Die Patientin litt seit ungefähr zwei Jahren unter Anfällen von unspezifischen und wechselnden Beschwerden, unter anderem Kopfschmerz, Desorientiertheit, Zittern, Kaltschweissigkeit und Präsynkopen.
Hintergrund
Das sehr seltene Insulinom (Inzidenz 0,1–0,4:100 000/Jahr, jedes Alter möglich, höchste Inzidenz zwischen 40. und 50. Lebensjahr [3]) ist der häufigste funktionell aktive neuroendokrine Tumor des Pankreas (40–70%), gefolgt von Gastrinomen, Glucagonomen, VIPomen und anderen. Es entsteht aus den im Pankreas vorkommenden Langerhans-Inselzellen (β-Zellen) und tritt gehäuft auf in Pankreaskopf und -schwanz. Prinzipiell ist es jedoch in jedem Organabschnitt möglich. Bei Frauen tritt es häufiger auf als bei Männern (ca. 1,5:1 [4]). Da es autonom Insulin produzieren kann, führt ein relativer Insulinüberschuss häufig zu symptomatischen, teils folgenschweren Hypoglykämien. Die Symptome manifestieren sich nicht immer eindeutig, teilweise unspezifisch, von anderen Beschwerden überlagert oder zeigen eine Dynamik über die Zeit. Gründe für eine Arztkonsultation sind häufig Bewusstseinsstörungen wie Synkopen oder präsynkopale Zustände.
Fallbericht
Anamnese
Die Patientin litt seit ungefähr zwei Jahren unter Anfällen von unspezifischen und wechselnden Beschwerden, unter anderem Kopfschmerz, Desorientiertheit, Zittern, Kaltschweissigkeit und Präsynkopen. Es fand sich in den neurologischen und kardiologischen Abklärungen kein pathologischer Befund. Fortan bemerkte die Patientin eine deutlich Frequenz- und Schweregradzunahme der präsynkopalen/synkopalen Zustände. Aufgrund eines längeren Bewusstseinsverlustes erfolgte eine Spitalzuweisung bei symptomatischer Hypoglykämie. Der vom Notarzt gemessene Blutzuckerspiegel betrug 2,5 mmol/l. Die Gabe von 40%-iger Glukoselösung führte noch vor Ort zu einer vollständigen Regredienz der Beschwerden. Trotz laufender Glukoseinfusion (5%) entwickelte sich erneut eine drastische Senkung des Blutzuckerspiegels von 5,2 auf 2,9 mmol/l auf der Notfallstation, weshalb eine stationäre Aufnahme erfolgte. Eine B-Symptomatik oder andere Beschwerden wurde von der Patientin verneint, sie berichtete jedoch über eine ungewollte Gewichtszunahme von 99 auf 104 kg. Am Vortag habe sie erstmalig eine sofortige Regredienz der Beschwerden nach dem Genuss eines Süssgetränks festgestellt.
Status
Die stabile und zu allen Qualitäten orientierte 56-jährige Patientin präsentierte sich in gutem Allgemein- und adipösem Ernährungszustand. Die neurologische, kardiale, pulmonale und abdominale Untersuchung zeigten keine richtungsweisenden Auffälligkeiten, bis auf einen leicht erhöhten Blutdruck mit 156/88 mmHg bei normokarder Herzaktion.
Befunde
Bei Aufnahme fand sich laborchemisch bis auf eine Hypokaliämie kein pathologischer Befund, speziell waren das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH), Entzündungszeichen und Nierenfunktion normal und das HbA1c 4,9%.
Diagnose
Im stationären Setting wurde ein Fastentest durchgeführt. Er fiel pathologisch aus und musste nach 54 Stunden bei neuroglykopenen Symptomen abgebrochen werden. Bei Abbruch lagen ein Glukosespiegel von 1,7 mmol/l, ein Insulinspiegel von 80,5 pmol/l sowie ein C-Peptid von 0,9 nmol/l vor. Ebenfalls veränderte sich der MMS/Uhrentest deutlich (Abb. 1). Nach Gabe von Glukoselösung normalisierte sich die Klinik vollständig.
Aufgrund des pathologischen Fastentests und Vorliegens der Whipple-Trias konnte die Diagnose einer hyperinsulinämen Hypoglykämie gestellt werden. Zur Insulinomsuche wurde eine Bildgebung veranlasst.
Die Positronen-Emissions-Computertomographie (PET-CT) zeigte jedoch keine Hinweise auf ein Somatostatin-Rezeptor-2(SSTR-2)-positives Insulinom respektive einen anderweitigen neuroendokrinen Tumor (NET), weshalb eine weitere Bildgebung notwendig wurde (Abb. 2).
Die daraufhin durchgeführte Magnetresonanztomografie (MRT) des Pankreas zeigte eine umschriebene Raumforderung (max. 12 × 9 mm) im Pankreaskopf, morphologisch vereinbar mit einer neuroendokrinen Neoplasie, ohne Hinweis auf Lymphknoten- oder Organmetastasen (Abb. 3).
In der Zusammenschau der Befunde wurde die Diagnose eines nicht metastasierten neuroendokrinen Tumors respektive Insulinoms im Pankreaskopf gestellt.
Therapie und Verlauf
Die initiale Therapie bestand in der diätetischen Anpassung mit langkettigen langsam resorbierbaren Kohlenhydraten, regelmässiger Nahrungsaufnahme und Zwischenmahlzeiten. Blutzuckerselbstmessungen wurden instruiert (inkl. «Notfall-Kohlenhydrate»), um Hypoglykämieepisoden zu erfassen. Ergänzend wurde ein vorläufiges absolutes Fahrverbot ausgesprochen.
Nach Lokalisation im MRT wurde eine kurative Resektion des Insulinom-suspekten Gewebes aus dem Pankreas mittels Enukleation nach intraoperativem Ultraschall durchgeführt. Histologisch zeigte sich das Gewebe als gut differenzierter, NET (Durchmesser von 1,6 cm) mit immunhistochemischer Expression von neuroendokrinen Markern, Insulin und Islet-1, vereinbar mit einem Insulinom (Ki-67 <2%; Somatostatin-Rezeptor 0–1+ nach Volante et al.).
Postoperativ zeigte sich in den ambulanten endokrinologischen Kontrollen eine beschwerdefreie Patientin ohne anamnestische, klinische und laborchemische Hinweise für persistierende Hypoglykämien.
Diskussion
Das Insulinom ist eine sehr seltene Erkrankung mit vielen Gesichtern und Manifestationen. Bei nicht-multiplem Auftreten ist es kurativ therapierbar [1] und die Prognose sehr günstig [2].
Die Hypoglykämien manifestieren sich nicht immer eindeutig, sondern häufig unspezifisch. Mögliche Symptome sind unter anderem Kopfschmerzen, Angst, innere Unruhe, Kribbelparästhesien, Wärmegefühl, Unsicherheit, Verwirrtheit, inadäquates Verhalten, Denk-/Sprachstörungen, Unwohlsein, Übelkeit, Schwäche, Schweissausbruch, Zittern, Schwindel, Prä-/Synkopen, Visusstörungen, Heisshunger, Gewichtszunahme, Palpitationen, Tachykardien. Meist liegt ein Mischbild diverser Symptome vor.
Die Blutzuckermessung muss venös durchgeführt werden, da kapilläre Blutzuckermessungen ungenau sind, vor allem in hypoglykämen Bereichen. Die klinischen Symptome und die laborchemischen Befunde können im Verlauf dynamisch sein. Dies erschwert unter anderem eine schnelle Diagnosestellung und man sucht ein vasovagales, rhythmogenes oder neurologisches Problem.
Zur Diskussion stehen bei Patienten mit einer hyperinsulinämen Hypoglykämie als Differentialdiagnosen in erster Linie das Insulinom oder eine Nesidioblastose (angeboren oder erworben). Auch eine Hypoglycaemia factitia (artifizielle Hypoglykämie) bei selbst- oder fremdausgeführter Insulininjektion wäre denkbar. Sie konnte in diesem Fall jedoch wegen des hohen C-Peptids ausgeschlossen werden. Für die diversen weiteren Differentialdiagnosen (Tab. 1) ergaben sich anhand von Klinik, Status, Labor und Bildgebung keine Hinweise oder es wurde bei unwahrscheinlichem Vorliegen nicht weiter danach gesucht.
Ein Insulinom ist in mehr als 90–95% der Fälle gutartig und isoliert, somit chirurgisch meistens heilbar. Die bei dieser Patientin durchgeführte kurative chirurgische Therapie ist jedoch nicht immer möglich. Bei nicht kurativ operablen Tumoren aufgrund der Lage, der Operabilität des Patienten wegen Komorbiditäten oder multiplen Auftretens der Insulinome beziehungsweise malignen Insulinomen und Metastasen sind alternative Therapien respektive Therapiekonzepte möglich. Interdisziplinär diskutiert werden sollten dann etwa ein Tumordebulking / eine Metastasenresektion, eine Chemotherapie, eine gezielte Chemoembolisation oder eine medikamentöse Behandlung mit Somatostatinanaloga oder Diazoxid (Proglicem®).
Das Wichtigste für die Praxis
• Whipple-Trias – typische Klinik eines Insulinoms:
1. Hypoglykämie, das heisst Blutzuckerspiegel <3,0 mmol/l.
2. Neuroglykopene Symptome (qualitative oder quantitative Bewusstseinsstörungen: Verwirrung, Sprach- und Denkstörungen, Verhaltensstörungen, Konzentrationsstörungen, Somnolenz, Koma, fokal neurologische Defizite, epileptischer Anfall).
3. Umgehend regrediente Klinik nach Glukosegabe.
• Goldstandard der Diagnostik bei Insulinomverdacht ist der stationäre Fastentest [4]. Beweisend für eine hyperinsulinäme Hypoglykämie ist der Umstand, dass bei bestehender Hypoglykämie eine fortgeführte Insulinsekretion mit inadäquat hohen C-Peptid- und Insulin-Spiegeln ohne signifikante Suppression vorliegt.
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
1 Scherübl H, Schaaf L, Raue F, Faiss S, Zeitz M. Therapie hereditärer neuroendokriner gastroenteropankreatischer Tumoren und MEN Typ 1. Hereditäre neuroendokrine gastroentero-pankreatische Tumoren und multiple endokrine Neoplasie Typ 1. II. Aktuelle Therapie. Dtsch Med Wochenschr. 2004;129:689–92.
2 Service FJ. Hypoglycemic disorders. N Engl. J Med. 1995;332:1144–52.
3 Service FJ, McMahon MM, O’Brien PC, Ballard DJ. Functioning insulinoma-incidence, recurrence and ling-term survival of patients: a 60-years study. Mayo Clin Proc. 1991;66:711–9.
4 Hirshberg B, Livi A, Bartlett DL, Libutti SK, Alexander HR, et al. Forty-eight-hour fast: the diagnostic test for insulinoma. J Clin Endocrinol Metab. 2000;85:3222–6.