Insomnie
Diagnostik und Therapie in der Hausarztpraxis

Insomnie

Übersichtsartikel
Ausgabe
2019/1718
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08080
Swiss Med Forum. 2019;19(1718):292-298

Affiliations
a Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität Bern; b Sleep-Wake-Epilepsy-Center, Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitäts­spital Bern; c Universitätsspital für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitäre Psychiatrische Dienste, Bern; d Centre universitaire de médecine générale et santé publique (Unisanté), Université de Lausanne

Publiziert am 24.04.2019

Insomnie ist eine der häufigsten Erkrankungen in der Hausarztpraxis. Der hohe Leidensdruck Betroffener sowie gesundheitliche Folgen unterstreichen die Relevanz zielführender Diagnostik und Therapie.

Einführung

Eine Insomnie äussert sich durch subjektive Beschwerden bezüglich Qualität oder Quantität des Schlafs mit Ein- oder Durchschlafstörungen bzw. Früher­wachen. Die Patienten berichten zudem über signifikante Alltagseinschränkungen wie Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen und Müdigkeit. Die Symptome persistieren trotz angemessener Möglichkeit und Umgebungsbedingungen zu schlafen. Weltweit wird die Prävalenz der chronischen Insomnie in der Allgemeinbevölkerung auf ca. 6–10% geschätzt, im Setting der Hausarztpraxis liegen die Prävalenzraten mit rund einem Drittel deutlich höher [1, 2]. Auch die Schweizerische Gesundheitsbefragung von 2012 ergab, dass fast ein Viertel der Schweizer Bevölkerung unter Ein­schlafschwierigkeiten, unruhigem Schlaf, mehrmaligem oder frühmorgendlichem Erwachen leidet [3]. Frauen und ältere Personen sind häufiger betroffen, und oft finden sich Begleiterkrankungen, darunter vorwiegend Depressionen und Angststörungen. Auch bei ­Patienten mit internistischen und neurologischen ­Erkrankungen ist die Insomnie häufig [4]. Die Lebens­qualität der Betroffenen ist stark eingeschränkt, und Insomnie per se gilt auch als Risikofaktor für Adipositas, Hypertonie und möglicherweise auch zerebrovaskuläre Erkrankungen. Schlafdeprivation und Schlafstörungen im Allgemeinen sind zudem mit kognitiven Störungen assoziiert [4]. Der hohe Leidensdruck der Betroffenen sowie die gesundheitlichen Folgen einer ­Insomnie sind somit nicht zu unterschätzen und unterstreichen die Wichtigkeit einer guten Diagnostik und zielführenden Therapie.
Obwohl seit über 20 Jahren mit der kognitiven Verhaltenstherapie bei Insomnie («cognitive behavioral therapy for insomnia» [CBT-I]) eine Therapieoption vorliegt, welche die medikamentöse Therapie bezüglich Langzeiteffekten übertrifft [5, 6], wird CBT-I bisher in der Praxis zu wenig berücksichtigt. In den europäischen wie amerikanischen Leitlinien ist CBT-I zur Behandlung der chronischen Insomnie bei Erwachsenen die Therapie der Wahl. Der Konsum schlaffördernder Substanzen könnte durch einen breitflächigeren Einsatz von CBT-I markant gesenkt werden. Die Bekanntheit sowie die Zugänglichkeit sind jedoch in der Schweiz noch ungenügend. Eine bessere Information der behandelnden Ärzte und eine gute Vernetzung zwischen Spezialisten und Grundversorgern sind deshalb angezeigt.
Dieser Artikel soll einen Beitrag zur Sensibilisierung leisten und die wichtigsten Konzepte des Insomnie-Managements in der Hausarztpraxis basierend auf den neuesten Richtlinien übersichtlich darlegen. Hierfür beziehen wir uns vorwiegend auf die kürzlich veröffentlichen Richtlinien der Europäische Gesellschaft für Schlafforschung (ESRS) [6]. Die Guidelines basieren auf einem systematischen Review und richten sich an alle Kliniker, die erwachsene Patienten mit Insomnie behandeln. Im Folgenden werden zunächst aktuelle Konzepte zur Entstehung einer Insomnie dargestellt. Weiter gehen wir auf die wichtigsten Aspekte von Diagnostik ein und geben schliesslich einen Überblick zu Evidenz und Empfehlungen verschiedener Therapiemöglichkeiten der Insomnie.

Der Teufelskreis: ­prädisponierende, aus­lösende und ­aufrechterhaltende Faktoren

Das favorisierte Modell zur Entstehung und Chronifizierung der Insomnie ist das 3-P-Modell von Spielman und Kollegen (1987, siehe [1]), welches auf dem Vulnerabilitäts-Diathese-Stress-Konzept basiert. Es postuliert ein Zusammenspiel von prädisponierenden Faktoren wie Genetik und Persönlichkeitsfaktoren (erhöhte Ängstlichkeit, Perfektionismus) mit umweltbedingten, psychischen oder körperlichen auslösenden Faktoren (precipitating) und aufrechterhaltenden Faktoren (perpetuating) wie dysfunktionales Verhalten und Denken (Abb. 1). Die akute Insomnie wird gewöhnlich durch psychologische Stressoren (z.B. Probleme am Arbeitsplatz oder interpersonelle Konflikte) oder auch durch körperliche Beschwerden/Erkrankungen (z.B. Schmerzen) oder Umweltfaktoren (z.B. Lärm) ausgelöst. Häufig ist die Störung vorübergehend und bessert sich, sobald die akute Wirkung des Stressors wegfällt. Eine Therapie ist dann nicht notwendig. Nicht selten aber – bei ca. zwei Drittel der Betroffenen – kommt es zu einer Chronifizierung der Insomnie, welche einer Behandlung bedarf.
Abbildung 1: Modell zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer Insomnie. In Anlehnung an das 3-P-Modell von Spielmann und Kollegen (1987) wird davon ausgegangen, dass eine Insomnie dann entsteht, wenn prädisponierende Faktoren (z.B. Persönlichkeitseigenschaften wie Perfektionismus), auslösende Faktoren (z.B. eine bevorstehende Prüfung als akuter Stressor) und aufrechterhaltende Faktoren (z.B. lange Bettliegezeiten, stressverschärfende/dysfunktionale Gedanken bezüglich Schlaflosigkeit oder deren Folgen) zusammentreffen.
Obwohl der Auslöser der Insomnie wegfällt, z.B. die Schmerzen oder die Akuterkrankung erfolgreich behandelt sind oder der Konflikt am Arbeitsplatz gelöst ist, bleiben die Ein- und/oder Durchschlafstörungen oder das frühmorgendliche Erwachen bestehen. Ein anschauliches und häufiges Beispiel dafür sind Frauen, welche aufgrund von Säuglings-/Kleinkindbetreuung über längere Zeit einen gestörten Nachtschlaf haben, und – obwohl die Kinder längst nicht mehr stören – Jahre später weiterhin unter Durchschlafstörungen ­leiden. In diesem Fall hat sich die Störung verselbstständigt, und aufrechterhaltende Faktoren nähren den Teufelskreis der Insomnie. Dazu gehören schlafbehindernde Gedanken mit ständiger Fokussierung der Aufmerksamkeit auf den Schlaf und auf mögliche Auswirkungen der Schlafstörungen auf die Tagesbefindlichkeit und die antizipatorische Angst, diese Nacht wieder nicht schlafen zu können. Damit einher geht eine erhöhte körperliche und psychische Anspannung («Arousal»). Die Patienten zeigen dysfunktionales Schlaf-Wach-Verhalten, wie z.B. die Verlängerung der Bettliegezeiten, der Versuch, am Wochenende Schlaf nachzuholen sowie sich tagsüber hinzulegen. Diese Verhaltensweisen verringern den Schlafdruck und erschweren so das Ein- bzw. Durchschlafen. Ebenfalls ungünstig sind Schonung und sozialer Rückzug tagsüber. Eine aktive Tagesgestaltung ist das beste Mittel gegen Müdigkeit und grundlegend für einen guten zirkadianen Rhythmus und somit für einen tiefen und kontinuierlichen Nachtschlaf.
Aktuelle Forschungsresultate haben die somatischen und neuronalen Korrelate eines erhöhten kognitiven, emotionalen und physiologischen Erregungsniveaus (Hyperarousal) erkennen lassen, entsprechend den prädisponierenden und aufrechterhaltenden Faktoren der Insomnie [1]. So zeigen Patienten mit Insomnie beispielsweise erhöhte Anteile an schnellen, wach-ähnlichen Hirnwellen im non-REM-Schlaf und vermehrte Mikroarousals im REM-Schlaf. Für bestimmte Subgruppen sind zudem zirkadiane Faktoren zentral – beispielsweise bei Schichtarbeitern, bei denen eine Desynchronisation der inneren Uhr mit externen Anforderungen vorliegt [1].
Zusammenfassend liefert das 3-P-Modell der Insomnie ein umfassendes Verständnis der Störung und ein ­gutes Arbeitsmodell für deren Diagnostik und Therapie, worauf in den folgenden Abschnitten eingegangen wird.

Diagnostik: Symptom, Krankheit und Komorbiditäten

Bezüglich der Diagnostik, insbesondere der Kategorisierung der Insomnie hat sich in den letzten Jahren ­einiges gewandelt. Zunächst wurde die Bezeichnung der Insomnie als «nicht-organische» Störung (vgl. ICD-10) aufgrund von klaren Nachweisen neurobiologischer Korrelate bei betroffenen Patienten zunehmend kritisiert, was sich im DSM-5 wie auch in der «International Classification of Sleep Disorders» (ICSD-3) bereits niedergeschlagen hat (Tab. 1 fasst die wichtigsten Kriterien zusammen). Weiter wurde die Unterteilung der Insomnie in eine primäre und sekundäre Form jüngst fallenge­lassen, da die Behandlung der «primären» Störung die ­Insomnie meist nicht lindert bzw. die Insomnie sogar häufig anderen Störungen vorangeht oder diese überdauert. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Insomnie das Risiko, in den darauffolgenden Jahren an einer Depression zu erkranken, verdoppelt [1]. Im DSM-5 bzw. der ICSD-3 findet sich deshalb nun eine übergreifende Diagnose, um dem Status als Komorbidität anstatt Folge eines anderen Krankheitsfaktors gerecht zu werden. Nichtsdestotrotz treten insomnische Beschwerden auch als Folge vieler ­anderer internistischer (z.B. Hyperthyreose), neurologischer (z.B. Restless-legs-Syndrom [RLS]), Demenzen, Morbus Parkinson) und psychiatrischer (z.B. Angststörungen) Erkrankungen auf. Die Insomnie kann somit sowohl ein eigenständiges Syndrom, als auch Symptom sein. Ob es ausreicht, den «Auslöser» zu behandeln, oder ob aufrechterhaltende Faktoren der Insomnie bereits eine wesentliche Rolle spielen, muss individuell sorgfältig beurteilt werden.
Tabelle 1: Zusammenfassung der diagnostischen Kriterien der Insomnie nach ICSD-3.
Kriterien A–F müssen erfüllt sein:
ASubjektive Ein- und/oder Durchschlafstörung, ­Früherwachen des Patienten.
BPatient berichtet wegen seiner Schlafstörung eines der folgenden ­Symptome:
 Müdigkeit/Unwohlsein
 Kognitive Defizite wie Aufmerksamkeits-, ­Konzentrations- oder ­Gedächtnisprobleme
 Reduzierte familiäre, soziale oder berufliche ­Leistungsfähigkeit
 Verschlechterte Stimmung
 Tagesschläfrigkeit
 Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität, ­Impulsivität, Aggressivität
 Reduzierte Motivation/Energie/Antrieb/Initiative
 Fehler-/Unfallneigung
 Sorgen betreffend Schlaf
CUngenügende Schlafmöglichkeiten (z.B. Schlafinsuffi­zienz bei zu kurzer Bett­liege­zeit) und Umweltbedingungen (z.B. Lärm, Licht) erklären die Probleme nicht.
DDie Probleme treten mindestens 3 × wöchentlich auf.
EDie Probleme bestehen mindestens während 3 Monaten.
FDie Schlaf- und Tagesprobleme lassen sich nicht besser durch eine andere Schlafstörung, sonstige Erkrankung oder Medikamenten-/Substanzkonstum ­erklären.
Bezüglich Dauer wird zwischen akut (<3 Monate) und chronisch (>3 Monate) unterschieden. Im ICD-10 wird bereits ab einer Dauer von einem Monat von der chronischen Form gesprochen; es ist jedoch zu empfehlen, erst ab 3 Monaten die Diagnose der chronischen Insomnie zu vergeben [6]. Da Insomnie-Symptome transient auch über mehr als vier Wochen bestehen können, v.a. unter Vorhandensein eines akuten Stressors, soll mit diesem neuen Kriterium gewährleistet sein, dass die Diagnose chronische Insomnie wirklich nur vergeben wird, wenn die Symptome persistieren. Es wird erwartet, dass im ICD-11 eine entsprechende Anpassung bezüglich konzeptueller Einteilung sowie Dauer vorgenommen wird.
Viele Patienten mit Schlafstörungen wenden sich von sich aus an ihren Hausarzt. Dennoch sollten auch ­Patienten, die keine Schlafstörungen erwähnen, regelmässig nach der Schlafqualität befragt werden, da v.a. ältere Patienten diese häufig nicht von sich aus ­thematisieren. Einige Patienten haben zudem möglicherweise Hemmungen, Schlafprobleme zu erwähnen, da diese vom Arzt als irrelevant bewertet werden könnten. Weiter sind viele Patienten überzeugt, dass Schlafmittel die einzige Lösung darstellen, lehnen eine Einnahme jedoch ab und thematisieren deshalb ihre Beschwerden nicht.
Die Diagnose der Insomnie kann meist bereits durch eine gründliche Anamnese und körperliche Untersuchung gestellt werden, wobei anhand einer genauen Schlafanamnese zugleich das Schlafverhalten exploriert werden kann. Zum Ausschluss der häufigsten internistischen Ursachen von Schlafstörungen sollten ­Laboruntersuchungen (Tab. 2) durchgeführt werden. Zusatzuntersuchungen wie eine Polysomnographie sind lediglich bei Verdacht auf assoziierte Schlaf-Wach-Störungen oder bei einer chronischen, unklaren Insomnie mit Therapieresistenz indiziert.
Tabelle 2: Diagnostisches Management der Insomnie für die Hausarztpraxis ­(modifiziert nach [5]).
Diagnostik: Was muss speziell beachtet werden?
Anamnese
Internistische ­AnamneseSubstanzgebrauch?
(Medikamente wie Steroide, Schilddrüsenpräparate, ­stimulierende Antidepressiva, Koffein, Alkohol, Nikotin, ­weitere Drogen)
Schmerzen?
Stoffwechselerkrankungen (v.a. Hyperthyreose)?
Psychiatrisch-psycho­logische AnamneseFrühere und jetzige psychische Erkrankungen?
(Angst, Depression)
Psychiatrische Erkrankungen in der Familie?
Persönlichkeitsfaktoren?
(ängstlich, nervös, Neigung zum Grübeln, ­perfektionistisch)
Situation am Arbeitsplatz / familiär?
Interpersonelle Konflikte?
Neurologische ­AnamneseFrühere und jetzige neurologische Störungen 
(u.a. Schmerzen, Kopfschmerzen) und Erkrankungen 
(u.a. Demenz, Parkinson)?
Hinweise auf Restless-legs-Syndrom?
Neurologische Erkrankungen in der Familie?
SchlafanamneseSchlafstörungen/-probleme in der Vorgeschichte 
inkl. auslösende Faktoren?
«Was hält Sie wach»?
Schlaf-Wach-Gewohnheiten
Arbeitszeiten, Schicht-/Nachtarbeit?
Schlafhygiene
Schlaf tagsüber (Nickerchen)?
Hinweise auf Schlafapnoe? 
(Schnarchen, Atemstillstände in der Nacht?)
Untersuchung
Körperliche ­UntersuchungAllgemein- und Neurostatus
Nächtliche Pulsoxymetrie: bei Verdacht auf Schlafapnoe
Empfohlene LabortestsTSH
Hämoglobin
Ferritin + CRP
Vitamin B12
Leberwerte
Wann soll ein Schlaf­spezialist zugezogen werden?Aktigraphie
• Bei Verdacht auf zirkadiane Rhythmusstörung (z.B. «Delayed Sleep Phase Disorder, Non-24 h-Rhythm-Disorder»)
Polysomnographie
• Bei Verdacht auf weitere, assoziierte Schlafstörungen 
(«Restless Legs», Narkolepsie, Schlafapnoe)
• Bei unklarer chronischer und therapieresistenter Insomnie
Bei RLS, Schlafapnoe und Erkrankungen des Schlaf-Wach-Rhythmus (z.B. bei Schichtarbeitern) ist die ­Insomnie oft Leitsymptom bzw. assoziiert als Ko­morbidität vorliegend. Insbesondere schlafbezogene Atmungs­störungen können sich als Insomnie präsentieren: Patienten berichten, nachts mehrfach aufzuwachen – klassischerweise, jedoch nicht zwingend, um Luft ringend mit Atemnot und Palpitationen – und in der Folge nicht mehr einschlafen zu können. Auch wiederholte Albträume (z.B. Träume vom Ersticken, Ertrinken) können ein Hinweis auf eine schlafbezogene Atemstörung sein. Vor allem wenn weitere Faktoren wie Schnarchen oder Adipositas vorliegen, kann eine nächtliche Pulsoxymetrie bzw. eine elektrophysiologische Abklärung in einem Schlaflabor zur Diagnostik angezeigt sein. Trotz genügender Behandlung der vorgenannten Schlafstörungen können jedoch relevante Ein- und Durchschlafstörungen mit Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit persistieren, so dass eine zusätzliche Insomnie-spezifische Behandlung notwendig bleibt.
Die wichtigsten Komorbiditäten der Insomnie sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Eine interdisziplinäre Abklärung ist oft notwendig. Speziell wichtig ist bei jedem Fall zu beurteilen, ob die Insomnie ein reines Symptom ist (bei internistischen Grunderkrankungen häufiger als bei psychiatrischen oder neurologischen Erkrankungen), oder ob alle Faktoren des 3-P-Modells gegeben sind und die Insomnie durch dysfunktionale Kognitionen und Verhalten aufrechterhalten wird. Dies ist für das therapeutische Management zentral. Dabei gilt es zu beachten, dass dysfunktionale Kognitionen und Verhalten praktisch immer – auch wenn die Insomnie ein Folgesymptom ist – in einem gewissen Ausmass auftreten, ihr Schweregrad und somit ihre funktionale Bedeutung jedoch vorgeben, ob diese separat therapeutisch angegangen werden müssen.
Tabelle 3: Wichtigste Komorbiditäten der Insomnie (modifiziert nach [5]).
PsychiatrischDepression
Bipolare Störung
Generalisierte ­Angststörung
Panikstörung
Posttraumatische ­Belastungsstörung
Schizophrenie
NeurologischNeurodegenerative ­Erkrankungen 
(Parkinson, Alzheimer)
Multiple Sklerose
Zerebrovaskuläre ­Erkrankungen
Traumatische ­Hirnverletzungen
Restless-legs-Syndrom
WeitereChronische Schmerzen
Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises
Metabolische Erkrankungen 
(v.a. Diabetes mellitus)
Chronische Nierenerkrankungen
Chronische Infektionskrankheiten 
(z.B. HIV, Hepatitiden)
Substanzgebrauch, Medikamente

Insomnie-Therapie: aktuelle Empfehlungen

Tabelle 4 fasst die wichtigsten Punkte des therapeutischen Managements der Insomnie mit Angabe der ­Evidenz und Empfehlung zusammen. Als Therapie der 1. Wahl empfehlen die Guidelines die speziell für ­Insomnie entwickelte kognitive Verhaltenstherapie ­CBT-I. Dieser Manual-basierte Ansatz mit mehreren Komponenten wird von einer klinisch geschulten Fachperson durchgeführt und umfasst in der Regel vier bis acht Sitzungen. Die einzelnen Komponenten sind Psychoedukation/Schlafhygiene, Entspannungsverfahren, verhaltensbezogene und kognitive Strategien. Verhaltensbezogene Strategien umfassen die Metho­den zur Erhöhung des Schlafdruckes durch ­Beschränkung der Bettliegezeit (Bettzeitrestriktion) ­sowie der Reassoziation des Stimulus «Bett» mit «Schlaf» (Stimuluskontrolle), was erreicht werden soll, in dem der Patient nur zu Bett geht, wenn er müde/schläfrig ist, und bei Wachphasen aufsteht. Kognitive Strategien umfassen die Identifikation, das Hinterfragen und Verändern dysfunktionaler Gedanken und Einstellungen zum Schlaf und den Auswirkungen von Schlafmangel auf den Tag. Es wurde gezeigt, dass CBT-I die Einschlaflatenz sowie die nächtliche Wachzeit verringert und sowohl Schlafeffizienz als auch totale Schlafzeit verlängert.
Tabelle 4: Therapeutisches Management der Insomnie (modifiziert nach [5]).
TherapieansatzEvidenz/Empfehlung
Kognitive Verhaltens­therapie für Insomnie ­(CBT-I)Therapie der 1. Wahl bei Erwachsenen jeden Alters
• Sehr gute Evidenz, stabile Langzeiteffekte
• Effektivität «Face to Face» > Internet-basiert > Selbsthilfe­bücher
Pharmakotherapie
Nur in Betracht ziehen, falls CBT-I nicht verfügbar oder wirkungslos
Benzodiazepine und Benzodiazepin-Rezeptoragonisten 
(Z-Substanzen)
• Wirksam für Kurzzeitbehandlung (≤4 Wochen)
• Sehr gute Evidenz für Kurzzeitbehandlung
• Präparate mit kurzer HWZ bevorzugen
• Langzeitbehandlungen vermeiden (fehlende Evidenz)

Mögliche Präparate mit empfohlener Dosis:
Zolpidem: 10 mg/d, Frauen1 und Patienten >65 Jahre 5 mg/d
Zopiclon: 7,5 mg/d, Patienten >65 Jahre 3,75 mg/d
Triazolam: 0,125 bis max. 0,250 mg/d
Temazepam: 10–20 mg, ältere Patienten 10 mg.
Sedierende Antidepressiva
• Wirksam für Kurzzeitbehandlung
• Keine Evidenz für Effizienz bei Langzeitbehandlung
• Potentielle NW

Mögliche Präparate mit empfohlener Dosis:
Mirtazapin: 7,5–15 mg/d
Trazodon: 12,5–50 mg/d (unretardiert)
Trimipramin: 5–50 mg/d
Doxepin: 5–50 mg/d
Antihistaminika
• Nicht empfohlen aufgrund des fehlenden Wirksamkeitsnachweises
– Diphenhydramine
• Evidenz gering
Antipsychotika
• Nicht empfohlen aufgrund eines ungünstigen Nutzen-­Risiko-Profils bei Insomnie
– Chlorproxiten, Quetiapin, Olanzapin
• Nebenwirkungen erheblich
• Evidenz gering
Melatonin und Melatonin-Rezeptor-Agonisten
• Nicht empfohlen, wenig effektiv bei Insomnie ohne zirkadiane Rhythmusstörung
– Melatonin, Agomelatin
• Evidenz gering
Phytotherapie
• Nicht empfohlen aufgrund des fehlenden Wirksamkeitsnachweises
– Baldrian, Hopfen, Passionsblume, Kamille
• Evidenz gering
Alternative BehandlungsmethodenLichttherapie, Sport
• Ergänzend möglicherweise hilfreich, Evidenz gering
• Lichttherapie bei Insomnie mit zirkadianen Störungen und saisonaler Depression empfohlen
Akupunktur, Aromatherapie, Fussreflexzonen-Behandlung, Meditation, Moxibustion, Yoga
• Nicht empfohlen, Evidenz gering
1 Im Kompendium nicht aufgeführt, für Frauen jedoch längere Halbwertszeit und daher halbe Dosis empfohlen, siehe auch [7, 8].
Seit neuestem wird auch Internet-basierte CBT-I angeboten, welche zwar bezüglich Effektivität der Face-to-Face-Option (Einzel- und Gruppensetting) leicht unterlegen ist, aber dennoch eine sehr gute Wirksamkeit aufweist und vor allem bei erschwerter Verfügbarkeit von geschulten Therapeuten eine hervorragende Option ist und den Patienten maximale Flexibilität bietet. Erste Resultate einer Studie des Schlaf-Wach-Epilepsie-Zen­trum des Inselspitals Bern und dem Institut für Psychologie an der Universität Bern weisen zudem darauf hin, dass einzelne Komponenten der CBT-I, konkret die Bettzeitrestriktion ­alleine, Internet-­basiert dargeboten, ebenso effektiv sind wie das gesamte Programm. Auch Selbsthilfebücher zur Anwendung der CBT-I liegen vor und können effektiv sein. Nachteile der CBT-I im Vergleich zu Hypnotika sind nebst dem verzögerten Wirkungseintritt vor allem der zeitliche Aufwand und die erforderliche Adhärenz der Patienten.
Die Anwendung von Hypnotika sollte gemäss Guide­lines nur dann erfolgen, wenn CBT-I nicht verfügbar ist oder keine Wirkung zeigt. Für akute Situationen ist die Effektivität von Hypnotika gut belegt, wobei Präparate mit kurzer Halbwertszeit zur Vermeidung von Hangover-Effekten (je nach Präparaten verstärkt bei Frauen und/oder älteren Personen) ­bevorzugt werden sollten. Falls eine medikamentöse Therapie unumgänglich ist, sollten Z-Substanzen klassischen Benzodiazepinen aufgrund des günstigeren Nebenwirkungs­profils und geringeren Abhängigkeitspotentials vorgezogen werden. Die häufigsten Neben­wirkungen von Hypnotika sind Toleranzentwicklung, Abhängigkeit, Stürze, Somnolenz und erhöhte Unfallneigung. Beim Absetzen treten die Insomnie-Symptome zudem im Sinne eines Rebound-Effekts meist wieder auf. Mögliche Präparate inkl. empfohlene Dosierung sind in Tabelle 4 aufgelistet. In Tabelle 5 wird schliesslich vorgeschlagen, wie die häufigsten Komorbiditäten therapeutisch angegangen werden können.
Tabelle 5: Therapeutisches Management der Insomnie bei Komorbiditäten (modifiziert nach [5]).
Behandlung der Insomnie bei den wichtigsten Komorbiditäten
Klinisch abwägen, ob die Insomnie oder die Komorbidität zuerst bzw. beide gleichzeitig behandelt werden sollen.
DepressionLeicht
Psychotherapie
Mittelschwer
Psychotherapie + ev. Antidepressivum
Schwer
Psychotherapie + Antidepressivum, bei Auswahl von nicht sedierenden Antidepressiva (z.B. SSRI) ggf. zusätzlich ein schlafanstossendes Antidepressivum (s.o.)
AngststörungenPsychotherapie + ggf. SSRI bei Therapieresistenz, 
bei schweren Schlafstörungen schlafanstossendes ­Antidepressivum (s.o.)
Benzodiazepine speziell bei Angststörungen wegen ­Abhängigkeitsentwicklung vermeiden
Zirkadiane StörungenLicht, Melatonin
Restless-legs-SyndromLevodopa, Dopaminergika, Gabapentin
Zentrale SchlafapnoeServoventilation/CPAP
M. ParkinsonSlow-release Dopaminergika abends, atypische Antipsychotika (z.B. Quetiapin)
M. AlzheimerTiefdosierte sedierende Antidepressiva (z.B. Trazodon, ­Mirtazapin) oder niederpotente Neuroleptika (z.B. Dipiperon, Melperon), Lichttherapie

Ausblick

Diagnostik: Anamnese als Kernkomponente

Die Hausarztpraxis ist für viele Pa­tien­ten mit Insomnie-Symptomen die erste Anlaufstelle. Die Diagnosestellung der Insomnie erfordert grundsätzlich keine langwierigen Abklärungen. Dennoch steht die Hausärztin vor der Herausforderung, zwischen Insomnie als eigenständigem Gesundheitsproblem auf Diagnoselevel vom reinen Symptom zu unterscheiden. Anhand des dargestellten, von den Guidelines empfohlenen Vorgehens soll Hausärztinnen die Diagnostik erleichtert werden. Es hat sich bewährt, die Patienten nicht nur nach dem Vorliegen einer Insomnie, sondern auch nach möglichen Auslösern und Ursachen zu fragen: «Was hält Sie wach?». Die Antworten bezüglich Ätiologie sind für die Therapie wegweisend. Inwiefern bei Patienten in der Hausarztpraxis ein systematisches anamnestisches Screening nach Insomnie-Beschwerden zur Früherkennung und Verhinderung von Chronifizierung bzw. zur Initiierung adäquater Versorgung indiziert ist, muss in Zukunft noch erforscht werden.

Therapie: CBT-I, der Einsatz neuer Medien und neue pharmakologische Ansätze

Die Anerkennung der Insomnie als eigenständiges Krankheitsbild bringt mit sich, dass diese gezielt therapeutisch angegangen werden soll. Auch bei komorbidem Auftreten (z.B. im Rahmen einer Depression) soll die Insomnie mit Insomnie-spezifischen Interventionen behandelt werden. Es gibt zudem Hinweise, dass CBT-I bei Hypnotika-Ausschleichversuchen unterstützend wirken kann und Patienten, bei denen ein Entzug angestrebt wird, angeboten werden sollte. Um einen klaren Nutzen zu belegen, sind jedoch grosse randomisierte klinische Studien ausstehend.
Es soll angestrebt werden, dass CBT-I in Zukunft von ­jeder Hausärztin dem Insomnie-Patienten im Sinne ­eines «Informed Choice» als Option angeboten wird und somit die Empfehlungen der Guidelines den Weg in die Praxis finden. Auch die Nachteile der CBT-I, ­namentlich Zeitaufwand und verzögerter Wirkungseintritt ­sowie erforderliche Adhärenz der Patienten, soll diskutiert werden.
Um CBT-I in der Schweiz zu etablieren, muss diese in nächster Zeit dringend an Bekanntheit gewinnen. Ein Verzeichnis von Zentren und niedergelassenen An­bietern zuhanden der Grundversorger wäre wünschenswert, mit dem Ziel, dass sich CBT-I-Anbieter und Hausärzte künftig aktiver vernetzen. Die Rolle der Grundversorger bei der Behandlung von Schlafstörungen wird in den nächsten Jahren immer tragender werden. Der Zugang zu CBT-I sollte auch durch das Ausweiten von Online-Angeboten und dem Einsatz neuer Medien (z.B. Apps) seitens Spezialisten erleichtert werden. Erste schweizerische Therapieangebote wurden bereits in die obligatorische Krankenpflegeversicherung aufgenommen. Nach dem Vorbild der USA bestünde auch die Möglichkeit, Trainings zu Ma­nual-basierter CBT-I durchzuführen, damit diese von Hausärzten bei Interesse selbst ­direkt in der Praxis durchgeführt werden kann.
Aktuelle Forschung zielt darauf ab, anhand von spezifischen Biomarkern verschiedene Insomnie-Phäno­typen zu identifizieren, welchen unterschiedliche ätio-patho­physiologischen Prinzipien zugrunde liegen, was in der Zukunft zu gezielteren therapeutischen Ansätzen führen könnten. Auch auf der pharmakologischen Seite sind Neuerungen im Gange. In naher Zukunft wird ­vermutlich eine neue Klasse von Hypnotika, die Hypokretin-/Orexin-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Suvorexant), welche in den USA bereits im Handel sind, in der Schweiz zugelassen werden. Gemäss bisherigen Studien besteht kein körperliches Abhängigkeitspotential, und somit scheinen diese anderen Hypnotika überlegen. Die Nebenwirkungsprofile sind ansonsten vergleichbar (z.B. Somnolenz). Bezüglich Langzeiteffekten stehen klinische Studien mit grossen Fallzahlen noch aus. Eine kurative Therapie der chronischen Insomnie wird jedoch auch in Zukunft meist eine psychotherapeutische Intervention wie CBT-I erfordern.
Die effektive Behandlung von Schlafstörungen trägt zu einer besseren Lebensqualität der Betroffenen bei und ist nicht nur für die psychische, sondern, wie Studien zunehmend zeigen, auch für die physische Gesundheit relevant.
Abbildung 2: Algorithmus zum Insomnie-Management (modifiziert nach [5]).

Das Wichtigste für die Praxis

• Insomnie aktiv erfragen, akute Auslöser identifizieren und bei Chronifizierung (>3 Monate) spezifisch behandeln, auch wenn eine Komorbidität vorliegt (Algorithmus Abb. 2).
• CBT-I als Therapieoption mit dem Patienten diskutieren und wenn möglich Einsatz von Hypnotika vermeiden.
• Falls pharmakologische Behandlung notwendig: Z-Substanzen mit kurzer HWZ bevorzugen oder sedierende Antidepressiva einsetzen, jedoch Therapie­dauer so kurz wie möglich, maximal aber bei 4 Wochen halten.
Dr. phil. Micheline Maire
Berner Institut für ­Hausarztmedizin (BIHAM)
Mittelstrasse 43
CH-3012 Bern
micheline.maire[at]biham.unibe.ch
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