a Praxis Diamon – Institut für Diabetes, Hormone, Schilddrüse und Adipositas, Baden-Dättwil; b Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus, Kantonsspital Aarau
Elektive Zuweisung einer 33-jährigen Patientin zur Abklärung einer Gewichtsabnahme und Hyponatriämie. Die Patientin fühle sich zudem häufig wie kurz vor dem Kollaps.
Hintergrund
Eine adrenale Krise ist eine lebensbedrohliche Präsentation einer Addison-Erkrankung. Meist stellen sich die Patientinnen und Patienten mit unspezifischen oder irreführenden Symptomen wie Schwäche, Gewichtsverlust, Elektrolytverschiebungen, psychischen Auffälligkeiten oder akutem Abdomen vor. Die rasche Glukokortikoidsubstitution ist zentral.
Fallbericht
Anamnese
Elektive Zuweisung einer 33-jährigen Patientin durch die Hausärztin bei Gewichtsabnahme und Hyponatriämie. Die Patientin beklagt einen kontinuierlichen Gewichtsverlust von total 18 kg über eineinhalb Jahre. Häufig fühlte sie sich wie kurz vor dem Kollaps. Ausgeschlossen wurden bereits ein Diabetes mellitus sowie eine Schilddrüsenerkrankung. Vor vier Monaten erfolgte eine Gastroskopie inklusive Abklärung auf Sprue bei Bauchschmerzen, die unauffällig war. Am Vorstellungstag beklagte die Patientin neu Muskelschmerzen. Auf Nachfrage berichtete sie, im Rahmen von körperlicher Überanstrengung zweimalig erbrochen zu haben und bei Lagewechsel Schwindel zu verspüren.
Status
Untergewichtige Patientin (Grösse 158 cm, Gewicht 45 kg, Body-Mass-Index 18 kg/m2) mit Tachykardie (Blutdruck 114/78 mm Hg, Puls 104/min regelmässig), im Liegen leere Halsvenen als Ausdruck der Dehydratation. Die weitere klinische Untersuchung war unauffällig. Insbesondere liessen sich keine hyperpigmentierten Handlinien oder enoralen Auffälligkeiten finden bei insgesamt jedoch stark gebräunter Patientin.
Befunde und Diagnose
In der Laboruntersuchung ergab sich eine schwere hypoosmolare Hyponatriämie von 109 mmol/l (Norm 136–146 mmol/l; Osmolalität 234 mosm/kg) ohne Hyperkaliämie oder Azidose. Die restlichen Laborparameter lagen innerhalb des Referenzbereiches. Bei Verdacht auf Nebenniereninsuffizienz wurde ein 250 μg-Synacthen-Test durchgeführt, der mit einem Cortisol basal von 77 nmol/l und stimuliertem Cortisol von 88 nmol/l hochpathologisch ausfiel (Norm basal 140–700 nmol/l, nach Stimulation >550 nmol/l). In der weiterführenden Abklärung ergab sich folgende Konstellation: ACTH >1250 ng/l (adrenokortikotropes Hormon; Norm 10–60 ng/l), Anti-Nebennierenrinden-Antikörper 320 (Norm negativ) und 21-Hydroxylase-Antikörper 350 U/l (Norm negativ), Plasma-Renin >500 mU/l (Norm liegend 1,6–41 mU/l).
Bei der primären Nebennierenrindeninsuffizienz liegt eine Störung am Ursprungsorgan der Nebenniere vor. Die stimulierenden Hormone sind erhöht (ACTH, Renin). Ist der Defekt im Regelkreis auf Höhe der Hypophyse (wie bei Hypophysenadenomen, Hypophysenapoplex oder Infiltration der Hypophyse durch granulomatöse Erkrankungen), spricht man von einer sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz durch Ausfall der kortikotropen Achse (ACTH tief).
Zusammenfassend wurde bei typischer Klinik, pathologischem Synacthen-Test und deutlich erhöhtem ACTH und Renin die Diagnose einer primären, autoimmunen Nebennierenrindeninsuffizienz, genannt Morbus Addison, gestellt. Weitere Autoimmunendokrinopathien (Typ-1-Diabetes, Hypogonadismus, Autoimmunthyreoiditis) und assoziierte Autoimmunkrankheiten (Autoimmungastritis, Vitiligo) konnten ausgeschlossen werden.
Therapie
Die Patientin wurde zum Monitoring bei schwerer Hyponatriämie mit regelmässiger Elektrolytbestimmung und zur gezielten Korrektur mit intravenöser Hydrierung auf die Überwachungsstation aufgenommen. Nach Diagnosestellung erfolgte eine sofortige intravenöse Hydrocortisonsubstitution in Form von Solucortef® 100 mg, gefolgt von 2 × 50 mg über 3 Tage. Im Verlauf Wechsel auf eine orale Substitution der Glukokortikosteroide mit Hydrocortison (Hydrocortone®) und Ergänzung der Mineralokortikoide mit Fludrocortison (Florinef®).
Verlauf
Unter oben genannten Massnahmen konnte am Tag 3 bereits ein steigendes Natrium von 123 mmol/l gemessen werden. Der weitere Verlauf war komplikationslos und die Patientin wurde in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen. In der Kontrolle im endokrinologischen Ambulatorium drei Wochen später berichtete die Patientin von einer guten Leistungsfähigkeit und regelmässiger sportlicher Aktivität. Im Status zeigten sich eine Gewichtszunahme (+3 kg) und ein normalisiertes Natrium (140 mmol/l) unter Hydrocortone® 10 mg 1-0,5-0 und Florinef® 0,1 mg 0,5-0-0. Neben Abgabe eines Notfallausweises (Abb. 1) und Instruktion bezüglich Addison-Krise erfolgte die Schulung der Patientin im Beisein des Ehemannes zur Selbstinjektion von Solucortef® im Notfall (in den mittleren Teil des äusseren Oberschenkels, siehe Symbolbild Abb. 2). Hierfür eignen sich als Hilfsmittel die Broschüre der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) und Merkblätter sowie Videos [6].
Diskussion
Die Nebenniereninsuffizienz kann einfach diagnostiziert und therapiert werden, ist aber unerkannt oder zu spät behandelt potenziell letal [1]. Häufig muss die Therapie bereits vor Vorliegen aller Testresultate oder Laborkontrollen gestartet werden. Die Hyponatriämie wird bei 80–90% der Patientinnen und Patienten gefunden und kann die Erstmanifestation als Ausdruck der adrenalen Krise sein [2]. Die Hyponatriämie wird durch den Mineralokortikoidmangel sowie durch eine inadäquate Ausschüttung des antidiuretischen Hormons ([ADH]; Cortisolmangel-vermittelt) verursacht. Aus dem Mineralokortikoidmangel resultiert ein renaler Verlust von Natrium und Volumen. Meist besteht keine Hyperkaliämie durch den oralen Verlust beim Erbrechen (Darstellung der klinischen Präsentation in Tab. 1). Die Krise wird mittels intravenöser Flüssigkeitszufuhr (0,9% Kochsalzlösung oder zur Korrektur der möglichen Hypoglykämie mit Mischinfusion Glukose/NaCl) und intravenöser Glukokortikoidgabe behandelt. Hochdosiertes Hydrocortison hat zusätzlich eine mineralokortikoide Wirkung, sodass initial noch kein Fludrocortison gegeben werden muss.
Tabelle 1: Klinische Präsentation der Nebennierenrinden(NNR)-Insuffizienz (modifiziert nach [4]).
Erhöhte MSH-Sekretion und weitere POMC-Spaltprodukte (wie gesteigertes ACTH): führt zu Hyperpigmentierung von Handlinien, Narben, Schleimhäuten oder Areola der Brust
Mangel an DHEA bei Frauen (adrenales Androgen): Verlust Achsel- und Schambehaarung, verminderte Leistungsfähigkeit und Libido, rauhe trockene Haut, ängstlich depressive Stimmungslage
Sekundäre NNR-Insuffizienz
Kein Mineralokortikoidmangel
Fehlende ACTH-Stimulation und somit keine MSH-Sekretion: blass, Alabaster-Haut
Ausfall weiterer hormoneller Achsen durch Mangel an Steuerhormonen TSH, FSH/LH, GH, ADH (sek. Hypothyreose, sek. Hypogonadismus, GH-Mangel, Diabetes insipidus)
Idealerweise wird direkt vor Therapiebeginn ein ACTH-Stimulationstests (Synacthen-Test) durchgeführt. Ist dies nicht möglich, kann ein basales Cortisol gemessen werden. Bei einem basalen Cortisol von unter 80 nmol/l besteht schon der hohe Verdacht auf eine adrenale Insuffizienz. Zur Abgrenzung einer primären von einer sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz sollte ergänzend bestimmt werden: ACTH, Aldosteron und Plasma-Renin (siehe Abklärungsalgorithmus Abb. 3).
Den Synacthen-Test gibt es in unterschiedlicher Dosierung: «Low-dose» beträgt er 1 μg und «high dose» 250 μg (Standard). Da eine Antwort der langsam atrophierenden Nebenniere durch hohe ACTH-Stimulationsdosen provoziert werden kann, wird der «Low-dose»-Test insbesondere zur Suche nach einer sekundären Nebenniereninsuffizienz (Hypophysenpathologie) verwendet, um eine höhere Sensitivität zu erzielen. Der dynamische Stresstest mittels Insulin-Hypoglykämie wird heute seltener angewendet, da er aufwändiger ist und eine strenge Überwachung braucht unter Beachtung der Kontraindikationen (koronare Herzkrankheit, bekannte Krampfanfälle, zerebrovaskuläre Insuffizienz).
Bei uns sind >80% der primären Nebennierenrindeninsuffizienzen autoimmun bedingt. Seltener findet man sie im Rahmen einer Infektionskrankheit (wie Tuberkulose) [3], bei Metastasen, bei Einblutung oder Infarkten und Medikamenten. Die Addison-Krankheit hat insgesamt eine niedrige Prävalenz von maximal 140 Patienten pro 1 Million im Westen. In über 80% der autoimmun bedingten Nebennierenrindeninsuffizienz findet man positive Antikörper für Anti-21-Hydroxylase. Das weibliche Geschlecht ist mit 70% prädominant bei den polyglandulären Autoimmun-Syndromen, nicht jedoch bei der isolierten Form. Ungefähr die Hälfte aller Patientinnen und Patienten hat noch andere autoimmune endokrine Störungen (polyglanduläre Autoimmunsyndrome, siehe Tab. 2). Bei der primären Insuffizienz bestehen sowohl ein Glukokortikoid- wie auch ein Mineralokortikoidmangel. Daraus folgt auch die Substitution von Hydrocortison sowie Fludrocortison [4]. Eine übliche Tagesdosis von Hydrocortison beträgt 15–25 mg auf zwei Dosen aufgeteilt (⅔ morgens, ⅓ mittags), um der zirkadianen Rhythmik nahe zu kommen. Fludrocortison wird meist in einer Dosis von 0,05–0,1 mg täglich verabreicht. Wichtig ist insbesondere, die Patientinnen und Patienten zu instruieren, bei Stress und Krankheit die Dosis zu steigern (2- bis 3-fache Dosis oral oder bei Krise rektale Glukokortikoidsuppositorien, Selbstinjektion subkutan). Vor Operationen müssen vorhergehend die betreuenden Ärztinnen und Ärzte informiert werden, damit eine intravenöse Stressdosis (Mehrfaches der üblichen Dosis) verabreicht werden kann. Die Patientinnen und Patienten erhalten einen Notfallausweis, den sie jederzeit auf sich tragen sollen.
Tabelle 2: Polyglanduläre Autoimmunsyndrome, Gewichtung mit fetter Hervorhebung(vereinfacht nach [5]).
Polyglanduläres Autoimmunsyndrom Typ 1 (APECED), selten (v.a. Kinder)
• Die rasche Substitution von Hydrocortison bei Addison-Erkrankung mit Addison-Krise ist lebensrettend und muss manchmal sogar vor der abgeschlossenen Diagnostik erfolgen.
• Um weitere Addison-Krisen im Verlauf der Krankheit zu verhindern, ist eine Sensibilisierung und angemessene Schulung von Patienten und Angehörigen für die Erkennung typischer Kortisolmangelsymptome zentral. Damit kann frühzeitig die Hydrocortisondosis adaptiert werden und eine Notfall-Injektion erfolgen.
Disclosure statement
Die Autorinnen haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Korrespondenz
Dr. med. Julia Kempf Assistenzärztin Diamon – Institut für Diabetes, Adipositas, Hormone und Schilddrüse Mellingerstrasse 207 CH-5405 Baden julia.kempf[at]ksa.ch
Literatur
1 Bancos I, Hahner S, Tomlinson J, Arlt W. Diagnosis and management of adrenal insufficiency. Lancet Diabetes Endocrinol. 2015;3(3):216–26.
2 Maguet H, Carreau A, Hautefeuille S, Bonnin P, Beaune G. An Addison disease revealed with a serious hyponatremia. Ann Biol Clin (Paris). 2017;75(1):87–91.
3 Streuli SB, Cavelti-Weder C, Meienberg F, Bühler C, Grendelmeier P. AZ-Verschlechterung unter tuberkulostatischer Therapie. Schweiz Med Forum. 2017;17(43):932–5.
4 Borm K, Reisch N, Reincke M. Hormonsubstitution bei primärer und sekundärer Nebenniereninsuffizienz. Nieren- und Hochdruckkrankheiten. 2003;32(10):466–73.