Fieber nach einer Reise: ein ­unschönes Souvenir …
Eine Herausforderung für die Grundversorger

Fieber nach einer Reise: ein ­unschönes Souvenir …

Editorial
Ausgabe
2018/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03260
Schweiz Med Forum 2018;18(16):343-344

Affiliations
a Centre de Vaccination et de Médecine des Voyages, Policlinique Médicale Universitaire, Lausanne; b Service des Maladies Infectieuses, Département de Médecine, Centre hospitalier universitaire (CHUV), Lausanne; c Institut Suisse de Médecine Tropicale et Santé Publique, Bâle

Publiziert am 18.04.2018

«Ich bin aus dem Senegal zurückgekommen und habe Fieber, was soll ich tun?»

Eine stressige Notfallsituation für Grundversorger. Früher mussten sie in einem solchen Fall lange Listen mit Symptomen und Anzeichen durchgehen und überprüfen, ob diese vorliegen, um im Anschluss sämtliche Differenzialdiagnosen abzuklären, was zahlreiche Zusatzuntersuchungen erforderte. Die evidenzbasierte Medizin und die neuen technischen Möglichkeiten haben die Versorgung derartiger Patienten revolutioniert, da die Ärztinnen und Ärzte auf diese Weise nur die epidemiologischen und klinischen Faktoren berücksichtigen, deren Abklärung tatsächlich sinnvoll ist (klinische Prädiktoren der möglichen Erkrankungen). Dazu zählen neben den typischen klinischen Anzeichen einer bestimmten Erkrankung (z.B. einem Exanthem bei einer Rickettsiose) das bereiste geographische Gebiet, der exakte chronologische Ablauf der Ereignisse (minimale und maximale Inkubationszeit), die während der Reise unternommenen Aktivitäten, das Vorhandensein einer lokalen Epidemie usw. Einige dieser Faktoren können während der Anamnese oder der klinischen Untersuchung in Erfahrung gebracht werden, andere hingegen erfordern ein dynamisches Vorgehen mit der Konsultation von Datenbanken und einer beständigen epidemiologischen Überwachung.
Anhand der klinischen Faktoren eines bestimmten ­Patienten kann für jede Erkrankung eine (Vortest-)Wahrscheinlichkeit berechnet werden, nach der bestimmt wird, welche Labortests relevant sind. Wenn beispielsweise die Vortestwahrscheinlichkeit für Malaria bereits erhöht ist und ein Malariatest möglicherweise nicht schnell genug durchgeführt werden kann, sollte dem Patienten eine Therapie auf Verdacht vorgeschlagen werden.

Elektronische Hilfsmittel: unentbehrliche dynamische Tools in der «Big-Data»-Welt

Angesichts der zahlreichen zu berücksichtigenden und intelligent zu kombinierenden Parameter, um die oben genannten Entscheidungen treffen zu können, stellen elektronische Hilfsmittel für Ärzte eine wertvolle Bereicherung dar, welche die medizinische Praxis in den kommenden Jahren mit Sicherheit verändern wird. ­Interaktive Computersysteme, welche die Ärztinnen und Ärzte bei der Entscheidungsfindung unterstützen und in Echtzeit auf die epidemiologische Situation und/oder neue Erkenntnisse zugreifen können, sind in einer Welt, in der sich die Erkenntnisse derart schnell verändern und die Menge der verfügbaren Daten explodiert («big data»), unentbehrliche dynamische Werkzeuge. Sie ermöglichen es ferner, den Patientinnen und Pa­tienten eine personalisierte Medizin anzubieten, die sich stets mindestens im gleichen Masse nach den phänotypischen und Umweltfaktoren wie nach den genetischen Parametern richten sollte. Auf diese Weise kann die Versorgung der Patienten deutlich optimiert werden. Die kostenlosen Websites www.fevertravel.ch (zur Bestimmung der Versorgung des Patienten) oder www.kabisa.be (eher für didaktische Zwecke geeignet) sind Beispiele für diese Entwicklung. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche andere Apps und Websites, die reisemedizinische Dienstleistungen anbieten, jedoch ist es in jedem Fall wichtig zu prüfen, ob diese von Gesundheitsfachleuten entwickelt und idealerweise an der Zielpopulation validiert wurden.

Die zunehmende Resistenzbildung bei Mikroorganismen nicht vergessen

Wie Dr. A. Neuymar et al. [1] in dieser Ausgabe des Swiss Medical Forum hervorheben, sind die oben genannten klinischen und paraklinischen Parameter zwar wichtig, es dürfen jedoch auch die zunehmende Resistenzbildung bei Mikroorganismen und die in den letzten zehn Jahren veränderten Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten nicht vergessen werden. Multiresistente Keime sind ebenso zahlreich wie Reisende in fernen Ländern. Aufgrund der deutlich geringeren Kosten bestimmter ­chirurgischer (oder zahnärztlicher) Eingriffe respektive medizinischer Behandlungen im Ausland hat der ­«Medizintourismus» einen raschen Aufschwung erfahren, was entsprechende Komplikationen nach sich zieht. So bringen Patiententouristen mitunter einige Betalaktamase mit erweitertem Spektrum bildende Enterobakterienarten als Souvenir mit, die bei der Aufnahme in Schweizer Gesundheitseinrichtungen rasch aufgespürt werden müssen.
Neben dieser neuen Bakterienpopulation gibt es auch eine neue Population Patiententouristen, nämlich in geringerem oder stärkerem Masse immunsupprimierte Personen. Diese können von opportunistischen Tropenkrankheiten betroffen sein, die zusätzlich zu den üblichen Tropenkrankheiten abgeklärt werden müssen.
Für die Grundversorger stellt dies keine leichte Aufgabe dar. Daher können sie die neuen digitalen Tools nutzen, sich aber auch nach wie vor an die traditionellen Fachärztinnen und Fachärzte für Tropenmedizin wenden, die nicht nur hinter einem Bildschirm zu suchen, sondern immer auch echte Menschen sind …
Ich möchte Frau Prof. Dr. med. Valérie D’Acremont für Ihren Beitrag zu diesem Editorial danken.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. Blaise Genton
Département de médecine
Centre hospitalier ­universitaire vaudois (CHUV)
Bugnon 44
CH-1011 Lausanne
blaise.genton[at]chuv.ch
1 Neumayr A, Stöckle M, Künzli E, Kling K, Sydow V, Labhardt N, et al. Fieber bei Reiserückkehrern. Schweiz Med Forum. ­2018;18(16):345–54.