Harrison’s Principles of Internal Medicine, 19. Ausgabe, 2015. Verfasst am 13.07.2018.
Praxisrelevant
«Selbstdiagnose» des Vorhofflimmerns
Wir wissen aus anderen Studien: Je länger (z.B. Langzeitmonitoring) man sucht, desto häufiger findet man auch das Vorhofflimmern (z.B. als mögliche Erklärung für einen kryptogenen Schlaganfall). Für das Langzeitmonitoring waren aber bislang etwas unbequeme externe Ausrüstungen oder ein implantierter EKG-Monitor notwendig. Mithilfe eines durch die PatientInnen selbstapplizierten EKG-«Klebers» (Abb. 1) konnte innerhalb von vier Monaten in 3,9% der Fälle (Kontrollgruppe 0,9%) ein Vorhofflimmern entdeckt werden, was zu einem signifikant früheren Beginn der oralen Antikoagulation führte. Die übrigen klinischen Folgen, der Langzeiteffekt und die Kostenseite bleiben noch zu klären.
Eine ketogene Diät (hoher Fett-, geringerer Kohlehydratanteil) ist von erwiesener, positiver Wirkung bei refraktären Epilepsien. Ob die Ketokörper direkt oder via metabolische Intermediärprodukte wirken, war aber bislang unklar. Mittels einer Reihe beeindruckender genetischer (intestinales Mikrobiom) und metabolomischer Analysen konnte bei Mäusen gezeigt werden, dass die ketogene Diät via Veränderungen des intestinalen Mikrobioms (Beweis: Kreuztransplantationen) und entsprechenden systemischen, metabolischen Veränderungen letztlich zu einer Erhöhung der inhibitorischen, hippokampalen γ-Amino-Buttersäure(GABA)-Konzentrationen und dadurch mittelbar zu einer Suppression epileptischer Aktivität führt. Die Mikrobiomforschung entwächst eindeutig der Adoleszenzphase mit einem wohltuenden Übergang von Beschreibungen von Assoziationen zu kausalen Verknüpfungen! Wer sich die in vielen Studien – so auch dieser – beschriebenen Musterknaben (aus menschlicher Perspektive) unter den Bakterienspezies des intestinalen Mikrobioms merken will und kann: Ackermannsia und Parabacteroides.
In der italienischen Provinz Veneto lebten Ende 1985 etwa 4,4 Millionen Menschen. Zwischen 1979 und 1986 wurden 60 plötzliche Todesfälle bei Personen unter 35 Jahren gemeldet und in 56 Fällen untersucht. Mit 12 Fällen einer rechtsventrikulären Kardiomyopathie (früher: Dysplasie) zählte diese Form der Anomalie (Ersatz der freien Wand des rechten Ventrikels durch fibrolipomatöses Gewebe) aufgrund dieser Arbeit zu einer wichtigen, bis dahin sehr wenig beachteten Ursache plötzlicher Synkopen und Todesfälle. Siehe auch «Fokus auf ...».
Schwere metabolische Azidose auf der Intensivstation: was tun?
Soll man bei der metabolischen Azidose «nur» die Ursache suchen und behandeln oder bringt es für die PatientInnen Vorteile, wenn die Azidose durch Basenzufuhr (z.B. NaHCO3) per se korrigiert wird? Potentieller Vorteil wäre neben anderen eine verbesserte Hämodynamik (insbesondere Korrektur der Azidose-induzierten Katecholaminresistenz). Nachteile könnten aus der erhöhten CO2-Produktion (Verschlechterung der intrazellulären Azidose), der Hypokalzämie (kardiale Arrhythmien und negative Inotropie) sowie einer Verschiebung der Sauerstoffdissoziationskurve mit konsekutiv schlechterer Sauerstoffabgabe im Gewebe erwachsen.
389 PatientInnen mit schwerer Azidämie/Azidose (pH <7,20) wurden zufällig in eine Behandlungs- (4,2% NaHCO3, um den pH >7,20 zu halten) oder eine Kontrollgruppe randomisiert. Die Mortalität nach 28 Tagen (primärer Endpunkt) unterschied sich nicht. Allerdings war diese bei PatientInnen mit gleichzeitiger akuter Niereninsuffizienz («Acute Kidney Injury Network»[AKIN]-Stadien 2 und 3) signifikant tiefer und die Notwendigkeit einer Dialyse war im Verlauf bei niereninsuffizienten PatientInnen und solchen mit initial normalen Nierenfiltrationsparametern signifikant geringer. Auch wenn noch eine Reihe theoretischer Fragen (z.B. Verhinderung/Limitierung des CO2-Anstiegs durch Monitoring zentralvenöser Blutgase?) offen ist, spricht diese Studie für eine Bikarbonatapplikation mit dem Ziel, ein pH >7,20 zu erhalten.
Innovative Gastroenterologie oder Bakterien als Biosensoren
Zufolge der etwas leseärmeren, milden Sommerabende wäre dies fast untergegangen: Als Weiterentwicklung der Kapselendoskopie verpackte man Escherichia (E.) coli in eine permeable Kapselmembran. Die E. coli wurden im Hinblick auf Blut(Häm)-Nachweis wie folgt biotechnologisch manipuliert: genetische Insertion eines Häm-Transporters, der (bei Auftreten extrazellulären in E. coli aufgenommen Häms) zur Interaktion mit dem bakteriellen Luciferase-Gen gebracht wird, wodurch ein Lichtsignal (Lumineszenz) entsteht. Die entstandene Photonenenergie wird in ein elektrisches Signal umgewandelt, das mit minimaler Energie via ein Radiosignal (Mikroantenne in der Kapsel) an die Körperoberfläche gesendet und dort – z.B. mit einem Smartphone! – aufgezeichnet werden kann. Und es funktioniert: schneller Nachweis gastralen Blutverlustes bei Schweinen. Die Studie ist ein faszinierender Beweis für die Methode, die für die Diagnostik anderer Moleküle und auch Anwendungen in extraintestinalen Lokalisationen viel Potential in sich birgt.
Niereninsuffizienz: Vorsicht mit den direkt wirkenden oralen Antikoagulantien!
Kurz und bündig hatten wir schon zur Vorsicht gemahnt, neue Antikoagulantien bei niereninsuffizienten PatientInnen zu verwenden (SMF 2018, Heft 26/27 [1]). Der in den USA gebräuchliche Vitamin-K-Antagonist Warfarin schützte im Durchschnitt 72-jährige PatientInnen (n = 6412, Zeitraum 2010–2017) mit Vorhofflimmern in gleicher Weise wie die direkt wirkenden Antikoagulantien vor einem ischämischen Schlaganfall [2]. Allerdings stieg die Blutungsindizenz bei den direkt wirkenden Antikoagulantien um 23% hoch signifikant an, sobald die eGFR bei Eintritt in die Studie unter 60 ml/min gelegen hatte!
Big Data ist zu einem verheissungsvollen Schlagwort geworden. In den sog «Big Data»-Studien werden meist frei verfügbare Daten administrativer Art über Gesundheit, Krankheit und Verhaltensmuster von Individuen oder Populationen, Daten klimatologischer Art, Art und Effekten der «Public health»-Interventionen u.a.m mathematisch und statistisch komplex analysiert, miteinander in Beziehung gebracht und ausgewertet. Auch hier unterscheiden sich die guten von den schlechten Studien durch die Kreativität der Fragestellung und der Vorsicht in der Interpretation der Daten und sinnvollen Kontrollanalysen. «Big data»-Forschung spielt z.B. im Projekt «Global burden of Disease Study» eine zentrale Rolle. Hier ein Beispiel davon: Mittels Satelliten-basierter Messung der Luftverschmutzung in Kombination mit Daten von 65 verschiedenen Gesundheitsstudien zwischen 2001 und 2015 konnte gezeigt werden, dass allein die Luftverschmutzung in der Sub-Sahara (im Vergleich zu den tiefsten Luftverschmutzungswerten in einer «entwickelten» Region) für 22% (absolut: 450 000!) kleinkindlicher Todesfälle verantwortlich war.
Alle Daten dieser Studie sind öffentlich und können somit nachvollzogen werden (das hat dann natürlich gefreut): https://github.com/burke-lab/HBBB2018.