Best practice in der Antibiotikatherapie
Das Wichtigste in zehn Punkten

Best practice in der Antibiotikatherapie

Übersichtsartikel
Ausgabe
2018/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03389
Swiss Med Forum. 2018;18(46):957-962

Affiliations
a Département de Maladies Infectieuses, Hôpitaux Universitaires de Genève et Faculté de Médecine de Genève, Genève;
b Service de Prévention et Contrôle de l’Infection, Hôpitaux Universitaires de Genève et Faculté de Médecine de Genève, Genève

Publiziert am 14.11.2018

Antibiotika gehören zu den am häufigsten verordneten Wirkstoffen. Nichtsdestotrotz ist ihre Handhabung komplex und, entsprechend der mikrobiologischen Epidemiologie, beständig in Veränderung begriffen.

Einleitung

Obgleich Antibiotika die Prognose von Patienten mit schweren bakteriellen Infektionen innerhalb der letzten 70 Jahre beträchtlich verbessert haben, ist dieser wertvolle Wirkstoff heute bedroht [1]. Bakterielle Resistenzen und die geringe Zahl neu zugelassener Antibiotika auf dem Markt kompromittieren die Wirksamkeit dieser Medikamentenklasse auf lange Sicht.
Beinahe jeder fünfte Schweizer pro Jahr und jeder zweite Patient während eines Spitalaufenthalts erhalten Antibiotika [2], jedoch werden 20–50% dieser Verschreibungen als unangemessen respektive unnötig beurteilt [3]. Dieser suboptimale Antibiotikaeinsatz trägt zum Aufkommen und zur Verbreitung resistenter Bakterien bei [4].
Daher gilt: Angemessen, besser … oder aber gar nicht verschreiben! Vor dem derzeitigen Hintergrund ist eine Verbesserung unserer Verschreibungspraxis bei Antibiotikaverordnungen dringend erforderlich. In diesem Review möchten wir die zehn wichtigsten Punkte der Antibiotikaverschreibung für alle Allgemein- und Fachärzte zusammenfassen.

Ist tatsächlich ein Antibiotikum indiziert?

Nicht jedes Fieber ist durch eine bakterielle Infektion bedingt. Viren, Parasiten, Pilze, Mykobakterien – das Spektrum potentieller Fieberursachen ist gross. Hinzu kommen noch nichtinfektiöse Ursachen wie Autoimmunerkrankungen, Neoplasien und Medikamente.
Dennoch werden bei Patienten mit Fieber häufig zu rasch Antibiotika verschrieben, frei nach dem Motto «Probieren wir es erst einmal mit einem Antibiotikum!». Die Auswirkungen einer Antibiotikatherapie sollten, selbst wenn es sich um eine Kurzzeittherapie handelt, nicht banalisiert werden. Schäden durch die Veränderung der Darmflora (Mikrobiom) treten bereits ab den ersten Antibiotikadosen auf und haben potentielle, noch unbekannte Langzeitfolgen. Überdies ist das Infektionsrisiko mit multiresistenten Keimen durch Kreuzkontamination im Spital erhöht, wenn der Patient Antibiotika erhält. Und schlussendlich bringt eine Antibiotikatherapie zahlreiche Nebenwirkungen mit sich.
Im ambulanten Bereich werden bei Infekten der oberen Atemwege zu häufig unnötige Antibiotikabehandlungen verschrieben. Die meisten dieser Infekte (Bronchitis, Sinusitis, Pharyngitis) sind durch Viren bedingt, gegen welche Antibiotika nicht wirken [5].
Daher ist es sinnvoller abzuwarten, die entsprechenden Untersuchungen durchzuführen, bei negativen Resultaten eine zweite Probe zu entnehmen und erst dann eine empirische Antibiotikatherapie zu beginnen, wenn man mehr über die Art der Infektion und das Bakterienspektrum in Erfahrung gebracht hat.
Dies gilt natürlich nicht für infektiologische Notfälle wie einen septischen Schock oder eine bakterielle Meningitis, bei denen schnellstmöglich eine Antibiotikabehandlung begonnen werden muss.

Ist das verschriebene auch 
das empfohlene Antibiotikum?

Die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie (SSI) und die «European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases» (ESCMID) haben Guidelines für die Behandlung von Infektionskrankheiten veröffentlicht. Diese sind im Internet auf folgenden Websites abrufbar: sginf.guidelines.ch und https://www.escmid.org/escmid_publications/medical_guidelines/.
Für Hausärzte gibt es (seit Mitte 2018) Schweizerische Empfehlungen für die Behandlung von Infekten der oberen Atemwege, Harnwegsinfekten, sexuell übertragbaren Erkrankungen, Divertikulitis und Lyme-Borreliose.
Im Zeitalter der «Evidence-based Medicine» werden diese Empfehlungen bezüglich der Antibiotikaverschreibung jedoch zu selten befolgt. So sollen weniger als die Hälfte der Antibiotikaverordnungen mit den Guidelines übereinstimmen [5]. Die Kritik an den Richtlinien ist vielgestaltig: zu geringer Evidenzgrad, nicht auf den Kontext des Patienten anwendbar, Einschränkung der Autonomie des Arztes, fehlende Kohärenz zwischen den unterschiedlichen Empfehlungen, zu häufige Aktualisierungen, die sich Nichtfachärzte nur schwer aneignen können.
Nichtsdestotrotz liefert die Literatur stichhaltige Argumente bezüglich der positiven Auswirkung der Guidelines auf den Werdegang der Patienten. Eine entsprechend den Empfehlungen verschriebene Antibiotikatherapie verringert die Sterblichkeit, die Dauer des Spitalaufenthalts sowie das Auftreten von Nebenwirkungen [6, 7].
Eine lokale Anpassung der nationalen oder internationalen Guidelines ist unerlässlich, da auf diese Weise die lokale Epidemiologie mitberücksichtigt wird. Mit den neuen Technologien entstehen neue Möglichkeiten zur Förderung und Verbreitung der Empfehlungen: die Bereitstellung lokaler Guidelines über das Intranet des Spitals, das Hinzufügen zum elektronischen Patientendossier oder die Verbreitung über Apps fürs Smartphone oder Tablet.

Wurde bei einer schweren Infektion eine Kultur vor Beginn der Therapie angelegt?

Erst eine Kultur anlegen, dann behandeln, so lautet nach wie vor ein Dogma der modernen Infektiologie. Denn das Testresultat von Kulturen kann extrem schnell, bereits mit der ersten Dosis des passenden Antibiotikums, negativ ausfallen und das Probenresultat mehrere Tage lang beeinflusst werden. Daher müssen mikrobiologische Proben vor Beginn einer Antibiotikatherapie entnommen werden, um das Aufspüren und die Identifikation pathogener Keime zu optimieren.
Trotz der Fortschritte der modernen Mikrobiologie, die mikrobiologische Diagnosen ohne die Anlage von Kulturen ermöglicht, ist letztere heute aus folgenden Gründen dennoch nach wie vor unerlässlich:
1. Zur Bestimmung der Antibiotikasensitivität von Bakterien. Die Methoden zum Aufspüren sogenannter «genotypischer» Resistenzen sind immer weiter verbreitet. Sie beruhen auf der Suche nach Resistenzgenen im Bakteriengenom. Der Nachweis des Gens bedingt jedoch nicht zwangsläufig, dass dieses auch exprimiert wird, und das Bakterium kann auf das entsprechende Antibiotikum ansprechen, obgleich es ein Resistenzgen in seinem Genom aufweist. Die Korrelation zwischen Phänotyp und Genotyp ist demzufolge nicht immer gegeben und das sogenannte «phänotypische» Standardantibiogramm ist auch heute noch die Referenzmethode zur Feststellung der Antibiotikasensitivität eines Bakterienstamms.
2. Die Auswertung molekularbiologischer Tests ist mit Vorsicht zu geniessen. Die Aussagekraft einiger Tests ist schlecht oder unbekannt (beispielsweise kann aufgrund der schlechten Aussagekraft der ­Mycobacterium-tuberculosis-PCR im Liquor die Dia­gnose einer tuberkulösen Meningitis bei einem negativen Resultat nicht ausgeschlossen werden). Überdies kann ihre sehr hohe Sensitivität die Auswertung schwierig gestalten, insbesondere wenn ein Testkit verwendet wird, da ein positives Testresultat nicht zwangsläufig mit einer aktiven Infektion gleichzusetzen ist (z.B. kann ein positiver PCR-Test auf ein respiratorisches Virus in einem Nasen-Rachen-Abstrich durch eine zurückliegende Infektion bedingt sein, nach welcher der Test mehrere Wochen lang positiv ausfallen kann).
Daher ist die Anlage von Blutkulturen die diagnostische Untersuchung erster Wahl und die Referenzmethode zur Diagnostik von Bakteriämien. Auch heute noch ist die Anlage einer Blutkultur «nach den Regeln der Kunst» mit zahlreichen Herausforderungen verbunden [8, 9]. Bei Patienten mit einer Sepsis muss die Probeentnahme zur Anlage einer Blutkultur zum Zeitpunkt der Erstversorgung stattfinden, ohne eine Antibiotikatherapie zu verzögern.
Obgleich mikrobiologische Kulturen erforderlich sind, damit der Arzt genaueren Aufschluss über die Erkrankung erhält und die Antibiotikabehandlung entsprechend anpassen kann, ist es möglich, dass auf diese Weise unnötige Antibiotikatherapien durchgeführt werden. Wenn das klinische Erscheinungsbild auf eine Infektion hindeutet und sich das Resultat einer mikrobiologischen Kultur auf die Behandlung auswirken könnte, ist die Anlage letzterer jedoch erforderlich.

Wie sind mikrobiologische Resultate auszuwerten?

Die Resultate mikrobiologischer diagnostischer Tests sind kritisch zu betrachten. Das Vorhandensein eines Bakteriums oder mehrerer Bakterien in einer Probe muss nicht immer auf eine Infektion hinweisen. Weitere Möglichkeiten, warum eine Probe positiv ausfällt, können Verunreinigungen oder die normale Bakterienflora sein.
Bei der Probenauswertung sind folgende Punkte systematisch abzuklären:
1. Welcher klinische Hintergrund besteht (Schwere der Erkrankung, vorhandene medizinische Ausrüstung, Immunsuppression)?
2. Ist der Entnahmeort normalerweise steril (Blutkultur, Gelenkflüssigkeit) oder durch eine kommensale Flora besiedelt (Probeentnahme aus oberflächlichen Wunden, Vaginalabstrich, Abstrich im HNO-Bereich)?
3. Unter welchen Bedingungen ist die Probenentnahme erfolgt (z.B. im Operationssaal)? Wurden die Massnahmen zum Ausschluss einer Kontamination eingehalten?
4. Wie viele verschiedene Keime wurden nachgewiesen und in welcher Menge? Gibt es für diesen Test spezifische Auswertungskriterien?
5. Bei einem negativen Test: Wurden die Proben unter adäquaten Bedingungen entnommen (Nahm der Patient z.B. Antibiotika ein?)?

Haben Sie die Behandlung reevaluiert?

Schätzungsweise bis zu 50% der Antibiotikaverschreibungen sind unnötig oder unangemessen. Die Selbstreevaluation der Behandlung durch den verschreibenden Arzt ist eine der wichtigsten Massnahmen von «Antibiotic Stewardship»-Programmen. Sie besteht darin, die Anhaltspunkte für die Verschreibung nach einer ausreichenden Zeitspanne (48 bis 72 Stunden) erneut zu prüfen, wodurch der klinische Verlauf, die Laborergebnisse und die mikrobiologischen Testresultate beurteilt werden können. Dabei werden die klinische Indikation, die Medikamentenwahl, -dosierung und Anwendungsdauer überprüft. Die Reevaluierung kann zu folgenden Entscheidungen führen:
– dem Absetzen einer Antibiotikatherapie, wenn die Resultate der mikrobiologischen Proben oder anderer Diagnostiktests negativ sind oder eine nicht infektiös bedingte Diagnose gestellt wurde;
– dem Wechsel zur oralen Einnahme bei initialer in­travenöser Behandlung und wenn die entsprechenden Kriterien erfüllt sind (Tab. 1) [1];
Tabelle 1: Kriterien für den Wechsel von der intravenösen zur oralen Antibiotikatherapie* [10].
Stabiler PatientStabiler hämodynamischer Zustand, klinische Infektionszeichen ­abgeklungen oder gebessert (die Abwesenheit von Fieber ist kein ­zwingendes Kriterium)
Funktionsfähiger VerdauungstraktKein Darmverschluss, keine schwere Gastroparese, keine Malabsorption, kein kurzer Dünndarm und keine nasogastrale Dauersonde
Keine Infektion, bei der eine orale Einnahme ­kontraindiziert istSchwere Sepsis, Infektion des Zentralnervensystems, endovaskuläre Infektion, Endokarditis, nektrotisierende Fasziitis
Orale Verabreichung möglichKein Erbrechen und kooperativer Patient
Für den Infektionsort geeigneter oraler Wirkstoff 
* Es gibt keine allgemeingültigen Kriterien. Bei der Medikamentenwahl sollten Wirkstoffe mit einer hohen Bioverfügbarkeit bevorzugt werden.
– Anpassung oder Deeskalation (Wechsel von einem Breitbandantibiotikum zu einem Wirkstoff mit schmalerem Spektrum, entsprechend des Profils des ermittelten Bakteriums);
– Festlegung der Behandlungsdauer.
Um eine systematische Reevaluierung von Antibiotikaverschreibungen in Spitälern stärker in der Praxis zu verankern, werden verschiedene Strategien angewendet: eine elektronische Erinnerung in der Verschreibungssoftware oder die Anwendung einer Checkliste zur Überprüfung der Verschreibungen, welche die einzelnen Reevaluierungsparameter enthält.
Im Spital ist es wichtig, diese Reevaluierung in der ­Patientenakte zu dokumentieren, was zu den «Best Practice»-Standards gehört [11]. Eine angemessene Dokumentation ist unerlässlich für die Beurteilung der Qualität der Antibiotikaverschreibungen und die Verbesserung der Verschreibungspraxis (Beurteilung, ob die Wahl des Wirkstoffes, der Dosis und der Behandlungsdauer mit den geltenden Guidelines übereinstimmt).
Mithilfe eines Systems zur elektronischen Erfassung der Medikamentenverordnungen kann die Qualität dieser Dokumentation verbessert werden, indem bei der Verschreibung eines Antibiotikums die Indikation angegeben werden muss oder eine elektronische Erinnerung an eine systematische Reevaluation erfolgt.

Ist eine Kurzzeitbehandlung möglich? Verkürzung der Antibiotikatherapiedauer

Eine kürzere Antibiotikatherapiedauer hat zahlreiche individuelle und kollektive Auswirkungen:
– Individuell gesehen, können durch eine kürzere Behandlungsdauer die Compliance des Patienten, eine Verringerung der negativen Auswirkungen auf die Darmflora, des Infektionsrisikos mit multiresistenten Keimen (insbesondere bei Spitalpatienten) sowie von Nebenwirkungen bestimmter Antibiotika erzielt werden, die bei einer Langzeitbehandlung häufiger auftreten (hämatologische Auswirkungen von Linezolid, neurologische Auswirkungen von Metronidazol, Infektionsrisiko mit Clostridium difficile …).
– Kollektiv gesehen, handelt es sich um eine Massnahme zur Verringerung des weltweiten Antibiotikaverbrauchs und somit zur potentiellen Begrenzung der Übertragung bakterieller Resistenzen.
– Und schlussendlich hat eine Verkürzung der Behandlungsdauer direkte wirtschaftliche Auswirkungen in Bezug auf die Kosten der verschriebenen Medikamente sowie indirekte wirtschaftliche Auswirkungen durch die Verringerung der Dauer des Spitalaufenthalts zur Folge.
Bis dato liegen nur wenige wissenschaftliche Daten bezüglich der Behandlungsdauer vor. Die Fachgesellschaften empfehlen häufig lange Behandlungsintervalle (mitunter doppelt so lang). Diese sollen die unterschiedlichen klinischen Erscheinungsbilder und die damit zusammenhängenden Komorbiditäten berücksichtigen, welche den klinischen Verlauf beeinflussen können. Zahlreiche Studien haben jedoch gezeigt, dass die Verschreibungsdauer die empfohlene Behandlungsdauer übersteigt [12]. Häufig verlängern die verschreibenden Ärzte «nur um sicherzugehen» die Dauer der Antibiotikatherapie. Ein derartiges Vorgehen spiegelt die verbreitete Ansicht wider, dass die Verordnung eines Antibiotikums schlimmstenfalls eine neutrale Therapieentscheidung darstellt.
Nichtsdestotrotz ändern sich die Dinge: Die Wirksamkeit und Unschädlichkeit von Kurzzeitbehandlungen wurde in den letzten Jahren in zahlreichen Studien untersucht. Heute verfügen wir über solide Daten, die bei mehreren Infektionsarten für eine Kurzzeittherapie sprechen [13, 14] (Tab. 2).
Tabelle 2: Aktuelle Empfehlungen bezüglich der Behandlungsdauer der häufigsten Infektionen*.
 Neue empfohlene Behandlungsdauer
Ambulant erworbene Pneumonie(3)–5 Tage (Absetzen nach 2–3 Tagen ohne Fieber möglich)
Zystitis1–5 Tage (je nach Wirkstoff)
Pyelonephritis7 Tage
Komplizierte intraabdominelle Infektionen4 Tage nach Herdsanierung
Zellulitis, Erysipel5–7 Tage (Absetzung möglich, wenn die akute Entzündung seit 3 Tagen abgeklungen ist)
Spondylodiszitis6 Wochen
* Die Behandlungsdauer kann bei derselben Indikation je nach verwendetem Wirkstoff variieren. Bei der Behandlungsdauer ist der klinische Kontext des Patienten zu berücksichtigen (Immunsuppression). Vorschläge der Autoren angepasst nach den Empfehlungen der ESCMID und der SSI.
In den letzten Jahren hat das Interesse an der Verwendung von Serummarkern wie dem C-reaktiven Protein (CRP) oder Procalcitonin (PCT) als Entscheidungshilfe für eine verkürzte Behandlung stark zugenommen. Obgleich die Sinnhaftigkeit dieser Marker umstritten bleibt [15], geht aus den Daten hervor, dass ihre Verwendung vielversprechend ist, wenn es darum geht, die Zahl der begonnenen Antibiotikatherapien zu verringern und die Behandlungsdauer unter bestimmten Umständen, wie etwa bei Infekten der unteren Atemwege auf der Intensivstation, zu verkürzen.
Und schliesslich gibt es Überlegungen darüber, was den Patienten bezüglich der Dauer einer ambulanten Antibiotikatherapie vermittelt werden sollte. Denn in den Köpfen der Ärzte und der Bevölkerung ist grösstenteils das Dogma, «die Behandlung bis zum Ende fortzusetzen», fest verankert [16]. Dies ist durch die Angst vor einem Nichtansprechen der Behandlung, einem Rezidiv oder der Entstehung bakterieller Resistenzen bedingt. Das Risiko, bakterielle Resistenzen zu entwickeln, steigt jedoch wahrscheinlich mit der Behandlungsdauer, weshalb das oben genannte Dogma heute infrage gestellt wird [16]. Sollte dem Patienten vorgeschlagen werden, die Behandlung, ungeachtet der verordneten Einnahmedauer, abzusetzen, sobald sich die Symptome bessern? Ganz so weit ist es noch nicht, das Thema wurde jedoch angestossen und die «one-size-fits-all»-Vorgehensweise ist in jedem Fall zu überdenken.
Die Hauptbotschaft für die Ärzte besteht darin, die kürzest mögliche Behandlungsdauer (die Mindestdauer des angegebenen Behandlungsintervalls) zu wählen, wenn keine Komplikationen vorliegen und kein ungünstiger klinischer Verlauf besteht.

Welche Antibiotika kann man sparen und wie?

Die Weltgesundheitsorganisation hat im Jahr 2017 die Liste der Antibiotika, die zu den essenziellen Medikamenten gehören, aktualisiert [17]. Diese wurden in drei Kategorien unterteilt (Tab. 3): «Access», «Watch» («mit Vorsicht einzusetzen») und «Reserve» («LetzteWahl/Option»). Zur «Access»-Kategorie zählen die als erste oder zweite empirische Wahlbehandlung für die meisten gängigen Infektionen eingesetzten Wirkstoffe. Zur «Watch»-Kategorie gehören Medikamente mit erhöhtem Resistenzpotential, deren Anwendung auf spezifische Indikationen beschränkt bleiben sollte. Auf diese ist bei «Antibiotic Stewardship»-Programmen ein verstärktes Augenmerk zu richten. Und die «Reserve»-Gruppe umfasst schliesslich die Medikamente, deren Anwendung auf stark spezifische Situationen beschränkt ist, wenn es keine anderen verfügbaren Alternativen gibt oder diese nicht angeschlagen haben.
Tabelle 3: Antibiotikakategorien «Watch» und «Reserve» laut Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation [17].
«Watch» (mit Vorsicht einzusetzen)Anti-Pseudomonas-Penicillin mit Beta-Lactamase-Inhibitor (z.B.Piperacillin und Tazobactam)
Carbapeneme (z.B.Ertapenem, Imipenem und Cilastatin, Meropenem)
Cephalosporine der 3.Generation (mit oder ohne Beta-Lactamase-Inhibitor; z.B.Cefixim, ­Cefotaxim, Ceftazidim, Ceftriaxon)
Glykopeptid-Antibiotika (z.B.Teicoplanin, Vancomycin)
Makrolidantibiotika (z.B.Azithromycin, Clarithromycin, Erythromycin)
Chinolone und Fluorchinolone (z.B. Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin)
«Reserve» (letzte ­Wahl/Option)Aztreonam
Cephalosporine der 4. Generation (z.B. Cefepim)
Cephalosporine der 5. Generation (z.B. Ceftarolin)
Daptomycin
Fosfomycin (intravenös)
Oxazolidinone (z.B.Linezolid)
Polymyxine (z.B. Colistin, Polymyxin B)
Tigezyklin
Obgleich sie uneingeschränkt erhältlich sind, können einige Antibiotikaklassen aus ökologischer Sicht schädlicher sein. Denken wir beispielsweise einmal an die allgemein übliche Fluorchinolonanwendung bei Harnwegsinfekten und Lungenentzündungen, von der aufgrund des starken schädigenden Einflusses auf die Darmflora dringend abzuraten ist und zu der es verfügbare Alternativen gibt [18, 19], oder die Behandlung mit Vancomycin, dessen empirische Anwendung (wenn keine spezifischen Risikofaktoren bestehen) angesichts der aktuellen Entwicklung der Epidemiologie in der Schweiz und im Rest Europas nicht mehr empfohlen wird.
Ebenso sollten Antibiotika mit sehr breitem Spektrum, wie Carbapeneme, nur in besonderen Situationen angewendet werden.

Leidet mein Patient tatsächlich 
an ­einer Penicillinallergie?

Tatsächlich leidet nur 1% der Bevölkerung an einer echten Penicillinallergie, während sich ein entsprechender Vermerk bei 10% der Bevölkerung und 20% der Spitalpatienten findet. Eine Penicillinallergie wird meist frühzeitig im Leben diagnostiziert und bleibt danach jahrelang, häufig zu Unrecht, im Patientendossier vermerkt. Die klassische Geschichte von fälschlicherweise als Penicillinallergiker geführten Patienten ist ein Hautausschlag während einer Virusinfektion in der Kindheit während der (häufig unnötigen) Gabe von Antibiotika.
Der Stempel des «Penicillinallergikers» ist nicht frei von Nebenwirkungen: Er führt zur Anwendung anderer, möglicherweise suboptimaler Antibiotikaklassen (Glykopeptid-Antibiotika, Fluorchinolone) und unnötigerweise breiterer Spektren mit stärkeren Nebenwirkungen und längerer Verabreichungsdauer.
Ein wichtiges Ziel besteht demzufolge darin aufzudecken, ob einem Patienten dieser Stempel zu Unrecht aufgedrückt wurde. Zu diesem Zweck ist eine ausführliche Befragung erforderlich. Bei eindeutig nicht allergischen Nebenwirkungen (z.B. Diarrhoe), einem isolierten, unspezifischen Hautausschlag oder Patienten, welche die erneute Gabe von Penicillin oder Aminopenicillin seit dem erstmaligen Auftreten der Reaktion bereits vertragen haben, sollte der Hinweis auf die Penicillinallergie aus dem Patientendossier gestrichen werden.
Patienten, welche die Details der früheren Reaktion nicht kennen, müssen zur allergologischen Beurteilung mittels Hauttests und anschliessendem oralen Provokationstests geschickt werden. Bei einigen Patienten mit geringem Allergierisiko (Patienten mit isoliertem Hautausschlag oder einer verzögerten Reaktion) kann auch sofort ein oraler Provokationstest ohne vorherige Hauttests durchgeführt werden [20]. Patienten, die wahrscheinlich häufig Antibiotika erhalten, sollten prioritär getestet werden.
Das Auftreten von Kreuzreaktionen mit Cephalosporinen ist mit unter 5% gering, ebenso wie mit Carbapenemen und Monobaktamen mit unter 1 respektive 0% [21]. Bei einem Patienten mit einer Infektion, bei der das Antibiotikum erster Wahl diesen Medikamentenfamilien angehört (Cephalosporine der 1. Generation bei einer Staphylococcus-aureus-Infektion oder Cefepim bei febriler Neutropenie) wird eher zu einer Challenge-Applikation (geringe Dosen und langsame Dosissteigerung) geraten als alternative Antibiotika zu verwenden, deren Wirksamkeit geringer oder deren Resistenzrisiko höher ist.

Der Patient hat immer noch Fieber: ­was tun? Ein breiteres Spektrum ist 
nicht immer die richtige Lösung

Bei einem Patienten, der weiterhin Fieber hat, ist die empirische Anwendung eines Antibiotikums mit breiterem Spektrum selten die beste Lösung. Wenn sich der Zustand eines Patienten unter Antibiotika nicht verbessert, sollte man sich folgende weitere Fragen stellen: Ist die vermutete Diagnose zutreffend (ist die Ursache tatsächlich eine Infektion)? Wurde mit der Beurteilung des Ansprechens auf die Behandlung lange genug gewartet (2–3 Tage)? Ist der Wirkstoff für den Infektionsort geeignet? Wurde eine Fokussanierung durchgeführt? Ist die verabreichte Dosis ausreichend, an die Infektionsart, das Körpergewicht des Patienten, seine Nierenfunktion und eventuelle Blutuntersuchungen angepasst? Hat der Patient eine lokale Komplikation (z.B. einen Abszess) entwickelt?
Der empirische Einsatz eines Antibiotikums mit breiterem Spektrum sollte nur in besonderen oder kritischen Situationen beim Verdacht auf eine unzureichend kontrollierte Infektion erfolgen, in denen die Fortführung einer Antibiotikatherapie unerlässlich ist.
Ausserhalb derartiger Situationen kann bei klinisch stabilen Patienten das vorübergehende Absetzen der Behandlung (antibiotisches Fenster) die Option der Wahl sein. Während dieses Zeitraums wird die Entwicklung der Erkrankung beobachtet und es werden mikrobiologische Proben ohne Antibiotikaeinfluss entnommen.

Wenn Sie nicht mehr weiter wissen, hilft Ihnen die Infektiologie!

Mehrere Studien haben gezeigt, dass der Hinzuzug eines Facharztes für Infektionskrankheiten einen positiven Einfluss in Form einer verringerten Sterblichkeit, geringerer Versorgungskosten, geringerer Rehospitalisierungsraten [22, 23] und auch in Bezug auf die Anwendung von Antibiotika mit einer Reduktion der Einnahme und einer verbesserten Verordnung haben kann. In der Schweiz bieten die meisten Spitäler eine Telefonhotline an, um Fragen aus dem Bereich Infektiologie zu beantworten. Niedergelassene Hausärzte können einen entsprechenden Facharzt für eine telefonischen Beratung kontaktieren. Überdies sollte bei bestimmten komplizierten Infektionen in jedem Fall ein Infektiologe hinzugezogen werden.

Das Wichtigste für die Praxis

• Nicht jeder Patient mit Fieber braucht eine sofortige Antibiotikatherapie, ­daher muss eine sorgfältige klinische und paraklinische Abklärung erfolgen.
• Mikrobiologische Proben müssen entsprechend dem klinischen Kontext und der Entnahmeart einer kritischen Auswertung unterzogen werden.
• Die Befolgung der Empfehlungen ist ein wichtiges Ziel. Auf lokaler Ebene müssen entsprechende Massnahmen ergriffen werden, um herauszufinden, welche Hindernisse bezüglich der Akzeptanz der Guidelines bestehen und wie ihre Anwendung vereinfacht werden kann.
• Bei der Angabe von Behandlungsintervallen sollte die kürzest mögliche Dauer gewählt werden, wenn die Situation des Patienten es erlaubt.
• Reevaluieren Sie die gewählte Behandlung nach 72 Stunden und dokumentieren Sie dies im Patientendossier.
• Echte Penicillinallergien sind selten. Versuchen Sie, Ihre Patienten vom Stempel «Penicillinallergie» zu befreien, indem sie sie eingehend befragen und, wenn erforderlich, allergologische Untersuchungen anordnen.
• Bestimmte Antibiotikaklassen sind, vom ökologischen Standpunkt gesehen, schädlicher. Versuchen Sie, diese zu vermeiden.
• Wenn bei einem klinisch stabilen Patienten das Fieber nicht abklingt, setzen Sie besser die Antibiotikatherapie vorübergehend ab als eine empirische Anwendung eines Antibiotikums mit breiterem Spektrum zu beginnen.

Perspektiven

Antibiotikaresistenzen sind ein grosses Problem, das durch die geringe Zahl neu entwickelter Antibiotika noch verschärft wird. Die Optimierung der Anwendung von Antibiotika ist eine der wichtigsten Strategien im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Sie stellt eine tägliche Herausforderung in der ambulanten und Spitalmedizin dar, die alle Ärzte betrifft.
Frau Dr. med. Gaud Catho wird im Rahmen des Nationalen ­Forschungsprogramms (NFP) 72 «Antimikrobielle Resistenz» (Nr. 407240_167079) zum Teil durch Forschungsmittel des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung finanziell unterstützt.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im ­Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Gaud Catho
Département de Maladies Infectieuses
Hôpitaux Universitaires de Genève
Rue Gabriel Perret Gentil 4
CH-1205 Genève
gaud.catho[at]hcuge.ch
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