Das 100 000-Genom-Projekt: eine Erfolgsgeschichte
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Das 100 000-Genom-Projekt: eine Erfolgsgeschichte

Kurz und bündig
Ausgabe
2018/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03307
Swiss Med Forum. 2018;18(23):477-478

Publiziert am 06.06.2018

Fokus auf … Oralem Volumenersatz

Korrekte Begriffe verwenden: Extrazelluläres Volumendefizit ist nicht gleich Dehydratation (Dehydration ist Wassermangel, der möglich ist bei Hypo-, Eu- und Hypervolämie).
Indikationen oral: akute Gastroenteritis, Hyperemesis gravidarum, virale Luftwegsinfekte / Pharyngitis (inkl. «Grippe»), milder Volumenmangel*.
Kontraindikationen oral: schwerer Volumenmangel, ­orale Zufuhr grundsätzlich unmöglich/kontraindiziert.
Supportiv: Schmerzmittel (Dysphagie), Antiemetika bei Nausea/Vomitus 20 Minuten vor Trinkbeginn.
Trinkrhythmus: 2 Schlucke oder 30 ml alle 3–5 Minuten (Kon­trolle durch Smartphone, Angehörige, Pflegefachpersonen).
Trinklösung: orale Elektrolytlösung (allenfalls mit Geschmacksstoffen), verdünnte Sportgetränke oder Fruchtsäfte, allenfalls auch dekarbonisierte Cola-Getränke (Glas halb füllen, Streuzucker dazugeben, nicht rühren).
Wechsel auf intravenöses Protokoll falls nötig.
Für Protokollbeispiel und Implentierungshinweise siehe die Referenz!
* Mildes Volumendefizit: formell <5% Gewichtsreduktion; klinische Zeichen: Durst, Orthostase (sitzenden/stehenden Blutdruck messen!), Halsvenen kollabiert unter 45 Grad, abnehmende Mengen konzentrierten Urins, Schwindel, Schwächegefühl.
N Engl J Med 2018, doi: 10.1056/NEJMp1801772.
Verfasst am 27.04.2018.

Praxisrelevant

Das 100 000-Genom-Projekt: 
eine Erfolgsgeschichte

Seit 2013 läuft ein ambitiöses Projekt in England durch die Firma «Genomics England» (im Besitz der englischen Regierung), mit dem Ziel, das gesamte Genom bei 100 000 Patient­Innen zu sequenzieren. Die Selektion berücksichtigt im Wesentlichen PatientInnen und deren Familien mit seltenen Erkrankungen (Inzidenz <1 pro 2000 Menschen, meist sogenannte Einzelgenmutationen) sowie Patient­Innen mit häufigen Tumorerkrankungen. Eine Zwischenanalyse zeigt, dass bis April 2018 bereits Genome von 55 000 Personen ­sequenziert wurden. Die Diagnostik seltener Erkrankungen wurde stark beschleunigt und TumorpatientInnen profitierten von der personalisierten Auswahl der Krebstherapie.
Für die Schweiz kann als Vorbild dienen, dass im Rahmen dieses Projektes die Eingabe klinischer Daten verbessert und genauer wurde, aber auch dass die Interpretation genomischer Daten standardisiert und präzisiert wurde. Schon Ende 2018 wird das «National Health System» (NHS) flächendeckend einen nationalen Dienst für Genomische Medizin (Tumorerkrankungen und seltene Erkrankungen) etablieren. Ein Weckruf an die Schweiz!
Verfasst am 30.04.2018.

Für ÄrztInnen am Spital

Aus der Not eine Tugend machen

Jedem Besucher der Karibikinsel Puerto Rico muss aufgefallen sein, wie viele Pharmakonzerne als Folge des tiefen Lohnniveaus ihre Produktionsstätten in diesem Land haben. Wieder einmal rächt sich eine schlechte, weil einseitige, Risikoverteilung: Hurrikan «Maria» (Abb. 1) hat seit September 2017 die Versorgungslage in den USA an intravenös applizierbaren Lösungen zur Volumenrepletion durch Destruktion der Produktionsstätten dekompensieren lassen. Regulative Vorschriften, teure Qualitätstestungen und relativ geringe Preise hatten die Versorgung schon seit 2014 erschwert. Wir sollten uns deshalb erinnern – und entsprechend handeln–, dass die orale Volumenrepletion billiger ist, selber die Mortalität zum Beispiel von Cholera von 30 auf 1% reduziert und bei volumendepletierten Kindern mit Gastroenteritis äquivalent mit der intravenösen Substitution ist. Sie führt auch zu weniger stationären Aufnahmen ab der Notfallstation und – wenn trotzdem nötig – zu kürzeren Spitalaufenthalten. Die 59-Betten(!)-Notfallstation des «Peter-Bent-Brigham Hospital» (Boston) versorgt pro Jahr 62 000 PatientInnen und verbraucht fast 20 000 Liter intravenösen Volumenersatzes (⅓ des Gesamtspitals). Diese Menge konnte durch Implementierung eines entsprechenden Standards um ca. 30% reduziert werden (siehe «Fokus auf …»).
Abbildung 1: Hurrikan «Maria» trifft im September 2017 in Puerto Rico auf Land 
(© Lavizzara | Dreamstime.com).
N Engl J Med 2018, doi: 10.1056/NEJMp1801772.
Verfasst am 27.04.2018.

Neues aus der Biologie

Dem Nierenzellkarzinom auf der Spur

Das Nierenzellkarzinom ist der siebthäufigste solide Tumor, seine Inzidenz hat sich in den letzten knapp 50 Jahren vor allem in westlichen Ländern verdoppelt (jährlich ca. 300 000 Neudiagnosen weltweit pro Jahr). Der häufigste Subtyp ist das hellzellige Nierenzellkarzinom mit beachtlichen, bislang nicht vorhersehbaren Unterschieden in seinem klinischen Verlauf.
Im Rahmen des sogenannten «TRACERx Renal»-Konsortiums (auch dies in Grossbritannien!) wurden diese Tumoren genetisch/genomisch genauer untersucht und mit dem klinischen Verlauf verglichen. Dabei wurden neue sogenannte «driver»(Antreiber)-Muta­tionen identifiziert, die den Zeitraum zwischen der frühen klonalen Expansion und der klinischen Erkrankung (sehr variabel zwischen ca. 15 bis 50 Jahren!) beeinflussen. Weiterhin fand man eine gute Korrelation zwischen den genetischen Subtypen (man hat diese Neoplasie neu in 6 Subgruppen eingeteilt) und dem klinischen Verlauf. Zudem konnte man genetische Risikofaktoren für eine Metastasierung identifizieren. Interessanterweise waren dies vor allem Chromosomenverluste (9 p und 14 q) und nicht die oben erwähnten «driver»-Muta­tionen. Viel und berechtigte Hoffnung ist geweckt auf Frühdiagnosen und massgeschneiderte Therapiepläne.

Immer noch lesenswert

Parazentese mit intravenöser Albumingabe

Vor 30 Jahren berichtete die dann führend gewordene Hepatologie-Gruppe um Pere Ginès (Barcelona) – etwas tiefstapelnd als Fallbericht (Patientenzahl immerhin 105) – über einen prospektiven Vergleich grossvolumiger, bei Bedarf repetitiver Parazentesen (4–6 l/Tag) bei Leberzirrhose und Aszites mit oder ohne intravenöse Albuminin­fusion (40 g/Punktion). Nur PatientInnen ohne Albumininfusion entwickelten eine signifikante Nierenfunktionsstörung und Hyponatri­ämien und als partielle Basis dafür eine Akzentuierung des sekundären Hyperaldosteronismus.
Gastroenterology 1988, doi.org/10.1016/0016-5085(88)90691-9.
Verfasst am 01.05.2018.

Das hat uns gefreut oder vielleicht auch nicht

Schweizer Privatbank als Mitstreiter gegen Tuberkulose, AIDS und Malaria

Der sogenannte «Global Fund» (beheimatet in Genf) besteht seit 2002 und investiert gemäss eigenen Angaben etwa 4 Milliarden Dollar in lokale (Drittwelt-)Programme zur Bekämpfung der in der Überschrift erwähnten Infektionskrankheiten. Er ist eine Partnerschaft zwischen Regierungen, Stiftungen, PatientInnen und privaten Investoren. Unter letzteren finden sich gemäss Ankündigung am «2018 World Economic Forum» von Davos neben Heineken, Unilever auch die Schweizer Privatbank Lombard Odier. Grundsätzlich eine lobenswerte Allianz. Allerdings: Als Antwort auf die Aussage des «senior managing partner» von Lombard Odier («investors no longer need to choose between doing well and doing good») kommen nun aber eindringliche Fragen zu Interessenskonflikten auf, namentlich dem Verdacht, dass mit diesen sozialen Investitionen via den «Global Fund» das eigene Portemonnaie mitprofitieren könnte. Fortsetzungen folgen … wahrscheinlich.
Verfasst am 01.05.2018.

Auch noch aufgefallen …

Requiem für Fischöle

Eine Metaanalyse von zehn randomisierten Studien mit insgesamt fast 78 000, durchschnittlich 64-jährigen PatientInnen (61,4% Männer) mit koronarer Herzkrankheit ergab keinen Effekt einer sekundär-präventiven Gabe von Fischöl-Supplementen (Omega-3-Fettsäuren, 226–1800 mg Eicosapentaensäure pro Tag je nach analysierter Studie) auf tödliche und nichttödliche koronare Ereignisse und weitere Komplikationen der Arteriosklerose («major vascular events», [1]). Ein lesenswerter Kommentar («Another nail in the coffin of fish oil supplements») findet sich in Referenz 2. Sind Fischöle auch primär-prophylaktisch von irrelevanter Wirkung?
1 JAMA Cardiology 2018, 
doi: 10.1001/jamacardio.2017.5205.
Verfasst am 30.04.2018, auf Hinweis von Prof. K. Neftel (Gléresse).

Wussten Sie?

In der Annahme, dass die Schweizerische Ärzteschaft überproportional viele Gartenbesitzer, wenn auch in eher urbaner Umgebung, unter sich zählt, ist folgende Frage für diese Jahreszeit relevant:
Welches ist der optimale Schnittrhythmus für den häuslichen Rasen mit dem Ziel, den Bienen ein möglichst üppiges Mal zu bereiten?
a) Jede Woche
b) Jede 2. Woche
c) Jede 3. Woche
d) Nie schneiden, nur mulchen
e) Überhaupt nie
Für die Beantwortung dieser Frage soll die geneigte Leserschaft annehmen, die Schweiz sei in dieser Hinsicht mit dem Staat Connecticut (USA) vergleichbar. Antworten an: rkrapf[at]bluewin.ch.