Kurz und bündig
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Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2019/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08277
Swiss Med Forum. 2019;19(2122):345-348

Publiziert am 22.05.2019

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Glaukom

– Neuropathie des Nervus opticus mit progessivem Axon-Verlust und ­peripheren, später zentralen Gesichtsfeldeinschränkungen
– Normaler Augendruck: 8–22 mm Hg
Engwinkel-Glaukom: enger oder geschlossener Winkel der vorderen ­Augenkammer mit meist akuter Präsentation («rotes Auge», markante in­traokuläre Hypertonie)
Weitwinkel-(Offenwinkel-)Glaukom: eher mässige Drucksteigerung, in bis zu 40% der Fälle aber Normaldruck, Retinaschäden bei geringer Drucksteigerung entwickeln sich nicht obligat
– Prävalenz Weitwinkel-Glaukom: ca. 2% bei >40-Jährigen
– Risikofaktoren des Weitwinkel-Glaukoms: Alter, Familienanamnese, ­Augeninnendruck, systemische Hypertonie, Diabetes, Myopie, vorgehende vitreoretinale Operationen, schwarze Hautfarbe
– Screening: Augendruckmessung, Fundoskopie (um das 40. Lebensjahr, «Papillenexkavation», siehe Abbildungen),Gesichtsfeldprüfung
Normale Papille (© Universitätsspital Basel / Augenklinik).
Glaukomatöse Papille (Exkavation) (© ­Universitätsspital Basel / Augenklinik).
Ophthalmology 2016, DOI:10.1016/j.ophtha.2015.10.053. Verfasst am 15.04.2019.

Praxisrelevant

Licht (LiGHT) auf Therapie des Weitwinkel-Glaukoms

Im Vergleich zur klassischen topischen Therapie ­(Prostaglandine, Beta-Blocker, Carbanhydrase-Hemmer u.a.m.) bestand metaanalytische Evidenz, dass die ­sogenannte selektive Laser-Trabekuloplastie durch Förderung des Kammerwasserabflusses einen den ­topischen Medikamenten vergleichbaren Erfolg aufweist. In England wurden erstmals je etwa 360, zirka 63-jährige Patient(inn)en mit Weitwinkel-Glaukom ­direkt randomisiert entweder topisch-medikamentös oder mit Laser-Trabekuloplastie behandelt und drei Jahre nachkontrolliert («Laser in Glaucoma and ocular HyperTension» = LiGHT). Die primäre Laserintervention erlaubte 75% der Patient(inn)en, anhaltend auf topische Medikamente zu verzichten, erzielte stabilere ­Augendruckwerte und soll die ophthalmologische ­Gesamtbetreuung verbilligt haben. Die Autoren empfehlen die primäre Laser-Trabekuloplastie als Therapie der ersten Wahl. Ein Hauptargument ist auch die limitiertere Wirksamkeit der Laser-Chirurgie nach vorgängiger medikamentöser Behandlung. Ob der Kostenvorteil auch in einem Schweizer Modell bestünde, bleibt zu untersuchen oder durch Preissetzungsverfahren zu ­erreichen.
Verfasst am 15.04.2019.

Denosumab oder Biphosphonate als Erstlinientherapie bei Osteoporose?

Ausnahmsweise wieder einmal eine Metaanalyse: Eine Auswertung von zehn randomisierten, kontrollierten Studien mit Direktvergleich von Denosumab mit ­Bisphosphonaten ergab einen stärkeren Effekt von Denosumab auf die Knochenmineraldichte in der Lendenwirbelsäule, der gesamten Hüfte und dem Femurhals. Allerdings fand man (mit Ausnahme von einer der zehn Studien) keinen unterschiedlichen Effekt auf die Frakturrate (12 Monate). Es scheint also keinen überzeugenden Vorteil im limitierten Kurzzeitvergleich zu geben und die Ersttherapie darf durch persönliche Präferenzen und Erfahrungen mitbestimmt werden. Das Bisphosphonat-­Infusionssyndrom einerseits und der Absetzeffekt nach Denosumab andererseits sind unter anderen wichtige Faktoren in der Entscheidungsfindung.
Verfasst am 15.04.2019.

SGLT-2-Hemmung verlangsamt die Progredienz der diabetischen Nephropathie

SGLT-2(«Sodium-Glucose Co-Transporter 2»)-Hemmer scheinen einen retardierenden Effekt auf die Progression der diabetischen Nephropathie zu haben. Etwa 2900 Patient(inn)en mit diabetischer Nephropathie (eGFR >30 und <90 ml/min oder einer Albuminurie >300 μg/g Kreatinin) wurden doppelblind mit 100 mg Canagliflozin (Invokana®) oder Plazebo behandelt und über 2,6 Jahre nachverfolgt. Beide Gruppen erhielten einen ACE-Hemmer. Die Studie wurde (gemäss prädefinierter Interimsanalyse) vorzeitig beendet, weil die Canagliflozin-Gruppe einen deutlich besseren Verlauf zeigte: Absolut gesehen reduzierten sich die Erei­gnisse (Verdoppelung des Kreatinins, terminale Niereninsuffizienz, Todesfälle) um etwa 8% («number needed to treat» über 2,6 Jahre = etwa 12). Entgegen aller Empfehlungen lässt das New England Journal of Medicine auch in dieser Studie relative Risikoveränderungen publizieren: Die relative Risikoreduktion für Verdoppelung des Kreatinins / terminale Niereninsuffizienz lag bei etwa 33%. In dieser ausschliesslich vom Hersteller ­finanzierten Studie weisen die Autoren noch darauf hin, dass Canagliflozin nicht wie andere SGLT-2-Hemmer zu erhöhten Fraktur- oder Amputationsraten führe. Ein Warnhinweis trotz dieser Resultate: Wie ­Figur 4 im «supplementary material» zeigt, wies die Plazebogruppe eine signifikant schlechtere Kontrolle des Blutzuckers (nach Massgabe des HbA1c) und des Blutdruckes auf. Trotz dieser Vorbehalte ist eine baldige Zulassung in dieser Indikation wohl zu erwarten.
N Engl J Med 2019, doi:10.1056/NEJMoa1811744.
Verfasst am 17.04.2019.

Organtransplantationen nicht um jeden Preis?

Schon lange beschäftigt «Kurz und bündig» die Frage, inwiefern sich die in den letzten Jahren immer weiter hinausgeschobenen Grenzen der Akzeptanz eines Spenderorgans rächen könnten. Diese – aufgrund des «Organmangels» (horribile dictu!) – bis zu einem Teil verständliche Taktik scheint nun aber in der Transplantation von Nieren, die von bezüglich Blutgruppen (ABO) inkompatiblen Spendern stammen, an eine wichtige Grenze zu kommen oder – je nach Standpunkt – diese überschritten zu haben. In den ersten drei Jahren riskiert man eine deutlich erhöhte Mortalität, eine ­erhöhte Zahl von Organversagen und Pro­bleme wie Abstossungsreaktionen, Infekte und Blutungen, dies trotz diverser Desensibilisierungsmethoden. Ab dem fünften Jahr gleichen sich die Endpunkte an, was wohl einer Selektion relativ guter ­Risiken entspricht.
Verfasst am 23.04.2019.

Neues aus der Biologie

Dem kardialen Effekt der SGLT-2-Inhibitoren auf der Spur – auch ohne Diabetes!

Wie bei der Verlangsamung der Niereninsuffizienz ­unter SGLT-2(«Sodium-Glucose Co-Transporter 2»)-Inhibition (siehe oben) gibt es auch neue, erstaunliche Resultate über deren myokardiale Wirkung. Kurz und bündig [1] wurde schon über den positiven Effekt von Ketokörperinfusionen (Beta-OH-Butyrat) auf die Herzfunktion myokardial geschädigter, aber auch gesunder Mäuse berichtet.
Nichtdiabetische Schweine mit chronischer Herz­insuffizienz (Ischämie-Modell) wurden doppelblind, plazebokontrolliert für zwei Monate mit einem SGLT-2-Hemmer (Empagliflozin [Jardiance®]) behandelt, was keinen Effekt auf die Plasmaglukose hatte, aber –wie beim Menschen – zu einem vierfachen Anstieg der Ketokörperkonzentration im Blut führte [2]. Unter Empa­gliflozin verbesserten sich die wesentlichen echokar­dio­graphischen (und MRI-) Herzparameter ­signifikant (linksventrikulärer Durchmesser, Kontraktilität, Auswurffraktion). Ebenfalls reduzierte sich die erhöhte «neuorhumorale Aktivtität». Die Myokardiozyten nahmen sechsmal mehr Ketokörper auf, sodass es wahrscheinlich erscheint, dass Empagliflozin nicht direkt, sondern via stimulierte Ketogenese wirkt. Wie schon geschrieben [1], wäre die Evaluation einer ketogenen Diät (und/oder SGLT-2-Hemmung) in der Therapie der menschlichen Herzinsuffizienz bei Patient(inn)en mit und ohne Diabetes mellitus dringend.
1 Swiss Med Forum 2019, doi.org/10.4414/smf.2019.08276.
Verfasst am 20.04.2019.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Niedrige Ausbeute von Blutkulturen bei ­Pneumonie

Von 456 Hospitalisationen wegen einer ambulant erworbenen («community acquired») Pneumonie konnte nur bei jedem 16. Fall eine Bakteriämie nachgewiesen werden und nur in der Hälfte der Fälle war man sich ausreichend sicher, dass die Pneumonie auch wirklich Ursache der Bakteriämie war. Je schwerer die Pneumonie, desto eher findet man positive Blutkulturen, selbst dann aber auch nur bei maximal 15%. In dieser Kohorte war konsekutiv auch der Effekt auf die Behandlung (Wahl, Wechsel des Antibiotikums) sehr klein [1]. Nach wie vor scheint die Pneumonie ätiologisch eine der am schwierigsten zu dia­gnostizierenden Infektionskrankheiten zu bleiben. Laufende Entwicklungen zur Verbesserung sind aber vielversprechend und wurden hier schon erwähnt [2].
2 Swiss Med Forum 2019, doi.org/10.4414/smf.2019.08048, als Kommentar zu PNAS 2018, doi.org/10.1073/pnas.1819024116.
Verfasst am 20.04.2019.

Immer noch lesenswert

Entdeckung von Gluten als Allergen der Sprue

In einer Serie von Publikationen berichteten die holländischen Pädiater um W. K. Dicke 1953 über ihre Untersuchungen zur Natur des damals «Weizenfaktor» genannten Auslösers. Beobachtungen im 2. Weltkrieg hatten schon gezeigt, dass die seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannte Zöliakie/Sprue sich bei Knappheit von Nahrungsmitteln bei den Betroffenen sympto­m­ärmer äusserte, aber deren Beschwerden nach dem Abwurf von Broten durch schwedische Versorgungsflugzeuge sich wieder intensivierten. Sowieso häuften sich ­Zöliakiefälle dann wieder nach Ende des Krieges mit weit verbesserter Brotversorgung. In kontrollierten Experimenten (inkl. Stuhlfettbestimmungen) beobachteten die Forscher eine Zunahme der Symptome beim Konsum von Weizen-, Gersten- oder Roggenmehl sowie eine Besserung, wenn diese Mehle eliminiert wurden. Kurz darauf identifizierten sie Gluten als den krankheitsauslösenden Faktor [1]. Für medizinhistorisch interessierte Leser gibt es dazu auch eine interessante Übersicht über die Frühgeschichte der Erforschung der Zöliakie/Sprue [2].
Verfasst am 20.04.2019.

Das hat uns gefreut

Neuer Therapieansatz bei entzündlichen Darmerkrankungen?

In der Krankheitsentstehung und der Symptomintensität von entzündlichen Darmerkrankungen spielt der Entzündungsmediator Tumornekrosefaktor (TNF) eine wichtige Rolle. Eine Folge seiner Wirkung ist die erhöhte parazelluläre Permeabilität des normalerweise «gut abgedichteten» intestinalen Epithels. Für die Abdichtung sind Eiweisse (etwa Claudine, Occludine) verantwortlich, welche die sogenannten «tight junctions» aufbauen. Diese Eiweisse werden im Rahmen eines Entzündungsschubes weniger synthetisiert, als Resultat komplexer intrazellulärer Folgen der TNF-Wirkung. Mit einem kleinen Molekül (Divertin) konnte bei Mäusen mit einer autoentzündlichen Kolitis dieser Defekt behoben und die Permeabilität wieder korrigiert werden. In Kombination mit einer TNF-Blockade waren mit Divertin behandelte Mäuse 100% resistent gegen Kolitisschübe. Die Resultate bestärken unter anderem auch die Annahme, dass die Permeabilitätsstörung mit Resorption intestinaler Faktoren per se einen stimulierenden/unterhaltenden Einfluss auf die Entzündungsaktivität ausübt.
Verfasst am 25.04.2019.

Das hat uns gar nicht gefreut

Und in der Schweiz?

Die Duke-Universität, eine der Top-Universitäten der USA, hat in einem Vergleich mehr als 110 Millionen Dollar an die US-Regierung (zurück-)gezahlt wegen falscher Daten in den Gesuchsunterlagen verschiedener ihrer Forschenden.
Verfasst am 14.04.2019.

Das hat uns auch nicht gefreut

Antibiotikaprophylaxe der spontan bakteriellen Peritonitis: weniger gut als angenommen?

Die spontan bakterielle Peritonitis (SBP) bei Leber­zirrhose ist schwierig zu diagnostizieren, weil Fieber, Schmerzen und systemische Entzündungszeichen fehlen oder diskret sein können. Die Diagnose erfordert eine Parazentese. Folgen einer SBP können ein Leberversagen, ein hepatorenales Syndrom, andere Mehr­organschädigungen oder gar der Tod sein. Man unterscheidet eine Primärprophylaxe (Antibiotikum meist Norfloxacin bei Vorliegen von Aszites) von der Sekundärprophylaxe (Verhinderung weiterer Episoden nach einer früheren SBP). Trotz Prophylaxe entwickelten mehr als 10% eine SBP, die Mehrzahl davon mit gramnegativen Erregern, 40% davon mit Quinolon-Resistenz.
Am J Gastroenterol 2019, doi:10.14309/ajg.0000000000000044.
Verfasst am 15.04.2019.

Auch noch aufgefallen

Reversible Epigenetik

Bis heute sind 559 Menschen ins All geflogen, acht ­davon blieben dort mehr als 300 Tage. Wie sicher sind Langzeitaufenthalte im Hinblick auf Erkundung/Besiedelung anderer Himmelskörper?
Bei der NASA sind zwei identische Zwillinge als Astronauten angestellt, wobei einer 340 Tage lang auf der Raumstation ISIS verbrachte. Diese besondere Konstellation wurde für eine unglaublich intensive Untersuchung der Effekte von längeren Weltraumaufenthalten genutzt. Während des Aufenthaltes änderte sich die Mehrzahl biologischer Parameter (u.a. verschiedene Parameter der Immunfunktionen) nicht. Allerdings nahmen die Methylierung der DNA (eines der Charakteristika epigenetischer Veränderungen) und die Telomerlänge (Verkürzung wäre Indikator nahenden Zelltodes) zu. Weiter änderte sich die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms, die Retinadicke, die ­Parameter der Karotiswand sowie das Körpergewicht. Ein grosser Teil dieser Veränderungen könnte Folge der Umverteilung des Extrazellulärvolumens / der diätetischen Umstellung sein. Innerhalb von sechs Monaten nach der Rückkehr normalisierten sich fast alle der – genetischen und nichtgenetischen – Parameter, allerdings nicht gewisse DNA-Schäden, die wohl Folge der erhöhten Strahlenbelastung sind.
Verfasst am 14.04.2019.

Therapie des Status epilepticus bei Kindern

Ein konvulsiver Anfall dauert auch ohne akute Therapie bei Erwachsenen und Kindern selten länger als zwei Minuten. Im Falle eines Status epilepticus sollen zuerst Benzodiazepine zur Anwendung kommen, die in gut 70% der Fälle den Anfall unterbrechen. Sind sie aber nicht wirksam, so werden sogenannt Zweitlinien-Medikamente empfohlen. Zwei Studien finden, dass Levetiracetam (Levetiracetam®, Keppra®) und Phenytoin (Phenytoin®, Phenhydan® u.a.m.) bei Kindern etwa gleich wirksam sind (je etwa 50% Erfolgsrate). Weitere Verbesserungen scheinen zweifelsohne nötig und sind Gegenstand laufender Studien.
Verfasst am 23.04.2019.