Kardiologie: Älter werden heisst auch besser werden
Schlaglicht der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie

Kardiologie: Älter werden heisst auch besser werden

Schlaglichter
Ausgabe
2018/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.08006
Swiss Med Forum. 2018;18(5152):1095-1096

Affiliations
Kardiologische Klinik, Universitätsspital Basel

Publiziert am 19.12.2018

Die letzten 40 Jahre in der Kardiologie sind geprägt von einer rasanten Entwicklung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Das Zitat von Jack ­Nicholson «Älter werden heisst auch besser werden»trifft auf die Entwicklung der ­Medizin der letzten Dekaden zu. Eine Bestandesaufnahme zum 70. Geburtstag der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie.

Hintergrund

Das Jahr 2018 steht für den 70. Geburtstag der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK). Die 70 Jahre seit der Gründung der SGK im Jahr 1948 sind geprägt von bahnbrechenden Entwicklungen: Allgemein in der Medizin und Kardiologie kam es zu Quantensprüngen der Möglichkeiten und des Machbaren. Das tägliche Leben wurde dadurch umgekrempelt. In der entwickelten Welt hat sich die Lebensqualität verbessert, und die Lebenserwartung stieg steil an.

Neue Herausforderungen

Ein herausragendes Beispiel für diese Entwick­lungen in der Kardiologie ist die Situation beim akuten Koronarsyndrom und Myokardinfarkt: Mitte des letzten Jahrhunderts war die Behandlung des Infarktes geprägt von verordneter mehrwöchiger Bettruhe, langen Schlafphasen in abgedunkelten Zimmern und hoher Mortalität. Heute zeigt sich in der Schweiz, 40 Jahre nach Einführung der Katheter-basierten interventionellen Behandlung mit Ballons und Stents, eine eindrückliche Mortalitätsreduktion. Starben damals 30 von 100 Patienten an einem Herzinfarkt, sind es heute noch sechs.
Hochpotente Medikamente, minimal-invasive Herzklappenersatzverfahren, Ablationstherapien, Herzschrittmacher und implantierbare Defibrillatoren bei Rhythmusstörungen sowie Kunstherzen bei schwerer Herzinsuffizienz haben die Lebensqualität und zum Teil auch die Prognose unzähliger Patientinnen und Patienten verbessert.
Dieses breite und innovative Feld der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bringt neue Herausforderungen auf verschiedensten Ebenen mit sich.

Prävention

Eine erste Herausforderung ist die Frage, wie eine sinnvolle Weiterentwicklung der Kardiologie aussehen soll. Wo sollen Ressourcen investiert werden, um ein Gebiet weiterzuentwickeln? Wo ist der Grenznutzen erreicht? Macht alles, was machbar ist auch Sinn?
Am Beispiel des Myokardinfarktes wurde die Reduktion der Mortalität veranschaulicht: Kann auf diesem Gebiet mit vernünftigem Aufwand noch eine relevante Reduktion der Mortalität erzielt werden?
Im Gegensatz zu etlichen therapeutischen Gebieten werden im Sektor der Prävention die Möglichkeiten bei der koronaren Herzkrankheit nicht ausgeschöpft. Auch ist vor allem die Primärprävention nur zum Teil direkt mit der kardiologischen, ärztlichen Tätigkeit verknüpft und komplexen Mechanismen in Gesellschaft und Politik unterworfen. Dies bedeutet aber für uns deswegen nicht, (primär-)präventive Bemühungen zu vernachlässigen.
Um hier einen kleinen Brückenschlag von «Reparatur zu Vorsorge» zu versuchen, hat sich die SGK ein Geschenk zum runden Geburtstag gemacht: ein Projekt, das es sich zum Ziel macht, unter der Leitung der SGK und der Schweizerischen Herzstiftung in der ganzen Schweiz Jugendliche im Schulalter zu motivieren, Nichtraucher zu sein und zu bleiben. Schulklassen (Schüler im Alter von 11–13 Jahren) werden an Spitäler eingeladen. Im zweistündigen Workshop «Nichtrauchen ist clever» wird behandelt, weshalb Jugendliche mit dem Rauchen beginnen, was Abhängigkeit bedeutet, wie hoch das Abhängigkeitspotential des Rauchens und auch des Experimentierens mit Tabakprodukten ist und welche Erkrankungen Zigaretten, alternative Tabakprodukte und E-Zigaretten verursachen können. Nach einem Film über eine diagnostische Intervention, wie zum Beispiel einer Bronchoskopie bei Bronchuskarzinom, folgt ein Gespräch mit einem Patienten, der an einer Folgeerkrankung des Rauchens leidet. In diesem Teil können die Schüler direkt mit den Patienten diskutieren und Fragen stellen. Oft stellt dieser Abschlussteil mit interaktiven Elementen den einprägsamsten Höhepunkt des Workshops dar.
Gemäss einer «Cochrane Review» sind solche Programme erfolgreich und die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche mit dem Rauchen beginnen, kann im Durchschnitt um 12% gesenkt werden [1].
Das Projekt stösst auf breite Unterstützung der SGK-Mitglieder. Es wird als sinnvoll betrachtet, da das Programm eine Lücke im breiten Rauchstopp-Angebot füllt. Es vermittelt einen direkten Einblick vor Ort im Spital und geht über die sterile Abhandlung des Rauchstopp-Themas im Klassenzimmer weit hinaus. Kolleginnen und Kollegen, die das Programm durchführen, können über befriedigende und spannende Kontakte mit den Schulkindern berichten.

Aus- und Weiterbildung

Eine weitere Herausforderung in der Kardiologie stellt die Weiterentwicklung der Aus- und Weiterbildung dar. Wie kann eine für die Patientenbetreuung wirksame und allgemein akzeptierte Synergie zwischen ­einer optimalen Grundweiterbildung in Medizin, in Allgemeiner Kardiologie und der Weiterbildung in ­Spezialgebietender Kardiologie erzielt werden?
So wurde 2018 in der SGK ein Konzept diskutiert, das Fachärztinnen und Fachärzten für Kardiologie durch Erwerb von SIWF-konformen Schwerpunkten (SIWF = Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung) in hochspezialisierten und technischen Gebieten wie der interventionellen Kardiologie und Elektrophysiologie die Grundlage für eine transparente, qualitativ ­hochstehende Kardiologieweiterbildung ermöglichen sollte.

Diskussion

Die breite und engagierte Diskussion in allen Gremien der SGK, der gute Einbezug der Basis auch dank einer neu gegründeten Arbeitsgruppe, des «Swiss Counsil of Cardiology Practice» (SCCP), trug dazu bei, eine sehr aktive Diskussion und Vernehmlassung über dieses Thema zu führen. Obwohl das Schwerpunkte­konzept an der Mitgliederversammlung im Juni 2018 abgelehnt wurde, konnte dadurch eine Diskussion über die Weiter- und Fortbildung angestossen werden, der sich die meisten Disziplinen der Medizin in Zukunft stellen müssen: Wie wird eine mehrheitsfähige qualitativ hochstehende Weiterbildung in sich rasch entwickelnden Gebieten erreicht, die dem Menschen auch als Ganzes mit seinen integralen Bedürfnissen gerecht wird?
Wie kann Mehrwert für alle Beteiligten geschaffen werden, damit Kompromisse für optimale Lösungen möglich werden? Mehrwert in einer transparenten, qualitativ hochstehenden Grundausbildung einerseits und in spezialisierten Gebieten andererseits?
Nur wenn diese breitgefächerten Diskussionen gelingen und wir uns gemeinsam für eine sinnvolle sowohl ganzheitliche wie auch qualitativ hochstehende, spezialisierte Medizin einsetzen, gewinnt das eingehende Zitat von Jack Nicholson an Kontur: «Älter werden heisst auch besser werden».
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med.
Michael J. Zellweger
Past-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie
Kardiologische Klinik
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
michael.zellweger[at]usb.ch
1 Thomas RE, McLellan J, Perera R. School-based programmes for preventing smoking. The Cochrane database of syst rev 2013;4:CD001293.