Doch keine Achil­lessehnenruptur
Peitschenschlag beim Zieleinlauf

Doch keine Achil­lessehnenruptur

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/4748
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08321
Swiss Med Forum. 2019;19(4748):789-790

Affiliations
a Institut für Notfallmedizin, UniversitätsSpital Zürich; b Schulthess Klinik, Abteilung für Fusschirurgie, Zürich; c Klinik für Pneumologie, UniversitätsSpital Zürich

Publiziert am 20.11.2019

Bei der Schilderung eines Sportunfalls mit einem peitschenschlagartigen Schmerz im Fussbereich denkt man an eine Achillessehnenruptur. Dieser Fallbericht beschreibt eine seltene Differentialdiagnose.

Hintergrund

Bei der Schilderung eines Sportunfalls mit einem peitschenschlagartigen Schmerz im Fussbereich assoziieren viele Mediziner eine Achil­lessehnenruptur. Aufgrund der pathognomonischen Schilderung sowie des Unvermögens des Patienten bei kompletter Ruptur ­einen Einbein- oder Zehenstand durchzuführen, liegt man mit der initialen Vermutung oft richtig. Trotz ­allem können auch andere Lä­sionen als Achillessehnenruptur fehlgedeutet werden. Dieser Fallbericht beschreibt eine seltene Differentialdiagnose.

Fallbericht

Anamnese

Der 29-jährige, bis anhin gesunde, Patient (BMI 25,2 kg/m2) spürte während eines Triathlons beim Zieleinlauf einen plötzlichen, «peitschenschlagartigen» Schmerz im linken Bein. In der Folge konnte der linke Fuss schmerzbedingt nicht mehr belastet werden. Bei einer Evaluation am gleichen Tag in einem Zentrumsspital zeigten sich persistierende Schmerzen unter Dorsal­flexion des Fusses sowie Druckschmerzen im Bereich des medialen anterioren Calcaneus. Das umgebende Weichteilgewebe inklusive Achillessehne zeigte keine pathologischen Auffälligkeiten bei allseits intakter peripherer Durchblutung, Motorik, Sensibilität (pDMS). In einem konventionellen Röntgenbild konnte eine (Stress-)Fraktur ausgeschlossen werden, nebenbefundlich präsentierte sich jedoch ein Fersensporn (Abb. 1). In Folge wurde eine konservative analgetische Therapie ver­anlasst bei initialer Verdachtsdiagnose eines trauma­tisierten Fersensporns.
Abbildung 1: Röntgenaufnahme Calcaneus links lateral (seitl.). Plantarer Fersensporn (Pfeil) ohne Hinweise auf ossäre ­Läsionen unter Einbezug der AP-Ebene. Nebenbefund: os ­tibiale externum.

Diagnostik

Bei weiterhin persistierender Funktionseinschränkung und Schmerzen erfolgte nach vier Tagen eine weitere Selbstvorstellung und eine Magnetresonanztomographie (MRT). Hier zeigte sich eine intakte Achillessehne und kein Hinweis auf eine Stressfraktur. Sichtbar wurde jedoch eine Ruptur des Hauptzügels der Plantarfaszie mit Retraktion und umgebendem Hämatom ­sowie «bone bruise» an der Insertion am plantaren ­Calcaneus (Abb. 2). Nach der Beurteilung durch einen Fusschirurgen wurden zusätzlich zur analgetischen Therapie lokalantiphlogistische Massnahmen und Physiotherapie (fokussierte Stosswellentherapie und Elek­trotherapie [1] eingeleitet. Ergänzend wurde eine deut­liche Verkürzung der Wadenmuskulatur sowie ein normales Fussgewölbe dokumentiert.
Abbildung 2: MRT Fuss links nativ. (A) axial, (B) coronar, 
(C) sagittal. Ruptur des Hauptzügels der Plantarfaszie (Pfeile) mit Retraktion und umgebendem Hämatom (inklusive «bone bruise») an der Insertion am plantaren Calcaneus. Keine ­weiteren traumatischen Läsionen.

Therapie und Verlauf

Unter Schonung und Entlastung an Unterarmgehstützen für zwei Wochen konnte eine deutliche Verbesserung der Schmerzsymptomatik erzielt werden. Nach sechs Wochen war das schmerzfreie Gehen von längeren Strecken unter Einlagenversorgung mit Weichbettung im Bereich der Ferse wieder möglich. Eine Darstellung der normalen Anatomie zeigt Abbildung 3.
Abbildung 3: MRT Fuss rechts nativ, (A) sagittal, (B) coronar. Anatomischer Normal­befund der Plantarfaszie (Pfeile). Im Bereich des oberen Sprunggelenkes zeigt sich als Zufallsbefund ein geringes Weichteilödem. Keine weiteren traumatischen Läsionen.

Diskussion

Die Plantarfaszie überträgt die Kraft für die Fussflexion (bis zu 10-faches Körpergewicht) vom Calcaneus ausgehend über eine V-förmige Sehnenplatte mit fünf Längs- und Querzügeln, die in die Metatarsal­köpfchen sowie die Gelenkkapseln der Zehengrund­gelenke inserieren. Rupturen der Plantaraponeurose sind sehr seltene Verletzungen, genaue Angaben zu ­Inzidenz und Prävalenz existieren nicht. In speziellen Patientenpopulationen und Sportarten, wie etwa Eliteathleten (z.B. Mitglieder des Nationalkaders) und bei Ballsportarten, wurde ein gehäuftes Auftreten beschrieben [2].
In der klinischen Untersuchung kann eine Schwellung plantar medial und eine Ekchymose imponieren [3, 4]. Um eine Ruptur zu diagnostizieren, ist eine Ultraschalluntersuchung adäquat [4]. Um knöcherne Begleitverletzungen oder einen Fersensporn darzustellen, kann eine konventionelle Röntgenuntersuchung durchgeführt werden. Kleinere Frakturen sowie «bone bruise» oder parallel vorhandene ligamentäre Verletzungsmuster lassen sich jedoch in einer MRT-Unter­suchung dokumentieren. Während die Benutzung der «bedside» Ultrasonographie immer mehr Einzug in den klinischen Alltag hält, gibt es keine gute Studienlage bezüglich eindeutiger Überlegenheit einer Methode. Der Einsatz ist auch von den vorhandenen Ressourcen ab­hängig [4].
Die Ruptur kann partiell oder komplett auftreten, in den meisten Fällen zeigt sich (wie in diesem Fall) ein proximaler Riss im Bereich der Insertion am Calcaneus [5, 6]. Bei einem prompten Schmerzereignis im Fuss­bereich sollten die Achillessehnenruptur, eine (Stress-) Fraktur, sich akut manifestierende entzündliche Erkrankungen (etwa inflammatorische Arthritis) oder das «painful heel pad syndrome» abgegrenzt werden.
Weiterhin ist eine Ruptur der Plantaraponeurose eine Komplikation der Fasziitis plantaris, oft bei gleichzeitigem Vorhandensein eines Fersensporns. Die Ätiologie der Fasziitis plantaris ist noch nicht vollständig verstanden und wahrscheinlich multifaktoriell [7]. Potentielle Risikofaktoren sind Übergewicht, Tätigkeiten die langes Stehen erfordern und Plattfüsse. Weil es eine erhöhte Inzidenz bei Läufern gibt, wird davon ausgegangen, dass immer wiederkehrende Mikrotraumata eine Rolle spielen. In seltenen Fällen kann auch eine Sys­tem­erkrankung wie Sarkoidose oder Spondyloarthritis zugrunde liegen. Eine Injektion mit Koritkosterioden wurde als Therapieoption der Fasziitis plantaris pro­pagiert, allerdings wird auch ein Zusammenhang zu ­einer erhöhten Neigung von Rupturen der Plantaraponeurose vermutet. Leider gibt es nur sehr wenig hochwertige Studien in diesem Bereich [6]. Einzig gute Evidenz für einen Zusammenhang von Sehnenläsionen im Rahmen der Einnahme von gewissen Antibiotika (etwa Fluorochinolone) ist vorhanden [7].

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei plötzlichen atraumatischen Fussschmerzen sind neben einer Achillessehnenruptur auch eine Ruptur der Plantaraponeurose sowie eine (Stress-)Fraktur möglich.
• Eckpunkte der Diagnosestellung beinhalten neben der Klinik eine sorgfältige Anamneseerhebung: das Fragen nach Systemerkrankungen sowie nach Einnahme von Antibiotika oder Kortikosteroiden.
• Bildgebende Massnahmen: Röntgen, Ultraschall, MRT in Abhängigkeit von Hergang, Schwere der Verletzung und angestrebter Behandlung.
• Die Therapie der Ruptur der Plantaraponeurose beinhaltet Schonung, nichtsteroidale anti-inflammatorische Medikamente, Physiotherapie und in schweren Fällen eine operative Behandlung.
Die Autoren danken dem Patienten für die Mitarbeit und Dr. med. Hötker, Institut für Diagnostische und ­Interventionelle Radiologie, UniversitätsSpital Zürich für die radiologischen Abbildungen.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
Dr. med. Sira Thiel
UniversitätsSpital
Klinik für Pneumologie
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
sira.thiel[at]usz.ch
1 Malay DS, Pressman MM, Assili A, Kline JT, York S, Buren B, et al. Extracorporeal shockwave therapy versus placebo for the treatment of chronic proximal plantar fasciitis: results of a randomized, placebo-controlled, double-blinded, multicenter intervention trial. J Foot Ankle Surg. 2006;45(4):196–210.
2 Saxena A, Fullem B. Plantar fascia ruptures in athletes. Am J Sports Med. 2004;32(3):662–5.
3 Walther M. Fersenschmerz: Einriss der plantaren Platte. Orthopädie aktuell. 2016;8:1–2.
4 Servey JT, Jonas C. Plantar Fascia Rupture: Ultrasound to Facilitate Recognition. J Am Board Fam Med. 2018 Mar-Apr;31(2):282–285.
5 Lim AT, How CH, Tan B. Management of plantar fasciitis in the outpatient setting. Singapore Med J. 2016;(4):168–70.
6 Kim C, Cashdollar MR, Mendicino RW, Catanzariti AR, Fuge L. Incidence of plantar fascia ruptures following corticosteroid injection. Foot Ankle Spec. 2010;3:335–7.
7 Wise BL, Peloquin C, Choi H, Lane NE, Zhang Y. Impact of age, sex, obesity, and steroid use on quinolone-associated tendon disorders. Am J Med. 2012;125(12):1228.e23.