Akuter ischämischer Hirnschlag
Intensivmedizinische Herausforderungen und Behandlung

Akuter ischämischer Hirnschlag

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2018/3031
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03334
Swiss Med Forum. 2018;18(3031):611-617

Affiliations
Inselspital, Universitätsspital, Bern
a Universitätsklinik für Neurologie; b Universitätsklinik für Intensivmedizin; c Universitätsklinik für Neurochirurgie

Publiziert am 25.07.2018

Eine effektive Behandlung der potentiell lebensbedrohlich betroffenen Hirnschlagpatienten erfordert ein engmaschiges klinisches und physiologisches Monitoring und medizinische wie gegebenenfalls chirurgische Interventionen.

Hintergrund

Laut WHO ist der Hirnschlag in Industrienationen die dritthäufigste Todesursache bei über 60-Jährigen und die fünfthäufigste in der Altersgruppe von 15 bis ­59 ­Jahren. Rund 15 Millionen Menschen erleiden jährlich einen Hirnschlag. In den letzten Jahren konnte die damit assoziierte Morbidität und Mortalität reduziert werden. Dies liegt nebst erheblichen Fortschritten in der Akuttherapie (intravenöse Thrombolyse, endovaskuläre Therapie), der Etablierung von Stroke Units und Stroke Centers (Klasse-I-Evidenz) auch an der optimierten intensivmedizinischen Behandlung der Hirnschlagpa­tientinnen und -patienten.
Ein akuter Hirninfarkt stellt eine potentiell lebensgefährliche Situation dar. Daher sollten Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf einen Hirnschlag so rasch als möglich per Rettungsdienst oder Helikopter an ein Spital mit einem Stroke Center oder einer Stroke Unit überwiesen werden. Ziel der Akuttherapie auf der Notfallstation ist die Minimierung des primären Hirnschadens, des Untergangs der Neuronen sowie die Verhin­derung von sekundären Hirnschäden. Nach der Akutbehandlung (mit/ohne intravenöse[r] Thrombolyse, endovaskuläre[r] Therapie) ist der primäre Ort der nachfolgenden Hirnschlagbehandlung die Stroke Unit. Auf die Intensivstation aufgenommen werden Patientinnen und Patienten (ca. 10% im Inselspital) mit einem (drohenden) lebensbedrohlichen Zustand. Die Behandlung richtet sich dort nach den Grundprinzipien der Neurointensivmedizin. Besonders im Fokus stehen die Sicherung der Atemwege und Ventilation, die Optimierung der Hämodynamik und des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts, die Ursachenabklärung und Behandlung von Fieber, die glykämische Kontrolle, die Sekundärprophylaxe von thromboembolischen Ereignissen sowie das intensive Neuromonitoring. Letzteres hat das Ziel, drohende Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Bei Patientinnen und Patienten, die aufgrund ihrer ­Komorbiditäten und/oder ihres schlechten Allgemeinzustandes eine limitierte Lebenserwartung haben und wahrscheinlich nicht rehabilitationsfähig sind, soll die Indikation einer intensivmedizinischen Behandlung sorgfältig gestellt werden.

Ursachen sekundärer Hirnschäden mit potentieller Intensivstationspflichtigkeit

Hirnödem

Pathophysiologie

Durch eine Hirnischämie entsteht ein Energiemangel. Hierdurch versagt der ATP-abhängige Transport der Natrium- und Kalzium-Ionen durch die Zellmembran in den Extrazellulärraum. Die resultierende Depolarisation führt zum Einstrom von Chlorid-Ionen und zur Wasserverschiebung mit einer Verminderung der ex­trazellulären Flüssigkeit und Zellschwellung (= zytotoxisches Hirnödem). Neuronen, Glia- und Endothelzellen sind betroffen. Im Verlauf kommt es zur Störung der Bluthirnschranke. Proteine und andere Makromoleküle treten in den Extrazellulärraum aus und ziehen osmotisch Wasser mit sich. Der interstitielle Raum nimmt an Volumen zu (= vasogenes Hirnödem).
Das Hirnödem gehört zu den häufigsten Ursachen einer sekundären Schädigung des Gehirns, auch initial nicht betroffener Regionen. Die grösste Ausdehnung erreicht es in der Regel 24 bis 72 Stunden nach Hirnschlag (zum Zeitpunkt einer nicht mehr vorhandenen mit einer allfälligen Hemikraniektomie interkurrierenden initialen Thrombolytikumwirkung).
Ort und Volumen des Hirninfarktes mit Hirnödem sind entscheidend. Auch eine kleine Läsion kann bei ungünstiger Lage angrenzend an eloquente Hirnregionen einen relevanten sekundären Hirnschaden zur Folge haben. Mehrere Mechanismen spielen pathogenetisch eine Rolle: Ein Hirnödem kann durch eine Steigerung des intrakraniellen Drucks den zerebralen Blutfluss vermindern und/oder durch einen raumfordernden Effekt mit lokaler Massenverschiebung des Hirngewebes Hirngewebe komprimieren. Bei jedem zehnten bis zwanzigsten Patienten ereignet sich ein kompletter Hirninfarkt im Stromgebiet der (distalen) Arteria carotis interna und/oder der Arteria cerebri media. Dies ist das klassische Beispiel eines Hirninfarktes, der zu einem malignen Hirnödem führen kann. Das Risiko ist höher bei jungen Patientinnen und Patienten, da diese weniger Hirnatrophie und somit weniger Reserveraum haben. Auch eine Mitinfarzierung der Stammganglien, schlechte Kollateralgefässe, eine frühe Mittellinienverlagerung ≥4 mm und/oder ein >12 Stunden persistierender Grossgefässverschluss erhöhen das Risiko. Sequentiell kann es durch den raumfordernden Effekt zu einer lokalen Massenverschiebung des Hirngewebes mit Steigerung des intrakraniellen Drucks kommen, was eine Kompression der basalen Zisternen bedingen kann. Letztere kann bei stärkerer Ausprägung eine Hirnstammdysfunktion, eine Herniation mit Mittelhirneinklemmung sowie letztlich den Tod zur Folge haben.

Klinische und radiologische Befunde

Siehe Tabelle 1.
Tabelle 1: Klinische und radiologische Befunde des Hirnödems.
Klinische Befunde
Sekundäre klinische Verschlechterung mit progredienter Symptomatik einer Steigerung des intrakraniellen Drucks:
– Kopfschmerzen, Nausea und Vomitus, Unruhe, Bradykardie, Hypertonie, epileptische Anfälle und eine abnehmende Vigilanz
Einklemmungszeichen (im Verlauf):
– Pupillomotorikstörungen, Pyramidenbahnzeichen, zunehmende Paresen, neue Paresen ipsilateral zur Läsion, ­Streckkrämpfe, ein pathologisches Atemmuster, Rhythmusstörungen oder Kreislaufversagen
Klassische Herniationen:
– Cingulär (subfalxial): einseitige Verlagerung des Gyrus cinguli unter die Falx, oft Abklemmung der Arteria pericallosa 
mit ­frontomedialer Hirninfarzierung. Klinisch: Frontalhirnsyndrom.
– Lateralisiert transtentoriell (uncal): Verlagerung des medialen Temporallappens, v.a. des Uncus durch den Tentoriumschlitz, Kompression des Nervus oculomotorius, der Arteria cerebri posterior mit Hirninfarzierung okzipital/thalamisch, des Mittelhirns und des Hirnschenkels. Klinisch: Pupillenerweiterung (in ca. 85% ipsilateral, in ca. 15% kontralateral oder bilateral), 
okzipitale/thalamische Symptome, Mittelhirnsyndrom, motorische Hemisymptomatik (oft kontralateral).
– Zentral transtentoriell («downward»): Hirnstammkompression in Richtung Foramen magnum, Traktion der Arteria choroidea anterior mit Infarzierung im hinteren Schenkel der Capsula interna. Klinisch: initial diencephale Symptome: u.a. Cheyne-Stokes-Atmung, Temperaturregulationsstörung, dann Mittelhirnsyndrom, dann ev. Bulbärhirnsyndrom, ev. Diabetes insipidus, capsuläre Symptomatik.
– Aszendierend transtentoriell («upward»): Kompression des Mittelhirns, der Formatio reticularis, der Arteria cerebelli superior. Klinisch: rasche Bewusstseinsstörung, Okulomotorikstörung mit u.a. vertikaler Blickparese nach oben, Ataxie.
– Foraminal (tonsillär, «downward»): Herniation der Kleinhirntonsillen ins Foramen magnum, Kompression der Medulla oblongata. Klinisch: Bulbärhirnsyndrom, Atemstörungen, Kreislaufinstabilität.
Radiologische Befunde
Beginnende Raumforderungszeichen nach einem Hirninfarkt:
– Verstrichenes Oberflächenrelief, fehlende Abgrenzbarkeit v.a. der Inselzisterne sowie Kompressionszeichen der Ventrikel
Neuroradiologisches Vollbild eines malignen Hirninfarktes (Abb. 1):
– Ausgedehntes Infarktareal, massives Hirnödem mit Mittellinienverlagerung, Herniationszeichen und 
Mittelhirneinklemmung
Transkranielle B-Bild-Sonographie:
– Zuverlässige Bedside-Monitoring-Methode, falls ein Knochenfenster vorliegt.
– Werden die Distanzen der Duplex-Sonde bis zur Mitte des 3. Hirnventrikels von rechts und links gemessen, dann voneinander substrahiert und schliesslich halbiert, so sagt ein sogenannter Shift von >2,5 mm nach 16 Stunden einen malignen Verlauf und eine schlechte Prognose voraus.

Monitoring und Therapie des erhöhten ­intrakraniellen Drucks

Die invasive Messung des intrakraniellen Drucks wird beim Hirninfarkt wegen nicht belegten Nutzens nicht systematisch angewandt. Ausnahmen sind analogse­dierte Patientinnen und Patienten, die eingeschränkt klinisch beurteilt werden können, da die Aufwachversuche zu Spitzen des intrakraniellen Drucks führen könnten. Als Basismassnahmen bei drohendem erhöhten intrakraniellen Druck gelten die engmaschige klinische Überwachung von Atmung und Kreislauf, die Oberkörperhochlagerung (in der Regel 30°), ein Zielblutdruck von MAP >85 mm Hg, systolisch <220 mm Hg, eine ausreichende Schmerzbehandlung und die Normalisierung der Körpertemperatur. Hinsichtlich einer ­endotrachealen Intubation gelten die üblichen Intubationskriterien betreffs Vigilanz, Schluckstörung/Aspirationsgefahr und Hypoventilation. Wichtig ist auch das Vermeiden von Valsalva-Manövern: Es sollte auf eine Stuhlgangregulierung geachtet und bei beatmeten Patientinnen und Patienten der positive endexpiratorische Druck minimiert werden, um den intrathorakalen Druck zu reduzieren und den venösen Rückfluss zu verbessern. Als überbrückende Notfallmassnahme bis zur dekompressiven Kraniektomie kann eine Osmotherapie erwogen werden (Mannitol: Dosissteuerung via osmotische Lücke; hypertone Salzlösungen: Dosissteuerung via Natrium und Osmolalität). Auch eine Hyperventilation kann den erhöhten intrakraniellen Druck senken, da hierdurch das PaCO2 gesenkt wird. Dies bedingt eine zerebrale Vasokon­striktion und somit ein Senken des intrakraniellen Drucks. Der Effekt der Hyperventilation ist aber zeitlich begrenzt und die Hyperventilation kann das Hirnödem durch eine Beeinflussung des Säure-Basen-Haushaltes auch verschlechtern. Deshalb ist die Hyperventilation nur als Notfallmassnahme, kurzzeitig, bis zur Dekompression geeignet. Steroide haben in verschiedenen Studien keinen positiven, sogar einen negativen Effekt gezeigt. Sie werden entsprechend nicht empfohlen.
Bei malignem Hirninfarkt und alleiniger konservativer Therapie sterben rund vier von fünf Patientinnen/Patienten.

Dekompressive Hemikraniektomie 
supratentorieller maligner Infarkte

In der zusammenfassenden Analyse der prospektiven Studien (DESTINY II, Hemicraniectomy) konnte eine zeitnahe Hemikraniektomie (Abb. 2) bei <60-Jährigen mit malignem Media-Infarkt Überleben und Prognose signifikant verbessern. Die «number needed to treat» für Überleben betrug 2. Es erreichten 43% in der chirurgischen Gruppe und 23% in der konservativen Gruppe ein gutes klinisches Ergebnis (nach der modifizierten Rankin-Skala; mRS ≤3). Die höhere Anzahl Überlebender führte dabei nicht zu einer Zunahme von Patientinnen und Patienten in vegetativem Zustand (mRS 5), aber die Anzahl behinderter Personen, die keine funktionelle Unabhängigkeit erreichen und auf lebenslange Unterstützung und Betreuung angewiesen sind (mRS 4), stieg um mehr als das zehnfache an.
Abbildung 2: Nach inzwischen erfolgter dekompressiver Hemikraniektomie links (siehe Abb. 1) Verlaufsbildgebung am Folgetag mittels erneuter Computertomographie. Es stellt sich ein progredientes Hirnödem linkshemisphärisch dar. Die Patientin überlebte. In der klinischen Verlaufskontrolle nach 3 Monaten wies sie einen modifizierten Rankin-Score von 4 Punkten auf, d.h sie benötigte Hilfe bei der Körperpflege und konnte nicht ohne Hilfe gehen.
Bei beginnender Vigilanzabnahme oder anderen Zeichen des erhöhten intrakraniellen Drucks mit Hirn­ödemzunahme sollte eine Hemikraniektomie innert 48 Stunden erfolgen, um einer Herniation mit Hirnstammkompression und irreversiblem Schaden vorzubeugen. Die Indikation kann radiologisch gestellt werden. Bei jungen Patientinnen und Patienten oder hohem Risiko (grosse Hirninfarktareale) sollte eine prophylaktische Hemikraniektomie in Erwägung gezogen werden. Als Altersgrenze für die Indikationsstellung einer dekompressiven Hemikraniektomie gilt aufgrund der Studienlage meist <60 Jahre. Je höher das Alter, desto grösser ist das Risiko einer bleibenden Pflegebedürftigkeit. Das ausführliche Aufklärungsgespräch mit den Angehörigen und/oder dem Hausarzt zur Evaluation des mutmasslichen Patientenwillens ist hinsichtlich eines aktiven Vorgehens entscheidend. Als Kontraindikationen gelten in der Regel eine bilaterale, licht­starre, nicht medikamentös bedingte Mydriasis mit Koma, eine schwere Komorbidität und/oder eine schwere vorbestehende Behinderung, ein Vorliegen von >3 ungünstigen prognostischen Faktoren: Alter >50 Jahre, Infarzierung zusätzlich im Anterior- und/oder Posterior-Stromgebiet, unilaterale Pupillenerweiterung oder Glasgow-Coma-Scale (GCS) <8. Die Indika­tionsstellung einer dekompressiven Hemikraniektomie soll interdisziplinär (Neurologie, Neurochirurgie, Intensivmedizin) erfolgen.

Chirurgische Therapie infratentorieller ­maligner Infarkte

Die Datenlage betreffs Hirninfarkten im hinteren Stromgebiet ist weniger klar. Die aktuelle Empfehlung lautet, dass bei raumfordernden Kleinhirninfarkten bei Liquorzirkulationsstörungen eine externe Ventrikeldrainage eingelegt, bei drohender Hirnstammkompression zusätzlich eine dekompressive subokzipitale Kraniektomie durchgeführt werden sollte. Wenn eine Hirnstammkompression verhindert werden kann, ist die Prognose nach Kleinhirninfarkten meist gut. Insgesamt ist die dekompressive suboktzipitale Kraniektomie komplikationsärmer als eine supratentorielle Hemikraniektomie. Klinische und/oder radiologische Zeichen einer irreversiblen schwergradigen Hirnstammischämie stellen in der Regel Kontraindikationen für chirurgische Massnahmen dar.

Symptomatische intrakranielle Blutung 
bei Hirninfarkten

Pathophysiologie

Intrakranielle Blutungen gehören zu häufigen Komplikationen eines akuten Hirninfarktes. Dies vor allem nach erfolgter Thrombolyse, bei grossem Infarktareal und innerhalb der ersten 24 Stunden.

Spezifische therapeutische Massnahmen

Die Evidenz bezüglich der Behandlung von hämorrhagischen Komplikationen ist noch schlecht. Eine laufende Thrombolyse sollte gestoppt werden. Der Nutzen weiterer spezifischer Therapiemassnahmen (Kryoprezipitat [Faktor VIII, von-Willebrand-Faktor, Fibrinogen enthaltend], Fresh Frozen Plasma, u.a.) wird kontrovers diskutiert. Tritt die hämorrhagische Transformation unter bestehender oraler Antikoagulation auf, sollte ein Ziel-INR <1,5 angestrebt werden. Dies durch Gabe von Vitamin K und Prothrombinkomplexkonzentrat. Letzteres kann auch verabreicht werden, falls sich eine Blutung unter Xa-Inhibitoren ereignet. Bei bestehender Dabigatran-Medikation kann das Antidot Idarucizumab verabreicht werden.

Chirurgische Therapie

Eine chirurgische Intervention wird bei parenchymatöser Einblutung in einen Hirninfarkt evaluiert. Allerdings liegen hier keine Studiendaten vor. Im Falle einer parenchymatösen Einblutung eines Kleinhirninfarkts mit raumforderndem Effekt empfiehlt sich jedoch aufgrund des hohen Risikos einer Hirnstammkompression die niedrigschwellige notfallmässige Evaluation einer dekompressiven subokzipitalen Kraniektomie auf individueller Basis. Bei intraventrikulärer Einblutung und Liquoraufstau kann eine Ventrikeldrainage evaluiert werden.

Progredienter Hirnschlag

Pathophysiologie

Einem progredienten Hirnschlag können verschiedene Mechanismen zugrunde liegen. Erstens kann ein frühes Rezidivereignis auftreten, zum Beispiel bei fortbestehender Emboliequelle (vulnerable Plaque, kardialer Thrombus, Vorhofflimmern, etc.) oder Thrombuswach­stum. Zweitens kann sich das Infarktareal ausdehnen. Dies geschieht beispielsweise aus hämodynamischen Gründen und/oder wenn die Kollateralgefässversorgung nicht ausreicht und/oder möglicherweise aus metabolischen Gründen. Auch zu einer sekundären Verschlechterung führen, wie bereits erwähnt, ein Hirnödem, eine Steigerung des intrakraniellen Drucks und eine Einblutung. Weitere Ursachen stellen epileptische Anfälle, Infekte und eine Sedierung dar.

Diagnostische und therapeutische Massnahmen

Die therapeutischen Massnahmen hängen von der Ursache des progressiven Hirninfarkts ab. Eine wiederholte neuroradiologische Bildgebung kann in der Ursachenabklärung weiterhelfen. Bei Rezidivereignis und bekannter Emboliequelle sollte die begonnene Sekundärprophylaxe reevaluiert, bei nicht bekannter Emboliequelle die bis anhin durchgeführte Ätiologiediagnostik ergänzt werden. Bei Verdacht auf hämodynamische Gründe kann erwogen werden, den Blutdruck auf ein höheres Niveau anzuheben. Findet sich eine sekundäre Verschlechterung bei anhaltendem Grossgefässverschluss, so kann eine endovaskuläre Therapie in Betracht gezogen werden.

Oxygenation und Ventilation

In der Akutphase eines Hirninfarkts tritt häufig eine Hypoxämie auf. Diese kann die Prognose verschlechtern. Zugrunde liegen können respiratorische Infekte, eine Aspiration, ein «acute respiratory distress syndrome» (ARDS), eine Lungenembolie, ein neurogenes oder kardiogenes Lungenödem, eine zentrale oder ob­struktive Apnoe oder eine respiratorische Muskelschwäche etc. Eine routinemässige Sauerstoffsubstitution verbessert die Prognose nicht, kann diese sogar verschlechtern. Die aktuellen Richtlinien der «European Stroke Organisation» (ESO) und der «American Stroke Association» (ASA) empfehlen eine Sauerstoffsubstitution, falls die Sauerstoffsättigung (SpO2) <93–94% fällt. Eine Hypokapnie verschlechtert die Pro­gnose. Eine Hyperkapnie kann die zerebrale Perfusion erhöhen. Dennoch stützt die aktuelle Studienlage eine induzierte Hyperkapnie nicht. Bei GCS <8(–10), Hirnstammdysfunktion oder Hinweisen auf nicht gesicherte Atemwege besteht eine Indikation für eine Intubation/mechanische Ventilation mit regelmässigen Blutgasanalysen. In Patienten mit schwerer Dysphagie, Bulbärparalyse und prolongierter mechanischer Ventilation kann eine Tracheostomie indiziert sein.

Flüssigkeitsmanagement

Eine Euvolämie sollte angestrebt und engmaschig überwacht werden. Die europäischen und amerikanischen Richtlinien empfehlen einen Flüssigkeitsersatz mittels 0,9% NaCl, obwohl Ringer-Laktat eine physiologischere Lösung darstellt. Obwohl viele Patientinnen und Patienten mit akutem Hirninfarkt eine relative Hyperviskosität aufweisen, zeigten bisherige Studiendaten keine verbesserte Prognose durch Hämodilution. Im Gegenteil: Sie wiesen darauf hin, dass eine zu starke Hämodilutation die Prognose negativ beeinflussen kann.

Blutdruck

Ein regelmässiges Monitoring des Blutdrucks sollte erfolgen. Eine arterielle Blutdruckmessung empfiehlt sich bei instabilen, intubierten und ventilierten Patientinnen und Patienten.
Wegen Stress, chronischer arterieller Hypertonie, erhöhten intrakraniellen Druckes oder neuroendokrinen Mechanismen sind um 80% der Patientinnen und Patienten mit akutem Hirninfarkt hypertensiv. Ist der Blutdruck nicht auf <185/105 mm Hg senkbar, so besteht eine Kontraindikation für eine endovaskuläre Therapie (relativ) und für eine intravenöse Thrombolyse (absolut). Die Richtlinien empfehlen, die obere Blutdrucklimite bis 24 Stunden einzuhalten. Bei nicht thrombolysierten Patientinnen und Patienten gibt es Empfehlungen, in der Akutsituation ausser bei Komorbiditäten wie zum Beispiel Aortendissektion oder hypertensiver Enzephalopathie den Blutdruck erst bei hypertensiver Entgleisung (>220/110 mm Hg) zu senken. Das optimale Blutdruckmanagement beim akuten Hirninfarkt ist allerdings weiterhin umstritten. Die Ergebnisse laufender Untersuchungen zu diesem Thema bleiben abzuwarten. Studien weisen darauf hin, dass auch tiefere Blutdruckwerte gut toleriert werden (ENOS-Studie). Eine fixe Blutdruckuntergrenze wird selten festgelegt. Bei hämodynamisch bedingten Hirninfarkten kann zur Blutdruckhebung zwecks Erreichen einer Euvolämie nebst Flüssigkeitsersatz mittels 0,9% NaCl ein Versuch der Hyperhydratation durch eine limitierte Menge von Kristalloiden, bei ungenügendem Ansprechen und fehlenden Kontraindikationen eine Vasopressorengabe (v.a. Noradrenalin), erfolgen.

Kardiovaskuläre Komplikationen

Herzerkrankungen können bei generalisierter Atherosklerose parallel zu einem akuten Hirninfarkt bestehen oder als kardiale Emboliequelle eine Ursache eines solchen darstellen. Auch kann als Folge eines akuten Hirninfarktes eine Hirn-Herz-Interaktion auftreten und als Rhythmusstörung oder eingeschränkte linksventrikuläre Ejektionsfraktion imponieren (im Sinne einer Takotsubo-Kardiopathie). Eine Hospitalisation auf der Intensivstation impliziert eine kontinuierliche Rhythmusüberwachung. Auch empfiehlt sich die Durchführung zumindest eines Elektrokardiogramms, die Bestimmung der kardialen Biomarker und eine Echokardiographie.
Patientinnen und Patienten mit grossem Hirninfarkt haben ein hohes Risiko für Thrombosen der tiefen Beinvenen sowie Lungenembolien. Die Evidenz bezüglich prophylaktischer antithrombotischer Therapie ist schlecht, aber gemäss Empfehlungen sollten bei fehlender Kontraindikation die Betroffenen früh mobilisiert werden und eine Thromboseprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin erhalten. Bei Kontraindikation für letztere sollte eine intermittierende pneumatische Pumpe zur Thromboseprophylaxe angewendet werden, die alleinige Verwendung eines Kompressionsstrumpfes reicht nicht aus.

Fieber

Eine erhöhte Körpertemperatur nach einem Hirnschlag tritt bei >50% der Patientinnen und Patienten auf und ist mit einer schlechteren Prognose assoziiert. Bei erhöhter Körpertemperatur (>37,5 °C) müssen mögliche ­Infektionsquellen gesucht und antipyretische Massnahmen erwogen werden. Anzustreben ist vermutlich eine Normothermie, obwohl die Evidenzlage hierfür schwach ist und die externe Kühlung von den Patientinnen und Patienten teilweise schlecht toleriert wird. Für eine moderate Hypothermie (32–33 °C) kann in Anbetracht der aktuellen Datenlage keine allgemeingültige Empfehlung gegeben werden.

Hyperglykämie

Rund 40% der Patientinnen und Patienten mit akutem Hirninfarkt weisen eine Hyperglykämie auf. Diese ist mit erhöhter Mortalität, höherem Behinderungsgrad, grösserem Infarkvolumen und mit höheren Raten parenchymatöser Einblutungen assoziiert, vor allem bei vorbekanntem Diabetes mellitus. Wie stark der Blutzucker gesenkt werden sollte, ist noch unklar. Die aktuellen ASA-Richtlinien empfehlen, in den ersten 48 Stunden nach Hirninfarkt einen hochnormalen Blutzucker anzustreben (7,8–10 mmol/l), um das Risiko einer ebenfalls potentiell schädlichen Hypoglykämie zu senken. Die beste Behandlungsweise wird in der laufenden SHINE-Studie («Stroke Hyperglycemia Insulin Network Effort Trial») evaluiert. Letztere vergleicht ­intravenöses Insulin mit subkutanem Insulin in akuten Hirninfarktpatienten mit Hyperglykämie. Starke Schwankungen des Blutzuckers mit resultierendem Osmoseshift sollten vermieden werden.

Anämie

Viele Patientinnen und Patienten mit akutem Hirn­infarkt weisen eine zumindest leichtgradige Anämie auf. Eine Anämie ist bei konservativ behandeltem ischämischen Hirninfarkt mit schlechterer Prognose und erhöhter Mortalität assoziiert. Andererseits kann die unkritische Bluttransfusion bei allgemeinen Intensivmedizinpatientinnen und -patienten ebenfalls die Mortalität erhöhen. Wie die Datenlage im Kontext einer Thrombolyse oder endovaskulären Therapie steht, ist aktuell noch schlecht erforscht. Gemäss unseren aktuellen Richtlinien des Berner Stroke Centers empfehlen wir, eine Transfusion in der Regel ab einem Hämoglobinwert <90 g/l durchzuführen (Experten-Empfehlung).

Epileptische Frühanfälle

Epileptische Frühanfälle sind epileptische Anfälle, die gemäss der am häufigsten angewandten Definition innert zwei Wochen nach Hirninfarkt auftreten. Sie sind nach akutem Hirninfarkt seltener als nach anderen Ursachen eines Hirnschadens, wie zum Beispiel nach einer Hirnblutung, und treten bei <10% aller Hirninfarkt­betroffenen auf. Eine Elektroenzephalographie sollte bei anhaltender und/oder unerklärter Bewusstseinsstörung veranlasst werden. Eine anfallsunterdrückende Primärprävention ist nicht empfohlen. Ein ­unprovozierter epileptischer Frühanfall sollte behandelt werden und eine zumindest vorübergehende antiepileptische Medikation zur Prophylaxe eines Rezidivereignisses installiert werden.

Ausblick

Da die Akuttherapie mit intravenöser Thrombolyse, endovaskulärer Therapie und der Schaffung von Stroke Centers und Stroke Units in den letzten Jahren viel wirksamer geworden ist und vermehrt auch ältere und komorbide Patientinnen und Patienten behandelt werden, wird der Bedarf an intensivmedizinischen Massnahmen zunehmen. Die interdisziplinäre, interprofessionelle Zusammenarbeit im Bereich der Schnittstellen Notfallmedizin, Intensivmedizin und Stroke Unit werden weiter an Bedeutung gewinnen.

Das Wichtigste für die Praxis

• Stroke Centers und Stroke Units müssen über eine anerkannte multidisziplinäre Intensivstation innerhalb der Institution verfügen.
• Eine schwere Bewusstseinsstörung, der fortbestehende Bedarf einer Sicherung der Atemwege, eine Beatmungspflichtigkeit, eine schwere hämodynamische Insuffizienz können bei Patientinnen und Patienten mit akutem Hirninfarkt eine Intensivstationspflichtigkeit bedingen.
• Eine effektive Behandlung der potentiell lebensbedrohlich betroffenen Hirnschlagpatientinnen/-patienten erfordert ein engmaschiges klinisches und physiologisches Monitoring und medizinische wie auch gegebenenfalls chirurgische Interventionen.
• Eine zeitnahe Hemikraniektomie bei <60-Jährigen mit malignem Media-Infarkt verbessert Überleben und Prognose signifikant mit einer «number needed to treat» von bis zu 2, bei alleiniger konservativer Therapie sterben rund 80% der Patientinnen und Patienten.
Für die neuroradiologischen Bilder bedanken sich die Autoren beim Team der Neuroradiologie des Inselspitals.
MRH reports grants and personal fees from Swiss National Science Foundation (Advanced Postdoc Mobility grant/personal fees), Novartis Foundation for medical-biological research (grant/personal fees), B. Braun Foundation (grant/personal fees), an Inselgrant, a grant from Senta and Kurt Hermann Stiftung, outside the submitted work. UF reports grants from Medtronic and Stryker, outside the submitted work. MA reports personal fees from Bayer, Boehringer Ingelheim, BMS, Pfizer, Amgen, Covidien, Medtronic, outside the submitted work.
Prof. Dr. med. Marcel Arnold
Stv. Chefarzt und Co-Leiter Stroke Center,
Universitätsklinik
für Neurologie,
Inselspital
CH-3010 Bern
marcel.arnold[at]insel.ch
– Jauch EC, Saver JL, Adams HP Jr, et al. American Heart Association Stroke Council; Council on Cardiovascular Nursing; Council on Peripheral Vascular Disease; Council on Clinical Cardiology. Guidelines for the early management of patients with acute ischemic stroke: a guideline for healthcare professionals from the American Heart Association/American Stroke Association.
Stroke. 2013;44(3):870–947.
– Ahmed N, Steiner T, Caso V, et al. for the ESO-KSU session participants. Recommendations from the ESO-Karolinska Stroke Update Conference, Stockholm 13–15 November 2016.
European Stroke Journal. 2017;2(2):95–102.
– Die aktuellen Stroke-Richtlinien des Berner Stroke Centers sind kostenlos unter http://www.neurologie.insel.ch/de/unser-­angebot/stroke-center/stroke-richtlinien/ und auch als kostenlose App für Smartphones verfügbar.