Das medikamentöse Hyper­sensitivitätssyndrom (DRESS)
Statt der Lues sind Arzneimittel heutzutage die grossen Imitatoren

Das medikamentöse Hyper­sensitivitätssyndrom (DRESS)

Editorial
Ausgabe
2019/2728
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08279
Swiss Med Forum. 2019;19(2728):435-436

Affiliations
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Dermatologie/Allergologie, Universitätsspital Basel; Adjunct Professor Faculty of Biomedical Sciences USI, Università della Svizzera italiana, Lugano

Publiziert am 03.07.2019

In dieser Ausgabe des Swiss Medical Forum berichten die Autoren Flurina Gartmann-Elvedi und Adrian Schmassmann über eine junge Frau, die auf Minocy­clin eine eosinophile nekrotisierende Myokarditis im Rahmen eines medikamentösen Hypersensitivitätssyndroms mit letalem Ausgang erlitten hat [1]. Der Fall illustriert eindrücklich die diagnostischen und the­rapeutischen Herausforderungen dieses vielfältigen Syndroms.
Im Gegensatz zur rasch auftretenden Anaphylaxie stellen die verzögert auftretenden systemischen ­Hypersensitivitätssyndrome oft eine diagnostische He­rausforderung dar, so etwa die akute generalisierte ­exanthematische Pustulose (AGEP), das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die toxische epidermale Nekrolyse (TEN) sowie das «drug hypersensitivity syndrome» (DHS) oder DRESS («drug rash with eosinophilia and systemic symptoms») [2]. Bei diesen Syndromen liegt ein T-Zell-vermittelter Mechanismus mit unterschiedlichen T-Effektorzellen vor, was die unterschiedlichen klinischen Manifestationen erklärt. Bei Erstexposition mit einem auslösenden Medikament kann die Latenz zwischen ein bis zwei Wochen, aber auch vier, selten sogar sechs Wochen umfassen. Die Letalität beträgt bei der AGEP ca. 5%, beim DRESS ca. 10% und beim TEN bis zu 30%, dabei ist vor allem das Auftreten von Innenorganmitbeteiligung insbesondere der Leber, der Nieren und selten anderer Organe wie des Myokards und der Lunge entscheidend [2].
Beim DRESS lassen die Prodromalsymptome (Fieber, Abgeschlagenheit, Pharyngitis und ein initial makulöses Exanthem) an infektiöse Krankheiten, insbesondere die Mononucleosis infectiosa denken [3]. Typischerweise entwickeln die Patienten eine erythematöse zentrofaziale Schwellung, die ein wichtiges diagnostisches Zeichen darstellt. Differentialdiagnostisch kommen Hautlymphome, ein hypereosinophiles Syndrom sowie der adulte Morbus Still infrage.
Hämatologische Manifestationen umfassen eine Eosinophilie bei 66–95% und atypische Lymphozyten bei 27–67% der Patienten [3]. Eine disseminierte Lymphadenopathie liegt bei ca. 54% vor. Die Leber ist bei 
75–94% der Patienten am häufigsten betroffen, die 
Manifestation kann parallel oder erst nach dem Exanthem auftreten. Die Lunge ist bei etwa einem Drittel der Patienten involviert. Eine Mitbeteiligung des Myokards liegt bei etwa 4–27% der Patienten vor und ist mit einer hohen Mortalität assoziiert. Die Patienten weisen üblicherweise eine linksventrikuläre Dysfunktion und elektrokardiographische Veränderungen auf. Diese Organkomplikation wird am häufigsten erst spät diagnostiziert. Seltener betroffene Innenorgane sind das zentrale Nervensystem, Pankreas und Gastrointestinaltrakt. Es existieren verschiedene diagnostische Scores zur Diagnose eines DRESS (Tab. 1) [3, 4].
Tabelle 1: Validations-Score für DRESS [4, 5].
RegiSCAR-Kriterien Score* 
 –101
1. Fieber ≥38,5 °CN/UJ
2. Lymphadenopathie mindestens 1 cm, 
≥2 anatomische Lokalisationen)N/UJ
3. • Eosinophilie: keine
• absolut ≥0,7–1,49 × 109/l
≥1,5 × 109/l
• Eosinophilie, falls Leukozyten <4 × 109/l
10–19,9%
≥20%
N
J (=1)
J (=2)

J (=1)
J (=2)
4. Atypische LymphozytenNJ
5. Hautmitbeteiligung
• Körperoberfläche >50%
• Exanthem vereinbar mit DRESS
• Hautbiopsie vereinbar mit DRESS


N
N

N
U
J

J
J
6. Organmitbeteiligung (Leber, Niere, Lunge, Herz, Pankreas, andere Organe)
• Ein Organ
• ≥Zwei Organe
N

J (=1)
J (=2)
7. Abklingen ≥15 TageNJ
8. Andere mögliche Ursachen
• ANA
• Blutkultur
• Serologie für HAV/HBV/HCV/Chlamydia/Mycoplasma ­pneumoniae
• Andere Serologie/PCR
 Keine ­positiven und ≥3 ­negativ 
N = nein, J = ja, U = unbekannt
* Beurteilung: minimaler Score – 4, maximaler Score 9 (11)
Score <2 = kein DRESS; 2–3 = möglich; 4–5 = wahrscheinlich: >5 = definitiv.
DRESS: «Drug Rash with Eosinophilia and Systemic Symptoms», ANA: antinukleäre Antikörper, HAV: Hepatitis A, HBV: Hepatitis B, HCV: Hepatitis C, PCR: Polymerasekettenreaktion
Die auslösenden Medikamentengruppen sind vor allem Antikonvulsiva, antibakterielle Substanzen wie Sulfonamide (etwa Dapson, Cotrimoxazol und Sulfasalazin), Aminopenicilline, Minocyclin und Vancomycin, Tuberkulostatika, antiretrovirale Substanzen, Analgetika und nichtsteroidale Antiphlogistika wie Paracetamol, Diclofenac, Celecoxib und Ibuprofen. Ein häufiger Auslöser stellt auch Allopurinol dar, weitere Medikamente wurden in Einzelfällen berichtet [3, 4]. Für einige besteht bei gewissen ethnischen Gruppen eine Assoziation mit verschiedenen HLA-Typen, beispielsweise für Allopurinol mit B*58:01 oder für Carbamazepin mit A*31:01, A*11 und B*51 [3]. Zu den Medikamenten, die mit Innenorganmitbeteiligung assoziiert sind, zählen Allopurinol (Nieren), Minocyclin und Abacavir (Lunge), ­sowie Minocyclin, Ampicillin und Sulfonamide mit ­einer Myokarditis [4].
Der Verdacht auf ein DRESS erfordert das sofortige Absetzen der verdächtigten Medikamente und eine intensive medizinische Betreuung. Systemische Kortikosteroide gelten als Standardtherapie, bisher existieren keine Vergleichsstudien mit anderen Medikamenten. In einzelnen Fällen oder Fallserien wurden Ciclosporin, Immunglobuline, Mycophenolat mofetil, Cyclophosphamid und Rituximab mit Erfolg eingesetzt [4].
Die Französische Gesellschaft für Dermatologie schlägt folgenden Behandlungsalgorithmus vor [4]:
a) Bei Absenz schwerwiegender Zeichen: systemische Kortikosteroide und H1-Antagonisten;
b) Transaminasen über 5× über der Norm, Lungen-, Herz- oder Nierenmitbeteiligung: Kortikosteroide 1 mg/kg Körpergewicht, bei sehr schweren Komplikationen, intravenös Immunglobuline als Zusatztherapie 2 g/kg über 5 Tage.
Das DRESS dauert üblicherweise mindestens zwei ­Wochen, kann sich aber über mehrere Wochen und ­Monate hinziehen. Die Reaktivierung von in erster ­Linie viralen Infektionskrankheiten wie Humanes Herpes­virus 6, Herpes-simplex-Virus Typ 1, Varicella-Zoster-­Virus, Zyto­megalie-Virus und anderen wurde innerhalb von bis zu drei Monaten beschrieben. Auch Spätkomplikationen wie Autoimmunkrankheiten (Hypo- oder Hyper­thyreose, Typ-I-Diabetes, systemischer Lupus erythematodes) können verzögert auf­treten.
Fazit: Gerade bei jungen Patienten, die unter einer antimi­krobiellen oder analgetischen Therapie entsprechende Symptome entwickeln, sollte differenialdia­gnostisch an eine medikamentös induzierte Kom­plikation gedacht werden, und die entsprechenden Massnahmen sollten eingeleitet werden. Frühzeitige Diagnose und Einleitung der Therapie können lebensrettend sein.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Korrepsondenz:
Prof. em. Dr. med.
Andreas J. Bircher
Dermatologie/Allergologie
Universitätsspital
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
andreas.bircher[at]usb.ch
1 Gartmann-Elvedi F, Schmassmann A. Fulminante nekrotisierende eosinophile Myokarditis nach Akne-Therapie mit Minocyclin. Swiss Med Forum. 2019;19(27–28):455–459.
2 Mustafa SS, Ostrov D, Yerly D. Severe Cutaneous Adverse Drug Reactions: Presentation, Risk Factors, and Management. Curr Allergy Asthma Rep. 2018;18:26.
3 Cho, YT, Yang CW, Chu CY. Drug Reaction with Eosinophilia and Systemic Symptoms (DRESS): An Interplay among Drugs, Viruses, and Immune System. Int J Mol Sci. 2017;18(6):1243.
4 Martínez Cabriales S, Rodríguez Bolaños F, Shear N. Drug Reaction with Eosinophilia and Systemic Symptoms (DReSS): How Far Have We Come? Am J Clin Dermatol. 2019;20(2):217–36.
5 Kardaun SH, Sidoroff A, Valeyrie-Allanore L, Halevy S, Davidovici BB, Mockenhaupt M, et al. Variability in the clinical pattern of cutaneous side-effects of drugs with systemic symptoms: does a DRESS syndrome really exist? Br J Dermatol. 2007;156(3):609–11.