Die meisten Krankheitsbilder in der Endokrinologie treten schleichend auf. Dennoch gibt es Notfallsituationen, in denen ein sofortiges Handeln nötig ist und die auch Allgemeininternisten bekannt sein sollten.
Einleitung
Die meisten Krankheitsbilder in der Endokrinologie zeichnen sich durch ein schleichendes Auftreten aus. Entsprechend besteht bei der Diagnosestellung und Therapieeinleitung meist keine Eile. Dennoch gibt es endokrinologische Notfallsituationen, in denen ein sofortiges Handeln nötig ist und die auch den Allgemeininternisten bekannt sein sollten. Für viele der hier vorgestellten Notfallsituationen gibt es keine prospektiv randomisierten, kontrollierten Studien. Die hier abgegebenen Empfehlungen beruhen daher auch auf Expertenmeinungen und Guidelines der einschlägigen Fachgesellschaften.
Hyperthyreose und Kontrastmittel
Eine häufige Fragestellung betrifft die Gabe von jodhaltigem Kontrastmittel (KM) bei Hyperthyreose. Grundsätzlich gilt es immer, die Dringlichkeit der Untersuchung/Intervention, allfällig vorhandene Alternativen und den Schweregrad der Hyperthyreose gegeneinander abzuwägen. Bei manifester Hyperthyreose sollte eine KM-Gabe falls möglich hinausgezögert werden, bis eine Euthyreose unter thyreostatischer Therapie erreicht ist. Falls bei manifester Hyperthyreose jodhaltiges KM gegeben werden muss, ist eine begleitende/abschirmende Therapie mit Carbimazol (Néo-Mercazole®) und Natriumperchlorat (Irenat®) empfohlen. Sofern möglich, sollte diese Therapie vier Stunden vor der KM-Gabe begonnen werden. Natriumperchlorat verhindert die Aufnahme von Jod in die Schilddrüse durch kompetitive Hemmung am Natrium-Jodid-Symporter. Irenat® ist in der Schweiz nicht erhältlich, es kann aber in Spitalapotheken Teil des Notfallsortiments sein. Aufgrund der möglichen gastrointestinalen Nebenwirkungen wird die Aufteilung auf drei über den Tag verteilte Einzeldosen sowie die Einnahme nach dem Essen empfohlen. Die Dosierungen der Natriumperchlorat-Tropfen sowie von Carbimazol sind in Tabelle 1 angegeben. Beide Präparate wurden sehr selten mit potentiell lebensgefährlichen Knochenmarksschädigungen (Agranulozytose) in Verbindung gebracht. Wichtig ist die entsprechende Patienteninstruktion (s. Kapitel «Neudiagnose einer primären Hyperthyreose»).
Tabelle 1: Jod-Expositionsprophylaxe bei subklinischer oder manifester Hyperthyreose.
Natriumperchlorat (Irenat®)
1 ml Lösung (ca. 15 Tropfen) enthält 300 mg Natriumperchlorat
Manifeste Hyperthyreose
Initial 45 Tropfen, wenn möglich 4 Stunden vor Exposition, dann 3× täglich 15 Tropfen für 7 Tage
Subklinische Hyperthyreose
Keine Natriumperchlorat-Gabe empfohlen
Carbimazol (Néo-Mercazole®)
Erste Dosis optimal 4 h vor Kontrastmittelgabe, danach für 7 Tage:
Vorbekannte Hyperthyreose, bereits unter Therapie
– Euthyreot oder subklinische Hyperthyreose: Erhöhung Carbimazol um 20 mg/d (max. 60 mg/d), während 7 Tagen – Manifeste Hyperthyreose: Erhöhung Carbimazol um 40 mg/d (max. 60 mg/d) während 7 Tagen
Eine KM-induzierte Hyperthyreose kann bis zu acht Wochen nach KM-Gabe auftreten. Die erste laborchemische Verlaufskontrolle mittels TSH, fT4 und fT3 sollte sieben Tage nach KM-Exposition erfolgen. Wenn sich hier keine Aggravation einer vorbestehenden Hyperthyreose zeigt, kann Natriumperchlorat gestoppt und Carbimazol zurück auf die Erhaltungsdosis reduziert werden. Bei einer Aggravation der Hyperthyreose empfehlen wir die Betreuung durch eine/-n Endokrinologen/-in.
Thyreotoxische Krise
Eine thyreotoxische Krise (englisch «thyroid storm») kann Folge einer seit Längerem vorbestehenden, unbehandelten Hyperthyreose sein, häufig aber liegt ein auslösender Faktor zugrunde, wie zum Beispiel ein Infekt, ein Trauma, eine Operation oder eine akute Jodbelastung. Das klinische Spektrum der Hyperthyreose von milder Symptomatik bis zur thyreotoxischen Krise ist fliessend. Bei einer thyreotoxischen Krise handelt es sich primär um eine klinische Diagnose, bei der eine manifeste Hyperthyreose mit Zeichen einer systemischen Dekompensation und dabei insbesondere zerebralen Funktionsstörungen einhergeht. Eine Hilfe zum Erkennen einer thyreotoxischen Krise und damit einer lebensbedrohlichen Situation ist der Burch-Wartofsky-Score, der neben dem Vorhandensein von Symptomen des zentralen Nervensystems (ZNS) auch das Ausmass von Fieber und Tachykardie sowie das Auftreten kardialer und gastrointestinaler Symptome berücksichtigt.
Bei einer thyreotoxischen Krise sind eine intensivmedizinische Überwachung und Therapie nötig. Die spezifische medikamentöse Therapie beabsichtigt insbesondere die Konversionshemmung von fT4 zum biologisch aktiveren fT3 und setzt sich aus folgenden Bausteinen zusammen [1]:
1. Betablocker: Bevorzugt Propranolol (blockiert die periphere Konversion von fT4 zu fT3), beginnend zum Beispiel mit 60–80 mg 1−1−1−1 p.o., Anpassung nach Puls und Blutdruck. Die Dosierung von Propranolol kann höher sein als gewöhnlich, da der Abbau aufgrund der Hyperthyreose beschleunigt ist. Bei dekompensierter Herzinsuffizienz ist entsprechende Vorsicht geboten. Eine Gabe via Magensonde ist möglich. Falls eine intravenöse Gabe nötig ist, empfiehlt sich die Verwendung des kurzwirksamen Betablockers Esmolol via Perfusor (Ladedosis 250–500 μg/kg Körpergewicht [KG], danach 50–100 μg/kg KG/min).
2. Thyreostatikum: Thionamide blockieren die de novo Hormonsynthese, haben aber keinen Einfluss auf die Freisetzung bereits gebildeter Hormone. Aufgrund der Konversionshemmung von fT4 zu fT3 wird in vielen Guidelines der Einsatz von Propylthiouracil demjenigen von Carbimazol vorgezogen, wobei aber das Nebenwirkungsprofil von Propylthiouracil (insbesondere dessen Hepatotoxizität) zu berücksichtigen ist. Je nach Schweregrad der thyreotoxischen Krise kann mit einer Ladedosis Propylthiouracil von 500–1000 mg gestartet werden, gefolgt von 250 mg alle vier Stunden. Als intravenöse Alternative kann Thiamazol (Favistan®) gegeben werden. Dieses ist allerdings in der Schweiz nicht erhältlich und muss durch die Spitalapotheke in Deutschland bezogen werden.
3. Iodide: Jodhaltige Lösungen blockieren die Freisetzung von T4 und T3 aus der Schilddrüse. Sie dürfen frühestens eine Stunde nach der Gabe von Thionamiden zum Einsatz kommen, damit das Jod nicht als Substrat für die Neusynthese von Schilddrüsenhormonen dient. Als perorale Lösung kann beispielsweise die Lugol’sche Lösung 2% (1 ml = 20 mg Jod) ml 3-3-3-0 (entsprechend 180 mg/d) verwendet werden. Alternativ kann Kaliumiodid, das bei einem nuklearen Unfall eingenommen wird (erhältlich in der Armeeapotheke), eingesetzt werden (Kaliumiodid 65 mg 3 × 2 Tabletten täglich).
4. Glukokortikoide: Sie reduzieren die periphere Konversion von fT4 zu fT3 und behandeln eine allfällige relative Nebenniereninsuffizienz. Bei thyreotoxischer Krise wird die Gabe von Hydrocortison (Solu-Cortef® 100 mg i.v. 8-stündlich) empfohlen.
5. Antipyretika: Zur Fiebersenkung ist Paracetamol empfohlen. Aspirin® ist kontraindiziert, da es die Serumkonzentration von fT3 und fT4 durch deren Verdrängung aus ihrer Proteinbindung erhöhen kann. Häufig sind auch physikalische Massnahmen zur Kühlung notwendig.
Bei fehlendem Ansprechen auf oben genannte Therapiemassnahmen kann eine notfallmässige totale Thyreoidektomie, allenfalls nach vorbereitender Plasmapherese, durchgeführt werden.
Neudiagnose einer primären (= peripheren) Hyperthyreose
Nicht immer handelt es sich bei der Neudiagnose einer Hyperthyreose um einen «akuten Notfall». Da es sich aber um eine häufige Situation handelt, bei der oft Fragen an die Endokrinologen auftreten, soll im folgenden Abschnitt kurz auf das Vorgehen bei Neudiagnose einer primären Hyperthyreose eingegangen werden.
Bei entsprechendem klinischem Verdacht erfolgt die Diagnose einer Hyperthyreose durch laborchemische Bestimmung von TSH, fT4 und fT3. Es findet sich dabei ein erniedrigtes/supprimiertes TSH mit Erhöhung der peripheren Schilddrüsenhormone (primäre, periphere Hyperthyreose). Auf die – sehr seltene – zentrale Hyperthyreose (TSH und periphere Hormone erhöht) wird hier nicht weiter eingegangen. Als nächstes sollte die Ursache der Hyperthyreose bestimmt werden, da die Therapie je nach Ätiologie unterschiedlich ist. Pathophysiologisch können zwei unterschiedliche Mechanismen zu einer Hyperthyreose führen:
1. vermehrte Produktion der Hormone, mit entsprechend szintigraphisch erhöhtem Jod-Uptake (bei Morbus Basedow durch stimulierende TSH-Rezeptor-Antikörper, bei autonomen Knoten durch fehlende Regulation);
2. vermehrte Freisetzung bereits gebildeter Hormone durch entzündliche Parenchymdestruktion bei Thyreoiditiden, mit szintigraphisch erniedrigtem Jod-Uptake.
Neben Anamnese und Status sind die Bestimmung der TSH-Rezeptor-Antikörper und der Ultraschall die wichtigsten Abklärungsschritte. Bei unklarer Ätiologie sowie Vorliegen abklärungsbedürftiger Knoten ist eine Szintigraphie erforderlich. Auf die Einzelheiten bei der Diagnosestellung sowie auf die schwangerschaftsassoziierten und postpartalen Thyreoiditiden wird hier nicht weiter eingegangen.
Tabelle 2 bietet einen Überblick über die häufigsten Ursachen einer primären Hyperthyreose sowie deren initiale Therapie bei Diagnosestellung. Für weiterführende Abklärungen und Therapien empfiehlt sich eine endokrinologische Betreuung des Patienten.
Tabelle 2: Ursachen und erste Behandlungsschritte bei Neudiagnose einer primären Hyperthyreose auf der Notfallstation.
1. Carbimazol in Abhängigkeit vom Schweregrad der Hyperthyreose – fT4 bis 1,5-fach erhöht: 5–15 mg 1×/d – fT4 1,5- bis 2-fach erhöht: 10–15 mg 2×/d – fT4 >2-fach erhöht: 20 mg 2×/d
2. Adjuvante Therapie mit Propranolol bei allen Patienten mit symptomatischer Hyperthyreose (v.a. ältere Patienten, Puls >90/min oder zusätzlich kardiovaskuläre Erkrankung). Z.B. Propranolol 40 mg 1-1-1-0
3. Sicherstellung Verlaufskontrolle innerhalb von 2–4 Wochen
Autonomie – unifokal – multifokal
Initiale Therapie: falls nötig wie oben bei M. Basedow.
Weiterführende Therapie: In der Regel Radiojodtherapie
Primäre Hyperthyreose infolge Parenchymdestruktion bei Thyreoiditis
Jeder Patient, der eine Therapie mit Carbimazol erhält, sollte über die seltene, aber potentiell lebensgefährliche Nebenwirkung einer Agranulozytose sowie die erforderlichen Verhaltensmassnahmen (umgehende ärztliche Vorstellung bei Auftreten von Fieber, Halsschmerzen oder anderen Hinweisen auf einen Infekt) informiert werden.
Myxödemkoma
Das Myxödemkoma stellt die schwerste Verlaufsform einer Hypothyreose dar und bedarf aufgrund der hohen Mortalität einer raschen, intravenösen Hormonersatztherapie und intensivmedizinischer Begleitmassnahmen. Das Myxödemkoma sollte bei jeder unklaren Bewusstseinsveränderung (Verwirrung, Lethargie, Stupor, Koma) in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn zusätzliche Befunde wie Hypothermie, Bradykardie, Hypoventilation, Hypoglykämie, Hyponatriämie oder verlangsamte Muskeleigenreflexe bestehen. Zusätzlich kann das namensgebende Myxödem (ein nicht eindrückbares Ödem infolge subkutaner Ablagerung von Glykosaminoglykanen, insbesondere im Bereich der Hände und des Gesichts) vorhanden sein. Meistens ist bei einem Myxödemkoma zusätzlich zur ungenügend oder noch nicht eingestellten Hypothyreose ein weiterer auslösender Faktor wie ein Infekt (auch ohne Fieber) oder ein Myokardinfarkt vorhanden.
Bei Verdacht auf ein Myxödemkoma sollte eine sofortige Therapie eingeleitet werden. Die Resultate der Blutentnahme (Bestimmung von TSH, fT4, fT3 und Cortisol) sollen dabei nicht abgewartet werden. Empfohlen werden folgende therapeutische Massnahmen [2]:
– Gabe von Levothyroxin i.v. (L-Thyroxin Henning® inject, Import aus Deutschland): 300 µg im Bolus über 5 min, anschliessend 50–100 µg 1-0-0. Bei älteren Patienten oder solchen mit erhöhtem kardialen Risiko sollte eine tiefere Dosis gewählt werden.
– Liothyronin i.v. (Thyrotardin®-inject, Import aus Deutschland): 10 µg im Bolus über 5 min, anschliessend 5 µg alle acht Stunden. Ebenso reduzierte Dosis bei älteren Patienten oder solchen mit erhöhtem kardialen Risiko.
– Hydrocortison i.v. (Solu-Cortef®): 100 mg Bolus, danach 50 mg i.v. alle sechs Stunden im Bolus oder 200 mg/24 Stunden i.v. via Perfusor. Die Gabe ist obligat bis zum sicheren Ausschluss einer gleichzeitigen Nebennierenrindeninsuffizienz.
– Supportive intensivmedizinische Überwachung und Therapie.
– Behandlung des auslösenden Faktors (inkl. Infektsuche).
Eine Kontrolle von fT4 und fT3 sollte alle 1–2 Tage erfolgen, wobei fT3 mindestens eine Stunde nach Verabreichung von Liothyronin bestimmt werden sollte. Eine Verbesserung des klinischen (und biochemischen) Zustandsbilds ist innerhalb einer Woche zu erwarten. Bei Besserung des klinischen Zustandes und gesicherter gastrointestinaler Resorption kann auf eine alleinige Therapie mit Levothyroxin per os in gewichtsadaptierter Erhaltungsdosis gewechselt werden.
Addisonkrise
Falls die Nebennierenrindeninsuffizienz noch nicht bekannt ist, kann die Diagnose einer Addisonkrise eine grosse Herausforderung sein. Grundsätzlich sollte sie bei jedem unklaren Schockzustand als Differentialdiagnose in Erwägung gezogen werden, insbesondere wenn zusätzliche Hinweise in Anamnese und Status vorkommen (siehe dazu Tab. 3 und Abb. 1).
Tabelle 3: Hinweise für eine Nebennierenrindeninsuffizienz (adaptiert nach [5]).
Anamnese
Schwäche, Müdigkeit, Adynamie
Appetitverlust, Gewichtsverlust
Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen
Neurokognitive Verlangsamung, Verwirrtheit
Salzhunger*
Orthostatische Beschwerden
Muskel-/Gelenkschmerzen
Vorausgegangene Dauersteroidtherapie mit abruptem Therapiestopp
Status
Unerklärtes Fieber
Dehydratation
Hypotonie, Orthostase, Schock «out of proportion» zu akuter Erkrankung
* nur bei peripherer NNR-Insuffizienz ** nur bei zentraler NNR-Insuffizienz
Sowohl eine vorbestehende periphere (primäre) als auch eine zentrale (sekundäre) Nebennierenrindeninsuffizienz können bei zusätzlichem Stressfaktor (meist Infekt oder Operation) in eine Addisonkrise münden. Pathophysiologisch liegt der Addisonkrise einerseits die verminderte Salzresorption und Vasokonstriktion durch Fehlen von Aldosteron (nur bei peripherer Insuffizienz), andererseits die verminderte Sensibilität von Herz und Gefässen auf Katecholamine und Angiotensin II, die verminderte Reninsynthese und die vermehrte Synthese von Prostazyklinen durch Cortisolmangel zugrunde (bei peripherer und zentraler Insuffizienz) [3, 4].
Im Zweifelsfall sollte bei unklarem Schock oder klinischem Verdacht auf eine Nebennierenrindeninsuffizienz immer eine sofortige Glukokortikoidtherapie erfolgen (im Idealfall nach vorgängiger Bestimmung von Cortisol und gegebenenfalls ACTH). Das Unterlassen einer Therapie kann lebensbedrohlich sein, die Nebenwirkungen einer unnötig verabreichten kurzfristigen Glukokortikoidtherapie sind in diesem Falle vernachlässigbar.
Bei Diagnose einer zentralen Hypothyreose sollte immer auch an die Möglichkeit einer gleichzeitig vorliegenden Insuffizienz der kortikotropen Achse gedacht und diese gegebenenfalls therapiert werden. Dies ist besonders wichtig, da sonst durch die Substitution mit Levothyroxin eine Addisonkrise ausgelöst werden kann.
Therapie der Addisonkrise
Bei einer Addisonkrise ist die unverzügliche (kein Abwarten von Laborresultaten!) Gabe von Hydrocortison 100 mg i.v. (Solu-Cortef®) im Bolus empfohlen, danach 50 mg i.v. alle sechs Stunden oder 200 mg/24 Stunden i.v. via Perfusor bis zur Stabilisierung der klinischen Situation, Normalisierung der Vitalparameter sowie der Elektrolyte [3].
Zusätzlich sollte eine Volumentherapie erfolgen, dies unter regelmässiger Elektrolytkontrolle, um eine allfällige zu schnelle Korrektur einer Hyponatriämie zu verhindern.
Mögliche auslösende Faktoren sollten gesucht und entsprechend behandelt werden. Die häufigste Ursache ist ein Infekt, aber auch eine Lungenembolie oder ein Herzinfarkt können eine Addisonkrise auslösen. Eine häufige Ursache ist auch das abrupte Stoppen einer länger dauernden Steroidtherapie (iatrogene Nebennierenrindeninsuffizienz).
Falls die auslösende Krankheit dies erlaubt, kann in der Regel innerhalb von 2–3 Tagen auf eine orale Substitutionstherapie umgestellt werden. Eine übliche Substitutionsdosis beträgt 15–20 mg Hydrocortison pro Tag, verteilt auf zwei Dosen (⅔ morgens, ⅓ am frühen Nachmittag). Bei der peripheren (primären) Nebennierenrindeninsuffizienz muss die Therapie zudem mit einer mineralokortikoiden Substitution mit Fludrocortison (Florinef®) ergänzt werden, sobald die Hydrocortisondosis eine Tagesdosis von 50 mg unterschreitet. Die Dosisanpassung erfolgt anhand der Klinik (Orthostase, Salzhunger; Blutdruck) sowie des Labors (Kalium, Renin) [4].
Therapieanpassung bei vorbekannter Nebennierenrindeninsuffizienz
Bei vorbekannter Nebennierenrindeninsuffizienz sollten die Patientinnen und Patienten gut instruiert sein, um in Stresssituationen die Substitutionsdosis selbständig anpassen zu können. Zudem sollten sie einen Notfallausweis auf sich tragen und (gegebenenfalls gemeinsam mit ihren Angehörigen) bezüglich der subkutanen Selbstinjektion von Solu-Cortef® geschult werden. Zur Schulung gehört auch die Abgabe eines Solu-Cortef®-Notfallsets. Eine Hospitalisation sollte hier nur nötig sein, wenn aufgrund verminderter/unmöglicher gastrointestinaler Resorption (z.B. Gastroenteritis) eine intravenöse Therapie nötig ist. Tabelle 4 gibt einen Überblick über die entsprechenden Empfehlungen.
Tabelle 4: Therapieanpassung von Hydrocortison bei vorbekannter Nebennierenrindeninsuffizienz.
Hydrocortison 100 mg i.v. im Bolus, danach 50 mg i.v. alle 6 h oder 200 mg/24 h i.v. via Perfusor
Sepsis, schwerer Unfall, Schock
Operation in Vollnarkose
Geburt
Hyperkalzämie
Die häufigsten Ursachen für eine symptomatische Hyperkalzämie sind maligne Erkrankungen und der primäre Hyperparathyreoidismus. Die weiteren Ätiologien für eine Hyperkalzämie führen sehr viel seltener zu einem Hyperkalzämieausmass, das einer unverzüglichen Therapie bedarf. Bei den malignen Hyperkalzämien gibt es verschiedene pathophysiologische Mechanismen: die paraneoplastische Produktion von «parathormon related peptide» (PTHrp), osteolytische Knochenmetastasen sowie erhöhtes Calcitriol durch Aktivierung der extrarenalen 1-alpha-Hydroxylase. Abbildung 2 gibt eine Übersicht über den Abklärungsalgorithmus bei Hyperkalzämie.
Die Symptome einer Hyperkalzämie sind unspezifisch. Häufig vorhanden sind neuropsychiatrische Auffälligkeiten im Sinne von Ängstlichkeit, depressiver Verstimmung und kognitiver Dysfunktion. Bei schwerer Hyperkalzämie kommt es zu Verwirrung, Stupor und Koma. Die meisten Patientinnen und Patienten klagen auch über gastrointestinale Symptome, zumeist Appetitlosigkeit, Übelkeit und Obstipation. Im EKG findet sich ein verkürztes QTc-Intervall, bei schwerer Hyperkalzämie können maligne Rhythmusstörungen auftreten.
In der Regel sind bis zu einem Albumin-korrigierten Kalzium von 3 mmol/l keine oder nur milde Symptome zu erwarten [6]. Die Therapie besteht daher primär aus einer ausreichenden Hydrierung und dem Meiden von Faktoren, welche die Hyperkalzämie verschlimmern können, insbesondere Medikamente (Thiaziddiuretika, Lithium) und eine längerdauernde Immobilisation. Die weitere Therapie richtet sich nach der Ursache der Hyperkalzämie. Bei einem Albumin-korrigierten Kalzium zwischen 3 und 3,5 mmol/l hängt die Schwere der Symptomatik insbesondere von der Dynamik ab: je schneller der Anstieg erfolgt, desto ausgeprägter die Klinik und desto dringlicher die Therapie. Eine Hyperkalzämie von >3,5 mmol/l erfordert meist eine intensivmedizinische Betreuung.
Die initiale Therapie beruht auf drei Bausteinen:
1. Volumentherapie mit NaCl 0,9%: Ziel ist das Erreichen einer Euvolämie (bei – infolge Polyurie – meist dehydrierten Patienten). Therapiebeginn mit NaCl 0,9% 250 ml/Stunde, anschliessend 3–6 l über 24 Stunden, Anpassung mit Zieldiurese von 100–150 ml/Stunde. Schleifendiuretika werden nur empfohlen, um eine Hypervolämie zu korrigieren.
2. Bisphosphonate: Bisphosphonate reduzieren die Kalziumfreisetzung aus dem Knochen. Zolendronat ist das Bisphosphonat der Wahl (4 mg i.v. über 30 min), sofern es die Nierenfunktion erlaubt (kontraindiziert bei einer Clearance <30 ml/min, Dosisanpassung zwischen 30 und 60 ml/min). Als Alternative bei Niereninsuffizienz steht Denosumab (Xgeva®) 120 mg s.c. zur Verfügung. Der Effekt dieser Therapie tritt nach 2–4 Tagen ein und hält für 2–4 Wochen an. Insbesondere nach der Gabe von Denosumab in hoher Dosierung kann es bei Patienten mit ungenügender peroraler Kalziumzufuhr und Vitamin-D3-Mangel (z.B. bei paraneoplastischer Hyperkalzämie) zu einem raschen und starken Abfallen des Kalziums (und/oder Phosphats kommen), sodass bei sinkenden Kalziumwerten ein allfälliger Vitamin-D3-Mangel behoben werden sollte.
3. Calcitonin: Einsatz überbrückend bei schwerer Symptomatik und Albumin-korrigiertem Kalzium >3.5 mmol/l. Calcitonin vermindert die Kalziumfreisetzung aus dem Knochen durch Hemmung der Osteoklasten und fördert die renale Kalziumausscheidung. Der Effekt tritt relativ schnell (innerhalb 4–6 Stunden) ein, aufgrund einer Tachyphylaxie macht eine Therapie mit Calcitonin länger als 48 Stunden aber wenig Sinn. Empfohlen ist eine Gabe von 5–10 E/kg KG als intravenöse Infusion über sechs Stunden pro Tag. Eine begleitende antiemetische Therapie ist aufgrund der häufig auftretenden Übelkeit wichtig.
Weitere therapeutische Massnahmen (Glukokortikoide, Kalzimimetika) richten sich nach der zugrunde liegenden Erkrankung. Grundsätzlich stellt eine symptomatische Hyperkalzämie bei primärem Hyperparathyreoidismus eine Indikation zur Parathyreoidektomie als definitive Therapieoption dar.
Das Wichtigste für die Praxis
• Bei Gabe von jodhaltigem Kontrastmittel bei einem Patienten mit Hyperthyreose wird eine begleitende Therapie mit Carbimazol (Néo-Mercazole®) und Natriumperchlorat (Irenat®) empfohlen.
• Die thyreotoxische Krise ist eine lebensbedrohliche Situation und erfordert eine intensivmedizinische Therapie. Die medikamentöse Therapie besteht in der Regel aus Propranolol, Propylthiouracil, einer Jod-Kaliumjodid-Lösung (z.B. Lugol’sche Lösung) und Glukokortikoiden.
• Bei Verdacht auf ein Myxödemkoma sollte aufgrund der hohen assoziierten Mortalität eine sofortige intravenöse Therapie mit Levothyroxin, Liothyronin sowie – bis zum Ausschluss einer gleichzeitig vorliegenden Nebennierenrindeninsuffizienz – Hydrocortison erfolgen. Die Diagnostik darf die Therapie nicht verzögern.
• Bei Verdacht auf eine Addisonkrise sowie bei unklarem Schock sollte immer eine Glukokortikoidtherapie erfolgen (im Idealfall nach vorgängiger Bestimmung von Cortisol, wobei das Resultat der Blutentnahme nicht abgewartet werden soll). Das Unterlassen einer Therapie kann lebensbedrohlich sein, die Nebenwirkungen einer unnötig verabreichten kurzfristigen Glukokortikoidtherapie sind in diesem Falle vernachlässigbar.
• Eine schwere, symptomatische Hyperkalzämie ist meist durch maligne Ursachen oder durch einen primären Hyperparathyreoidismus bedingt. Die initiale Therapie besteht in der Rehydrierung sowie- in Abhängigkeit von Ätiologie und Schweregrad- zusätzlich Calcitonin und/oder Zolendronat.
Verdankung
Wir danken Frau Dr. med. Ariane Feller und Herrn Dr. med. Martin Feller herzlich für die kritische Durchsicht des Manuskripts.
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Korrespondenz
Dr. med. Katrin Feller Inselspital Universitatsspital Bern Freiburgstrasse 18 CH-3010 Bern katrin.feller2[at]insel.ch
Literatur
1 Ross DS, Burch HB, Cooper DS, Greenlee MC, Laurberg P, Maia AL, et al. 2016 American Thyroid Association Guidelines for Diagnosis and Management of Hyperthyroidism and Other Causes of Thyrotoxicosis. Thyroid. 2016;26(10):1343–421.
2 Jonklaas J, Bianco AC, Bauer AJ, Brumann KD, Cappola AR, Celi FS, et al. Guidelines for the Treatment of Hypothyroidism. Thyroid. 2014;24(12):1670–751.
3 Bornstein SR, Allolio B, Arlt W, Barthel A, Don-Wauchope A, Hammer GD, et al. Diagnosis and Treatment of Primary Adrenal Insufficiency: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline. J Clin Endocrinol Metab. 2016;101(2):364–89.
4 Bancos I, Hanher S, Tomlinson J, Arlt W. Diagnosis and management of adrenal insufficiency. Lancet Diabetes Endocrinol. 2015;3(3):216–26.
5 Nieman LK, Lacroix A, Martin K. Clinical manifestations of adrenal insufficiency in adults. UpToDate 2018.
6 Walsh J, Gittoes N, Selby P. Socienty for Endocrinology Endocrine Emergency Guidance: Emergency management of acute hyperalcaemia in adult patients. Endocr Connect. 2016;5(5)G9–G11.
7 Shane E, Rosen CJ, Mulder JE. Diagnostic approach to hypercalcemia. UpToDate 2018.