Kurz und bündig
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Kurz und bündig
Ausgabe
2019/0506
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08048
Swiss Med Forum. 2019;19(0506):73-76

Publiziert am 30.01.2019

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Wer von meinen Patient(inn)en wird stürzen?

– 1⁄3 aller Patient(inn)en über 65 Jahre stürzt jedes Jahr.
– 1⁄2 aller Patient(inn)en über 80 Jahre stürzt jedes Jahr.
– Direkte sturzbedingte Behandlungskosten liegen bei über einer Milliarde Franken pro Jahr.
– Therapien/Interventionen vermögen etwa 1⁄3 der Stürze zu verhindern.
– Nur mit jedem 4. Älteren werden die Sturzgefährdung und deren (viele!) Gründe besprochen.
– Der Einbeinstand (normal bei ca. 70-Jährigen: >5 Sekunden ohne Support) bleibt in der Gruppe der funktionellen Tests der einzig signifikante Risikoprädiktor.
Annals of Internal Medicine 2018, doi:10.7326/AITC201812040.
Verfasst am 27.12.2018.

Praxisrelevant

Diuretika stoppen oder weiterführen nach ­Beginn der Hämodialyse?

Viele Patient(inn)en sind vor Beginn der Hämodialyse – teils mit dem Ziel, diese hinauszuzögern – mit hohen Dosen von Schleifendiuretika behandelt worden. Nach Beginn der Hämodialyse werden die Diuretika oft gestoppt. Allerdings gibt es auch Ärztinnen und Ärzte, die bei Patient(inn)en mit Restdiurese die diuretische Therapie auch unter Hämodialyse noch weiterführen. Ist dies sinnvoll oder schädlich? Ein Vergleich von mehr als 5000 Patienten mit neu begonnener Hämo­dialyse und weitergeführter Schleifendiuretikatherapie mit mehr als 6000 Patienten mit Hämodialyse, aber gestoppter Diuretikatherapie, zeigt, dass Schleifendiuretika die Hospitalisationsrate, die interdia­lytische Gewichtszunahme und – etwas überraschend – die intradialytischen Hypotonien reduzierten. Die Mortalität war nach einem Jahr zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant verschieden.
Clin J Am Soc Nephrol 2018, doi.org/10.2215/CJN.05080418.
Verfasst am 27.12.2018.

Fluoroquinolone nicht mehr bei schwerer Arteriosklerose verschreiben!

Obwohl die Hypothese, dass Fluoroquinolone den Kollagenabbau fördern, nie beim Menschen bewiesen wurde, findet eine Untersuchung der «Food and Drug Administration» (FDA) der publizierten Assoziationsstudien, dass die Chance einer Aortendissektion oder eines kleineren oder grösseren Einrisses in die Aorta um einen Faktor von etwa 2,4 erhöht sei, wenn Fluoroquinolone eingenommen wurden. Dies bei einer Exposition von 3–14 Tagen, darüber steigt das Risiko auf einen Faktor von etwa 3 weiter an. Ein vor Weihnachten 2018 publizierter Sicherheitswarnhinweis fordert Ärztinnen und Ärzte auf, bei Patient(inn)en mit bekannten Aortenaneurysmen, schwerer Arteriosklerose (mit per se erhöhtem Aneurysmarisiko) und Personen mit kongenitalen Bindegewebserkrankungen (Marfan-Syndrom, verschiedene Typen des Ehlers-Danlos-Syndroms) auf Fluoroquinolone zu verzichten. Bereits früher im 2018 erneuerte das FDA für diese Antibiotika die Warnhinweise wegen Hypoglykämien und mentaler Nebenwirkungen (v.a. ältere Leute). Seit zehn Jahren besteht zudem der unveränderte Hinweis zur erhöhten Inzidenz von Achillessehnenrupturen unter Fluoroquinolonen.
Verfasst am 02.01.2019.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Hat dieser Patient eine Pneumonie oder nicht?

Pneumonien sind eine sehr wichtige Morbiditäts-, Mortalitäts- und Kostenursache. Trotzdem scheint die Übereinstimmung auch unter geübten Diagnostikern, vor ­allem bei schwerkranken Patient(inn)en, miserabel: nur etwa 50%! Bei den meisten wegen einer Pneumonie hospitalisierten Patient(inn)en wird zudem keine Keimdiagnose (trotz Kulturen, Urin-Antigenen, sog. Multiplex-PCR u.a.m.) gestellt, was Grund für den weitverbreiteten und undifferenzierten Gebrauch empirischer Antibiotika (und nachfolgenden Resistenzen) ist. Gibt es neue Methoden, sowohl die Diagnose «Pneumonie» als auch deren Ursachen besser zu erfassen? In einer sich vielleicht einmal als bahnbrechend ­erweisenden Studie wurden aus Trachea-Aspiraten bei Patient(inn)en mit respiratorischem Versagen das bronchiale Mikrobiom, Pneumoniepathogene mit geno­mischer Sequenzierung und simultan auch die Wirts­antwort (als Transkriptom = lokale RNA-Antwort) unter­sucht. Die Autoren zeigen ­damit, dass Infekte der unteren Luftwege nicht nur Folge der Invasion eines ­pathogenen Keims sind, sondern voraussetzen, dass Veränderungen in der lokal-spezi­fischen Bakterien­familie (Mikrobiom) die Dominanz ­eines pathogenen Keims ermöglichen und eine je charakteristische Wirtsantwort hervorrufen. In der (kleinen) Validierungskohorte war die positive Diagnoseausbeute mehr als 95%, der negativ prädiktive Wert (Ausschluss einer Pneumonie) 100%!
Verfasst am 27.12.2018.

Medikamentöse Therapie des obstruktiven Schlafapnoesyndroms (OSAS)?

Der Behandlungs-Goldstandard beim OSAS, die «continuous positive airway pressure»-Therapie (CPAP-Therapie), ist mühsam. Eine orale Medikamentenkombination aus Atomoxetin und Oxybutynin (doppel-verblindet, randomisiert) verminderte den sogenannten Apopnoe-Hypopnoe-Index bei 20 Patient(inn)en dramatisch um etwa drei Viertel von 28,5 auf 7,5 pro Stunde mit eindrücklicher Besserung der Sauerstoffsättigungen. Die beiden Medikamente wirken dem repetitiven Kollaps der Schlundmuskulatur entgegen. Oxybutynin blockiert das aus Hirnstammneuronen sezernierte Acetylcholin am Nervus hypoglossus, während Atomoxetin die Inaktivierung von Norepinephrin am gleichen Ort hemmt. Dadurch wird der Musculus genioglossus (Zungenmuskel) im REM- und NREM-Schlaf quasi «wach» (tonisiert) gehalten. Positiv, aber leider noch präliminär ...
Verfasst am 28.12.2018.

Neues aus der Biologie

Antidepressiva in der Schwangerschaft der Grossmutter – Folgen für die Enkel?

Depressionen sind häufig bei Frauen während Schwangerschaften, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sind meist Mittel der ersten Wahl bei relevanter Depression mit Gefährdung für Mutter und Kind. Sie treten aber leicht in die Plazenta über. Zebrafische sind wegen ­ihrer überraschend hohen physiologischen und genetischen Homologien mit dem Menschen geschätzt. In diesem Modell führte die Gabe von Fluoxetin in der Schwangerschaft zu einer Nebenniereninsuffizienz bei den Nachkommen und wurde über mindestens drei (dann nicht mehr direkt exponierte) Generationen weitergegeben! Die endokrinologische Analyse wurde durch die verminderte Genexpression von Schlüsselenzymen der Cortisolsynthese plausibilisiert. Die verminderte Cortisolsynthese korrelierte, prädominant bei männlichen Zebrafischen, mit – ebenfalls über ­Generationen nachweisbaren – vermindertem Bewegungs- und Untersuchungsverhalten («exploratory behavior»)! Eine kurze Exposition der Vorahnen in utero mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (und vielleicht anderen Medikamente?) kann also wohl via ­epigenetische Mechanismen die Nachkommen über Generationen verändern!
Verfasst am 27.12.2018.

Immer noch lesenswert

MRI 2019: «choosing wisely»?

Diese Arbeit ist zwar noch nicht so alt, dass sie schon den Status der hier meist besprochenen «landmark ­papers» erhalten haben kann, aber eine Erinnerung daran, dass auch top-moderne Bildgebungsverfahren im Alltag nicht so objektiv sind, wie wir das oft annehmen. Eine 63-jährige Frau mit einer längeren Vorgeschichte von lumbalen Rückenschmerzen und klinisch einer rechtsseitigen L5-Symptomatik wird innerhalb von drei Wochen an zehn (!) verschiedenen Zentren mit spezialisierten Radiologen mittels MRI untersucht. Die ­Berichte und Interpretationen werden verglichen mit zwei zusätzlichen MRIs (also Nr. 11 und 12, bei den Autoren durchgeführt) unmittelbar vor und nach dieser dreiwöchigen Untersuchungsserie. In den zehn Berichten wurden insgesamt 49 Befunde beschrieben, aber nur ein einziger Befund tauchte in fast allen der Rapporte (in 9 von 10) auf. Bei den Befundinterpreta­tionen kam nur ein Drittel auch in allen zehn Berichten vor und therapeutisch relevante Interpretationsunterschiede (in der Arbeit wird von diagnostischen Fehlern gesprochen) waren sehr häufig. Auch wenn man den gewählten Standard kritisieren kann, machen diese Befunde kurz und bündig nervös, weil die gewählten Untersuchungsinstitutionen respektive befundenden Radiologen offensichtlich einen starken, aber sehr variablen Einfluss auf die Wahl des Therapieverfahrens (operieren oder nicht?), die Kosten und den Langzeitverlauf haben dürften.
The Spine Journal 2017, doi.org/10.1016/j.spinee.2016.11.009. 
Verfasst am 30.12.2018 auf Hinweis von Frau Dr. C. Lienert (Walzenhausen).

Auch noch aufgefallen

Wach in der Nacht: Nachteile für Kleinkinder (und Mütter)?

Eine genügende Schlafmenge wird als fundamental für die gesunde physische und mentale Entwicklung von Kindern angesehen. Gilt dies auch für das Durchschlafen, das heisst Perioden von mindestens 6–8 Stunden ununterbrochenen Schlafes? Dieser Meilenstein (für Kind und Eltern) in der Entwicklung wird meist zwischen dem 5. und 6. Lebensmonat erreicht. Allerdings findet eine Studie, dass fast 40% der Kleinkinder nach sechs Monaten weniger als sechs Stunden am Stück schlafen, nach 12 Monaten immer noch 28%. Beruhigenderweise sind aber bei diesen Kindern keine Einschränkungen ihrer psychomotorischen und mentalen Entwicklung zu finden. Der Übergang in die Elternschaft ist ein wichtiger, nicht immer nur freudiger, Schritt im Leben und frischgebackene Eltern (Mütter) sind nicht selten vom Ausmass der Schlafunterbrechungen, die bis zur Erschöpfung gehen können, überrascht. Um so unerwarteter, dass in dieser Studie die Mütter bei fragmentiertem Schlaf ihrer Kinder keine negativen Stimmungs­schwankungen entwickelt haben. Weniger überraschend ist jedoch die hochsignifikant höhere Stillrate (p <0,0001) bei Schlaffragmentierung. Die Studie kann aber die interessante Frage, ob Stillen die Schlaffragmentierung fördert, wie unter ­Betroffenen oft diskutiert, gleichwohl weiterhin nicht beantworten. Es scheint also, dass zumindest im ersten Lebensjahr unterbrochener Schlaf nicht schadet, ­sofern – wie in anderen Lebensabschnitten – die gesamte Schlafmenge adäquat ist.
Pediatrics 2018, doi:10.1542/peds.2017-4330.
Verfasst am 28. Dezember 2018.
Haben wir heute Nacht endlich etwas Ruhe? Wir danken dem Künstler, Ruedi Pfirter ­(Hölstein), ganz herzlich für die Zurverfügungstellung der Zeichnung.

Das hat uns nachdenklich gestimmt

Sind seltene Erkrankungen wirklich selten?

In der Schweiz gibt es ein Projekt, die Betreuung seltener Erkrankungen an wenige Einzelinstitutionen zu delegieren. In dieser Hinsicht ist zu bedenken, dass etwa eine Person auf 17 Menschen zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens an einer «seltenen» Erkrankung leiden wird (die in einem grossen Katalog aufgeführt sind und von denen es ungefähr 6000 gibt). Das bedeutet somit immerhin etwa 500 000 Menschen in der Schweiz. Ein wichtiger Hinweis, dass die durch allfällige Zentralisierung gewonnene ärztliche Kompetenz auch in einen Wissenstransfer in die Peripherie oder an die Basis ergänzt werden muss. Auch die akkurate Diagnostik (als Basis für adäquate Langzeitbetreuung) muss in der Schweiz Fortschritte machen und dazu müssen Ärztinnen und Ärzte, die eben nicht in einem Zentrum arbeiten, bei denen aber der Erstkontakt stattfindet, ihr Sensorium dafür schulen (oder sie müssen dazu instruiert werden, im Sinne des «empowerment»). Vor allem aufgrund der Tatsache, dass eine Grosszahl dieser – für sich isoliert betrachtet – sel­tenen Krankheiten eine genetische/genomische Ur­sache hat, scheint eine grosszügigere Durchführung genomischer/genetischer Testungen indiziert. Technologisch und ökonomisch sind die Voraussetzungen bereits da (eine Genomsequenzierung – auf freiwilliger Basis – kostet noch etwa 1000 Franken, bald sicher noch weniger).
Verfasst am 30.12.2018.

Das hat uns gefreut

Antibiotische Toxizität präklinisch entdeckt und aufgeschlüsselt!

Polymyxin ist ein ausserordentlich wirksames Antibiotikum gegen gramnegative Erreger, führt aber in mehr als 60% zur akuten Nierenschädigung – vor allem auf Niveau des proximalen Nierentubulus. Mittels in vitro gewachsener Primärkulturen humaner ­renaler Zellen aus menschlichen Nierenbiopsien und Integration in ein künstliches sogenanntes mikrophysiolo­gisches System (mit Perfusion und Sammlung des Abflusses zur Analytik) konnten der Mechanismus der Polymyxin-Toxizität und die Verträglichkeit von Polymyxin-­Analoga (bei erhaltener Bakterizidie) getestet werden (siehe Abbildung). Diese Technologie nennt man «organ-on-a-chip». Die Autoren finden, dass Polymyxin primär die Cholesterol-Biosynthese und dadurch die Integrität der zellulären Membranstrukturen stört. Die beiden getesteten Analoga wiesen keine relevante ­Toxizität auf und sollen nun klinisch getestet werden. Eine willkommene Entwicklung angesichts der globalen Antibiotika(-Resistenzen)-Krise.
Verfasst am 02.01.2018.
Ein Organ-Chip (oben, A) ist ein flaches Polymer von der Grös­se eines PC-Stick, ein mehrkanaliger, dreidimensionaler Zellkultur-Chip,der mit definierten Flüssigkeiten perfundiert und in dessen Abfluss die sezernierten Zellprodukte analysiert werden. Variationen der Flussrate und von Scherkräften sind ebenso möglich. In der Mitte (B) das getestete Polymyxin und seine zwei Analoga. Unten (C) eine dosimetrische 
Konzentrationskurve der Polymyxintoxizität (48 h) mit klar erkennbaren tubulären Strukturen. Aus: Weber EJ, et al. 
Human kidney on a chip assessment of polymyxin antibiotic nephrotoxicity. JCI Insight. 2018;3(24):e123673. doi.org/10.1172/jci.insight.123673. © 2018, American Society 
for Clinical Investigation, Nachdruck mit freundlicher 
Genehmigung.

Wussten Sie?

Eine 35-jährige Frau kommt wegen Exazerbation ihres Asthma bronchiale zur Notfallkonsultation. Sie hat einen bekannten Diabetes mellitus Typ 2. Sie inhaliert zweimal pro Tag mit einem topischen Steroid, nimmt 2,5 mg Ramipril, zweimal täglich 850 mg Metformin und einen Betaagonisten (Salbutamol) bei Bedarf. Der Schwangerschaftstest ist positiv, das HbA1C ­beträgt 7,1%, sie weist keine Niereninsuffizienz oder relevante Albuminurie auf.
Wie sollte ihre Langzeitmedikation im Hinblick auf den Verlauf der Schwangerschaft und ihr Kind verändert werden (eine Antwort ist richtig)?
A) Metformin stoppen
B) Ramipril stoppen
C) Topisches Steroid stoppen
D) Salbutamol stoppen
E) Alle stoppen

Antwort


Richtig ist Antwort B, der ACE-Hemmer muss gestoppt werden. Alle ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorantagonisten müssen in der Schwangerschaft vermieden werden. Sie können eine Lungenhypoplasie, einen Oligohydramnios und ein Nierenversagen in der Neugebornenperiode verursachen. Es handelt sich um einen Klasseneffekt.
Medicine 2018, doi.org/10.1016/j.mpmed.2018.09.004.
Verfasst am 30.12.2018.