Die kürzliche Attacke mit der Substanz Novichock auf den früheren russischen Doppelagenten Sergei Skripal und seine Tochter in Salisbury (GB) gibt Anlass, Folgendes in Erinnerung zu rufen:
– Folge davon ist ein Anstieg des Neurotransmitters Acetylcholin im synaptischen Spalt mit primärer Überstimulation (Exzitotoxizität) und sekundärer Deregulierung der entsprechenden Rezeptoren.
– Novichock (russisch: Neuankömmling) ist ein speziell stark wirkendes Nervengift in Pulverform (es wurde auf Haut und Kleidern der Opfer gefunden).
– Die häufigsten Nervengifte sind Sarin, Soman und Substanz X/VX, u.a. in Syrien eingesetzt.
– Substanz X/VX wurde in Cremeform ins Gesicht des Halbbruders des nordkoreanischen Diktators eingebracht (Tod innert 20 Minuten).
– Erste Gegenmassnahmen: Haut waschen, Atropin, Sedativa, Antiepileptika, Spital (wenn vorhanden …, vorherige Dekontamination!).
– Cave: Da Organophosphate durch die Haut von aussen nach innen und umgekehrt dringen können, sollte sich der Erste-Hilfe-Leistende auch bei Kontakt mit durch Ingestion vergifteten Personen schützen (Handschuhe, Mundschutz …).
BMJ. 2018. https://doi.org/10.1136/bmj.k1179.
Verfasst am 19.03.2018.
Praxisrelevant
«All in one» zur Reduktion von Exazerbationen bei der COPD (TRIBUTE)?
In einer prospektiv randomisierten, doppel-blind-kontrollierten Studie wurde bei PatientInnen mit COPD der Effekt auf die Exazerbationen einer Dreifachkombination (topisches Glukokortikoid, Anticholinergikum und β-Agonist) in einem einzigen Inhalationsgerät verglichen mit einer dualen Therapie (Anticholinergikum und β-Agonist). Von 2103 untersuchten PatientInnen konnten 1532 randomisiert und dann ausgewertet werden. Nach einem Jahr wies die Gruppe mit der Tripeltherapie marginal statistisch signifikant weniger mittel- bis schwergradige Exazerbationen auf (0,5 versus 0,59 pro Patient und Jahr, p = 0,043). Die Zahl der Nebenwirkungen war vergleichbar (klein). Wir sollten für Praxisänderungen noch die Resultate einer bald zu publizierenden ähnlichen Studie (IMPACT) abwarten.
Verhinderung des «mucus plugging» bei intubierten PatientInnen
Bei intubierten, künstlich ventilierten PatientInnen kann das sog. «mucus plugging» zusammen mit einer eingeschränkten mukoziliären Clearance, Austrocknung der respiratorischen Mukosa sowie einem inadäquaten Hustenreflex zu Bronchoobstruktion, Atelektasen und Ventilator-assoziierter Pneumonie führen. Im Rahmen der sog. NEBULAE-Studie wurden PatientInnen, die bei Bedarf (visköse Schleimabsonderung) ein Mukolytikum (Azetylcystein) und/oder bei exspiratorischen Nebengeräuschen («wheezing») einen β-Agonisten (Salbutamol) erhielten, verglichen mit PatientInnen, bei denen eine zweifache Kombinationstherapie mit den genannten Substanzen routinemässig appliziert wurde, sobald ersichtlich war, dass die Intubation mehr als 24 Stunden andauern würde. Die bedarfsgerechte Therapie war nicht schlechter als die Routinetherapie.
Das Epithel der Mukosa des Magen-Darm-Traktes hat im Wesentlichen drei Funktionen: (1) Beitrag an die Integrität des Organs durch Zelladhäsionen, (2) Barrierefunktion zur Kontrolle/Verhinderung der Aufnahme z.B. von Wasser und Elektrolyten oder von Bakterien und (3) Sensor- oder Signalübermittlung (z.B. vermutet man u.a. einen intestinalen Sensor für Kalium, welcher zur systemischen Homöostase von Kalium beiträgt).
Gerade drei Publikationen zeigen nun die Wichtigkeit der Barrierefunktion anhand experimentell induzierter Störungen. Summarisch zusammengefasst, wurde folgendes beobachtet:
– Die Ausschaltung eines Prädispositionsgens (C1orf106) für entzündliche Darmerkrankungen führte zu einer gestörten Barrierefunktion, konsekutiv zu einer Stimulierung der Darmwandentzündung und Verschlechterung der entzündlichen Darmerkrankung [1].
– In Modellorganismen mit Prädisposition für systemische Autoimmunerkrankungen kann die intestinale Infestation mit pathogenen Darmkeimen zu einer Barrierestörung und Transport bakterieller Substanzen in die Lymphknoten und Leber und konsekutiv zu Schüben der autoimmunen Erkrankung führen (z.B. Lupus erythematodes [2]).
– Die chronische Hyperglykämie (Mäuse) kann via inkomplett verstandenen, aber mit dem Glukoseaufnahmeprozess (Glukose-Transporter [Glut2]) zusammenhängenden Mechanismen die intestinale Barrierefunktion stören und dadurch – zumindest teilweise – eine systemische Entzündungsreaktion und systemische Infektneigung bei Adipositas und schlecht kontrolliertem Diabetes mellitus erklären [3].
Rosalyn S. Yalow (1977 Trägerin des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin für ihre Leistungen zum Radioimmunoassay, der zuerst die Endokrinologie, dann andere Fachgebiete der Medizin revolutionierte) berichtete 1960 über einen Radioimmunoassay für Insulin, der bis zu 1 μU Insulin in lediglich 10–20 μl Plasma nachweisen konnte. Der Test verwendete Anti-Insulin-Antikörper von Kaninchen, die vorgängig mit bovinem Insulin geimpft worden waren. In vitro wurde dann das Ausmass der Kompetition um die Bindung durch diese Antikörper von humanem Insulin (im Plasma) mit radioaktiv markiertem, zugefügten Rinderinsulin (I131) analysiert. In der gleichen Arbeit findet man u.a. auch eine beeindruckende Proportionalität über eine Verdünnungsreihe von 1:2 zu 1:100, Resultate der Insulinantwort auf eine orale Glukosebelastung sowie eine Abschätzung der täglichen Insulinproduktionsrate (55 U).
Bei einer der Formen des Tinnitus löst ein exzessives Lärmsignal einen Schaden cochleärer Zellen aus. Sekundär können hyperaktive, synchron arbeitende Zellen im Hirnstamm (sog. fusiforme Zellen) zu persistierenden Signalen ans «höhere» Gehirn führen, das dieses als akustisches Signal interpretiert, auch wenn kein solches vorliegt. Mittels einer täglichen, 30-minütigen bimodalen Stimulation während 4 Wochen (Schall und milde elektrische Impulse via spezielle Kopfhörer) war man in der Lage, die Tinnitus-Intensität um 12 dB (!) zu senken. Diese Methode wird ab August 2018 prospektiv untersucht werden. Ein potentiell grosser Fortschritt!
Verändern Interessenskonflikte den Inhalt von Lehrbuchkapiteln?
Die (zu Recht) hochgelobte und auch kurz und bündig geschätzte «Bibel» der Inneren Medizin (Harrison’s Principles of Internal Medicine) erscheint in ihrer bereits 20. Auflage. Nun dies: Zwischen 2009 und 2013 erhielten die Kapitelautoren dieser Auflage insgesamt 11 Mio. US-Dollar von Medikamenten- und Geräteherstellern. Im Gegensatz zu Originalpublikationen findet man in diesem Lehrbuch keine Deklaration der Interessensbindungen. Es gab wie überall auch hier einsame Spitzenverdiener … Andererseits: Es hat sich eingeschlichen, sich einiges zu leisten, wenn es nur deklariert wird. Verhaltensänderungen, nicht blosse Deklarationen, bräuchte die junge Generation von ÄrztInnen!
Kurz und bündig macht Prof. Dr. Reinhard Saller (Zürich) darauf aufmerksam, dass es im «Gummi arabicum» (siehe SMF 2018, Heft 10 [1]) weder Lakritze noch Glyzyrrhetinsäure gibt. Gummi arabicum besteht vielmehr aus einer Mischung unterschiedlicher Polysaccharide (80–90%) und Proteine (10–15%). Es ist eine luftgehärtete, gummiartige Ausscheidung aus Stamm und Ästen einer Akazie (Acacia oder Senegalia senegal und anderer Arten, Abb. 2). Gummi arabicum wird als Hilfsstoff (Emulgator, Stabilisator, Dickungsmittel) in der Lebensmittel-, Kosmetik- und Pharmaindustrie verwendet. Vielen Dank!