Die spontane Ösophagusruptur
Selten, aber immer noch lebensbedrohlich

Die spontane Ösophagusruptur

Übersichtsartikel
Ausgabe
2019/0708
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08012
Swiss Med Forum. 2019;19(0708):124-129

Affiliations
a Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefässchirurgie, Stadtspital Triemli, Zürich; b Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Departement Innere Medizin und Spezialdisziplinen, Stadtspital Triemli, Zürich; c Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie, Zürich

Publiziert am 13.02.2019

Die auch als «Boerhaave-Syndrom» bezeichnete Erkrankung ist selten und noch heute lebensgefährlich. Die Klinik ist vielfältig, verschiedene Therapieoptionen werden diskutiert und propagiert.

Einführung

Was vor einem halben Jahrhundert als «a dire medical catastrophe» [1] bezeichnet wurde, ist eine seltene und noch heute lebensgefährliche Erkrankung, mit der die meisten Ärztinnen und Ärzte in Europa in der Regel kaum Erfahrung haben. Trotzdem sieht man diese Störung hie und da auf dem Notfall. Eine systematische Herangehensweise ist für die Prognose entscheidend.

Der Fall

Eine 49-jährige Patientin stellt sich notfallmässig um 6:45 Uhr mit akuten, in die Flanken ausstrahlenden thorakalen Schmerzen und Dyspnoe auf dem Notfall vor. Die Beschwerden sind gegen 5:00 Uhr plötzlich nach mehrmaligem Erbrechen aufgetreten. Die Patientin berichtet über regelmässige Episoden rezidivierenden, durch Stress ausgelösten Vomitus in der Vergangenheit. Eine bekannte Essstörung liegt nicht vor. Alkoholüberkonsum wird verneint. Über kardiale, pulmonale oder gastrointestinale Vorerkrankungen wird nichts berichtet. Ein Diabetes mellitus liegt nicht vor.
Die Patientin präsentiert sich bei Eintritt hyperton (175/108 mm Hg), normokard (90/min) sowie mit einer Sauerstoffsättigung von 89% ohne zusätzlichen Sauerstoff. Die klinische Untersuchung ist unauffällig, kardiopulmonal findet sich kein pathologischer Befund. Laborchemisch zeigt sich eine leichte Leukozytose mit 12,4  G/l, ein normwertiges C-reaktives Protein (CRP) bei auch sonst unauffälligem Routinelabor, inklusive kardialer sowie abdominaler Parameter. Bei stärkster Schmerzsymptomatik wird um 7:35 Uhr eine Computertomographie (CT) durchgeführt, die ein Pneumomediastinum mit kleiner Flüssigkeitskollektion paraösophageal zeigt, hinweisend für eine spontane Ösophagusruptur. Vermutet wird diese am ehesten distal intrathorakal, die Rupturstelle kann nicht abgegrenzt werden (Abb. 1A und B).
Abbildung 1: A) Weichteilfenster, B) Lungenfenster: initiales Computertomogramm (CT) Thorax/Abdomen mit freier Luft (Pfeil) sowie freier Flüssigkeit (Kreuz) mediastinal um den Ösophagus (Punkt); Tag 1, 7:35 Uhr, Symptombeginn ca. 5:00 Uhr. C) Lungenfenster: CT Thorax zwei Tage nach Eintritt: ausgeprägter Seropneumo­thorax links (Pfeil: Luft, Kreuz: Flüssigkeit, L: Lunge); Tag 3, 11:45 Uhr, bei erneuter Schmerzexazerbation und Dyspnoe seit ca. zwei Stunden.
Es erfolgt eine Gastro­skopie mit Einlage einer Magensonde unter Sicht. Die Perforationsstelle lässt sich bei ausgeprägtem Schleimhautödem und Restverschmutzung nicht darstellen. Eine intravenöse Therapie mit Breit­­spektrum­antibiotika und Antimykotika (Piperacillin/Tazobactam und Fluconazol), Protonenpumpen­inhibitoren(PPI)-Perfusor sowie Nahrungskarenz wird verordnet, die Patientin kommt auf die Intensivstation zur Überwachung. Am Folgetag wird die kreislaufstabile Patientin auf die chirurgische Bettenstation verlegt. Hier kommt es am dritten Hospitalisationstag vormittags zur erneuten Schmerzexazerbation mit Dyspnoe, Sauerstoffsättigungsabfällen sowie einem Anstieg des CRP auf 466 mg/l. Eine CT um 11:45 Uhr zeigt neu linksseitig einen grossen Seropneumothorax mit Verdacht auf ein beginnendes Empyem (Abb. 1C). Es erfolgt die Einlage einer Thoraxdrainage links. In einer erneuten Gastro­skopie kann nun eine ca. 2 cm grosse Perforation intrathorakal kranial des ösophagogastralen Übergangs dargestellt werden. Der Magen ist von der Läsion nicht betroffen. Es erfolgt die endoskopische Einlage eines vollbeschichteten, selbstexpandierenden Ösophagus-Metallstents über die Perforationsstelle (Niti-S™ TaeWoong Medical, 24 mm DM × 140 mm Länge). Die Indikation zur Thorakoskopie und Exploration wird gestellt, die am selben Tag gegen Abend durchgeführt werden. Nach der Narkoseeinleitung wird auch rechts eine Thoraxdrainage gelegt. Intraoperativ zeigen sich ausgedehnte fibrinöse Verschwartungen im linken Hemithorax mit Restriktion der Lunge. Im Bereich der Rupturstelle am Mediastinum finden sich Nekrosen des Umgebungsgewebes (Abb. 2). Es erfolgt die Frühdekortikation der linken Lunge und Thoraxwand, ein Débridement der Rupturstelle und die Dichtigkeitsprüfung. Linksseitig werden zwei Drainagen eingelegt, eine entlang des Ösophagus nach postero-apikal und eine nach postero-basal. Das Ziel ist ein Spontanverschluss bei liegendem Stent und Drainagen.
Abbildung 2: Intraoperative thorakoskopische Bilder der Perforationsstelle am Mediastinum mit Nekrosen (Pfeil in A) sowie ­fibrinösen Verschwartungen (V in B) der Lunge (L); Thoraxwand (T); Tag 3 nach erfolgter Stenteinlage abends.
Die postoperative Ösophaguspassage (Videofluoroskopie) zeigt dichte Stentverhältnisse (Abb. 3A). Ein vorsichtiger enteraler Kostaufbau über eine Trelumina-Sonde über das jejunale Lumen wird begonnen und anschliessend auf peroral umgestellt. Die rechtsseitige Thoraxdrainage wird am 12. postoperativen Tag gezogen. Nach zwei Wochen erfolgt bei einer kompletten Stentdislokation in den Magen die gastroskopische Entfernung des Stents. Endoskopisch zeigt sich eine weitgehend fibrinbedeckte Perforationsstelle. Bei persistierender Leckage in der Ösophaguspassage erfolgt die erneute Stenteinlage mit einem teilbeschichteten selbstexpandierenden Stent (Niti-S™, TaeWoong Medical, 23 mm DM × 120 mm Länge) (Abb. 3B). Die linksseitigen Thoraxdrainagen werden am 25. und 27. postoperativen Tag gezogen. Der Austritt der Patientin erfolgt nach 30 Hospitalisationstagen (davon insgesamt sechs auf der Intensivstation) bei gut eingestellter Analgesie, erfolgtem Kostaufbau und Weiterführen einer peroralen antibiotischen Therapie bis zur nächsten Konsultation. Zweieinhalb Wochen nach Austritt kommt die Patientin zur Stententfernung, abschlies­send zeigen sich regelrechte Verhältnissen in der Ösophaguspassage (Abb. 3C).
Abbildung 3: Ösophagusbreischluck mit Gastrografin ® (M: Magen, Ö: Ösophagus). 
 A) Dichte Verhältnisse bei Stent. B) Persistierende Leckage nach Stententfernung (Pfeil). C) Abschliessend dichte Verhältnisse nach Stententfernung.
Die Patientin wird wegen der rezidivierenden Emesis psychosomatisch betreut. Ein Jahr später geht es ihr gut, sie weist keine Symptome einer Dysphagie oder Hinweise für eine Striktur oder Ösophagusmotilitätsstörung auf.

Das Krankheitsbild

Erstmalig in der Originalpublikation von Herman 
Boerhaave im Jahre 1724 beschrieben, zählt die spontane Ösophagusruptur zu den sehr seltenen, aber lebensgefährlichen Differentialdiagnosen thorakaler sowie epigastrischer Schmerzen. Zur Erstbeschreibung führte das Versterben eines Grossadmirals und Lebemannes, der nach einem üppigen Mal mit reichlich Trunk und folgendem Erbrechen einen qualvollen Tod fand. Die ursächliche Ösophagusruptur fand Boerhaave dann schliesslich in der Autopsie [2].
Die Inzidenz der Ösophagusruptur liegt gemäss einer Studie aus Island bei 3,1/1 000 000 Einwohner/Jahr [3], die Ätiologien sind unterschiedlich. Die spontane Ösophagusruptur muss von iatrogenen Perforationen im Rahmen endoskopischer Eingriffe – die heute etwa die Hälfte der transmuralen Ösophagusverletzungen ausmachen – abgegrenzt werden. Sie ist mit ungefähr einem Drittel der Ereignisse die zweithäufigste Ursache, vor den malignitätsbedingten Läsionen und selteneren nicht iatrogenen traumatischen Perforationen.
Als Ursache wird ein akuter Druckanstieg intraluminal im Ösophagus (Barotrauma) mit gleichzeitiger Abnahme des intrathorakalen Druckes, meist bedingt durch Erbrechen, angenommen. Primärer Risikofaktor und Hauptursache rezidivierender Emesis ist chronischer Alkoholabusus. Je nach Population können so auch deutlich höhere Inzidenzen beobachtet werden. Von der spontanen Ösophagusruptur im Sinne eines Boerhaave-Syndroms spricht man, wenn keine schwereren lokalen Schädigungen (Malignome, fortgeschrittene Refluxerkrankung, Morbus Crohn etc.) vorbekannt sind. Im Vergleich zum Mallory-Weiss-Syndrom, das sich meist mit Blutungen infolge oberflächlicher Schleimhauteinrisse am ösophagogastralen Übergang manifestiert, handelt es sich beim Boerhaave-Syndrom um einen kompletten transmuralen, meist longitudinalen Riss.
Die Lokalisation der Perforation ist am häufigsten, einer anatomischen Schwachstelle entsprechend, intrathorakal und wenige Zentimeter über dem ösophagogastralen Übergang zu finden, mit oder ohne subdiaphragmaler bis gastraler Mitbeteiligung. Seltener werden zervikale Rupturen beobachtet.

Diagnostik

Die klinische Untersuchung ist meist wenig konklusiv. Die klassisch beschriebene Mackler-Trias (Emesis, ­re­trosternale Schmerzen und subkutanes Emphysem) findet man in dieser Ausprägung selten [4]. Ein subkutanes Emphysem findet sich lediglich in zirka einem Viertel (27%) der Fälle. Häufig sind aber die Präsentationen mit schwallartigem Erbrechen (71%) und akuten Schmerzen (85%); seltener Dysphagie, Dyspnoe und Fieber je nach Ausmass und verstrichener Zeit seit dem ­Beginn der Symptomatik. Laborchemisch findet man je nach Zeitpunkt einen Anstieg der Entzündungsparameter. Das Labor bezüglich der Ösophagusruptur ist unspezifisch, aus differentialdiagnostischer Sicht unter anderem zur Abgrenzung von Herz-, Leber- und Pan­kreaserkrankungen aber wichtig. Das konventionell-­radiologische Thoraxbild zeigt zwar in praktisch allen Fällen Abnormitäten wie Verbreiterung des Mediastinums, Emphysem, Pneumothorax oder freie Luft subdiaphragmal, führt jedoch gemäss einer Studie nur in 27% der Fälle dann auch zur Verdachtsdiagnose einer Ösophagusruptur [5]. Gesondert zu erwähnen ist hier der Pleuraerguss, der ein wichtiges Zeichen für eine Mediastinitis darstellt.
Die Ösophaguspassage (Videofluoroskopie) hat mit ungefähr 90% eine sehr gute Sensitivität zur Detektion einer Leckage. Bei Verdacht auf eine Perforation sollte initial stets Gastrografin als Kontrastmittel verwendet werden. Barium ist zwar bei der Detektion von kleinen Läsionen überlegen, lässt sich jedoch schlechter rückresorbieren und führt bei bestehender Perforation zu einer Entzündungsreaktion des umliegenden Gewebes [6]. Wenn auch sinnvoll für eine Verlaufskontrolle einer Perforation im Sinne einer Dichtigkeitsprüfung nach erfolgter Therapie, so sagt die Ösophaguspassage doch zu wenig aus über die lokale Situation und ihre Komplikationen und ist in der Akutphase wenig praktikabel.
Den diagnostischen Goldstandard im Notfall bilden das CT sowie die Endoskopie. Während für die Ösophaguspassage die Kooperation des wachen Patienten erforderlich ist, kann ein CT rasch und gegebenenfalls auch nach Intubation erfolgen. Häufig ist eine genaue Lokalisation der Perforationsstelle nicht möglich, man sieht aber das Ausmass von perifokalen Luft- und Flüssigkeitskollektionen mediastinal sowie thorakal. Das spielt für die Therapieplanung, allerdings auch für die Abklärung möglicher Differentialdiagnosen, eine wichtige Rolle. Eine erweiterte Option stellt die CT-Ösophagographie dar. Hierbei wird zusätzlich oral oder über eine liegende Magensonde verdünntes iodhaltiges Kontrastmittel verabreicht. Diese Methode vereint die genannten Vorteile einer Ösophaguspassage und einer CT, wird bisher aber nicht standardmässig eingesetzt [7–9].
Die endoskopische Diagnostik bietet den wichtigen Vorteil, dass das Ausmass und die Höhe des Lecks lokal zu beurteilen sind, zudem werden verursachende Pathologien wie etwa ein distal liegender stenosierenden Tumor erkennbar. Zugleich kann unter Sicht eine Magensonde eingelegt und wenn möglich interventionell therapiert werden. Sie birgt andererseits aber auch das Risiko einer Aggravation der Perforation und sollte nach Möglichkeit von erfahrenen Endoskopikern und unter CO2- anstelle von Luftinsufflation durchgeführt werden.

Therapie

Mit den zunehmenden Möglichkeiten der interventionellen Endoskopie ist ein rein konservatives Vorgehen als Alternative zur chirurgischen Therapie in den allermeisten Fällen obsolet und geht zudem mit einer hohen Letalität einher [10]. Konservative Massnahmen wie ­Analgesie, Breitspektrumantibiotika, PPI-Perfusor, Nahrungskarenz, Einlage einer Magensonde unter Sicht während der Endoskopie sowie suffiziente enterale/parenterale Flüssigkeits-, Nahrungs- und Elektrolytsubstitution gehören aber zur Behandlung und haben unabhängig von der Art der durchgeführten endoskopischen oder chirurgischen Therapie eine tragende Rolle (Abb.  4).
Abbildung 4: Diagnostik und Therapie intrathorakaler Rupturen mit/ohne intraabdomineller Beteiligung. 
PPI: Protonenpumpeninhibitoren; AZ: Allgemeinzustand.
Seit den ersten erfolgreichen Versuchen vor zirka 150 Jahren mit offener Einlage von Stents aus Materialien wie Gold und Elfenbein als Therapieoption bei Pathologien des Ösophagus wurden grosse Fortschritte gemacht. Nachdem für lange Zeit nur unbeschichtete Metall­stents zur palliativen Therapie stenosierender Leiden zur Verfügung standen, ermöglichte erst die Entwicklung beschichteter Plastik- oder Metallstents einen Einsatz bei Perforationen. Die Einlage respektive Entnahme gestaltete sich früher oft schwierig, der Stent schädigte des gesunde Gewebe, dislozierte häufig oder war nur sehr schwierig wieder zu entfernen. Mit der Entwicklung von selbstexpandierenden beschichteten Metall­stents Ende des 20. Jahrhunderts als aktueller Standard wurden diese Nachteile weitestgehend überwunden.
Eine Untersuchung über den Einsatz von selbstexpandierenden Metallstents bei benigen Läsionen des oberen Gastrointestinal(GI)-Traktes zeigte gute Resultate. Bei 77,6 % konnte die Leckage mittels unkomplizierter Stenteinlage saniert werden, bei prolongierter und rezidivierender Stenttherapie zeigte sich bei insgesamt 84,2% der Fälle ein spontaner Verschluss der Perforation [11].
Die endoskopische Therapie stellt insbesondere bei kleineren und mittleren Perforationen bis mehrere Zentimeter eine wichtige komplementäre Therapie zur chirurgischen Intervention dar und bringt durch die geringe Invasivität klare Vorteile [11, 12]. Der Stent wird je nach Klinik und Grösse der Läsion nach zwei bis sechs Wochen entfernt.
Als weitere Methoden zur endoskopischen Sanierung kommen der Verschluss durch «Over the Scope»(OTS)-Clips sowie die Therapie mittels endoluminaler Vakuumtherapie («Endosponge») infrage. Beides zeigte bisher vielversprechende Resultate [13–15]. In der Literatur sind diese Therapiemöglichkeiten allerdings überwiegend bei iatrogenen Perforationen beschrieben. Die Haupteinsatzbereiche für die OTS-Clips sind bisher eher der direkte Perforationsverschluss im Rahmen einer iatrogenen Läsion und die endoluminale Vakuumtherapie bei Anastomoseinsuffizienzen nach Ösophagusresektionen.
Auch wenn die Läsion von endoluminal saniert wird, ist zu beachten, dass damit die komplikationsträchtigen Flüssigkeits- sowie Luftkollektionen nicht behoben sind. Zusätzliche Drainagen mit je nach Situation Débridement stellen einen sehr wichtigen Bestandteil der Therapie dar. Diese sollen wenn möglich bilateral und im Rahmen einer Thorakoskopie gezielt an die Rupturstelle gelegt werden.
Seit vielen Jahrzehnten stellen die chirurgische Einschätzung und Therapie den therapeutischen Standard bei diesem Krankheitsbild dar und spielen auch heute vor allem bei grösseren Perforationen mit ausgedehnter lokaler sowie systemischer Reaktion sowie weiteren Komplikationen eine essentielle Rolle.
Falls ein operatives Vorgehen gewählt wird, sollte die Läsion bei begrenzter lokaler Entzündung und kleinem Weichteildefekt übernäht oder mit einem diaphragmalen Muskel-Flap gedeckt werden. Bei ausgedehnten Rupturen muss eine Ösophagusresektion in Erwägung gezogen werden. Der Zugang der Wahl richtet sich nach der Lokalisation der Perforation und Operationsmethode. Da die häufigsten Läsionen distal mit oder ohne gastrale Mitbeteiligung zu finden sind, ist hier der Standardzugang laparoskopisch, dabei kann zugleich eine Ernährungsjejunostomie zur enteralen Ernährungssubstitution gelegt werden. Bei Débridement und intrathorakaler Drainage sowie höher gelegenen Leckagen wird minimalinvasiv über eine Thorakoskopie, je nach Situation zum Beispiel bei einer Ösophagektomie über eine Thorakotomie, operiert. Bei stark infiziertem Gewebe oder bereits länger bestehender Perforation ist eine primäre Defektsanierung chirurgisch meist nicht möglich. Dann wird bei Versagen einer endoskopischen Therapie nach ausgiebigem Débridement und Drainage­einlage zweizeitig chirurgisch vorgegangen [10, 16–18].

Prognose

Die intrathorakalen Perforationen gehen durch ihren unmittelbaren Kontakt mit dem Mediastinum mit einer schlechteren Prognose einher [19]. Durch Kontamination des Mediastinums mit Ösophagusinhalt kommt es initial zu einer chemischen und in der Folge zu einer bakteriellen Mediastinitis mit Nekrose und dann rasch zur Sepsis. Die Letalität liegt je nach Diagnosezeitpunkt, medizinischen Ressourcen, Allgemeinzustand, Komorbiditäten, Ausmass der Läsion und deren Komplikationen bei ca. 10–30% [16, 20, 21]. Eine Untersuchung zeigte, dass spontane Perforationen eine höhere Letalität als iatrogene aufweisen (36 vs. 19%) und die Letalität thorakal lokalisierter Perfora­tionen höher ist als diejenige abdominaler oder zervikaler Perforationen (27 vs. 21 vs. 6%) [18]. Ein möglichst früher Therapiebeginn nach Auftreten der Symptome ist entscheidend, innerhalb der ersten 24 Stunden zeigt sich eine Verminderung der Letalität und insbesondere der Zeit der Intensivpflichtigkeit und Hospitalisationstage [21]. Massgebend für die Pro­gnose sind ausserdem die Anzahl an Komorbiditäten sowie insbesondere pulmonale Begleiterkrankungen [20].

Diskussion

Aufgrund der Seltenheit, aber auch der unterschiedlichen klinischen Präsentation des Krankheitsbildes fehlen grössere Studien, zudem ist die Erfahrung einzelner Ärzte und Spitäler mit diesem Krankheitsbild in der Regel begrenzt. Die unterschiedlichen Therapieansätze werden in der Literatur unterschiedliche diskutiert und einzelne chirurgische und zunehmend auch endoskopische Therapiemethoden als überlegen propagiert. Die Resultate sind hierbei wesentlich abhängig von der jeweiligen Befundkonstellation und erfordern eine individuell zugeschnittene Therapie auf der Basis gelebter Interdisziplinarität zwischen erfahrenen Thorax- und Viszeralchirurgen sowie Gastroenterologen an einem Zentrumsspital. Eine Therapieverfahren nach dem Motto Entweder-oder ist der falsche Ansatz. Das kritische Erfassen und Hinterfragen des Therapieverlaufs ist essentiell. Einerseits tragen externe Faktoren wie Ressourcen und Erfahrung der beteiligten Ärzte zur Entscheidung bei, andererseits patientenbezogene Aspekte wie Allgemeinzustand, Komorbiditäten, Ausmass und Lokalisation der Perforation sowie der lokalen und systemischen Mitbeteiligung. Bei der Verdachtsdiagnose soll eine rasche Verlegung in ein Zentrumsspital mit entsprechender chirurgischer und gastroenterologischer Expertise erfolgen.
Beim hier beschriebenen Fall wurde die Ruptur durch psychogen bedingte Emesis ausgelöst und nicht wie in den meisten Fällen durch Alkoholüberkonsum. Die Pa­tientin wurde aufgrund des Leitsymptoms thorakaler Schmerzen anfangs von den Kollegen der inneren Medizin auf der Notfallstation gesehen. Zu Beginn konnte die Perforationsstelle endoskopisch nicht abgegrenzt werden, so wurde mit der Einlage eines Stents abgewartet. Hier kann eine Abstandskappe bei der Endoskopie helfen, einzelne Areale der Schleimhaut besser darzustellen. Zusätzlich zeigte die Patientin nach ersten konservativen Therapiemassnahmen eine deutliche Beschwerderegredienz, weshalb sie von chirurgischer Seite zu Beginn nicht gesehen wurde. Auch wenn mehre Fachrichtungen an der Behandlung beteiligt sind, sollte, wie auch bei ­anderen Perforationen im GI-Trakt, der «Lead» bei den Chirurgen liegen.
Dass das erste Ansprechen auf Therapiemassnahmen beim vorliegenden Krankheitsbild trügerisch sein kann, zeigte der weitere Verlauf. Innerhalb zweier Tage kam es zur rapiden Verschlechterung der Situation, was ein rasches Handeln erforderte. Rückblickend hätte man bereits bei computertomographischer Darstellung der perifokalen Kollektionen Drainagen einlegen sollen. Bei Diagnose einer spontanen Ösophagusruptur soll die Perforationsstelle zeitnah und wenn möglich endoskopisch verschlossen werden. Hier hätte man bei Verdacht in der Bildgebung trotz fehlender endoskopischer Darstellung der Perforationsstelle zu Beginn eine erneute Endoskopie durchführen sollen.
Ein wichtiger Vorteil der Endoskopie ist die lokale Beurteilung; ein Tumor oder eine andere zugrunde liegende Pathologie müssen ausgeschlossen werden.
Nach Stenteinlage war die Perforation lokal vorerst abgedichtet, die entzündlichen Veränderungen im linken Hemithorax konnten chirurgisch debridiert werden.
Vorhandene Kollektionen müssen debridiert/drainiert werden. Die Einlage der Drainage soll thorakoskopisch erfolgen. Nach suffizientem Débridement kann eine Drainage optimal platziert werden. Durch Abdichtung der Läsion können über eine eingelegte Drainage Flüssigkeits- oder Eiterkollektionen drainiert werden, ohne dass sich diese stetig über den Ösophagus wieder auffüllen.
Die Stenttherapie entwickelt sich stetig weiter. Bei korrekt liegendem Stent war die Perforationsstelle abgedichtet. Nach wie vor sind Dislokationen vollbeschichteter Stents allerdings nicht selten, die Entfernung und erneute Einlage eines teilbeschichteten Stents konnte aber unkompliziert durchgeführt werden, was die Vorteile partiell beschichteter selbstexpandierender Metallstents aufzeigt.
Bei verzögerter Diagnosestellung ist ein primärer chirurgischer Verschluss der Perforation durch die perifokale Entzündung meist nicht möglich. Hier sind die endoskopische Therapie mit Stenteinlage sowie ein thorakoskopisches Débridement und eine Drainage wichtig. Gegebenenfalls kann dann nach Stabiliserung der Situation im Verlauf das Leck chirurgisch angegangen werden.
Zusammenfassend kann der positive Verlauf auch der zeitnahen Vorstellung nach Symptombeginn, den guten physischen Ressourcen und dem Fehlen von schweren Grunderkrankungen zugerechnet werden.
Die spontante Ösophagusruptur ist trotz ihrer Seltenheit eine Differentialdiagnose thorakaler sowie epigastrischer Schmerzen, an die man denken muss. Trotz stetiger Fortschritte der Medizin ist und bleibt sie eine lebensgefährliche Erkrankung.

Das Wichtigste für die Praxis

• Die spontane Ösophagusruptur ist ein seltenes, aber lebensbedrohliches Krankheitsbild mit unterschiedlichsten Ausprägungen.
• Bei Verdacht muss eine rasche Verlegung an ein Spital mit entsprechenden diagnostischen und therapeutischen Ressourcen erfolgen.
• Frühzeitige Diagnostik mit Computertomographie und Endoskopie ist wichtig.
• Der frühe Therapiebeginn auch bei geringer Symptomatik ist für eine Senkung der Morbidität und Letalität entscheidend.
• Die Art der Therapie soll je nach Fall individuell und interdisziplinär (Thorax-/Viszeralchirurgie, Gastroenterologie) beschlossen werden.
Wir bedanken uns bei Dr. Stephan Ullrich, Institut für Radiologie und Nuklearmedizin des Stadtspitals Triemli Zürich, für die radiologische Expertise und Bereitstellung der Bilder.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Laurin Burla, dipl. Arzt
Stadtspital Triemli
Chirurgie
Birmensdorferstrasse 497
CH-8063 Zürich
laurin.burla[at]triemli.
zuerich.ch
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