder reduzieren zu können [9, 10]. Eltern oder Ärzte müssen daher aufmerksam werden, wenn insbesondere Jugendliche mehr und mehr die Nahrungsmittelauswahl einschränken.

Nährstoffversorgung und ­Gesundheitsrisiken

Bei Erwachsenen wird die ovo-lacto-vegetarische Ernährung von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) grundsätzlich auch langfristig als bedarfsdeckende Ernährungsweise beurteilt. Wie auch bei der Mischkost (Ernährung mit Fleisch und Fisch) sollen gewisse Punkte berücksichtigt werden, um eine ausgewogene und bedarfsdeckende Ernährung zu ­gewährleisten. Dazu gehören der reichliche Konsum pflanzlicher Lebensmittel, angemessene körperliche Aktivität, kein oder mässiger Alkoholkonsum sowie der Verzicht auf Rauchen [4].
Bei Veganern ist der Speiseplan durch den Verzicht auf alle tierischen Produkte deutlicher eingeschränkt. Es wird eine gezieltere und bewusstere Lebensmittelauswahl empfohlen, um eine bedarfsdeckende Nährstoffzufuhr zu gewährleisten. Daher wird die vegane Ernährung grundsätzlich nicht für die breite Bevölkerung als «geeignet» beurteilt. Insbesondere in der Schwangerschaft, Stillzeit, Kindheit, Adoleszenz, bei schwerer Erkrankung und im höheren Alter ist Vorsicht und damit eine besondere Sorgfalt in der Lebensmittelauswahl angezeigt [3, 4]. Die vegane Ernährung gilt in diesen Altersgruppen damit auch grundsätzlich als nicht empfohlen.
Gewisse Nährstoffe wie Eiweiss, Vitamin B12, Mineralstoffe wie Kalzium, Eisen und Zink sowie Omega-3-Fettsäuren werden bei einer omnivoren Ernährungsweise hauptsächlich durch tierische Lebensmittel zugeführt. Ovo-Lacto-Vegetarier können den Bedarf an diesen Nährstoffen durch pflanzliche Produkte sowie Milch und Eier meist gut decken [4]. Tabelle 2 zeigt weitere mögliche Lebensmittelquellen für die oben genannten «kritischen» Nährstoffe.
Tabelle 2: Alternative Lebensmittelquellen für die «kritischen» Nährstoffe 
bei vegetarischer und veganer Ernährung.
Eiweiss (Protein)Vegetarisch: Eier, Milch, Käse, Quorn
Vegan: Getreide, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Tofu, Seitan, ­Tempeh, Nüsse
Vitamin B12Vegetarisch: Milchprodukte, Eier
Vegan: angereicherte Lebensmittel (z.B. angereicherte Bierhefe)
Vitamin DVegetarisch: Eier, Butter, angereicherte Margarine, Rahm
Vegan: Pilze, vegane Margarine
KalziumVegetarisch: Milch und Milchprodukte
Vegan: Broccoli, Spinat, Grünkohl, kalziumreiche Mineralwasser, Nüsse und Samen (Mandel, Sesam), angereicherte Soja-, Hafer- und Reisdrinks
EisenVegetarisch/vegan: Hülsenfrüchte (Soja, Linsen, Kichererbsen), Nüsse, Samen, ­Getreideprodukte (Vollkorn), Gemüse (grüne Blattgemüse, Schwarzwurzeln)
ZinkVegetarisch: Käse, Eier
Vegan: Getreideprodukte (Vollkorn), Gemüse, Nüsse, Samen
Omega-3-FettsäurenVegetarisch/vegan: Leinsamen, Rapsöl, Baumnuss, Soja­produkte, Weizenkeime, Mikroalgenpräparate
Insgesamt gilt: Je mehr die Lebensmittelauswahl eingeschränkt wird, desto höher ist vor allem im Kindesalter das Risiko für Nährstoffdefizite. Um eine ausreichende Nährstoffversorgung von Müttern, Säuglingen und Kindern gewährleisten zu können, werden damit teilweise Nährstoffzusätze notwendig. Bei einer veganen Ernährung kann insbesondere eine bedarfsdeckende Zufuhr von Vitamin B12 nicht ohne Supplementation erreicht werden [3]. Gerade Säuglinge in der Abstillphase gelten als Risikogruppe. Es sind immer wieder Fälle von vegan ernährten Säuglingen mit klinischen Nährstoffdefiziten beschrieben worden [3]. Im Weiteren soll spezifisch auf die einzelnen Nährstoffe und die entsprechenden Risikogruppen eingegangen werden.

Eiweiss (Protein) und essentielle ­Aminosäuren

Da Proteine pflanzlicher Herkunft eine andere Aminosäurenzusammensetzung als Proteine tierischer Herkunft haben, ist ihre biologische Wertigkeit niedriger. Eine Ausnahme hiervon ist einzig Sojaprotein, das eine vergleichbare Wertigkeit wie tierische Proteine hat [4, 7]. Bei fleischloser Ernährung muss daher auf eine ausreichende Proteinzufuhr geachtet werden. Durch die Kombination verschiedener Proteinquellen kann die biologische Wertigkeit deutlich erhöht werden. Ovo-Lacto-Vegetarier können ihren Eiweissbedarf grundsätzlich gut abdecken. Veganer müssen mehr auf eine entsprechend gut geplante Kombination pflanzlicher Lebensmitteln achten. Beispiele möglicher Kombinationen sind zum Beispiel Hülsenfrüchte und Getreide (z.B. Gemüsecurry mit Kichererbsen und Reis) oder Getreide mit Samen und Nüssen (z.B. Nussbrot) [4]. Vor allem bei vegan ernährten Kindern und Jugendlichen wird empfohlen, die Proteinzufuhr gegenüber omnivoren Kindern grundsätzlich zu steigern, um zirka 30–35% bei Säuglingen, 20–30% bei Kleinkindern und 15–20% bei älteren Kindern und Jugendlichen [7]. Insbesondere bei sehr strikt veganer Diät ist es sinnvoll, bei Kindern ein detailliertes Ernährungsprotokoll mit Augenmerk auf die verfügbaren Proteinquellen zu erstellen. Bei vegan ernährten, nicht gestillten Säuglingen soll eine voll supplementierte Säuglings-Formulamilch auf der Basis von Soja verwendet werden. Klar nicht verwendet werden sollten im Säuglingsalter Reismilch oder Mandelmilch, da deren Nährwert und biologische Wertigkeit der Proteine in keiner Weise vergleichbar mit einer Formulamilch sind [1, 3, 11]. Auch ein Milch-Getreide-Brei kann problemlos mit einer Sojanahrung zubereitet werden. Sojanahrungen für Säuglinge können auch über das Säuglingsalter hinaus als Milchersatz Verwendung finden.

Vitamin B12

Tierische Produkte sind die einzig ausreichende Quelle für Vitamin B12, auch bezeichnet als Cobalamin. Selbst die in Algen und Meerestang nachgewiesenen Vitamin-B12-Quellen sind nicht aktive Analoga von Vitamin B12 und damit kein adäquater Ersatz [12]. Während der Schwangerschaft wird der Fötus durch die Mutter noch ausreichend mit Vitamin B12 versorgt. Diese Reserve reicht beim Kind meist für 4–10 Monate [4, 13]. Während der Stillzeit erhält das Kind Vitamin B12 über die Muttermilch. Wenn die schwangere respektive stillende Mutter aber ungenügend mit Vitamin B12 versorgt ist, entsteht auch beim Fötus und Säugling ein Vitamin-B12-Mangel. Insbesondere schwangere und stillende Veganerinnen müssen daher unbedingt Vitamin B12 supplementieren. Besteht die Möglichkeit einer Unterversorgung des Säuglings mit Vitamin B12, ist auch eine Supplementation des Säuglings zu empfehlen. Die empfohlene Zufuhr beträgt gemäss den DACH-Referenzen (Empfehlungen der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Ernährung) 0,4 µg/Tag in den ersten vier Monaten, danach 0,8 µg/Tag bis zum ersten Geburtstag [14]. Eine voll supplementierte Formulamilch auf Sojabasis ist für den Bedarf von Säuglingen und Kleinkindern grundsätzlich adäquat mit Vitamin B12 ergänzt [7].
Im Alter von 1–4 Jahren wird eine Vitamin-B12-Zufuhr von 1,0 µg/Tag, von 4–7 Jahren von 1,5 µg/Tag, von 7–10 Jahren von 1,8 µg/Tag, von 10–13 Jahren von 2,0 µg/Tag, ab 13 Jahren und im Erwachsenenalter von 3,0 µg/Tag empfohlen [14]. Die Umsetzung dieser Empfehlungen erweist sich in der Praxis aber als schwierig, da die verfügbaren Supplemente zumeist deutlich höher konzentriert sind oder Applikationsformen beinhalten, die hinsichtlich der Resorption nicht sicher dokumentiert sind, wie beispielsweise Zahnpasta oder nasale Applikationsformen. Bei einem Vitamin-B12-Mangel besteht das Risiko für hämatologische (megalo­blastäre Anämie) und neurologische Störungen. Bei hoher Folsäurezufuhr, wie es bei vegetarischer Ernährung meist der Fall ist, können hämatologische Zeichen aber fehlen. Dies kann insbesondere bei Kindern einen Vitamin-B12-Mangel maskieren [8]. Da aber die neurologischen Folgen wie eine Entwicklungsretardierung und neuropsychiatrische Störungen bei Kindern irreversibel sein können, ist die Prävention ausgesprochen wichtig. Weitere klinische Zeichen eines Vitamin-B12-Mangels beim Kind können eine Gedeihstörung, Wachstumsverzögerung, muskuläre Hypotonie oder Apathie sein [5, 13]. Glücklicherweise kann der Körper aufgenommenes Vitamin B12 über mehrere Jahre speichern, sodass die Mangelerscheinungen bei Erwachsenen meist erst nach mehreren Jahren manifest werden. Nicht nur bei Veganern, sondern auch bei Lacto-Vegetariern besteht ein gewisses Risiko eines ­Vitamin-B12-Mangels. Grundsätzlich gilt dies für alle Personen, die Fleisch oder Fisch weniger als einmal ­wöchentlich essen. Oder anders gesagt: Je strikter auf tierische Produkte verzichtet wird, desto wahrscheinlicher wird ein Vitamin-B12-Mangel und entsprechend auch die Notwendigkeit für eine Supplementation [15].

Vitamin D und Kalzium

Die ausreichende Zufuhr von Kalzium und Vitamin D im Kindesalter ist entscheidend, um einer Rachitis und langfristig einer mangelnden Knochendichte vorzubeugen. Vitamin D wird einerseits vom Körper selber durch die Sonnenlichtexposition synthetisiert, andererseits in geringerem Ausmass über die Nahrung ­zugeführt. Lebensmittel enthalten generell wenig Vitamin D. Entsprechend ist eine bedarfsdeckende Zufuhr allein durch Lebensmittel auch für omnivor ernährte Personen kaum möglich. Ovo-Lacto-Vegetarier haben grundsätzlich keine schlechtere Versorgung mit ­Vitamin D als omnivor ernährte Personen. Einzig bei Veganern wurden etwas tiefere 25-OH-Vitamin-D3-Konzen­trationen im Plasma beschrieben [1]. Als Risikopersonen hinsichtlich eines Vitamin-D-Mangels gelten Säuglinge, Schwangere und Stillende, Übergewichtige, ältere Personen und Menschen mit mangelnder Sonnenlichtexposition (z.B. verschleierte Personen) sowie dunkelhäutige Personen [16]. Bei allen Kindern in der Schweiz ist generell im ersten Lebensjahr eine Supplementation von 400 IE, im zweiten und dritten Lebensjahr von 600 IE Vitamin D3 täglich empfohlen [16].
Die Kalziumzufuhr wird bei einer Mischkost in der Regel zu einem Grossteil durch Milch und Milchprodukte gewährleistet. Bei Lacto-Vegetariern ist die Kalziumzufuhr insgesamt mindestens äquivalent wie bei omnivor ernährten Personen, wenn nicht sogar höher. Hingegen ist sie bei vegan ernährten Kindern oft tiefer als empfohlen [1, 5, 7]. Während der Kalziumgehalt der Muttermilch durch eine vegane Ernährung der Mutter nicht beeinflusst wird, ist die adäquate Kalziumversorgung nach der Stillphase essentiell. Neben Milchprodukten stammt die Kalziumzufuhr vor allem aus Gemüsen, getrockneten Früchten sowie kalziumreichem Mineralwasser [4]. Grüngemüse mit niedrigem Oxalatgehalt wie Broccoli, Chinakohl oder Kohl sind gute Quellen für Kalzium. Hingegen hat Kalzium in Nüssen, Bohnen oder oxalatreichem Grüngemüse wie Spinat eine niedrigere Bioverfügbarkeit [1]. Insbesondere bei strikt vegan ernährten Kindern und Jugendlichen ist damit eine zusätzliche Kalziumsupplementation indiziert, um den Kalziumbedarf zu decken [4].

Eisen und Zink

Verschiedene Studien von strikt vegan ernährten Klein- und Schulkindern haben zeigen können, dass vegan ernährte Kinder grundsätzlich nicht häufiger eine Eisenmangelanämie als omnivor ernährte Kinder aufweisen. Eisenmangel ist aber auch bei mit Mischkost ernährten Kindern die häufigste Form eines Nährstoffmangels, insbesondere im Säuglings- und Kleinkindesalter [1, 5, 7–9]. Lacto-Ovo-Vegetarier und Veganer benötigen aufgrund der niedrigeren Bioverfügbarkeit von Eisen eine um ca. 1,8-mal höhere Eisenzufuhr als Nichtvegetarier. Hingegen verbessert eine ausreichende Vitamin-C-Zufuhr die Eisenabsorption deutlich, was bei einem grosszügigen Konsum von Gemüsen und Früchten zu erwarten ist. Es lohnt sich deshalb, die Ernährung bei vegetarisch oder vegan ernährten Kindern detailliert zu erfragen. Im Säuglingsalter kann anstelle eines fleischhaltigen Breis ein Gemüse-Kartoffel-Brei gegeben werden. Bei vegetarischer Ernährung kann dieser mit Ei ergänzt werden. Bei veganer Ernährung sollen angereicherte Getreidebreie mit voll supplementierter Säuglingsnahrung auf der Basis von Soja verwendet werden. Später kann anstelle des Zusatzes von Milchprodukten zum Beispiel auch Obstsaft oder Obstmus hinzugefügt werden, da Milch die Verfügbarkeit von Eisen im Gegensatz zu Vitamin C vermindert [3, 10]. Aus­ser im Säuglingsalter soll insbesondere auch bei jugendlichen Mädchen auf eine ausreichende Eisenzufuhr geachtet werden. So können bewusst milchfreie Mahlzeiten beispielsweise aus Vollkorngetreide mit Vitamin-C-reichem Gemüse oder Obst kombiniert werden. Aus eigener Erfahrung der sich vegetarisch ernährenden zehnjährigen Tochter des Autors ist ein Müsli aus Vollkornflocken, anstelle mit Milch, problemlos mit Fruchtsaft kombinierbar und offensichtlich durchaus schmackhaft. Insbesondere in Phasen des starken Wachstums (Kleinkindesalter und Pubertät) kann eine Eisensubstitution notwendig sein.
Bei vegetarischer Ernährung ist die Zufuhr von Phytaten erhöht. Diese binden Zink und reduzieren dessen Bioverfügbarkeit [4, 7, 8]. Muttermilch hat eine ausreichende Menge Zink, sodass gestillte Kinder grundsätzlich adäquat mit Zink versorgt sind. Nach dem Abstillen sind zusätzliche Quellen notwendig. Etwa die Hälfte des mit der Nahrung aufgenommenen Zinks stammt von tierischem Protein. Trotz dieser Tatsachen ist ein relevanter Zinkmangel selten und eine Supplementation grundsätzlich nicht notwendig. Die bewusste Zufuhr von zinkreichen Nahrungsmitteln kann hingegen empfohlen werden [7].

Fette und Fettsäuren

Vegan ernährte Kinder konsumieren insgesamt weniger Fett als omnivor oder ovo-lacto-vegetarisch ernährte. Ein klarer Effekt auf das Gedeihen oder das Längenwachstum wurde allerdings nicht nachgewiesen [7]. Vegane Ernährung ist arm an den langkettigen Omega-3-Fettsäuren Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA). Diese werden vor allem über Fisch, Meeresfrüchte oder Eier zugeführt. Bei erwachsenen Veganern wurden tiefere Werte von DHA und EPA im Blut nachgewiesen. Linol- oder Linolensäure können im Körper in EPA und DHA umgewandelt werden. Sie sollen daher bei vegan ernährten Kindern vermehrt zugeführt werden. Auch vegan ernährte stillende Mütter sollen auf eine grosszügige Zufuhr von langkettigen Omega-3-Fettsäuren achten. Quellen dafür sind Leinsamen, Rapsöl, Baumnuss- und Sojaprodukte [4, 7]. Zu erwähnen ist ergänzend allerdings, dass frühgeborene Kinder noch eine limitierte Kapazität haben, die genannten Vorläufer in DHA und EPA umzuwandeln [7].

Fazit

Eine ovo-lacto-vegetarische Ernährung mit spezifischem Augenmerk auf die «kritischen» Nährstoffe kann in jedem Alter eine grundsätzlich adäquate, gesunde Ernährungsform darstellen, selbst im Säuglings- und Kindesalter sowie auch in der Adoleszenz. Sie ist auch langfristig als unproblematisch zu beurteilen, sofern trotz fleischloser Ernährung eine breite Palette an Lebensmitteln angeboten und konsumiert wird. Eine vegane Ernährung hingegen ist gerade im Säuglings- und Kleinkindesalter grundsätzlich klar nicht empfohlen. Sie ist nur dann ohne Mangelerscheinungen möglich, wenn entsprechendes Wissen, eine gut geplante und sorgfältige Nahrungsmittelauswahl und -kombination sowie regelmässige klinische Kon­trollen gewährleistet sind. Diese klinischen Kontrollen sollen in erster Linie auch die Prüfung des Gedeihens, des Wachstums sowie der Pubertätsentwicklung beinhalten. Die entsprechende Beratung der Familien oder Jugendlichen benötigt Fingerspitzengefühl und soll insbesondere die individuellen Gründe für die fleischlose Ernährung berücksichtigen und respektieren [3]. Gerade bei vegan ernährten Kindern soll initial und wo gewünscht auch im Verlauf qualifizierte Ernährungsberatung unbedingt empfohlen werden. Tabelle 3 stellt einen Vorschlag für eine praxisorientierte Zusammenfassung der wesentlichen Punkte in der Betreuung und Beratung von vegan ernährten Kindern und Jugendlichen dar. Die Tabelle darf nicht als abschliessend beurteilt werden: Gerade beim Erstkontakt mit einem Pa­tienten ist ein ausführlicheres Anamnesegespräch notwendig, mit Augenmerk auf zugrunde liegende Erkrankungen, Medikamenteneinnahme, Systemanamnese etc. Hier dargestellt werden spezifische Punkte, die bei vegan ernährten Kindern und Jugendlichen erfragt respektive untersucht werden sollen.
Tabelle 3: Vorschlag für empfohlene klinische und laborchemische Kontrollen 
in der Praxis bei Kindern und Jugendlichen mit veganer Ernährung.
AnamneseForm, Dauer und Motive der fleischlosen Ernährung
Aktuelle Ernährungsform, Ergänzungspräparate
Spezifisches Wissen, Informationsquellen, bisherige Ernährungsberatung, ggf. Ernährungsprotokoll
Klinische KontrollenKontrolle des Gedeihens mit Dokumentation Längenwachstum, Gewicht, ggf. Wachstumsgeschwindigkeit und Pubertäts­entwicklung
Labor-KontrollenBlutbild, CRP, Ferritin, Albumin, Protein, Kalzium, alkalische ­Phosphatase, 25-OH-Vitamin-D3, Zink, Vitamin B12, Holotrans­cobalamin, ggf. zusätzlich Methylmalonsäure im Urin
Wie häufig die erwähnten klinischen und laborchemischen Kontrollen durchgeführt werden sollen, kann nicht abschliessend festgelegt werden: Die Frequenz hängt von diversen Faktoren ab, wie dem Alter des Patienten, der aktuellen Ernährungsform, dem spezifischen Wissen der Familie und dem aktuellen Ernährungszustand und Gedeihen des Kindes.
Zum Schluss soll erwähnt sein, dass dringender Klärungs- und damit Forschungsbedarf zu den längerfristigen Folgen einer vegetarischen oder veganen Ernährung im Kindesalter besteht. Es existieren bis anhin kaum Daten über die langfristigen metabolischen Auswirkungen, Vorteile und auch Risiken einer fleischlosen Kost im Kindesalter [8].

Das Wichtigste für die Praxis

• Eine gut geplante vegetarische Ernährung kann mit dem entsprechenden Fachwissen und der notwendigen Sorgfalt in jedem Alter eine ­adäquate Ernährung ohne Mangelversorgung darstellen.
• Eine vegane Ernährung bei Kindern oder Jugendlichen soll nur unter ärztlicher Betreuung oder Kontrolle durch die Ernährungsberatung erfolgen und regelmässige klinische und laborchemische Kontrollen beinhalten.
• Eine vegane Ernährung ist im Kindes- und Jugendalter nicht ohne ­zusätzliche Supplemente bedarfsdeckend: Mindestens Vitamin B12 muss supplementiert werden.
• Eltern und Ärzte müssen an eine manifeste Essstörung denken, wenn insbesondere weibliche Jugendliche zunehmend die Nahrungsmittelauswahl und damit auch die Kalorienzufuhr einschränken.
• Bei längerdauernder oder schwerer Erkrankung ist generell von einer ­veganen Ernährung im Kindes- oder Jugendalter abzusehen.
HK hat persönliche Honorare von Nutricia deklariert. Die anderen Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Andreas Bieri
Klinik für Kinder und
Jugendliche
Kantonsspital Aarau
Tellstrasse
CH-5000 Aarau
andreas.bieri[at]ksa.ch
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