Kurz und bündig
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Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2019/2526
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08323
Swiss Med Forum. 2019;19(2526):403-406

Publiziert am 19.06.2019

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Telomere und Telomerase

– Telomere sind repetitive (TTAGGG*) DNA-Sequenzen an beiden Enden der Chromosomen.
– Telomere (bei jungen Gesunden bis zu 10 000 Basenpaare lang) verlieren mit jeder Zellteilung 50–100 Basen.
– Nach einer gewissen Zahl von Zellteilungen oder charakteristischer ­Telomerlänge tritt ein Teilungsstopp (= replikative Seneszenz) oder ein programmierter Zelltod (= Apoptose) ein.
– Die Telomerase ist eine spezialisierte DNA-Polymerase, welche die Telomerlänge wieder aufbauen kann.
– Das Syndrom der kurzen Telomere kann durch Mutationen dieser Telomerase oder von Bindungsproteinen der Telomere entstehen.
Wichtigste Manifestationen eines Syndroms der kurzen Telomere sind:
• Aplastische Anämie
• Idiopathische Lungenfibrose
• Kryptogene Leberfibrose/-zirrhose
• Vorzeitige Atheromatose
• Immundefekte
• Dyskeratosis congenita
– Viele maligne Zelllinien haben eine erhöhte Telomeraseaktivität (und damit längere Telomere), die – unter anderem – für ihre Langlebigkeit/­Immortalität verantwortlich gemacht wird.
*T = Thymin, A = Adenin, G = Guanin
Mayo Clin Proc. 2018, doi.org/10.1016/j.mayocp.2018.03.020.
Verfasst am 23.05.2019. 

Praxisrelevant

Zuwarten in der Medizin: oft eine gute Idee

Diabetische Patient(inn)en sind dem Risiko einer diabetischen Retinopathie ausgesetzt. Dabei ist das diabetische Makulaödem, das mindestens teilweise als Folge einer gestörten Blut-Retina-Schranke auftritt und bei jedem Stadium der diabetischen Retinopathie vorkommen kann, die wichtigste Ursache des Visusverlustes. Die beste Behandlungsstrategie war unbekannt. Mehr als 700 Patient(inn)en mit Makulaödem, aber noch erhaltenem Scharfsehen, wurden prospektiv randomisiert entweder mit einem «vascular endothelial growth factor»(VEGF)-Hemmer (Aflibercept, bis zu 4-wöchentlich), einer Laser-Photokoagulation (bis zu 13-wöchentlich) oder nur beobachtend/überwachend (Kontrollen zuerst nach 4, dann alle 8 Wochen) behandelt. Während der Studie wurde prädefiniert ein Wechsel in eine Aflibercept-Therapie vorgenommen, wenn die Kontrollen einen Abfall des Visus zeigten (was bei 25% in der Beobachtungsgruppe und bei 34% der Laser-Gruppe der Fall war). Nach zwei Jahren war in jeder Gruppe etwa jeder 6. Patient von einem gemäss Studienkriterium definierten Visusabfall betroffen. Eine beobachtende Haltung und intravitreale Anti-VEGF-Injektionen erst bei Bedarf ist demnach die gegenwärtige Strategie der Wahl.
Verfasst am 23.05.2019, auf Hinweis von Prof. K. Neftel (Gléresse).

D-Dimere normalisiert – Antikoagulation stoppen oder weiterführen?

Die Frage, ob und wann man die orale Antikoagulation nach der ersten nicht-provozierten venösen Thromboembolie absetzen kann, ist immer noch nicht definitiv beantwortet. Es gibt Daten, dass bei Patient(inn)en mit normalen D-Dimeren einen Monat nach Absetzen der Antikoagulation das Rezidivrisiko mindestens 50% tiefer ausfällt. Ist ein Therapie­entscheid auf der Basis der D-Dimere sicher? Im Rahmen einer fünfjährigen Nachbeobachtung wiesen Patient(inn)en (n = 293) eine signifikant höhere Rezidivrate auf, wenn die Antikoagulation auf der Basis der D-Dimere gestoppt wurde (normale D-Dimere am Schluss der Antikoagulation und einen Monat nach deren Absetzen). Folgende Rezidivrisiken (5 Jahre) wurden gefunden: Männer fast 30%, Frauen fast 18%, Frauen mit isoliertem Östrogenersatz etwa 2%. Die Häufigkeit relevanter Blutungen unter Langzeitantikoagulation betrug 1,6% pro Patient und Jahr. D-Dimere eignen sich also generell nicht zur Steuerung der Antikoagulationsdauer. Die Studie spricht – ausser bei Frauen mit isoliertem Östrogenersatz – für eine sehr lange Dauer der oralen Antikoagulation und die Frage bleibt offen, wann sich die Linien Thromboembolie-Rezidive/Blutungen zu kreuzen beginnen.
J Thromb Haemost. 2019, doi.org/10.1111/jth.14458.
Verfasst am 23.05.2019, auf Hinweis von Dr. M. Uhr (Lugano).

Magenbypass bei Adoleszenten

Innerlich regt sich sicher bei vielen Ärztinnen und Ärzten ein ungutes, wenn auch unbestimmtes Gefühl, denken sie an die potentiellen Langzeitfolgen, welche die ausgedehnte gastrointestinale Chirurgie des klassischen Magen-Bypasses (Roux-en-Y) bei adipösen Adoleszenten haben könnte. Im Rahmen einer fünfjährigen Verlaufsbeobachtung von 161 adipösen 17-Jährigen nach einer Roux-en-Y-Operation betrug der Gewichtsverlust, vergleichbar mit Erwachsenen, gut minus 25%. Die Remissionsrate eines Diabetes mellitus war mit knapp 90%, jene einer Hypertonie mit knapp 70% deutlich höher als bei Erwachsenen der Kontrollgruppe. Aber: 20% der Adoleszenten mussten reoperiert werden, die perioperative Mortalität lag bei knapp 2%. Wenn diese Zahlen auch nicht signifikant von Erwachsenen differieren, bleibt doch das erwähnte ungute Gefühl. Alternativen sind gefragt.
N Engl J Med. 2019, doi:10.1056/NEJMoa1813909.
Verfasst am 24.05.2019.

Neues aus der Biologie

Warum hemmen Glukokortikoide das kindliche Wachstum?

Systemische Glukokortikoide zum Beispiel im Rahmen von Organtransplantationen bei Kindern hemmen das longitudinale Wachstum. Die Akten bezüglich eines potentiell negativen Effektes auf das Wachstum bei Appli­kation topischer Steroide (z.B. bei Asthma) scheinen auch noch nicht ganz geklärt. FGF-23 ist ein von Osteozyten gebildetes Hormon, das den Körper vor ­einer Phosphatvergiftung schützt, und zwar via eine erhöhte renale Phosphatelimination. FGF-23 wird auch in Chondrozyten der ossären Wachstumszone exprimiert. Wenn in vivo oder in vitro Glukokortikoide appliziert werden, wird FGF-23 dort überexprimiert. Eine Hemmsubstanz gegen den Rezeptor des FGF-23 vermochte die Glukokortikoid-induzierte Hemmung der Chrondrozyten in der Wachstumszone zu antagonisieren. Ein vielversprechender Ansatz zur Prävention/Behandlung dieser Glukokortikoidnebenwirkung.
J Bone Miner Res. 2019, doi:10.1002/jbmr.3761.
Verfasst am 22.05.2019.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Man findet, was man finden will …

Die Laienpresse berichtet soeben, dass US-Ärztinnen und -Ärzte in Weiterbildung (im ersten Jahr = Internship) sechsmal schneller altern! Ein Jahr Internship gleich sechs (verpasste?) Lebensjahre! Und die Evidenz dazu? Bei 250 «Interns» aus 55 verschiedenen Spitälern verringerte sich die Telomerlänge in Mundschleimhautzellen innerhalb eines Jahres von durchschnittlich 6465 Basenpaaren auf 6321. Es gab auch einen Dosis-Wirkungs-Effekt: Während «Interns» mit weniger als 45 Wochenarbeitsstunden keine signifikante Telomerverkürzung zeigten, war diese bei mehr als 75 Stunden Arbeit mit durchschnittlich etwa 900 Basenpaaren aufs Jahr beschleunigt. Allerdings leidet diese Untersuchung unter dem Fehlen einer adäquaten Kontrollgruppe und der (in der Laienpresse) einseitigen Gleichsetzung von Telomerverkürzung mit Alterung. Eine Folge der Telomerverkürzung kann auch die ­Apoptose sein, ein – im richtigen Umfeld – durchaus gewünschter gewebe- und zellhygienischer Effekt … Zudem ist bekannt, dass Veränderungen der Telomerlänge nicht irreversibel sind – und man ist ja nicht ein Leben lang Assistent im ersten Weiterbildungsjahr (siehe auch «Fokus auf» …).
Biological Psychiatry 2019, doi.org/10.1016/j.biopsych.2019.04.030.
Verfasst am 23.05.2019.

Gut desinfizieren vor Einlage eines Blasen­katheters

Etwas schwer zu glauben, aber nach den Autoren den Tatsachen entsprechend, gab es keine klare Evidenz (reflektiert in den entsprechenden Guidelines), dass eine Desinfektion die Häufigkeit Katheter-assoziierter Harnwegsinfekte senkt. Bei einer schon in der Kon­trollperiode eher seltenen Inzidenz von Katheter-assoziierten Harnwegsinfekten (13 auf knapp 2900 «Kathetertage»), fand eine in drei Spitälern durchgeführte australische Studie, dass die Desinfektion des Meatus vor der Kathetereinlage mit 0,1% Chlorhexidin im Vergleich zu 0,9% NaCl die Infektionsrate hoch signifikant senkte (auf 4 pro knapp 2400 Kathetertage, 94% relative Risikoreduktion, p< 0,006).
ID 127903582 © Teeradej Srikijvilaikul | Dreamstime.com
Lancet Infect Dis. 2019, doi.org/10.1016/S1473–3099(18)30736–9.
Verfasst am 24.05.2019.

Immer noch lesenswert

Kontinuierlich positiver Atemdruck

Das Atemnotsyndrom der Neugeborenen war in den 1960er Jahren trotz mechanischer Ventilation von ­einer hohen Mortalität gekennzeichnet. Die meist exzessiv hohen inspiratorischen Sauerstoffkonzentrationen führten zu entsprechenden Toxizitäten (u.a. Retinopathie, bronchopulmonale Dysplasie). Unter der Hypothese, dass Atelektasen mit konsekutiven sogenannten Rechts-Links-Shunts für einen Teil der schlechten Prognose und Oxygenierung verantwortlich waren, verwendeten Gregory und Mitarbeiter erstmals kontinuierlich positive Luftwegsdrucke («continuous positive airway pressure» [CPAP]) bei solchen Kindern, und zwar sowohl via endotrachealen Tubus als auch mittels einer Kopfmaske. Sie beobachteten, dass innerhalb von 12 Stunden die inspiratorische Sauerstoffkonzentration um 37,5% gesenkt werden konnte und dabei die Sauerstoffpartialdrucke im Blut trotzdem anstiegen. 16 der 20 zum Teil weniger als 1500 g wiegenden Neugeborenen überlebten. Der Nachsatz ist ebenfalls bemerkenswert: «Since submitting this report for publication, we have used CPAP to treat an additional 16 patients with severe IRDS («idiopathic respiratory distress syndrome»). All have survived.»
Thoraxröntgenbild eines 6 Tage alten Knaben mit Atemnotsyndrom. Bilaterale, teils retikuläre, teils flächige pulmonale Verschattungen. Das Mediastinum ist nach rechts verschoben. Trachealtubus, zentralvenöser Katheter rechts und Magensonde. Wir danken Herrn Prof. J. Heverhagen, Institutsdirektor, Radiologie, Inselspital in Bern, herzlich für die Erlaubnis, dieses Bild zu reproduzieren, und den Befundungskommentar.»
N Engl J Med 1971, doi:10.1056/NEJM197106172842401.
Verfasst am 24.05.2019.

Nicht ganz ernst gemeint

Fertigprodukte als Adipositasfaktoren

Nicht überraschend hat eine sofort die Laienmedien überflutende Studie gezeigt, dass, im Vergleich zu fast freiem Zugang zu Mahlzeiten mit Primärprodukten, Fertigprodukte («highly processed food») eine höhere Nahrungs- und Kalorienzufuhr (durchschnittlich satte, sic!, 500 kcal pro Tag bei einem maximalen Gesamtangebot bei beiden Diäten von etwa 3000 kcal/Tag) induzieren. Kurz und bündig wurde im «supplemental material» die farbige Fotodokumentation der offerierten Menus angeschaut. Auch wir (nicht adipös) hätten mit Sicherheit weniger Energie mit Primärprodukten aufgenommen, denn 4–5 Portionen Broccoli pro Woche entsprechen wahrscheinlich keiner Aversionsbehandlung im engeren Sinn, sind aber auch kein Aufsteller …
Cell Metabolism, 2019, doi.org/10.1016/j.cmet.2019.05.008.
Verfasst am 21.05.2019.

Das hat uns gefreut

Glücksmehrung durch soziale Medien?

Verpassen wir kurz und bündig etwas zum Lebensglück, wenn wir weiterhin auf soziale Medien wie Twitter oder Facebook verzichten? Nein – zumindest trifft dies entsprechend einer soziologischen Analyse nicht für Adoleszente zu. Der Gebrauch sozialer Medien (bei mehr als 12 000 zwischen 10–15-jährigen Engländer[inn]en) konnte nicht als relevanter Prognosefaktor für ein glücklicheres Leben identifiziert werden.
Verfasst am 24.05.2019.

Auch noch aufgefallen

Epidemiologie verschluckter Fremdkörper

Zwischen 1995 und 2015 wurden der Dokumentation («National Electronic Injury Surveillance System») zugänglich fast 760 000 Kinder unter sechs Jahren in den USA wegen eines verschluckten Fremdkörpers in Notfallstationen behandelt. Die jährliche Häufigkeit verdoppelte sich in diesem Zeitraum von 9 auf 18 pro 10 000 Kinder dieser Altersgruppe. Knaben waren häufiger betroffen (53%). Die Hitliste der verschluckten Fremdkörper ist: 1. Münzen (gut 60%), 2. Spielsachen (10%), 3. Schmuckwaren (7%) und 4. Batterien (v.a. Knopfbatterien, 7%).
Pediatrics 2019, doi:10.1542/peds.2018-1988.
Verfasst am 23.05.2019.

Die Leserecke

Herr und Frau Dres. Bastian und Karin Lindauer (Hittnau) weisen uns darauf hin, dass ein Fehler aufgetreten ist beim besprochenen Effekt regelmässiger Vorsorgeuntersuchung auf die Inzidenz der Zervixkarzinome [1] bei schwedischen Frauen. Es handelt sich nicht um die Reduktion von Adeno-, sondern von adenosquamösen Karzinomen, die eine Unterform der Plattenepithelkarzinome darstellen. Vielen Dank für diesen Hinweis!
1 Swiss Med Forum. 2019, doi.org/10.4414/smf.2019.08276.

Welches ist die wahrscheinlichste Diagnose?

Thoraxschmerzen nach Karate
Ein 40-jähriger Mann mit bis auf einen Nikotinkonsum völlig blander Vorgeschichte hatte im Karate-Training einen Fusstritt gegen den Brustkorb er­halten. Tags darauf konsultierte er mit starken Brustschmerzen einen Arzt, der Ibuprofen (ohne Besserung) verordnete. Nochmals einen Tag später suchte der Patient einen Notfall auf, kardiopulmonal stabil, aber mit starken, respiratorisch variablen ­Thoraxschmerzen, exazerbiert durch lokalen Druck. Das EKG zeigte inferolaterale ST-Hebungen, das Troponin I war deutlich erhöht.
Als Diagnose kommen in Frage (mehrere Antworten können richtig sein):
A) Pneumothorax
B) Aortendissektion
C) Myokarditis
D) Contusio cordis
E) Dissektion einer Koronararterie
F) Perikarditis

Antwort


Antworten B, D, E und (mittelbar F) sind hoch oben auf der Liste der Differentialdiagnose. Eine zufällig gleichzeitig aufgetretene Myokarditis wäre eine ungerechte Rarität, sodass sie als falsch herhalten muss (Schmerzen sind bei ihr aber nicht selten!). EKG und Troponin schliessen den Pneumothorax hinreichend sicher aus. Echokardiographisch fand man eine apikale Hypokinesie, aber keinen Perikarderguss. Das Thorax-Computertomogramm zeigte keine Aortendissektion. Eine Contusio cordis ist wohl die häufigste Folge stumpfer Thoraxtraumata, bei diesem Patienten fand man aber angiographisch eine exulzerierte Plaque in der linken Koronararterie mit einem mehr distal davon gelegenen, thrombotischen/thromboembolischen Verschluss (dilatiert und mit Stent versorgt). Nach 48 Stunden ergab der intrakoronare Ultraschall die Diagnose: Dissektion der linken Koronararterie beginnend bei der erwähnten Plaque (RIVA, Antwort E richtig). Keine weitere Intervention wurde als nötig erachtet. Eine Mitbeteiligung des Perikardes (Antwort F) als Folge des Infarktes ist möglich.
Verfasst am 24.05.2019.