Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.
Praxisrelevant
Präeklampsie-Screening
Eine Präeklampsie tritt in der Schweiz in 1–5% der Schwangerschaften (bei schwarzen Patientinnen bis zu dreimal mehr) auf und ist eine wichtige Ursache mütterlicher und kindlicher Morbidität und Mortalität. Dank der protektiven Wirkung von Aspirin® (ASPRE-Studie [1]) lohnt sich ein Screening zur Identifikation von Patientinnen mit erhöhtem Präeklampsie-Risiko. Die neuesten schweizerischen Empfehlungen [2] lauten: Berechnung des Risikos durch Verwendung klinischer Risikofaktoren sowie des sorgfältig gemessenen mütterlichen Blutdrucks, des Blutflusses in den Arteriae uterinae (anlässlich des Ultraschalls im ersten Trimester) und der Bestimmung des PlGF (des plazentaren Wachstumsfaktors). Die Risikoberechnung kann dann einfach online [3] erfolgen. Durch diese Risikostratifikation liegt die positive Screening-Rate bei 10%, eine frühe Präeklampsie kann zu 90%, eine solche in den letzten Wochen vor Geburt zu 75% vorausgesagt und eben – darum die Screening-Empfehlung – mit Aspirin® signifikant unwahrscheinlicher gemacht werden.
Dilatative Kardiomyopathie: einmal Therapie, immer Therapie?
Die moderne medikamentöse Therapie der dilatativen Kardiomyopathien, vor allem die früher als «Afterload-Senkung» bezeichnete Therapie mit ACE- oder Angiotensin-Rezeptor-Hemmern und die sorgfältige Titration der Beta-Blocker, haben enorme klinische Verbesserungen gebracht. Die Patient(inn)en können sich in Bezug auf Lebensqualität und Leistungsbereitschaft so wohl fühlen, dass sie die Therapie reduzieren oder absetzen möchten. Keine gute Idee allerdings nach Massgabe der sehr kleinen, aber sorgfältig durchgeführten sogenannten TRED-HF-Studie. Bei asymptomatisch gewordenen Patient(inn)en mit echokardiographisch normalisierter Ventrikelfunktion (Auswurffraktion und enddiastolisches Volumen) und normalisierter Serumkonzentration des NT-Pro-BNP führte ein Therapieabbruch innert sechs Monaten in fast der Hälfte der Fälle zu einem Rezidiv (definiert als echokardiographische Verschlechterung, Verdoppelung des NT-Pro-BNP oder klinisch evidente Zeichen einer Herzinsuffizienz). Die andere Hälfte der asymptomatisch verbliebenen Patient(inn)en wirft allerdings die Frage auf, ob es nicht doch Subgruppen gibt, die eine Langzeitheilung oder zumindest Langzeitremission erreichen. Die aktuelle klinische Identifikation solcher Patient(inn)en scheint aber noch zu unpräzis, um das Experiment zu wagen.
Verfasst am 11.03.2019, auf Hinweis von Prof. P. Rickenbacher (Oberwil, BL).
Behandlung der aktinischen (solaren) Keratose
Bei der aktinischen Keratose besteht eine Proliferation atypischer epidermaler Keratinozyten, die schliesslich auch in ein Karzinom münden kann, aber ebenfalls eine Regressionsrate von zwischen 20 und 30% aufweisen soll. Diese Tatsache macht den Wirksamkeitsnachweis einer Therapie naturgemäss schwierig. Am häufigsten werden heute photodynamische oder medikamentös-topische Behandlungen angewendet. Bei letzterer kommt auch eine sogenannte Feldtherapie (im Gebiet mehrerer Keratosen) zur Anwendung. 624 holländische Patient(inn)en wurden im Rahmen einer Feldtherapie (25–100 cm2) mit topisch 5% Fluorouracil (Efudix®), 5% Imiquimod (Aldara®), 0,015% Ingenolmebutat (Picato Gel®) oder einer photodynamischen Therapie (Methyl-Aminolaevulinsäure) randomisiert behandelt und nach 12 Monaten kontrolliert. 75% der mit Fluouracil behandelten Patient(inn)en hatten zu diesem Zeitpunkt kein Rezidiv, ein Prozentsatz, der zwei- bis dreimal besser ausfiel als jener der anderen Therapieoptionen.
In den USA läuft gegenwärtig eine Opiatintoxikationsepidemie mit hohen Mortalitätraten ab. Ein wesentlicher Faktor ist die (zu) freizügige Verschreibepraxis von Opiaten als Analgetika. Dazu haben die Verteufelung auch eher diskreter Schmerzen und die (teilweise imperativen) Qualitätsstandards zur Schmerzkontrolle leider ebenfalls beigetragen. Ob und inwiefern diese Epidemie Europa und die Schweiz schon erreicht hat, ist noch unklar.
Mittels Smartphone ist es möglich, eine Opiatintoxikation mit hoher diagnostischer Sicherheit (über 90% Sensitivität und Spezifität) zu erfassen. Das Smartphone – respektive der in ihm arbeitende Algorithmus – «lernte» die typischen Zeichen der Opiatwirkung bei Patient(inn)en mit Fentanylanästhesie und bei Individuen, die unter Supervision in einer Drogenbetreuungsstelle Opiate injizierten. Das von Laien, Rettungssanitätern oder auch Pflegefachpersonen auf den Bettenstationen benutzbare Gerät analysiert Rhythmusänderungen bei den Atemdepressionen, Apnoephasen und Veränderungen der motorischen Aktivität.
Kurz und bündig ist es manchmal erfreulich und beruhigend zu sehen, dass Dinge, die man im Alltag und in der täglichen Erfahrung als gegeben annimmt, auch «bewiesen» werden. Eine bunte Auswahl von insgesamt über 2000 Ober- und Assistenzärzt(inn)en sowie Medizinstudent(inn)en musste klinische Probleme (n = 1572) diagnostisch lösen. In einer Gruppe überlegten die Studienteilnehmer(inn)en individuell im stillen Kämmerlein mit Zugang zu jeder erdenklichen Informationsquelle, in der anderen Gruppe wurden die Fälle gemeinsam (2–9 Personen) gelöst. Die korrekte Diagnose wurde von den allein arbeitenden Studienteilnehmer(inn)en in 62,5% der Fälle, von der Gruppe (mit 9 Studienteilnehmer[inn]en) jedoch in 85,5% gestellt, das heisst einer «number needed to diagnose» (also eine korrekte Diagnose mehr) von lediglich etwa 4 entsprechend. Wieder ein Argument für Falldiskussionen noch nicht gelöster Fälle (im Gegensatz zu Falldemonstrationen) und die vielerorts leider aufgegebenen gemeinsamen Visiten! Pflegefachpersonen wurden in der Studie nicht einbezogen, sind aber wichtige (unterschätzte?) Pfeiler der klinischen Diagnostik.
Bei aus vitaler Indikation antikoagulierten Patient(inn)en oder solchen mit krankheitsbedingt hohem Blutungsrisiko sind Organbiopsien gefährlich. Im Falle der Leber kann mittels eines transjugulären, intravenösen Zugangs die Biopsie – aufwendig zwar – aber doch mit hoher Sicherheit (allfällige Nachblutungen erfolgen ins intravenöse System) durchgeführt werden. Bei blutungsgefährdeten Patient(inn)en auf Intensivpflegestationen konnte mit einem transvenösen Zugang auch eine Nierenbiopsie sicher durchgeführt werden. Aufgrund der präsentierten Daten scheinen auch frühere Bedenken bezüglich Repräsentanz des so entnommenen Biopsiematerials hinfällig: In 96% der Fälle konnte eine im klinischen Kontext relevante Diagnose gestellt werden. Allerdings ist weiterhin eine reiflich überlegte Indikationenstellung wichtig: Nur in gut der Hälfte der Fälle hatte die Biopsie auch Behandlungskonsequenzen. In 30% lautete die Diagnose zudem «akute Tubulusnekrose», die man klinisch und mit nichtinvasiven Messungen fast immer diagnostizieren kann. Die Studie stammt aus Frankreich, wo seit Jahrzehnten akut insuffiziente Nieren sehr häufig biopsiert werden, was – das sei zugegeben – unser Verständnis für diese Krankheit sicher auch verbessert hat.
Viele Jahre vor der klinischen Diagnose einer Alzheimer-Demenz beginnen sich im Gehirn Beta-Amyloid-Moleküle abzulagern. Sekundär scheint sich dann der Stoffwechsel der Tau-Proteine (vermehrte Sekretion aus den Neuronen) zu verändern und erst diese Kombination führt zum fassbaren neurokognitiven Zerfall. Im klinischen Alltag allerdings aufwendig, kann Beta-Amyloid (Beta-Amyloid 40/42) im Liquor als früher Biomarker zusammen einer Amyloid-PET (Positronenemissionstomographie) eine Frühdiagnose liefern. Eine neue Studie zeigt, dass ein axonales Protein des Zytoskeletons, das Neurofilament L (L für «light chain»), im Liquor und – das ist das Attraktive – ebenso sehr im Serum ein sensitiver Biomarker neurodegenerativer Prozesse ist [1]. Das Protein tritt wahrscheinlich wegen einer Störung der Blut-Hirn-Schranke ins Blut über. Die Durchlässigkeit dieser Schranke scheint ein früher zur Neurodegeneration beitragender Mechanismus zu sein. Es gibt dafür ebenfalls einen neuen Indikator, nämlich den Nachweis von löslichem PDGF-Rezeptor Beta (Blutplättchen-Wachstumsfaktor-Rezeptor) im Liquor [2]. Das Neurofilament L im Serum ist ein vielversprechender Krankheits- und wahrscheinlich Aktivitätsfaktor für eine Reihe neurologischer Erkrankungen, namentlich demyelinisierende Erkrankungen, entzündliche Polyneuropathien und andere mehr, wie vor allem die Basler Neurologengruppe zeigen konnte [3]. Wird das Neurofilament L vielleicht einmal zum «CRP» der Neurologie?
In den 1990er Jahren wurde den postmenopausalen Östrogenen ein Schutz vor einer Demenzentwicklung nachgesagt [1] und bildete einen (der damals vielen Gründe) für einen Hormonersatz. Gemäss der finnischen, landesweiten Populationskohorte [2] ist aber – wenigstens in Bezug auf die Alzheimer-Demenz – das Gegenteil der Fall! Allerdings war die Risikoerhöhung selbst bei Langzeitöstrogenen so klein, dass ein kausaler, individuell sich manifestierender Effekt zumindest zweifelhaft erscheint. Der Effekt war unabhängig vom mitverwendeten Gestagen vorhanden, aber für vaginal applizierte Östrogene nicht nachweisbar.
Die «American Diabetes Association» (ADA) änderte 2001 den schwierigen Begriff «Pathologische Glukosetoleranz» zum griffigeren «Prädiabetes». Seither hat sich die Zahl von Prädiabetesfällen von ca. 12 auf über 80 Millionen erhöht, während in der gleichen Zeitperiode von 18 Jahren die Diagnosen des Typ-2-Diabetes «lediglich» um 10 Millionen (von 20 auf 30) zugenommen haben. In der gleichen Zeit wurde die Behandlungsintensität für eine Krankheit, die es – sozusagen – noch gar nicht gibt, progredient und mit Segen der ADA gesteigert und verteuert. Wirksame Prophylaxe oder ein Riesengeschäft mit ungesichertem Nutzen, wie es eine brillante Analyse, unterstützt durch den «Science Fund for Investigative Reporting», mit einer Reihe von beunruhigenden Hintergrundsinformationen behauptet?
Homosexualität wurde gemäss DSM («Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders») bis 1973 als Geisteskrankheit klassifiziert. Homosexuelle Männer (vor allem aus weniger privilegierten Gesellschaftskreisen) riskierten unter anderem eine Gefängnisstrafe oder die Verordnung einer der üblen Formen von Aversionstherapie. Eine Untersuchung aus England findet, dass solche Strafen bei lesbischen und bisexuellen Frauen sehr viel seltener ausgesprochen wurden. Wenn man von einer über die Jahrzehnte der letzten 100 Jahre stabilen Rate von Frauen mit homoerotischen Neigungen ausgeht, waren diese Frauen im Vergleich zu homosexuellen Männern von diesen – ja – gesellschaftlichen Verfolgungen weitgehend verschont. Möglicherweise fielen (und fallen) sie durch die gesellschaftliche Akzeptanz gewisser Verhaltensweisen (Küsse auf dem Bahnsteig, Arm-in-Arm-Spaziergänge) weniger auf als Männer.
– Neu aufgetretene Hypertonie und Proteinurie oder neu aufgetretene Hypertonie mit Endorganschäden (Niere, Leber) mit oder ohne Proteinurie.
– Chronische Hypertonie: schon vor Konzeption bestehend.
– Schwangerschaftshypertonie: vormals normotensive Frauen (zur 20. Schwangerschaftswoche [SSW]): systolischer Blutdruck ≥140 bis <160 mm Hg, diastolischer Blutdruck ≥90 bis <110 mm Hg (bei noch höheren Werte = schwere Präeklampsie).
– Eklampsie: zusätzlich Krämpfe ohne vorbestehende Pathologie des Zentralnervensystems.
– Zur Diagnose ist die Kenntnis der Normalwerte während der Schwangerschaft wichtig (siehe Abbildung).
– Nach Screening: Aspirin®-Prophylaxe in Risikogruppen (150 mg, abends zwischen 11. und spätestens 16. SSW begonnen und bis zur 36. SSW mit sehr hoher Compliance, >90% !, eingenommen) ist sehr wirksam. Kein Aspirin® bei niedrigem Risiko.
– Cave: Dosisfrage offen! Die Bioverfügbarkeit von enterisch verkapseltem Aspirin® (Cardio) beträgt nur ca. 80%. Genügen die 100 mg oder braucht es 2 Aspirin Cardio®? Ein spezifisches «Schwangerschafts-Aspirin» wäre kein Luxus …