Molekulare Diagnosestellung eines unklaren Fiebers bei immunsupprimierter Patientin
Eine seltene Infektion durch Zeckenkeim

Molekulare Diagnosestellung eines unklaren Fiebers bei immunsupprimierter Patientin

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/1112
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.03387
Swiss Med Forum. 2019;19(1112):196-199

Affiliations
a Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene, UniversitätsSpital Zürich
b Internistisch-hämatologische Praxis, Hirslanden Klinik St. Anna, Luzern
c Klinik für Immunologie, UniversitätsSpital Zürich

Publiziert am 13.03.2019

Eine 67-jährige Patientin trat zur stationären Abklärung ein bei seit vier Monaten bestehendem, vor allem abendlich auftretendem Fieber bis 40 °C, zeitweise einhergehend mit Schüttelfrost.

Hintergrund

Unklares Fieber stellt sich häufig in vielen und aufwendigen Untersuchungen dar. Wir beschreiben den Fall einer Patientin mit unklarem Fieber über mehrere Monate. Trotz ausgiebiger Diagnostik konnte die Ursache nicht eruiert werden. Der Schlüssel zur Auflösung lag im Einsatz einer molekularen Diagnostikmethode.

Fallbericht

Anamnese

Eine 67-jährige Patientin trat im Sommer 2016 für sta­tionäre Abklärungen bei ungeklärtem Fieber und Entzündungszustand in die Klinik für Immunologie des UniversitätsSpital Zürich ein. Die Patientin berichtete über seit vier Monaten bestehendes, vor allem abendlich auftretendes Fieber bis 40 °C, zeitweise einhergehend mit Schüttelfrost. Über diese Zeit entwickelte sie eine zunehmende Leistungsintoleranz, allgemeine Abgeschlagenheit, Nachtschweiss und einen Gewichtsverlust von 6 kg. Ungefähr sechs Wochen nach Symptombeginn trat ein Erythema nodosum prätibial links auf. Zudem wurde vier Wochen vor Beginn der Symptomatik eine tiefe Beinvenenthrombose rechts diagnostiziert, die mit Rivaroxaban therapiert wurde.
Die Symptome hatten zirka drei Wochen nach Abschluss einer letzten Chemotherapie mit Rituximab (anti-CD20-Antikörper) und Chlorambucil begonnen. Diese erhielt die Patientin aufgrund eines Morbus Waldenström, Typ IgM Kappa, der seit 1995 bekannt war und aufgrund von erhöhtem IgM und Paraprotein behandlungsbedürftig geworden war. Die Patientin verneinte vorausgegangene Reisen, sexuelle Risiken, Kontakt zu Haustieren und erinnerte sich an keine ­Zeckenstiche in der Vergangenheit.
Im Vorfeld der aktuellen Hospitalisation erfolgten ausführliche ambulante und stationäre Abklärungen in einem anderen Spital ohne richtungsweisende Befunde: Ein Thorax-Abdomen-CT zeigte bis auf eine unspezifische mediastinale Lymphknotenvermehrung keine Auffälligkeiten. In einem PET-CT wurde eine leichte Knochenmarkstimulierung beschrieben. Eine transthorakale Echokardiographie fiel unauffällig aus. Blutkulturen waren wiederholt steril. Die Knochenmarkpunktion nach Abschluss der Chemotherapie zeigte ein gutes Ansprechen mit deutlich geringerem Plasmazell-Restbefall. IgM und Paraprotein waren ebenfalls deutlich rückläufig. Es ergaben sich keine Hinweise auf eine Krankheitsprogression.
Laboranalytisch fanden sich bis auf ein erhöhtes CRP (43 mg/l, Norm <5) respektive eine deutlich erhöhte BSR (>100 mm/h) und eine Anämie keine anderen Auffälligkeiten. In der Immunserologie waren ANA, ANCA, Rheumafaktoren, Anti-CCP, Anti-Streptolysin sowie die Komplementfaktoren C3/C4 alle unauffällig.

Status

Es präsentierte sich eine tachykarde, febrile Patientin in leicht reduziertem Allgemeinzustand. Bis auf eine Körpertemperatur von 39,0 °C fielen der allgemein-internistische Status sowie die übrigen Vitalparameter bei Eintritt unauffällig aus.

Befunde

Laboranalytisch zeigten sich wie bereits im Vorfeld erhöhte Entzündungswerte mit einem CRP von 25 mg/l und einer BSR von 130 mm/h.
Ein Thorax-Röntgen sowie eine Abdomensonographie waren unauffällig, ein Schädel-MRI sowie eine Duplexsonographie der Karotiden fiel normal aus. Eine Wiederholung der transthorakalen Echokardiographie ergab keine Hinweise für eine Endokarditis. Da differentialdiagnostisch an eine Riesenzell-Arteriitis gedacht wurde, führte man eine Temporalarterien­biopsie durch, die unauffällig ausfiel. Wiederholte Blutkulturen zeigten kein Wachstum von Mikroorganismen. Eine Borrelienserologie war negativ. Die PCR für Adeno-, Parvo-, Zytomegalie- und Epstein-Barr-Viren sowie eine HIV-Serologie fielen negativ aus, ebenso wie ein Lues-Screening. Serologien für Coxiellen, Bartonellen und Brucellen waren negativ. In der bakteriellen Breitspektrum-PCR liess sich schliesslich das Bakterium Candidatus Neoehrlichia mikurensis identifizieren. Eine Bestätigung erfolgte durch eine Spezies-spezifische PCR am Institut für Mikrobiologie der Universität Zürich.

Diagnose

Invasive Infektion mit Candidatus Neoehrlichia mikurensis.

Therapie

Doxycyclin 2 × 100 mg/d für sechs Wochen per os.

Verlauf

Unter der Therapie mit Doxycyclin war die Patientin innerhalb weniger Tage fieberfrei (Abb. 1). Der Allgemeinzustand besserte sich rasch. Im Labor sahen wir in einer ambulanten Kontrolle eine Woche nach Therapiebeginn normalisierte Entzündungsparameter und einen Anstieg des Hämoglobinwertes. In den darauffolgenden Kontrollen bei Therapieabschluss sowie drei Monate nach Therapiebeendigung war die Patientin weiterhin bei sehr gutem Befinden und ohne Hinweise auf ein Entzündungsgeschehen. Nebst der antibiotischen Therapie erhielt die Patientin über vier Monate intravenöse Immunglobuline bei Hypogammaglobu­linämie.
Abbildung 1: Fieber- und CRP-Verlauf bei unserer Patientin mit prompter Normalisierung nach Beginn von Doxycyclin. Den schwankenden Verlauf beider Parameter führen wir auf die bei Eintritt begonnene Steroid-Therapie zurück.

Diskussion

Unklares Fieber wurde ursprünglich nach Petersdorf und Beeson definiert als eine in einem Zeitraum von über drei Wochen mehrfach gemessene Körpertemperatur ≥38,3 °C ohne Nachweis einer Ursache trotz ausgedehnter stationärer Abklärungen. Später wurde der Begriff modifiziert und auch ein ambulantes Abklärungssetting berücksichtigt. Als häufigste Ursachen eines klassischen unklaren Fiebers gelten Neoplasien, Infektionen und immunologische Erkrankungen.
Patienten unter Immunsuppression werden nach neuerer Definition vom Begriff des unklaren Fiebers ausgeklammert, da hier die zugrundeliegenden Ursachen anders vertreten sind und dementsprechend ein abweichender und beschleunigter Abklärungsalgorithmus eingeleitet werden sollte.
Bei der Neoehrlichiose, der im vorliegenden Fall nachgewiesenen Ursache des «unklaren Fiebers», handelt es sich um eine erst kürzlich entdeckte, äusserst seltene bakterielle Infektion beim Menschen.
Seit den ersten Fallbeschreibungen im Jahr 2010 wurden weltweit bisher knapp 30 Fälle publiziert, wobei auch wenige asymptomatische Träger beschrieben wurden. Mehrheitlich stammen die Fallbeschreibungen aus Nord-, Mittel- und Osteuropa, es gibt auch vereinzelte Berichte aus Asien.
In der Schweiz wurden drei Fälle beschrieben. Sämt­liche betroffenen Schweizer Patienten lebten im Grossraum Zürich. Im Gebiet Zürich-Winterthur zeigte die untersuchte Zeckenpopulationen (Ixodes ricinus) eine Prävalenz von Candidatus Neoehrlichia mikurensis von bis zu 8%. Ähnliche Zahlen fanden sich auch in euro­paweiten Analysen, unter anderem in Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien. Auch im Vergleich mit den häufigsten durch Zecken übertragenen Erkrankungen wie der Lyme-Borreliose und Frühsommer­meningoenzephalitis (FSME), die eine Erregerprävalenz in Zeckenpopulationen von ca. 20–30% respektive 5% vorweisen, ist dies doch ein erstaunlich hohes Vorkommen.
Bei Candidatus Neoehrlichia mikurensis handelt es sich um ein Gram-negatives, obligat intrazelluläres kokkoides Bakterium, das – wie Rickettsien, Ehrlichien und andere – der Familie der Anaplasmataceae angehört. Dieses Bakterium wurde erstmals im Jahr 2004 auf der japanischen Insel Mikura in Zeckenpopulationen (Vektoren) und Ratten (Wirt) nachgewiesen. Nebst in Asien konnte der Erreger in Europa und Afrika in Vektoren (zumeist Ixodes species), Säugern (v.a. Nager) und Vögeln gefunden werden.
Bis heute konnte Candidatus Neoehrlichia mikurensis nicht kultiviert werden. Somit bestehen diverse Unklarheiten bezüglich Morphologie, zellulärem Tropismus und Lebenszyklus. Man geht davon aus, dass die Zielzellen des Bakteriums Endothelzellen und Leukozyten sind und ein membrangebundenes Wachstum erfolgt.
Die bisher publizierten Fallbeschreibungen von Patienten mit einer symptomatischen Neoehrlichiose gehen mit diversen Parallelen einher, die sich auch beim vorliegenden Fall zeigen (Tab. 1):
Tabelle 1: Klinische und laboranalytische Auffälligkeiten bei Patienten mit einer Neoehrlichiose. Als «selten» werden Merkmale genannt, welche nur vereinzelt beschrieben wurden.
Merkmale einer Neoehrlichiose
KlinikFieber, Schüttelfrost
Nachtschweiss
Myalgie/Arthralgie
Vaskuläre/thromboembolische Ereignisse
Kopfschmerzen
Gewichtsverlust
Hautveränderungen
Selten: Husten, Diarrhoe
LaborCRP/BSR-Erhöhung
Anämie, Thrombopenie, Leukozytose/Leukopenie, Neutrophilie
Selten: Hyponatriämie, LDH-Erhöhung, ­Transaminasenerhöhung
Die betroffenen Patienten waren mehrheitlich immunsupprimiert (v.a. Rituximab), litten an einer hämatologischen oder immunologischen Grunderkrankung und waren häufig splenektomiert. Zwei der beschriebenen, relevant erkrankten Patienten wiesen jedoch keine Vorerkrankung respektive bekannte Immundefizienz auf.
Sämtliche Betroffenen litten an Fieber, häufig auch an Nachtschweiss und Gewichtsverlust. Mehrfach wurden thromboembolische Ereignisse (v.a. tiefe Beinvenenthrombose und zerebrovaskulärer Insult) beschrieben. Wiederholt beobachtet wurden Hautrötungen und das Auftreten eines Erythema nodosum.
Die Symptomatik hielt oftmals über mehrere Wochen und Monate an und wurde nicht selten initial als Progredienz der vorliegenden Grunderkrankung verkannt. Die Beschwerden sistierten erst nach Beginn ­einer adäquaten antibiotischen Therapie. In einem der publizierten Fälle verlief die Krankheit tödlich; die Dia­gnosestellung bei diesem Patienten mit septischem Zustandsbild erfolgte hier erst post mortem.
Es existieren aber auch einige wenige Fallbeschreibungen mit asymptomatischen Patienten. So wurden 316 gesunde, asymptomatische Forstarbeiter in Polen mittels PCR im Blut untersucht und in 1,6% dieser Population Candidatus Neoehrlichia mikurensis nachgewiesen. Es muss also davon ausgegangen werden, dass eine Infektion mit diesem Bakterium insbesondere bei immunkompetenten Personen nicht zwingend zu einer symptomatischen Erkrankung führt respektive milde, selbstlimitierende Verläufe zeigt.
Hinsichtlich Latenzzeit ist von einer grossen Variabilität auszugehen. Es wurden symptomatische Fälle beschrieben, die zwei Tage nach erinnerlichem Zeckenstich, aber auch nach über sechs Monaten erkrankten.
Die Diagnose kann einzig mittels molekularbiologischer Techniken gestellt werden (Tab. 1). Wie im oben beschriebenen Fall kann das Bakterium mit einer bakteriellen Breitspektrum-PCR nachgewiesen werden. Ebenso existiert seit fünf Jahren eine Spezies-spezifische PCR, die am Institut für Mikrobiologie der Universität Zürich entwickelt wurde und heute als Routineanalyse angeboten wird. Gegenwärtig gibt es weder eine serologische noch eine kulturelle Nachweismöglichkeit. Die bakterielle Breitspektrum-PCR nützt aus, dass bei den allermeisten Bakterien eine genomisch konservierte Region amplifiziert und dann durch die nachfolgende Sequenzierung einer Spezies zugeordnet werden kann. Obwohl höchst spezifisch ist diese bakterielle Breitspektrum-PCR jedoch je nach Erreger variabel und geringer sensitiv gegenüber einer Spezies-spezifischen PCR. Da eine Erregerkultur bei «kultivierbaren» Bakterien oftmals die höhere Sensitivität bietet, gilt diese weiterhin als Goldstandard. In den kommenden Jahren werden jedoch neuere, noch umfassendere Sequenziermethoden die mikrobielle Diagnostik stark verändern.
Als Therapie muss ein intrazellulär aktives Antibio­tikum eingesetzt werden. Insbesondere Betalaktame wirken nicht. In den Fallbeschreibungen wurde überwiegend Doxycyclin 100 mg zweimal täglich angewandt. Zumeist wurde eine Therapiedauer von sechs Wochen gewählt. Vereinzelt wurde mit Erfolg nur über zwei bis drei Wochen behandelt, die ideale Dauer bleibt offen. Alternativ kann Rifampicin 450 mg zweimal ­täglich verschrieben werden, hierzu findet sich jedoch nur ein Fallbeschrieb.
Während der Therapie mit Doxycyclin muss auf ausreichend Sonnenschutz (phototoxische Reaktionen) geachtet werden. Bei Doxycyclin und Rifampicin muss auf allfällige Medikamenteninteraktionen geachtet werden (u.a. mit Marcoumar®, oralen Kontrazeptiva, Aluminium-, Kalzium-, Magnesium-haltigen Präparaten).

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei der Neoehrlichiose handelt es sich um eine sehr seltene bakterielle Infektion, die zumeist Patienten mit Immunsuppression, hämatologischer oder immunologischer Grunderkrankung betrifft und über Zecken übertragen wird.
• Oftmals äussert sich die Erkrankung in Form von prolongiertem Fieber.
• Bei immunkompetenten Patienten wurden zumeist asymptomatische respektive milde, selbstlimitierende Verläufe beobachtet.
• Die Diagnostik erfolgt bisher einzig über molekularbiologische Techniken (bakterielle Breitspektrum-PCR, Spezies-spezifische PCR).
• Bei der Konstellation von unklarem und prolongierten Fieber und B-Symptomatik ohne wegweisenden Befund soll bei immunkompromittierten Patienten der Einsatz von neuen, molekularbiologischen Diagnosemethoden evaluiert werden.
• Bei immunkompetenten Patienten sollen aufgrund der Seltenheit einer relevanten Infektion durch Candidatus Neoehrlichia mikurensis diese ­Diagnosemethoden nur in Sonderfällen erwogen werden (prolongierter, schwerwiegender Entzündungszustand, fehlender kultureller Erregernachweis, Diagnostik unter laufender antibiotischer Therapie, Verdacht einer Infektion durch kulturnegatives Bakterium).
Für die konstruktive Zusammenarbeit und das Engagement bei der Diagnosefindung bedanken wir uns herzlich bei den involvierten ­Kollegen der Mikrobiologie der Universität Zürich, Franco Müller und Dr. med. Peter Keller. Letzterem gilt zusätzlicher Dank für die Durchsicht des vorliegenden Manuskriptes.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Daniela Martina Steffens-Bircher
Klinik fur Infektionskrankheiten und Spitalhygiene
UniversitätsSpital Zürich Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
danielasteffensbircher[at]outlook.com; danielasteffensbircher[at]usz.ch
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