Wenn Halsschmerzen mit einem Ausschlag auftreten
Eine frühe Hautbiopsie führt zur Diagnose

Wenn Halsschmerzen mit einem Ausschlag auftreten

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/3132
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08246
Swiss Med Forum. 2019;19(3132):518-520

Affiliations
a Departement Medizinische Disziplinen, Medizinische Klinik, Spital Uster; b Institut für Pathologie und Molekularpathologie, UniversitätsSpital Zürich

Publiziert am 31.07.2019

Wir berichten von einer Patientin mit einem akuten Exanthem nach Beginn einer analgetischen sowie ­antibiotischen Therapie bei Tonsillopharyngitis.

Hintergrund

Halsschmerzen stellen in den Wintermonaten einen häufigen Konsultationsgrund dar. Wir berichten von einer Patientin mit einem akuten Exanthem nach Beginn einer analgetischen sowie ­antibiotischen Therapie bei Tonsillopharyngitis.

Fallbericht

Anamnese

Eine 57-jährige, aus Sri Lanka stammende Patientin, stellte sich bei persistierenden Halsschmerzen, Fieber sowie einem Exanthem im Gesicht, am Stamm und an den Extremitäten auf der Notfallstation vor. Hausärztlich wurde am Vortag bei einem Centor-Score von 4 eine bakterielle Tonsillopharyngitis diagnostiziert und eine Behandlung mit Ospen® (Phenoxymethylpenicillin-Benzathin) 1 Million IE 1-1-1 und Novalgin® (Metamizol) 500 mg begonnen.
Bei der Patientin war eine Mischkollagenose mit Puffy-hands, Raynaud-Syndrom und Polyarthralgien bekannt, die mit Plaquenil® (Hydroxychloroquin) 200 mg 1-0-0 und Spiricort® (Prednisolon) 5 mg 0,25-0-0 behandelt wurde. Zudem nahm die Patientin aufgrund einer arteriellen Hypertonie Co-Valsartan® (Valsartan + Hydro­chlorothiazid) 160/25 mg 1-0-0 ein. Die Systemana­mnese war bis auf eine Dysurie unauffällig.

Status

Wache und orientierte Patientin, Blutdruck rechts 120/76 mm Hg, Blutdruck links 117/78 mm Hg, Puls 87/min, Atemfrequenz 12/min, Temperatur 37,5 °C. Dunkles Hautkolorit mit disseminierten rötlich-lividen schiessscheibenförmigen Läsionen im Bereich des Dekolletés, am Stamm sowie schmetterlingsförmig im Gesicht (Abb. 1A/1B). Enoral weisse Stippchen buccal sowie geröteter Pharynx mit vergrösserten und belegten Tonsillen. Trockene Lippen mit wenig gelblicher Sekretion (Abb. 1C).
Abbildung 1: Fotos vom Eintrittstag (Publikation erfolgt mit dem Einverständnis der Patientin). A) Disseminierte, rötlich-livide schiessscheibenförmige Läsionen im Bereich des ­Dekolletés. B) Schmetterlingsförmige Verteilung im Gesicht. C) Gelblich sezernierende, trockene Lippen.

Befunde

C-reaktives Protein von 218 mg/l (<10 mg/l), normale Leukozyten 6,7 G/l (4–10 G/l), Eosinophile 0,1 G/l (0,0–0,7 G/l) und Neutrophile 2,8 G/l (1,4–8,0 G/l), Kreatinin 107 μmol/l (53–115 μmol/l). Milde Hepatitis mit einer AST von 62 U/l (10–35 U/l) und einer ALT von 50 U/l ­(10–35 U/l). Normalbefund im konventionellen Röntgenthorax. Nachweis einer Leukozyturie mit vereinzelten Bakterien im Urin.

Diagnostik und Therapie

Initial wurde Ospen® (Phenoxymethylpenicillin-Benzathin), Novalgin® (Metamizol), Plaquenil® (Hydroxychloroquin) und Co-Valsartan® (Valsartan + Hydro­chlorothiazid) pausiert und die Tonsillopharyngitis mit Klacid® (Clarithromycin) 250 mg 1-0-1 behandelt. Die Dosis von Spiricort® (Prednisolon) wurde von 1,25 mg auf 75 mg täglich gesteigert, da ein Schub der Mischkollagenose nicht ausgeschlossen werden konnte.
Bei dysurischen Beschwerden und Wachstum von Enterococcus species in der Urinkultur verabreichten wir einmalig Monuril® (Fosfomycin).
Am Folgetag wurde eine Punch-Biopsie einer typischen Effloreszenz paravertebral links zur weiterführenden Diagnostik durchgeführt. Histologisch zeigte die Epidermis eine Krustenbildung, vakuolisierte Degeneration, Einzelzell-Apoptosen sowie eine lymphohistiozytäre Entzündung (Abb. 2). Hinweise für eine Vaskulitis, ein Stevens-Johnson-Syndrom oder eine toxisch epidermale Nekrolyse waren nicht ersichtlich. Dieser Befund war wegweisend für die Diagnose eines Erythema multiforme major.
Abbildung 2: Histologie Hautbiopsie, Hämatoxylin-Eosin-Färbung. A) Übersicht, 40-fache Vergrösserung. B / C) Krustenbildung (*) mit Vakuolisierung der dermo-epidermalen Junktionszone (↑), apoptotischen Keratinozyten (►) sowie mässig dichte perivaskuläre lym­phohistiozytäre Infiltrate (→). B : 100-fache Vergrösserung, C : 120-fache Vergrösserung)
Als mögliche Ursache kommt eine allergisch-medikamentöse Genese (Penicillin, Metamizol, Hydrochlorothiazid) in Frage, ebenso ein Schub der bekannten Mischkollagenose, getriggert durch den Infekt. Beide Differentialdiagnosen veranlassten uns zu einer Er­höhung der Steroiddosis.
Serologisch wurden eine Infektion mit dem humanen Immundefizienz-Virus (HIV) ausgeschlossen, ebenso Infektionen mit Lues, Masern und dem Epstein-Barr-Virus (EBV). Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) für Herpes Simplex Virus (HSV) aus ­einem oberflächlichen Abstrich zeigte sich negativ.
Klinisch, von den Laborbefunden und vom Verlauf her war ein «drug rash with eosinophilia and systemic symptoms» (DRESS) unwahrscheinlich.

Verlauf

Unter den oben genannten Massnahmen stellte sich ein erfreulicher Verlauf mit kompletter Regredienz der Beschwerden ein. Nach insgesamt sechs Tagen konnte die Patientin nach Hause entlassen werden.

Diskussion

Das Erythema multiforme (EM) ist eine akute immunvermittelte Erkrankung, die durch das Auftreten von zielgerichteten Läsionen auf der Haut gekennzeichnet ist. Erythema multiforme major ist die Bezeichnung für ein EM mit mukosaler Beteiligung; Erythema multiforme minor bezieht sich auf ein EM ohne mukosale Veränderungen.
Epidemiologisch zeigt sich eine Häufung bei jungen Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, ­wobei das EM in jedem Alter auftreten kann [1, 2]. Die genaue jährliche Inzidenz ist unbekannt.
Infektionen sind die häufigste Ursache für das EM, ­wobei das Herpes-simplex-Virus (HSV) der führende Erreger ist (Tab. 1). Weitere Auslöser sind Medikamente, insbesondere nicht steroidale Antirheumatika, Sulfonamide, Antiepileptika, Antibiotika und weitere [3].
Tabelle 1: Ursachen des Erythema multiforme (nach [6]).
Infektiös (Circa 90% der Fälle)Herpes-simplex-Virus (am häufigsten)
Mycoplasma pneumoniae
Parapoxvirus
Varizellen-Zoster-Virus (VZV)
Adenovirus
Epstein-Barr-Virus (EBV)
Cytomegalievirus (CMV)
Virale Hepatitis
Coxsackie-Virus
Parvovirus B19
Humanes-Immundefizienz-Virus (HIV)
Chlamydophila psittaci
Salmonellen
Mycobacterium tuberculosis
Histoplasma capsulatum
Dermatophyten
Andere
MedikamenteNichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
Sulfonamide
Antiepileptika
Antibiotika
Andere
Weitere
Ursachen
Malignität
Autoimmunerkrankungen
Immunisierungen
Bestrahlung
Sarkoidose
Menstruation
Klinisch zeigen sich typischerweise schiessscheibenförmige (oder irisförmige) Hautläsionen, die aus drei Komponenten bestehen: ein livider Zentralbereich, eine dunkelrote Entzündungszone, die von einem hellen Ödemring umgeben ist sowie ein erythematöser Halo am äussersten Rand der Läsion. Atypischerweise können diese leicht erhaben sein. Die klassische Lokalisation ist symmetrisch an den Händen, Füssen, Vorderarmen, Unterschenkeln sowie am Hals. Die Hautveränderungen können bei einigen Patienten zu Juckreiz und Brennen führen. Aufgrund der unterschiedlichen klinischen Manifestation wird von «multiform» gesprochen [4]. Bei zusätzlicher mukosaler Beteiligung finden sich am häufigsten orale Läsionen. Prodromale Symptome wie Fieber können in Fällen mit einer signifikanten Beteiligung der Schleimhäute beobachtet werden. Die Desquamation der Körperoberfläche beträgt bei EM maximal 1–2% im Gegensatz zum Stevens-Johnson-Syndrom (mehr, jedoch <10%) oder der toxischen epidermalen Nekrolyse (>30%) [5].
Die Diagnose wird klinisch gestellt. Zum Ausschluss der Differentialdiagnosen sollte jedoch eine Hautbiopsie durchgeführt werden.
Beim Erythema multiforme handelt es sich um eine selbstlimitierende Erkrankung. Das Management konzentriert sich primär auf die Behandlung der mög­lichen Ursachen. Kortikosteroide, Analgetika oder Antihistaminika können zur Symptomkontrolle eingesetzt werden. Jedoch sollten Patienten mit einem Erythema multiforme engmaschig überwacht werden, um Veränderungen der Hautläsionen oder die Zunahme der Desquamation als Hinweis für Stevens-Johnson-Syndrom oder für eine toxische epidermale Nekrolyse frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu therapieren [1].

Das Wichtigste für die Praxis

• Obwohl es sich beim Erythema multiforme um eine klinische Diagnose handelt, ist eine frühe Hautbiopsie im Hinblick auf mögliche Differentialdiagnosen entscheidend.
• Häufige Ursachen sind Herpes-Simplex-Viren oder eine Mycoplasma pneumoniae Infektion, seltener sind Medikamente verantwortlich.
• Die Unterscheidung zwischen Erythema multiforme, Stevens-Johnson-Syndrom und toxischer epidermaler Nekrolyse (TEN) ist hinsichtlich unterschiedlicher Prognosen und unterschiedlichem Management von grosser Bedeutung.
• Gegebenenfalls sollte ein Allergiepass ausgestellt werden.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Salomon Manz
Spital Uster
Brunnenstrasse 42
CH-8610 Uster
salomon.manz[at]spital­uster.ch
1 Hidajat C, Loi D. BMJ Case Rep. Published online: 22.9.2014, doi: 10.1136/bcr-2014-205543.
2 Huff JC, Weston WL, Tonnesen MG. Erythema multiforme: a critical review of characteristics, diagnostic criteria, and causes. J Am Acad Dermatol. 1983;8(6):763.
3 Aurelian L, Ono F, Burnett J. Herpes simplex virus (HSV)-associated erythema multiforme (HAEM): a viral disease with an autoimmune component. Dermatol Online J. 2003;9:1.
4 Roujeau JC. Erythema multiforme. In: Fitzpatrick’s Dermatology in General Medicine, Wolff K, Goldsmith LA, Katz SI, et al, editors. McGraw-Hill. 2008; p. 343.
5 Bastuji-Garin S, Rzany B, Stern RS, Shear NH, Naldi L, Roujeau JC. Clinical classification of cases of toxic epidermal necrolysis, Stevens-Johnson-syndrome, and erythema multiforme. Arch Dermatol. 1993;129(1):92–6.
6 Bolognia, JL, Jorizzo, JL, Rapini, RP. Dermatology, 2nd ed. München: Elsevier; 2008.