Eine nicht alltägliche Ursache für Bauchschmerzen

Eine bis anhin gesunde 31-jährige Patientin stellte sich wegen über die letzten Wochen progredienter Oberbauchschmerzen sowie Zunahme des Bauchumfangs in der Notfallpraxis vor.

Hintergrund

Oberbauchschmerzen sind ein häufiger Konsultationsgrund in der Hausarztpraxis und auf der Notfallstation. Insbesondere bei jungen Patienten lässt sich vielfach keine Erklärung finden und die Beschwerden sind im Verlauf spontan rückläufig. Bei Auftreten von begleitenden klinischen Auffälligkeiten sollte jedoch eine weiterführende Diagnostik erfolgen.

Fallbericht

Anamnese

Wir berichten über eine bis dato gesunde 31-jährige Patientin, die sich wegen über die letzten Wochen progredienter Oberbauchschmerzen sowie Zunahme des Bauchumfangs in der Notfallpraxis vorstellte. Zusätzlich beschrieb die Patientin Übelkeit ohne Erbrechen, Appetitlosigkeit und eine Gewichtszunahme von rund drei Kilogramm während eines Monats. Die Patientin stammt ursprünglich aus Algerien und lebt seit einem Jahr in der Schweiz.

Status

Die Patientin präsentierte sich in einem leicht reduzierten und afebrilen Allgemeinzustand. Die Vitalparameter (Blutdruck 111/76 mm Hg; Puls 100/min; Temperatur 37,1 °C; SpO2 98% bei Raumluft) waren normal. In der klinischen Untersuchung konnte ein deutlich geblähtes und gespanntes Abdomen mit diffusem Druckschmerz insbesondere im Oberbauch und positivem Murphy-Zeichen eruiert werden. Die Skleren waren leicht ikterisch, der restliche klinische Untersuchungsbefund blieb unauffällig.

Befunde

Laboranalytisch erschienen eine milde Polyglobulie, eine deutliche Leukozytose sowie Thrombozytose bei nicht erhöhtem Wert des C-reaktiven Proteins (CRP). Begleitend zeigte sich das Bild einer Leberinsuffizienz mit mässig erhöhten Transaminasen, spontaner INR-Erhöhung sowie erniedrigtem Totalprotein (Tab. 1). Die Abdomensonographie ergab einen 4-Quadranten-Aszites, eine Splenomegalie sowie eine Ovarialzyste links.
Tabelle 1: Labor bei Eintritt.
  NormBei Eintritt
HämatologieHämoglobin12,3–15,8 g/dl16,2
Hämatokrit37–47%51
Erythrozyten4,0–5,2 T/l6,8
Leukozyten3,0–9,6 G/l18,79
Thrombozyten150–400 G/l733
GerinnungProthrombinzeit78–120 %44
INR 1,53
Klinische ­ChemieKreatinin50–98 µmol/l55
Bilirubin<20,5 µmol/l25
ASAT (GOT)<34 U/l42
ALAT (GPT)<55 U/l47
Gamma-GT (GGT)<36 U/l76
Alkalische ­Phosphatase<150 U/l126
Albumin35–52 g/l39
Totalprotein60–83 g/l57
CRP<5 mg/l7,0
INR: «International Normalized Ratio»; ASAT: Aspartat-Aminotransferase; GOT: Glutamat-Oxala­cetat-Tran­saminase; ALAT: Alanin-Aminotransferase; GPT: Glutamat-Pyruvat-Tran­saminase; GGT: Gamma-Glutamyltransferase; CRP: C-re­ak­tives Pro­te­in.
Eine infektiöse Ursache der Leberinsuffizienz konnte laboranalytisch ausgeschlossen werden (Hepatitisserologie negativ, humanes Immundefizienz-Virus [HIV], Epstein-Barr-Virus [EBV], Zytomegalie-Virus [CMV], Herpes-simplex-Virus [HSV] negativ), wie auch eine autoimmune Genese. Eine spontan bakterielle Peritonitis oder maligne Zellen konnten im Rahmen einer Aszitespunktion nicht nachgewiesen werden.
In der Computertomographie fand sich ein thrombotischer Verschluss sämtlicher Lebervenen mit sekundären Zeichen der portalen Hypertension (Aszites, Pleuraergüsse beidseits, Splenomegalie) (Abb. 1). Somit konnte die Diagnose eines Budd-Chiari-Syndroms gestellt werden.
Abbildung 1: DIe koronare Computertomographie zeigt eine vergrösserte Leber mit inhomogener Kontrastmittelanreicherung ohne sichtbare Lebervenen in der portalvenösen Phase. Ausgeprägter 4-Quadranten-Aszites (x).

Therapie und Verlauf

Wir starteten daraufhin eine therapeutische Antikoagulation mit Enoxaparin und führten eine Thrombophiliediagnostik durch. Bei positivem Mutationsstatus für Januskinase (JAK) 2 und passender Knochenmarksmorphologie konnte eine myeloproliferative Neoplasie vom Typ Polycythaemia vera diagnostiziert werden, wobei dieser Befund als Ursache für die thrombotisch verschlossenen Lebervenen und somit des Budd-Chiari-Syndroms interpretiert wurde.
In der Gastroskopie zeigten sich eine milde erosive Duodenitis, sekundäre Zeichen einer portalen Hypertension aber ohne Ösophagus- oder Fundusvarizen.
Trotz eingeleiteter therapeutischer Antikoagulation sowie diuretischer Therapie persistierte der thrombotische Verschluss der Lebervenen und es kam im Verlauf zu einem wiederholt punktionsbedürftigen Aszites. Aufgrund dieser Tatsache wurde die Indikation zur Einlage eines transjugulären intrahepatischen portosystemischen Stents (TIPS) gestellt. In der CO2-Verschluss-Portographie zeigten sich eine Vielzahl von Kollateralen, aber keine Lebervenen (Abb. 2).
Abbildung 2: CO2-Verschluss-Portographie: CO2-Injektion nach Einbringen eines Okklusionsballons durch die verschlossene rechte Lebervene. Darstellung des injizierten CO2 in multiplen Kollateralen.
Nach erfolgreicher Punktion der Pfortader erschienen in der direkten Portographie nur mässig Kollateralen passend zu einem schnell entwickelten Lebervenenverschluss (Abb. 3). Nach erfolgter Intervention kam es rasch zu einer Abnahme der Aszitesmenge, woraufhin die diuretische Therapie langsam reduziert werden konnte.
Abbildung 3: Kontrastinjektion direkt in die Vena portae (x) mit Darstellung der Vena coronaria (Pfeil) und kleinen Ösophagusvarizen (Stern).
Rund einen Monat nach Entlassung aus dem Spital stellte sich die Patientin erneut aufgrund zunehmender Bauchschmerzen und Gewichtszunahme auf der Notfallstation vor. Trotz wiederum gesteigerter Diurese wurde sonographisch eine Zunahme des Aszites gesehen. Ursache hierfür war ein thrombotischer Verschluss des TIPS, der trotz adäquat eingestellter blutverdünnender Therapie mit Marcoumar® (INR 2–3) aufgetreten war. Der TIPS-Verschluss konnte interventionell mittels lokaler Thrombolyse erfolgreich rekanalisiert werden. Der TIPS wurde zudem bis knapp unterhalb des Vorhofes verlängert (Abb. 4).
Abbildung 4: Gut funktionierender transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS) mit nur noch geringem Fluss in die Vena coronaria.
Aufgrund dieses thrombotischen Ereignisses trotz adäquater Antikoagulation wurde Marcoumar® abgesetzt und eine Off-Label-Therapie mit Rivaroxaban und begleitend eine Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure initiiert. Nach hämatologischer Mitbeurteilung starteten wir im Verlauf zusätzlich eine zytoreduktive Therapie mit Litalir. Rund acht Monate nach der Erstkonsultation ist die Patientin in gutem Allgemeinzustand mit normaler Leberfunktion ohne Aszitesrezidiv und guter TIPS-Funktion.

Diskussion

Bauchschmerzen in Verbindung mit Aszites haben eine breite Differentialdiagnose und bedürfen einer weiteren Abklärung. Das Budd-Chiari-Syndrom (BCS) wie in unserem Fall beschrieben ist eine seltenere Ursache. Es ist ein Krankheitsbild, das durch eine Abflussstörung auf Ebenen der hepatischen Venolen, der gros­sen hepatischen Venen und der posthepatischen Vena cava inferior ohne Nachweis einer kardialen Ursache (Rechtsherzinsuffizienz) verursacht wird [1]. Die Erkrankung betrifft in unseren Breiten häufiger Frauen als Männer und tritt gehäuft in der zweiten bis vierten Lebensdekade auf, wobei auch Kinder und ältere Personen davon betroffen sein können. In Asien kommt das BCS häufiger bei Männern und in einem späteren Lebensabschnitt vor (ab dem 45. Lebensjahr) [1, 2]. Dem BSC liegen in rund 75% der Fälle prädisponierende Faktoren zugrunde, wobei in unseren Breiten myeloproliferative Erkrankungen am häufigsten gefunden werden können (Tab. 2) [3].
Tabelle 2: Ursachen des Budd-Chiari-Syndroms [3].
Häufige Ursachen
 Hyperkoagulopathie 
angeborenAntithrombin-III-Mangel
Protein-C-Mangel
Protein-S-Mangel
Faktor-V-Leiden-Mutation
Prothrombin-Mutation
 Hyperkoagulopathie 
erworbenMyeloproliferative Erkrankungen, JAK-2-Mutation
Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie
Antiphospholipid-Syndrom
Malignome
Schwangerschaft
Orale Antikontrazeptiva
Seltenere UrsachenTumorinvasion, Hepatozelluläres Karzinom
Aspergillose
Behcet-Syndrom
Kongenitale Stenosen oder intravasale membranöse Netze
Trauma
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie
Idiopathisch
JAK: Januskinase
Man unterscheidet je nach Lokalisation eine primäre Form des BCS, bei der die Ursache vom Inneren der Vene ausgeht (Thrombus, kongenitale Stenosen, membranöse Netze), und eine sekundäre Form, bei der eine Kompression der Venen von aussen vorliegt (Abszess, Tumor, Zyste).
Zusätzlich kann je nach Manifestation eine fulminante, akute, subakute und chronische Verlaufsform unterschieden werden. Der fulminante und akute Verlauf sind gekennzeichnet durch rasches Auftreten von Symptomen der portalen Hypertension mit Aszites, Ikterus und Leberzellnekrosen. Der subakute und chronische Verlauf gehen oft mit sehr diskreten Krankheitszeichen einher, auch völlig asymptomatische Verläufe wurden beschrieben (Tab. 3) [3].
Tabelle 3: Symptome des Budd-Chiari-Syndroms.
Allgemeine SymptomeBauchschmerzen, Hepatomegalie, Übelkeit, Erbrechen
Spezifische SymptomeFulminante Verlaufsform (selten, innerhalb weniger Tage/­Wochen):
Ikterus, erhöhte Transaminasen, hepatische Encephalopathie
Akute Verlaufsform (mehrere Wochen):
Ikterus, erhöhte Transaminasen, hartnäckiger Aszites, ­fehlende portalvenöse Kollateralen
Subakute Verlaufsform (schleichende Entwicklung, ­Symptomatik innerhalb von drei Monaten):
Erhöhte Transaminasen, Aszites (möglich, dass beides diskret ausgeprägt), portalvenöse Kollateralen, asymptomatischer ­Verlauf möglich
Chronische Verlaufsform:
Komplikationen einer Leberzirrhose (Ikterus, Aszites, Ödeme, gastrointestinale Blutung bei portalvenösen Kollateralen, ­hepatische Encephalopathie)
Asymptomatischer Verlauf möglich
Die farbkodierte Dopplersonographie ist mit einer Sensitivität und Spezifität von 85% oder mehr Mittel der ersten Wahl im Rahmen der Abklärungen. Alternativen insbesondere zur Darstellung der venösen Anatomie und des Leberparenchyms auch im Hinblick auf eine allfällige interventionelle Therapie stellen die Computertomographie- oder Magnetresonanz-Angiographie dar [3, 4].
Die Therapie zielt einerseits auf die portale Hypertension und ihre Komplikationen ab, andererseits auf die thrombotische Genese und die zugrunde liegenden Erkrankungen. Die TIPS-Anlage stellt insbesondere bei Patienten mit BCS und nicht beherrschbaren Komplikationen der portalen Hypertension eine gute therapeutische Alternative dar und wird vor allem von Pa­tienten mit relativ guter Leberfunktion gut toleriert. Die TIPS-Anlage sollte früh als Intervention der ersten Wahl bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie in Betracht gezogen werden, da das transplantationsfreie Überleben im Vergleich zur medikamentösen Therapie deutlich verbessert werden kann [5]. Wegen des zugrunde liegenden thrombotischen Ereignisses sollten die Patienten therapeutisch mittels Vitamin-K-Antagonisten (z.B. Marcoumar®) auf eine INR von 2–3 eingestellt werden. Eine im Rahmen der Abklärungen diagnostizierte Grunderkrankung sollte wenn möglich zusätzlich spezifisch behandelt werden.
Unbehandelt weist das symptomatische BCS mit rund 90% Mortalität innert drei Jahren eine hohe Sterblichkeit auf. Unter stufenweiser Ausschöpfung aller therapeutischen Optionen (medikamentöse Therapie, Thrombolyse und Angioplastie, TIPS, Lebertransplantation) kann eine 5-Jahres-Überlebensrate von 90% erreicht werden [1].

Das Wichtigste für die Praxis

• Das Budd-Chiari-Syndrom (BCS) stellt eine seltene Ursache für Bauchschmerzen sowie Aszites dar und sollte im Rahmen der Abklärungen in Betracht gezogen werden.
• Die Patienten können sich mit einem sehr unspezifischen Beschwerdebild präsentieren.
• Die Diagnose erfolgt bildgebend entweder sonographisch oder mittels Computertomographie und Magnetresonanztomographie.
• In unseren Breiten liegt dem BCS am häufigsten eine Thrombophilie (am ehesten myeloproliferative Erkrankungen) zugrunde.
• Aufgrund der Lebervenenthrombosen soll eine therapeutische Antikoa­gulation gestartet werden. Andererseits müssen begleitend die portale Hypertension und eine möglicherweise zugrunde liegende Erkrankung spezifisch behandelt werden.
• Die hohe Sterblichkeitsrate ohne Therapie kann unter Ausschöpfung aller therapeutischen Möglichkeiten deutlich gesenkt werden.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Korrespondenz
Dr. med. univ. (A)
Andreas Hämmerle
Interdisziplinäre
Notfall­station
Kantonsspital W­interthur
Brauerstrasse 15
CH-8400 Winterthur
andreas.haemmerle[at]gmail.com
1 Dominique-Charles Valla, Primary Budd-Chiari syndrome, Journal of Hepatology. 50:(2009);195–203.
2 Angermayr B. Das Budd-Chiari Syndrom; Journal für Gastroenterologische und Hepatologische Erkrankungen. 2008;6(1)17–20.
3 Narayanan Menon KV, Vijay Shah, Kamath PS. The Budd-Chiari Syndrome; N Eng J Med. 2004;350:578–85.
4 Budd-Chiari syndrome: Etiology, pathogenesis and diagnosis; World J Gastroenterol. 2007 May 21;13(19):2693–6.
5 Rosenqvist K, Sheikhi R, Eriksson LG, Rajani R, Rorsaman F, Sangfelt P, Nyman R. Endovascular treatment of symptomatic Budd-Chiari Syndrome – in favour of early transjugular intrahepatic portosystemic shunt; Eur J Gastroenterol Hepatol. 2016 Jun;28(6):656–60.