Geriatrie: Kooperation Geriatrie und Orthopädie schafft Mehrwert
Schlaglicht der Schweizerischen Fachgesellschaft für Geriatrie

Geriatrie: Kooperation Geriatrie und Orthopädie schafft Mehrwert

Schlaglichter
Ausgabe
2018/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.08010
Swiss Med Forum. 2018;18(5152):1087-1088

Affiliations
Geriatrische Universitätsklinik, Inselgruppe (Standorte Inselspital, Tiefenau, Belp), Bern

Publiziert am 19.12.2018

Die moderne Orthopädie kann vielen alten Patienten mit Trauma oder Gelenk­erkrankungen wieder zu einer guten Lebensqualität verhelfen. Doch: Komplikationen sind häufig. Bringt hier eine Kooperation Geriatrie und Orthopädie Mehrwert?

Hintergrund

Orthopädische und traumatologische Probleme gehören zu den häufigsten Gründen für die Akutspitaleinweisung von älteren Patienten. Auch wenn die moderne Orthopädie und Traumatologie enorme Fortschritte gemacht haben und vielen älteren Patienten wieder eine gute Lebensqualität ermöglichen, Komplikationen bleiben bei diesen Patienten zu recht gefürchtet: Infektionen, Delir, Dekubitus, Immobilität, um nur einige zu nennen. Damit sind bei älteren Patienten die Risiken von Mortalität und Rehospitalisation erhöht. Nicht selten werden Patienten trotz erfolgreichem orthopädischen Eingriff im Verlauf pflegebedürftig und müssen in einer Pflegeinstitution weiterbetreut werden. Es gibt Schätzungen, wonach die Hälfte der Patienten, die eine Hüftfraktur erleiden, ihre ursprüngliche Mobilität verlieren.
An vielen Orten hat dies dazu geführt, dass die Orthopädie und die Geriatrie Kooperationen eingegangen sind. Letztere in der Absicht, dass der Einsatz geriatrischer Methoden bereits während der Akuthospitalisation zu besseren Outcomes führt. Dazu sind nun auch kürzlich Studien veröffentlicht worden.

Was bringt die Kooperation wirklich 
und worauf ist zu achten?

Bessere Outcomes

In Deutschland haben in den letzten Jahren viele Kliniken eine Kooperation Geriatrie und Orthopädie für die Betreuung traumatologischer betagter Patienten realisiert. Kürzlich konnte anhand von Daten bei über 55 000 über 80-jährigen Patienten in 841 Krankenhäusern evaluiert werden, wie sich diese Kooperation auf die 30-Tage-Mortalität auswirkt [1]. Die Studie kam zum Ergebnis, dass das Risiko, an einer proximalen Femurfraktur innerhalb von 30 Tagen zu versterben, um 22% niedriger ausfällt, wenn die Patienten gemeinsam von Geriatern und Unfallchirurgen betreut werden (geriatrisch-unfallchirurgisches Ko-Management).
Andere Untersuchungen zeigten kürzlich, dass nicht nur die Mortalität, sondern auch andere Outcomes durch geriatrische Prozesse verbessert werden. So fand ein amerikanisches Chirurgen-Team, dass bei gebrechlichen älteren Patienten mit Trauma ein interdisziplinärer «frailty pathway» die Dauer der Akuthospitalisation und die 30-Tage-Rehospitalisationsrate reduziert und die Selbständigkeit der Patienten verbessert wird. [2]

Geriatrische Konsilien oder dedizierte ­Abteilung?

Der Orthopädie stehen grundsätzlich zwei Wege offen, den fachlichen Input der Geriatrie einzuholen. Verbreitet sind geriatrische Konsilien. Die Alternative: Orthopädie und Geriatrie kooperieren und organisieren die Spitalbetreuung der geriatrischen Patienten auf einer dedizierten geriatrischen oder geriatrisch-orthopädischen Abteilung. In dieser Abteilung werden die Prozesse so aufeinander abgestimmt, indem die Orthopädie die Verantwortung für den orthopädischen Teil der Behandlung und die Geriatrie für die geriatrische Behandlung sicherstellt. Ein orthopädisch-geriatrisches Autoren-Team [3] ist nun der Frage nachgegangen, ob sich die beiden Modelle bezüglich Wirksamkeit unterscheiden. Auf der Basis von 18 Studien zeigte sich, dass Modelle mit dedizierter geriatrischer Abteilung zu einer Reduktion der postoperativen Mortalität um 38% führten, andere Modelle nach dem Prinzip «Konsiliardienst» waren jedoch nicht oder nur fraglich wirksam.
Warum ist nur die dedizierte Abteilung mit enger Kooperation von Orthopädie und Geriatrie wirksam? Wohl deswegen, weil das geriatrische Assessment und die geriatrische Beratung allein dem Patienten noch nichts nützen. Erst die Umsetzung der geriatrischen Empfehlungen im Spitalablauf respektive nach Spitalaustritt mit den erforderlichen Therapien und Prozessen schaffen Mehrwert.

Mythos Teilbelastung

Die Teilbelastung nach orthopädischen Eingriffen wird schon länger kontrovers diskutiert. Nun erlauben es neue technologische Verfahren (mit speziellen Schuhsohlen), die Einhaltung der Teilbelastung bei Patienten zu überprüfen. Eine Pilotstudie untersuchte, wie gut alte und junge Patienten nach orthopädischem Eingriff eine Teilbelastung von 20 kg einhalten können [4]. Der ernüchternde Befund: Auch nach fünf Tagen physiotherapeutischen Trainings konnte keiner der alten Patienten diese Vorgabe korrekt einhalten und über zwei Drittel belasteten die betroffene Extremität mindestens doppelt so hoch wie erlaubt. Im Gegensatz dazu konnte die Mehrzahl der jungen Patienten die Teilbelastung einhalten. Dies nur einer der Faktoren, den wir im Alter besonders beachten müssen.

Hochrisiko Zimmerwechsel!

Eine Studie, die (fast) niemand kennt und zitiert, aber die zu denken gibt [5]: Ein kanadisches Forschungsteam untersuchte mit sorgfältigen Methoden, ob ein Zimmerwechsel bei alten hospitalisierten Patienten Nachteile bringt. Der Befund lässt aufhorchen: Nach statistischer Korrektur führte ein Zimmerwechsel bei alten Patienten zu einem 9,7-mal (!) höheren Risiko, ein postoperatives Delir zu entwickeln (im Vergleich zu Pa­tienten ohne Zimmerwechsel). Die übliche Praxis, den ­Patienten zuerst zwei bis drei Tage auf der Orthopädie zu betreuen und danach auf die Geriatrie zu verlegen, erscheint in diesem Licht sehr riskant zu sein.

2019: Die nächste Hürde

Fachliche Kriterien und neue Evidenz sprechen für eine enge Kooperation von Geriatrie und Orthopädie bei der Akutspitalbetreuung von orthopädischen und traumatologischen älteren Patienten. Die Herausforderung für die Praxis besteht nun darin, dies so zu organisieren, dass der zusätzliche Aufwand für die geriatrische Betreuung finanziert werden kann. Dies ist in der Schweiz grundsätzlich möglich. Die Schweizerische Operationsklassifikation (CHOP) bildet die Prozedur «Geriatrische Akutrehabilitation» ab, die ertragswirksam ist. Die Vorgaben an diese Prozedur wurden auf 2019 angepasst und regeln die Minimalkriterien, die für die zusätzliche Vergütung einer geriatrischen Akutrehabilitation zu erfüllen sind.
Abbildung 1 zeigt wichtige Elemente der für die Schweiz gültigen Definition der geriatrischen Akutrehabilitation. Die Kriterien verlangen – aus fachlicher Sicht zu Recht –, dass eine Kooperation mehr als nur einen geriatrischen Konsiliardienst auf der Orthopädie umfasst. Dennoch, die Erfüllung solcher Kriterien ist immer eine Herausforderung und damit auch eine Chance. Orthopädische und traumatologische Kliniken in der Schweiz haben die Möglichkeit, ihren alten Patienten nach Trauma oder Gelenkersatz nicht nur eine gute Orthopädie, sondern auch eine gute Geria­trie anzubieten.
Abbildung 1: Das Konzept der geriatrischen Akutrehabilitation 2019 in der Schweiz 
(für exakte Vorgaben siehe Katalog der Schweizerischen Operationsklassifikation 2019).
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert
Prof. Dr. med. Andreas Stuck
Geriatrische
Universitätsklinik
Inselspital Bern
Freiburgstr. 46
CH-3010 Bern
andreas.stuck[at]insel.ch
1 Rapp K, Becker C, König H, Büchele G. Rothenbacher D. Einfluss des geriatrisch-unfallchirurgischen Co-Managements auf die Sterblichkeit nach proximaler Femurfraktur. Pressemappe Weissbuch Alterstraumatologie Berlin, 26.9.2018 (Internet: http://www.dgu-online.de/news-detailansicht/weissbuch-alterstraumatologie-unfallchirurgen-und-altersmediziner-fordern-unterstuetzung-bei-der-ther.html).
2 Engelhardt KE, Reuter Q, Liu J, et al. Frailty screening and a frailty pathway decrease length of stay, loss of independence, and 30-day readmission rates in frail geriatric trauma and emergency general surgery patients J Trauma Acute Care Surg. 2018;85:167–73.
3 Moyet J, Deschassse G, Marquant B, Mertl P, Bloch F. Which is the optimal orthogeriatric care model to prevent mortality of elderly subjects post hip fractures? A systematic review and meta-analysis based on current clinical practice. International Orthopaedics 2018. doi.org/10.1007/s00264-018-3928-5.
4 Kammerlander C, Pfeufer F, Lisitano LA, Mehaffey S, Böcker W, Neuerburg C. Inability of older adult patients with hip fracture to maintain postoperative weight-bearing restrictions. J Bone Joint Surg Am. 2018;100:936–41.
5 Goldberg A, Straus SE, Hamid JS, Wong CL. Room transfers and the risk of delirium incidence amongst hospitalized elderly medical patients: a case–control study. BMC Geriatrics. 2015;15:69.