Späte Mutterschaft und Aufschub der Familiengründung
Sie gehen mit gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind einher:

Späte Mutterschaft und Aufschub der Familiengründung

Übersichtsartikel
Ausgabe
2018/43
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03388
Swiss Med Forum. 2018;18(43):875-880

Affiliations
a fertisuisse, Zentrum für Kinderwunschbehandlung, Frauen- und Männermedizin, Olten und Basel; b Frauenklinik, Universitätsspital, Basel; c Medisupport, Schweizer Netzwerk Regionaler Laboratorien, Luzern; d Klinik für Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie (RME), Universitätsspital, Basel

Publiziert am 24.10.2018

Der Trend, immer später im Leben Mutter zu werden, nimmt stetig zu. Je später der Kinderwunsch jedoch beginnt, desto eher wird er nicht in Erfüllung gehen.

Einführung

In der Reproduktionsmedizin wird ein mütterliches Alter von 35 Jahren und mehr als fortgeschritten bezeichnet. Obwohl die Fekundität (Anzahl erfolgreicher Schwangerschaften pro Frau) bereits ab 25 Jahren zu sinken beginnt, ist in einem Alter von 35 Jahren der Wendepunkt erreicht, an dem die Fekundität steil abfällt und die Spontanabortrate stark zuzunehmen beginnt (Abb. 1). Bis zum 30. Lebensjahr werden noch 400 von 1000 Frauen pro Jahr Mutter, während die Fekundität im Alter von 45 Jahren auf unter 50 von 1000 Frauen pro Jahr absinkt. Die Spontanabortrate liegt bei 20-Jährigen bei etwa 10% und steigt auf über 90% bei einer 45-jährigen Frau [1].
Abbildung 1: Rate der Fekundität und der Spontanaborte in Abhängigkeit vom maternalen Alter (aus: Heffner LJ. Advanced maternal age – how old is too old? N Engl J Med. 2004;351(19);1927–9. © 2004 Massachusetts Medical Society, Übersetzung und Nachdruck mit freundlicher Genehmigung).
Trotzdem nimmt das Alter der Mutter bei Geburt des ersten Kindes in der Schweiz stetig zu. Lag das Durchschnittsalter der Mütter bei der ersten Geburt in den 1970er Jahren noch bei 25,5 Jahren, so ist es bei der letzten Erfassung 2017 bei 31 Jahren angelangt (Abb. 2). Der Trend, immer später im Leben Mutter zu werden, ist europaweit zu erkennen. Die Schweiz gehört allerdings zu den Spitzenreitern. Nur Italienerinnen werden noch später Mutter. Gleichzeitig sinkt die Kinderzahl je Frau und unduliert in der Schweiz seit den 1970er Jahren um 1,5. In den EU-Ländern haben Frankreich und Irland mit knapp 2 Geburten pro Frau die höchsten Geburtenraten und erreichen damit fast den Wert von 2,1 Geburten pro Frau, der in den Industrieländern für eine stabile Bevölkerungsgrösse notwendig wäre (sog. Generationenerhalt). Der späte Zeitpunkt der ersten Geburt führt unweigerlich dazu, dass weitere gewünschte Schwangerschaften aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Frau seltener eintreten werden und die Familienplanung nicht im positiven Sinne umgesetzt werden kann.
Abbildung 2: Durchschnittsalter der verheirateten Frauen bei Geburt des ersten Kindes. (Quelle: Bundesamt für Statistik, 28.09.2017, gr-d-01.04.01.02.03bis-su.)
Egbert te Velde, emeritierter Professor für Reproduktionsmedizin an der Universität Utrecht, setzt sich seit Jahrzehnten mit der Altersgrenze für eine erfolgreiche Mutterschaft auseinander. In einer originellen Studie gelang es ihm nachzuweisen, dass das mediane Alter einer Frau bei der Geburt des letzten lebenden Kindes seit Jahrhunderten 40–41 Jahre beträgt. Hierfür analysierte er mehr als 106 000 Lebendgeburten von knapp 60 000 verheirateten Frauen, deren Daten er aus französischen, kanadischen, niederländischen und deutschen Bevölkerungsregistern aus dem 17. bis 19. Jahrhundert filterte. Nur noch 10% der Frauen wurden mit 45 Jahren Mutter [2]. In einer anderen Studie ermittelte er mittels Simulationsmodell, dass Frauen, die sich mit einer 90%-igen Sicherheit den Wunsch einer Familie mit zwei Kindern erfüllen möchten, ab dem Alter von 27 Jahren eine Konzeption anstreben sollten. Wenn die Option der In- vitro-Fertilisationstechnik besteht, kann eine Frau sich bis 31 Jahre Zeit lassen. Im Alter von 42 Jahren besteht trotz Einsatzes von ART (assistierte reproduktionsmedizinische Techniken) nur noch eine 50%-ige Chance auf die Geburt eines Kindes (Tab. 1) [3].
Tabelle 1: Optimales Alter, in dem eine Frau in Abhängigkeit von der Anzahl ­gewünschter Kinder eine Konzeption anstreben sollte.
Gewünschte Anzahl Kinder:1 Kind2 Kinder3 Kinder
OHNE Hilfe der In-vitro-Fertilisationstechnik
Wahrscheinlichkeit, den ­Kinderwunsch zu erfüllen:Alter, ab welchem eine Schwangerschaft angestrebt ­werden sollte (in Jahren):
50%413835
75%373431
90%322723
MIT Hilfe der In-vitro-Fertilisationstechnik
Wahrscheinlichkeit, den ­Kinderwunsch zu erfüllen:Alter, ab welchem eine Schwangerschaft angestrebt ­werden sollte (in Jahren):
50%423936
75%393533
90%353128
(Adaptiert von: Habbema JD, et al. Realizing a desired family size: when should couples start? ­Hum ­Reprod. 2015.;30(9):2215–21. Copyright © 2015 by the Author, published by Oxford University Press on behalf of the European Society of Human Reproduction and Embryology, distributed under the terms of the Creative Commons Attribution Non-Commercial License [http://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0.])

«Fertility Awareness»

Das Wissen der Bevölkerung über den negativen Einfluss eines fortgeschrittenen mütterlichen Alters auf eine erfolgreiche und unkomplizierte Schwangerschaft ist nach wie vor begrenzt. Berichte über Prominente wie zum Beispiel Halle Berry (Mutter mit 46 Jahren), Holly Hunter (bekam Zwillinge mit 47 Jahren) und Cherie Blair, die Frau von Tony Blair, die mit 45 Jahren das vierte Kind bekam, tragen zum Irrglauben einer uneingeschränkten Fertilität bis zur Menopause bei. In einer 2017 durchgeführten US-amerikanischen Umfrage bei Frauen im Alter von 18 bis 45 Jahren aus der allgemeinen Bevölkerung sowie bei Ärztinnen in Ausbildung unterschätzten die Befragten den negativen Effekt steigenden mütterlichen Alters auf die Fertilität und überschätzten die Erfolgsrate der ART. Immerhin zeigte sich, dass die meisten Befragten wussten, dass Rauchen die Fruchtbarkeit vermindert. Dreiviertel der befragten Frauen wusste über den negativen Einfluss von Unter- und Übergewicht und einer vorangegangenen Chlamydien-/Gonokokken-Infektion Bescheid und ebenso, dass ein Schwangerschaftsabbruch und gelegentlicher Koffeinkonsum die Fruchtbarkeit nicht beeinträchtigen. Die Einnahme oraler Kontrazeptiva sowie moderater Alkoholkonsum wurden fälschlicherweise als Risikofaktoren von 40 bzw. 50% der Frauen aus der Allgemeinbevölkerung bezeichnet. Der eklatante Anteil von 70% der Befragten (auch bei den Ärztinnen und Ärzten) wusste allerdings nicht, dass der Einsatz von Gleitmitteln die Fertilität beeinträchtigt [4].

Gründe für die Aufschiebung der ­Mutterschaft

Die Ursachen für den demographischen Wandel sind v.a. gesellschaftlicher Natur und werden in den Industrieländern dringlich erforscht, da sinkende Geburtenzahlen die Stabilität unserer Gesellschaft beeinflussen und in den kommenden Jahrzehnten zu wesentlichen Herausforderungen führen werden (z.B. die Finanzierung unserer Sozialstrukturen). Seit den 1980er Jahren ist bekannt, dass der weitverbreitete Einsatz oraler Kontrazeptiva, die 1960 auf den Markt kamen, in den USA, Nord- und Westeuropa zu einem Aufschub der Familienplanung geführt hat. Allerdings ist der Gebrauch der Pille in Süd- und Osteuropa weniger verbreitet, was darauf hinweist, dass neben effektiver Kontrazeption andere sozioökonomische und kulturelle Faktoren eine wichtige Rolle beim Aufschub der Mutterschaft spielen. In einer im Auftrag der ESHRE (European Society of Human Reproduction and Embryology) 2011 publizierten Literaturübersicht wurde der erleichterte und geförderte Zugang zu höherer Bildung und der daraus resultierende Wunsch nach einer beruflichen Karriere als einer der Gründe für den Aufschub der Familienplanung genannt [5].
Höhere Bildung scheint nur einen bedingten Effekt auf das Alter der Frau bei der ersten Geburt zu haben. Berufstätigkeit und Familienhintergrund per se beeinflussen die Familienplanung ebenfalls. Eine Studie in 21 europäischen Ländern wies nach, dass Frauen in männlich dominierten Berufen später Mutter werden. Berufstätige Frauen verschieben die Familiengründung vor allem wegen der Inkompatibilität von beruflicher Karriere und Kinderbetreuung. Junge Paare warten heute länger, bis sie sich ein Kind leisten wollen/können, auch um die unweigerliche Gehaltseinbusse, die mit einer frühen Mutterschaft einhergeht, zu vermeiden. Entgegen der allgemeinverbreiteten Meinung ist es dabei aber nicht etwa ein Problem, dass Frauen erwerbstätig sind, sondern eher das Gegenteil. Innerhalb der europäischen Industrieländer zeigt sich nämlich, dass Länder mit niedriger Erwerbstätigkeit von Frauen (z.B. Spanien und Italien) im Vergleich tiefe Geburtenraten haben, während in Ländern mit hoher Erwerbsquote (z.B. Frankreich und die skandinavischen Länder) mehr Kinder geboren werden. Eine gute Vereinbarkeit von Ausbildung, Erwerbstätigkeit und Elternschaft scheint also die Geburtenrate zu erhöhen. Zudem spielen häufigere Partnerwechsel, der Trend unverheiratet zu bleiben bzw. die erleichterte Ehescheidung und die Unfähigkeit, einen Partner zu finden, eine Rolle. Hohe Immobilienpreise und ein erschwerter Zugang zu Hypotheken zur Finanzierung eines Eigenheimes sowie ökonomisch unsichere Zeiten, hohe Arbeitslosigkeit und befristete Arbeitsverträge (z.B. in Griechenland, Spanien und Italien) resultieren gleichfalls in einer späteren Familiengründung.

Mütterliches Alter und Schwangerschaftskomplikationen

Fortgeschrittenes maternales Alter bedeutet, dass häufiger Komorbiditäten wie Adipositas, Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie, welche wichtige Risikofaktoren für geburtshilfliche Komplikationen sind, vorliegen. Besonders deutlich tritt dieser Zusammenhang von mütterlichem Alter und geburtshilflichen Komplikationen bei Schwangerschaften nach Eizellspende zu Tage. Die bereits gestörte kardiovaskuläre Funktion bei vorbestehender hypertensiver Erkrankung steigert das Risiko einer Präeklampsie, einer vorzeitigen Plazentalösung und einer intrauterinen Wachstumsretardierung. Insulin-Sensitivität und β-Zellfunktion nehmen mit zunehmenden Alter ab, so dass die Wahrscheinlichkeit, einen Gestationsdiabetes zu entwickeln, zunimmt. ART, aber auch die Tatsache, dass die natürliche Mehrlingsrate mit dem Alter steigt, führen zu einer erhöhten Inzidenz von Mehrlingsschwangerschaften. Geburtshilfliche Komplikationen wie Präeklampsie, Gestationsdiabetes, Frühgeburtlichkeit, intrauteriner Fruchttod, postpartale Hämorrhagie, eine erhöhte Sectio-Rate, niedriges Geburtsgewicht und eine insgesamt höhere maternale und kindliche Mortalität sind schwerwiegende und häufige Komplikationen bei Mehrlingsschwangerschaften. Nachgewiesen ist, dass Plazentationsstörungen nach ART auch bei Einlingsschwangerschaften häufiger vorkommen. ART scheint ebenfalls einen Einfluss auf das neonatale Gewicht zu haben. Die Malformationsrate, die bei Frauen unter 35 Jahren 3,5% beträgt, korreliert gleichfalls positiv mit dem Alter der Mutter und beträgt 4,5% bei ≥35- und 6% bei ≥40-Jährigen. Möglicherweise handelt es sich um ein Ermittlungsbias, da Risikoschwangerschaften generell mehr überwacht werden. Andere Ursachen für den Anstieg der Malformationsrate könnten die längere Umweltgiftexposition, grösserer oxydativer Stress der Gameten oder mitochondriale Fehlfunktionen in der Eizelle sein.

Zunahme der Aneuploidien in Eizellen

Die unbalancierte Verteilung der Chromosomen in den Eizellen ist die wichtigste Ursache für die altersbedingte Infertilität, die steigende Abortrate und die Zunahme fetaler chromosomaler Anomalien (Abb. 1). Im Alter von 42 Jahren sind 80% aller Eizellen aneu­ploid. In Eizellen findet die Rekombination homologer Chromosomen während der meiotischen Prophase I in der fetalen Periode statt. Danach hält die erste meiotische Teilung der Eizelle an. Sie bleibt jahrzehntelang in einem Ruhezustand. Erst während der Ovulation kommt es zur Fortsetzung und Beendigung der ersten meiotischen Teilung. Das erste Polkörperchen wird ausgestossen. Die Fertilisation durch ein Spermatozoon setzt die zweite meiotische Teilung in Gang. Die Verlängerung der Zeit zwischen den Phasen der Meiose I ist einer der Gründe für die Zunahme der Aneuploidierate bei später Mutterschaft. 70% der Fehler treten in Meiose I auf und sind auf eine «Non-Disjunction» (Fehlsegregation) homologer Chromosomen oder eine «Non-Disjunction» von Schwesterchromatiden zurückzuführen. Allerdings kommt es relativ häufig zu einer Korrektur der Aneuploidie während Meiose II. Was läuft falsch während der Meiose? Es gibt mehrere Hypothesen. Einerseits kommt es zu einem altersabhängigen Verlust des Zusammenhaltes der Schwesterchromatiden (sister chromatid cohesion), der Aufbau des Spindelapparates erfolgt zunehmend fehlerhaft, was zu einer Instabilität führt. Eine defekte Deacetylierung des Histons H4 KI2 führt zu einer ungenauen Ausrichtung der Chromosomen. Bei habituellen Aborten und fortgeschrittenem maternalen Alter finden sich zudem auch häufig kürzere Telomere. Die Telomerase, welche die Telomere verlängert, spielt bei der Ausrichtung der Chromosomen und der Stabilität des Spindelapparates eine Rolle. Die gewichtigste experimentelle Evidenz bezüglich dem Entstehungsmechanismus der Aneuploidien deutet aber auf die spezielle Rolle der vorzeitigen Trennung der Schwester-Chromatiden und von Cohesin [6, 7].

Die Rolle der Mitochondrien in der Eizelle

Mitochondrien sind die Kraftwerke aller Zellen und ihre Aufgabe ist die Synthese von Adenosintriphosphat (ATP). Die mitochondriale DNA (mtDNA) ist anfälliger für Mutationen und Deletionen. Mitochondrien werden uniparental von der Mutter vererbt. Die maternalen Mitochondrien sind die Hauptquelle des ATPs während der frühen Entwicklung des Embryos vor der Implantation. Man nimmt an, dass die Dysfunktion der Mitochondrien eine Schlüsselrolle beim verminderten Entwicklungspotential der «älteren» Eizelle spielt. Frauen mit einer geringen Ovarialreserve (als Ovarialreserve bezeichnet man die Anzahl vorhandener antraler und präantraler Follikel im Ovar) sowie ältere Frauen haben eine signifikant geringere Menge an mtDNA im Vergleich zu jüngeren Frauen und Frauen mit einer normalen Ovarialreserve. Eine höhere ATP-Konzentration korreliert mit einer besseren Embryoentwicklung und einer höheren Implantationsrate [8, 9].

Assistierte reproduktionsmedizinische Technologien (ART)

Der Einsatz von ART verlängert die fertile Lebensspanne einer Frau um einige (wenige) Jahre. Die Lebendgeburt-Rate nach ART sinkt nach dem 40. Lebensjahr dramatisch und beträgt unter idealen Voraussetzungen (normaler BMI, normale Ovarialreserve, kein Nikotinabusus, keine Komorbiditäten) 20 bis 25%. Auf der Website der Amerikanischen Gesellschaft für Assistierte Reproduktionsmedizinischen Technologien (SART) kann eine Frau mit einem einfachen Programm ihre unverzerrte, werbungsfreie Chance einer Lebendgeburt errechnen lassen (https://www.sartcorsonline.com/Predictor/­Patient).

«Preimplantation Genetic Testing 
for Aneuploidies» (PGT-A)

Die Wahrscheinlichkeit, bei einer künstlichen Befruchtung einen euploiden Embryo zu generieren, ist hauptsächlich vom maternalen Alter, der Ovarialreserve und der Anzahl gewonnener reifer Eizellen abhängig [9]. Die Durchführung von PGT-A (Preimplantation Genetic Testing for Aneuploidies) und PGT-M (Preimplantation Genetic Testing for Monogenic Diseases) an Embryonen ist seit September 2017 in der Schweiz erlaubt. Diese Technik setzt eine künstliche Befruchtung voraus. 5 bis 6 Tage nach der Fertilisation werden dem schlüpfenden Blastozysten etwa 5–8 Zellen seines Trophektoderms, der zukünftigen Plazenta, entnommen (Abb. 3). NGS (next generation sequencing) ermöglicht die simultane und damit kostengünstigere Sequenzierung grosser Mengen DNA. Aufgrund der hohen Resolution können partielle oder segmentale Aneuploidien leichter erkannt werden (Abb. 4). Durch die gleichzeitige Analyse aller Zellen können zudem Mosaike quantifiziert werden. D.h. die Trophektodermprobe kann sowohl euploide und aneuploide Zellen enthalten. PGT-A scheint Frauen über 37 Jahre schneller zur Geburt eines Kindes zu verhelfen, da die Wahrscheinlichkeit eines Implantationsversagens oder eines Abortes sinkt. Voraussetzung ist eine genügende Anzahl an Eizellen und Embryonen, deren Zahl allerdings aufgrund der altersbedingt abnehmenden Ovarialreserve sinkt. Bei Frauen mit wiederholten Fehlgeburten und Frauen mit wiederholtem Implantationsversagen sind die bisherigen Resultate nicht eindeutig. Auf jeden Fall ist die Trophektodermbiopsie der früher angewandten Biopsie des Embryos im Hinblick auf die Lebendgeburt-Rate überlegen. Problematisch ist das Fehlen robuster Langzeitergebnisse der Kinder. Der Umgang mit Embryonen, die zu einem Teil aus euploiden und aneuploiden Zellen (Mosaike) bestehen, stellt ebenfalls eine Herausforderung dar, da aus Mosaikembryonen durchaus gesunde Kinder entstehen können. Derzeit fehlt noch die wissenschaftliche Evidenz, welche die Wirksamkeit der PGT-A belegt.
Abbildung 3: Trophektodermbiopsie eines Blastozysten. 
(Quelle: IVF-Labor fertisuisse, Olten.)
Abbildung 4: Karyogramme von biopsierten Trophektodermzellen. A) Euploides Karyogramm von 24 Chromosomen (46; XY). B) Aneuploides Karyogramm von 24 Chromosomen: Das gesamte Chromosom 18 ist dreifach vorhanden. Es handelt sich um eine Trisomie des Chromosoms 18. (Quelle: PD Dr. B. Conrad, Medisupport, Schweizer Netzwerk Regionaler Laboratorien, Bern)

Die Eizellspende zur Erfüllung des ­Kinderwunsches

Bei der Eizellspende werden die Eizellen einer jüngeren, meistens anonymen Frau mit den Spermien des Partners befruchtet. Die Spenderin unterzieht sich hierfür einer ovariellen Stimulation und in der Regel werden mehrere Eizellen gewonnen und befruchtet. Mittlerweile wird mehrheitlich nur ein Embryo übertragen. Die anderen Embryonen werden kryokonserviert. Die häufigsten Gründe für eine Eizellspende sind fortgeschrittenes mütterliches Alter >40 Jahre und wiederholtes Versagen einer ART. Die kumulative Schwangerschafts- und Lebendgeburt-Rate nach drei Versuchen beträgt, unabhängig von der Ursache der Unfruchtbarkeit, über 80%. Aufgrund des durchschnittlich höheren Alters und zusätzlicher Komorbiditäten der Eizellempfängerinnen treten geburtshilfliche Komplikationen häufiger auf [10]. Vor einer Eizellspende sollte eine psychosoziale Beratung des Paares stattfinden. Im Gegensatz zur Samenspende ist die Eizellspende in der Schweiz verboten.

«Social freezing»

Der Aufschub der Familienplanung und das wachsende Bewusstsein über den negativen Effekt des Alters auf die Fertilität hat bereits dazu geführt, dass immer mehr Frauen ihre unbefruchteten Eizellen «für später» einfrieren lassen («social freezing»). Das ist durchaus ein Weg, Familiengründung und Karriere besser vereinbaren zu können. Allerdings sollte die Kryokonservierung der Eizellen vor dem Alter von 35 Jahren erfolgen und sie sollte nicht dazu führen, dass Frauen sich in falscher Sicherheit wiegen. Optimalerweise sollten mindestens 8–10 reife Eizellen kryokonserviert werden [11]. Der Einsatz von ART mit «jüngeren» Eizellen kann die Erfolgschancen steigern und die Anzahl Aborte sowie fetale Aneuploidien, wie sie bei älteren Frauen häufiger auftreten, senken und damit helfen, Eizellspenden zu vermeiden.

Ausblicke

Für unseren Generationenerhalt ist eine Geburtenrate von mindestens 2 Kindern pro Frau notwendig. Die Gesellschaft und Politiker sind aufgefordert sich mehr für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einzusetzen. Unsere Möglichkeiten, eine rechtzeitige Familiengründung zu unterstützen, sind vielfältig und reichen von der finanziellen Unterstützung junger Paare, Schaffung von kostengünstigem Wohnraum über leistbare Kinderbetreuung bis zur Ermöglichung und Akzeptanz von Teilzeitarbeit beider Partner – um nur einige Beispiele zu nennen.
Der Einsatz invasiver und nicht-invasiver Methoden zur Selektion des Embryos mit der besten Prognose wird zunehmen. Randomisierte Studien müssen jedoch noch den Nachweis erbringen, dass die Lebendgeburt-Rate dadurch tatsächlich steigt. Langzeitresultate bezüglich gesundheitlicher Sicherheit aller PGT-Techniken sollten national und international gesammelt werden.
Wir Ärztinnen und Ärzte sollten uns bei der Diskussion über gesellschaftliche Einflüsse auf das Alter der Mutter bei der ersten Geburt und deren Lösung sowie den Einsatz reproduktionsmedizinischer Therapien zur Verlängerung der fertilen Lebensspanne aktiv und engagiert einbringen, um ethische Diskussionspunkte mit den technischen Möglichkeiten sorgfältig in Einklang zu bringen.

Das Wichtigste für die Praxis

• Die Vereinbarkeit von Beruf, Karriere und Familie muss gesellschaftlich und politisch unterstützt werden. Frauen im reproduktiven Alter sollten durch ihre Ärzte über das optimale Alter, eine Familie zu gründen, aktiv informiert werden, da in Teilen der Bevölkerung das Wissen um die ­altersbedingt zunehmende Rate an geburtshilflichen Komplikationen ­sowie die abnehmende Fertilität ungenügend ist.
• Frauen sollten darauf hingewiesen werden, dass der Erfolg von ART bei Frauen >40 Jahren dramatisch sinkt. Das maternale Alter ist der wichtigste prädiktive Faktor für den Erfolg einer ART, die zur Geburt eines Kindes führt.
• Bei 42-Jährigen sind 80% der Eizellen aneuploid, weswegen der Einsatz von PGT-A (preimplantation genetic testing for aneuploidies) bei Frauen >37 Jahren wahrscheinlich schneller zu einer Lebendgeburt führt. Bisher fehlt für diese Annahme noch der wissenschaftliche Nachweis.
• Das Einfrieren von Eizellen <35. Lebensjahr («social freezing») erlaubt ­einen Aufschub der Familienplanung, ist aber mit Kosten verbunden und garantiert nicht die Geburt eines Kindes. Beide Strategien, «social freezing» und PGT-A, können die emotionale und finanzielle Belastung durch wiederholte erfolglose Versuche mit ART lindern und Eizellspenden vermeiden.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Rebecca Moffat
fertisuisse
Tannwaldstrasse 2
CH-4600 Olten
rmoffat[at]fertisuisse.ch
 1 Heffner LJ . Advanced maternal age – how old is too old? N Engl J Med. 2004 Nov 4;351(19):1927–9.
 2 Eijkemans MJ, van Poppel F, Habbema DF, Smith KR, Leridon H, te Velde ER. Too old to have children? Lessons from natural fertility populations. Hum Reprod. 2014;29(6):1304–12.
 3 Habbema JD, Eijkemans MJ, Leridon H, te Velde ER. Realizing a ­desired family size: when should couples start? Hum Reprod. 2015;30(9):2215–21.
 4 Kudesia R, Chernyak E, McAvey B. Low fertility awareness in United States reproductive-aged women and medical trainees: creation and validation of the Fertility & Infertility Treatment Knowledge Score (FIT-KS). Fertil Steril. 2017;108(4):711–7.
 5 Mills M, Rindfuss RR, McDonald P, te Velde E; ESHRE Reproduction and Society Task Force. Why do people postpone parenthood? Reasons and social policy incentives. Hum Reprod Update. 2011;17(6):848–60.
 6 Nagaoka SI, Hassold TJ, Hunt PA. Human aneuploidy: mechanisms and new insights into an age-old problem. Nat Rev Genet. 2012;13(7):493–504.
 7 Capalbo A, Hoffmann ER, Cimadomo D, Ubaldi FM, Rienzi L. Human female meiosis revised: new insights into the mechanisms of chromosome segregation and aneuploidies from advanced genomics and time-lapse imaging. Hum Reprod Update. 2017;23(6):706–22.
 8 Mihalas BP, Redgrove KA, McLaughlin EA, Nixon B. Molecular Mechanisms Responsible for Increased Vulnerability of the Ageing Oocyte to Oxidative Damage. Oxid Med Cell Longev. 2017;2017:4015874.
 9 La Marca A, Minasi MG, Sighinolfi G, Greco P, Argento C, Grisendi V, et al. Female age, serum antimüllerian hormone level, and number of oocytes affect the rate and number of euploid blastocysts in in vitro fertilization/intracytoplasmic sperm injection cycles. Fertil Steril. 2017;108(5):777–83.
10 Storgaard M, Loft A, Bergh C, Wennerholm UB, Söderström-Anttila V, Romundstad LB, et al. Obstetric and neonatal complications in pregnancies conceived after oocyte donation: a systematic review and meta-analysis. BJOG. 2017;124(4):561–72.
11 Cobo A, García-Velasco JA, Coello A, Domingo J, Pellicer A, Remohí J. Oocyte vitrification as an efficient option for elective fertility preservation. Fertil Steril. 2016;105(3):755–64.e8.