Wenn Mastzellen krank machen
Anaphylaxieabklärung

Wenn Mastzellen krank machen

Übersichtsartikel
Ausgabe
2019/3132
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08324
Swiss Med Forum. 2019;19(3132):507-511

Affiliations
a Medizinische Onkologie und Hämatologie, Kantonsspital, Winterthur; b Hämatologie und Center of Excellence of the European Competence Network on Mastocytosis, Luzerner Kantonsspital, Luzern; c Pathologie und Molekularpathologie, UniversitätsSpital, Zürich; d Pathologie, Kantonsspital, Winterthur; ­e Allergologie/Dermatologie, Kantonsspital, Winterthur

Publiziert am 31.07.2019

In diesem Review wird anhand eines eindrücklichen Falles die Bedeutung von Diagnostik und Therapie der systemischen Mastozytose beschrieben.

Synkopenabklärung und ein auffälliger Hautbefund – ein Fall für die hämato­logische Sprechstunde?

Wir berichten über einen 30-jährigen Patienten, der an einem Sommertag nicht ansprechbar in seinem Auto am Strassenrand aufgefunden wurde. Bei Eintreffen des Rettungsdienstes bestand klinisch der Verdacht auf ­einen erlittenen Krampfanfall, zudem war im Rettungsdienstprotokoll ein auffälliger Hautbefund mit nicht wegdrückbaren Effloreszenzen vermerkt. Im Schockraum war der Patient hypoton, normokard, afebril, normal oxygeniert und normoglykäm. Klinisch zeigte sich ein GCS (Glasgow Coma Scale) von 9 Punkten (Augenöffnen auf Ansprache, keine verbale Antwort, gezielte Abwehr auf Schmerzreiz). Im Verlauf klarte der Patient rasch auf und war zur Person orientiert, zeitlich und örtlich aber weiterhin desorientiert. Er berichtete über ein flaues ­Gefühl beim Autofahren, für die weiteren Ereignisse ­bestand eine Amnesie. Ein MRI des Schädels und die Liquor­diagnostik fielen unauffällig aus. Während der folgenden Hospitalisation und eines Aufenthaltes in ­einer Epilepsie-Klinik wurde aufgrund eines irritativen temporalen Herdbefundes im EEG die Verdachtsdia­gnose einer Temporallappenepilepsie gestellt. Der Pa­tient wurde seither antiepileptisch behandelt.
Auf Initiative der Mutter des Patienten, die im Internet über die Symptome recherchiert hatte, erfolgte einige Monate nach oben genanntem Ereignis die Zuweisung in die hämatologische Sprechstunde. Der Patient berichtete, seit fünf Jahren wiederholt an Episoden mit einem Hitzegefühl, einer Hautrötung, Unwohlsein, Kribbeln am gesamten Körper, Dyspnoe, Herzrasen, Nausea und Bauchschmerzen gelitten zu haben. Ein klarer Auslöser konnte jeweils nicht eruiert werden, einmalig waren die Symptome während des Auftragens von Sonnencreme aufgetreten. Eine Bewusst­losigkeit war zuvor nie eingetreten. Seit der Jugend bestanden persistierende rotbraune Hautveränderungen vor allem am Oberkörper. Die vor einigen Jahren durchgeführten kardiologischen und dermatologischen Untersuchungen waren ohne erklärenden Befund ausgefallen.
Der Patient war ansonsten gesund, zwischen den genannten Episoden vollständig beschwerdefrei, nahm keine Medikamente ein und war im öffentlichen Personenverkehr tätig.
Klinisch fielen aktuell als einziger Befund disseminierte ovaläre rotbraune Makulae, vor allem am Rücken, auf. Nach kurzem Reiben der Haut zeigte sich eine deutliche Rötung und leichte Schwellung (Abb. 1).
Abbildung 1: Ovaläre rotbraune Makulae am Rücken (A). Urtikarielles Anschwellen der Läsionen nach kurzer Reibung (Darier-Zeichen, B).
Laborchemisch lag ein normales mikroskopisches ­Differentialblutbild vor. Aufgrund der klinisch bereits ­bestehenden Verdachtsdiagnose wurde die basale Tryptase im Serum bestimmt, die mit 52 µg/l (Norm <11 µg/l) deutlich erhöht ausfiel. Klinisch und laborchemisch erhärtete sich somit der Verdacht auf eine systemische Mastozytose mit kutaner Beteiligung, die in der Hautbiopsie bestätigt wurde. Zur weiteren Evaluation und Vervollständigung der Diagnostik wurden eine Knochenmarkaspiration und -biopsie durchgeführt, in der sich diffus verteilte Mastzellkonglomerate zeigten. Die Mastzellen wiesen morphologisch eine deutlich abgeschwächte zytoplasmatische Granulation und eine auffällige spindelförmige Gestalt auf. Ansonsten bestand eine normal ausreifende Myelopoiese mit ­einem leicht gesteigerten Zellgehalt und einer Eosinophilie (Abb. 2).
Abbildung 2: A) Deutlich hypogranuläre atypische Mastzelle (Knochenmarkaspirat, MGG-Färbung, x500). B) Atypische spindelförmige Mastzelle (Knochenmarkaspirat, MGG-Färbung, x500). C) Neoplastische knotige (Pfeile) spindelzellige Mastzellproliferation mit bei­gemischten eosinophilen Granulozyten (Knochenmarkbiopsie, HE, ×50, inset ×400). D) Immunhistochemische CD117-Expression der neoplastischen Mastzellen (Knochenmarkbiopsie, ×400).
In der FACS-Analyse («fluorescence activated cell sorting», Durchflusszytometrie) konnte eine aberrante, d.h. auf normalen Mastzellen nicht vorhandene Expression des CD25-Antigens (Interleukin-2 receptor subunit alpha) nachgewiesen werden. Molekularpatho­logisch zeigte sich eine Punktmutation im Codon 816 des KIT-Gens, mit einem Ersatz der Aminosäure Aspartat durch Valin (KITp.D816V) (Abb. 3–4).
Abbildung 3: Allel-spezifische PCR. Oben: WT-spezifische KIT-Primer: In beiden Kolonnen (Patient und Wildtyp-Kon­trolle) zeigt sich eine Amplifikation des Wildtyp-KIT. Unten: p.D816V-mutationsspezifische KIT-Primer: In der Kolonne des Patienten kann im Gegensatz zur Kolonne der Wildtyp-Kon­troll-DNA eine Bande nachgewiesen werden.
Abbildung 4: Sanger-Sequenzierung. Oben: Wildtyp-Kontroll-DNA. Unten: DNA des Patienten mit Nachweis geringer Anteile an DNA mit der Codon 816-Punktmutation GAC zu GTC, die im KIT-Protein den Austausch der Aminosäure Aspartat (D) durch Valin (V) bewirkt.
Sonographisch fiel eine mässige Splenomegalie mit ­einem Milzdurchmesser von 13,4 cm und einem Volumen von 425 ml auf. In der Osteodensitometrie zeigte sich eine Osteopenie der LWS bei einer ansonsten regelrechten Knochendichte.
Zusammenfassend konnte die Diagnose einer indolenten systemischen Mastozytose als Ursache der rezidivierenden Symptomatik gestellt werden.

Einleitung

Mastzellen entstehen im Knochenmark aus pluripotenten hämatopoietischen Stammzellen und reifen im peri­pheren Bindegewebe aus. Die Entwicklung der Mastzellen wird über die Rezeptor-Tyrosinkinase KIT (ein Zellmembranprotein, Synonym CD117 oder Stammzellfaktor-Rezeptor) reguliert und durch seinen Liganden, den Stammzellfaktor, aktiviert [1]. Die Mastzelldegranulation kann einerseits IgE-vermittelt (allergenspezifisch, Soforttypallergie), andererseits IgE-unabhängig erfolgen (z.B. Komplement/Komplementrezeptoren; Chinolone an MRGPR [Mas-related G protein-coupled receptor]; Lidocain unbekannter ­Mechanismus). Nach Aktivierung werden vasoaktive Stoffe wie Histamin, Serotonin, Tryptase, Heparin, ­Zytokine und Prostaglandine freigesetzt, welche zu Systemreaktionen führen können [1, 3].
Die Mastozytose ist gemäss der WHO-Klassifikation 2016 eine eigenständige Entität hämatopoietischer Neoplasien.

Klinik und Diagnostik

Die Mastozytose manifestiert sich mit einer klonalen neoplastischen Proliferation von abnormen Mastzellen, die sich in der Haut (kutane Mastozytose) oder seltener im Knochenmark oder anderen extrakutanen Organen (systemische Mastozytose) ansammeln [2, 3, 5, 6]. Die abnormen Mastzellen zeigen unterschiedliche Formen, verminderte und ungleich verteilte zytoplasmatische Granula und atypisch geformte spindelförmige Zellkerne [2]. Die Ursache der klonalen neoplastischen Mastzellproliferation ist in den meisten Fällen eine ­somatische «Gain-of-function»-Punktmutation des KIT-Rezeptors im Codon 816 [1–6].
Die Diagnose einer systemischen Mastozytose kann gemäss WHO-Klassifikation 2016 gestellt werden, wenn das Hauptkriterium und ein Nebenkriterium oder drei von vier Nebenkriterien erfüllt sind (­Tab. 1).
Tabelle 1: Haupt- und Nebenkriterien gemäss WHO-Klassifikation 2016 (adaptiert nach [6]).
HauptkriteriumNachweis multifokaler Mastzellinfiltrate, d.h. mindestens 15 zusammenliegende Mastzellen im Knochenmark und/oder anderen extrakutanen Organen
Nebenkriterien>25% unreife oder atypische Mastzellen im Knochenmark­ausstrich oder in anderen extrakutanen Organen
Nachweis einer KIT-Punktmutation im Codon 816 in Mastzellen aus dem Knochenmark, dem Blut oder anderen extrakutanen Organen
Mastzellen aus Knochenmark, Blut oder anderen extrakutanen Organen exprimieren CD25 mit oder ohne CD2 neben den normalen Mastzellmarkern
Tryptase im Serum persistierend >20 µg/l
Eine erhöhte Tryptase im Serum liegt bei praktisch allen Patienten mit einer systemischen Mastozytose vor und gilt als Screening-Parameter, genügt aber nicht zur Diagnosestellung. Ein Normalwert schliesst eine systemische Mastozytose nicht aus.
Bei unserem Patienten sind somit das Hauptkriterium und alle vier Nebenkriterien erfüllt.
Typisch sind die durch Mastzellinfiltrate in der Haut ­bedingten kleinfleckigen makulopapulösen hyper­pigmentierten Hautveränderungen. Bei mechanischer Haut­reizung zeigt sich eine urtikarielle Rötung (Darier-Zeichen) [3]. Ein auffälliger Hautbefund ist aber nicht bei allen Patienten vorhanden (Knochenmark-Mastozytose) [1, 6].
Bei den systemischen Mastozytosen, die vor allem bei Erwachsenen zwischen dem 30. bis 50. Lebensjahr dia­gnostiziert werden, gibt es indolente, «smouldering» und aggressive Formen. Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen. Die Lebenserwartung von Patienten mit einer indolenten systemischen Mastozytose ist nicht eingeschränkt [1]. Sehr selten geht die indolente Form in eine aggressive systemische Mastozytose über, die Progression kann dabei langsam oder rasch eintreten.
Zudem kommt die Kombination einer systemischen Mastozytose und einer assoziierten hämatologischen Neoplasie vor, seltener ist die Mastzellleukämie [4]. Bei ≥10% Mastzellen im peripheren Blut und/oder ≥20% im Knochenmarkaspirat liegt eine Mastzellleukämie vor. Eine weitere Krankheitsentität der Mastozytose ist das Mastzellsarkom [1–6].
Die detaillierte Beschreibung der Unterformen der systemischen Mastozytosen und der entsprechenden diagnostischen Kriterien sind in Tabelle 2 dargestellt.
Tabelle 2: Unterformen der systemischen Mastozytose (adaptiert nach [6]).
Unterformen 
der systemischen 
MastozytoseDiagnosekriterien
Bei allen Unterformen: Diagnosekriterien der systemischen Mastozytose erfüllt (gemäss Tabelle 1)
Indolente systemische MastozytoseKeine C-Kriterien vorhanden (gemäss Tabelle 3)
Kein Nachweis einer assoziierten hämatologischen Neoplasie
Niedrige Mastzelllast
Hautläsionen meist vorhanden
Knochenmark-­MastozytoseWie oben, ausser:
Nachweis einer Knochenmarkinfiltration
Keine Hautläsionen
«Smouldering» systemische Mastozytose≥2 B-Kriterien, keine C-Kriterien (gemäss Tabelle 3)
Kein Nachweis einer assoziierten hämatologischen Neoplasie
Hohe Mastzelllast
Systemische Masto­zytose mit assoziierter hämatologischer ­NeoplasieNachweis einer assoziierten hämatologischen Neoplasie (z.B. myelodysplastisches Syndrom, myelo­proliferative ­Neoplasie, akute myeloische Leukämie, Lymphome)
Aggressive systemische Mastozytose≥1 C-Kriterium (gemäss Tabelle 3)
Meist ohne Hautläsionen
MastzellleukämieKnochenmarkbiopsie: diffuse Infiltrate von atypischen ­unreifen Mastzellen
Knochenmarkaspirat: ≥20% Mastzellen
Klassische Form: ≥10% Mastzellanteil der Leukozyten im ­peripheren Blut
Häufiger: aleukämische Form (<10% Mastzellanteil der Leukozyten im ­peripheren Blut)
Meist ohne Hautläsionen
Bei der «smouldering» und der aggressiven systemischen Mastozytose liegt im Unterschied zu der indolenten Form ein Organbefall durch die Mastzellinfiltration mit oder ohne Einschränkung der Organfunktion vor. Es werden dabei B- und C-Kriterien unterschieden. «B» steht dabei für die Krankheitslast (burden of disease). Zu den B-Kriterien, von denen bei der Unterform der «smouldering» systemischen Mastozytose mindestens zwei vorliegen müssen, zählen eine hohe Mastzelllast, Zeichen einer Dysplasie oder Myeloproliferation in Nicht-Mastzelllinien, jedoch ohne definitive Diagnose einer assoziierten hämatologischen Neoplasie, eine Hepatomegalie ohne Einschränkung der Organfunktion, eine Splenomegalie ohne Hypersplenismus und eine Lymphadenopathie. Eine aggressive systemische Mastozytose wird durch die C-Kriterien definiert. «C» steht für die Notwendigkeit einer zyto­reduktiven Therapie (cytoreduction-requiring). Zu den C-Kriterien gehören eine eingeschränkte Knochenmarkfunktion mit mindestens einer Zytopenie, eine Hepatomegalie mit einer eingeschränkten Leberfunktion, Aszites und/oder portaler Hypertonie, eine Splenomegalie mit ­Hypersplenismus, eine Skelettbeteiligung mit Osteo­lysen und eine Malabsorption mit Gewichtsverlust [2, 4, 5, 6]. Die B- und C-Kriterien sind detailliert in Tabelle 3 aufgelistet.
Tabelle 3: B- und C-Kriterien der systemischen Mastozytose (B steht für «burden of disease»; C für «cytoreduction-requiring») (adaptiert nach [6]).
B-KriterienHohe Mastzelllast: Knochenmarkbiopsie mit >30% Mastzellen, Serum-Tryptase >200 μg/l
Zeichen einer Dysplasie oder Myeloproliferation in Nicht-Mastzelllinien (aber fehlende Diagnose einer assoziierten hämatologischen Neoplasie)
Hepatomegalie ohne Einschränkung der Leberfunktion, ­Splenomegalie ohne Hypersplenismus, und/oder Lymphadenopathie
C-KriterienKnochenmarkdysfunktion durch neoplastische Mastzellinfiltration mit ≥1 Zytopenie: Hämoglobin <100 g/l, Thrombozyten <100 G/l, neutrophile Granulozyten <1,0 G/l
Hepatomegalie mit eingeschränkter Leberfunktion, Aszites und/oder portaler Hypertonie
Skelettbeteiligung mit Osteolysen mit/ohne pathologische Frakturen
Splenomegalie mit Hypersplenismus
Malabsorption mit Gewichtsverlust aufgrund einer ­gastrointestinalen Mastzellinfiltration
Als Trigger einer Mastzelldegranulation kommen Hyme­nopterenstiche, Temperaturwechsel, zum Beispiel bei einem heissen Bad oder einem Sprung in kaltes Wasser, Infekte, emotionaler Stress, körperliche Anstrengung, mechanische Reize, Nahrungsmittel wie Käse, Schokolade und Alkohol, Medikamente wie Opiate, NSAR, Kontrastmittel, Narkosemittel und Muskelrelaxanzien in Frage. Durch die ausgeschütteten Mastzell­mediatoren können Juckreiz, Flush, Urtikaria, Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfe, Diarrhoe, Hypotonie, Synkopen, Tachykardie, neurologische Sym­ptome wie ­Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Arthral­gien, Myalgien und schwergradige anaphylaktische Reak­tionen auftreten [1, 3, 4].
Unterschieden wird die systemische Mastozytose von einem Mastzellaktivierungssyndrom mit reaktiv an Anzahl und Aktivität vermehrten Mastzellen, eine klonale neoplastische Vermehrung von Mastzellen liegt dabei aber nicht vor. Es kommt zu gleichartigen Sym­ptomen, die diagnostischen Kriterien einer systemischen Mastozytose sind aber nicht erfüllt [3].

Therapie der systemischen Mastozytose

Eine kurative Therapie ist bisher nicht vorhanden, die Behandlung ist symptomorientiert und zytoreduktiv bei aggressiven Formen [2]. Oben genannte Trigger ­einer Mastzelldegranulation sollten vermieden werden. Falls eine Anwendung unumgänglich ist, muss eine Prämedikation mit Antihistaminika und Glukokortikoiden ­erfolgen. Die Patienten sollten aufgrund des erhöhten Risikos für eine schwergradige anaphylaktische Reak­tionen, zum Beispiel nach einem Hymenopterenstich, ein Notfallset mit einem Antihistaminikum und Glukokortikoid sowie einem Adrenalin-Autoinjektor mit sich tragen. Zur Prophylaxe Mastzelldegranulations-induzierter Symptome wird die tägliche Einnahme eines nicht-sedierenden H1-Blockers (z.B. Cetirizin oder Desloratadin) empfohlen. Bei gastrointestinalen Symptomen kann zusätzlich ein H2-Blocker verordnet werden (z.B. Ranitidin). Glukokortikoide (z.B. Budesonid) können bei häufigen anaphylaktischen Reaktionen, Diarrhoe, ­Malabsorption und Aszites helfen [3]. Bei aggressiven Formen ist eine zytoreduktive Therapie nötig, wobei diesbezüglich bisher nur wenige, nicht randomisierte Studien mit kleinen Fallzahlen durchgeführt wurden [1]. Als Erstlinientherapie können bei langsam progredienten Verläufen Interferon-α oder Cladribin (ein Desoxy­adenosin-Analogon) off-label eingesetzt werden. Bei schnell progredienten Formen werden Cladribin oder der Tyrosinkinaseinhibitor Midostaurin (Rydapt®, zugelassen für fortgeschrittene systemische Mastozytosen) sowie Kombinationschemotherapien mit allogener häma­topoietischer Stammzelltransplantation diskutiert. Der Tyrosinkinaseinhibitor Imatinib ­(Glivec®), der an KIT bindet, ist bei der p.D816V-KIT-Punktmutation, die bei der systemischen Mastozytose am häufigsten zugrunde liegt, nicht wirksam [2–6].
Bei unserem Patienten traten unter einer hochdosierten H1-Antihistaminikum-Medikation (Desloratadin 3 × 5 mg/Tag) im Verlauf erneut zweimalig Episoden mit Unwohlsein und Schwindel auf, welche jedoch nach Einnahme der oben beschriebenen Notfallmedikamente rasch regredient waren. Unter dieser medi­kamentösen Therapie schätzen wir das Risiko eines ­erneuten Auftretens von systemischen Mastzelldegra­nu­lationssymptomen als sehr gering ein, weshalb wir die Arbeits­aufnahme des Patienten im öffentlichen Personenverkehr unterstützen.
Das klinische Bild einer systemischen Mastozytose ist sehr heterogen und unspezifisch, die Liste der Differentialdiagnosen lang und die Diagnosestellung somit wie bei unserem Patienten nicht einfach. Bei Anaphylaxie, Synkope, Flush, Pruritus bzw. bräunlichen Hautveränderungen und Urtikaria sowie bei ungeklärten gastrointestinalen Beschwerden und Kopfschmerzen sollte immer an eine systemische Mastozytose oder persistierende Hypertryptasämie gedacht werden. Die Tryptase im Serum gilt als Screening-Parameter, ein erhöhter Wert ist für die Diagnosestellung nicht ausreichend und ein normaler Wert schliesst eine systemische Mastozytose nicht aus. Die Diagnosesicherung erfolgt mittels Knochenmark- und molekulargenetischer Untersuchung. Eine Osteoden­sitometrie ist nach erfolgter Diagnosestellung sinnvoll. Bei gastrointestinalen Symptomen mit vor allem Diarrhoe sollte eine Koloskopie mit Biopsieentnahme durchgeführt werden. Dabei wird eine Mastzellinfiltration des Kolons häufig als eosinophile Kolitis fehl­diagnostiziert.
Neben klinischen Kontrollen sollten regelmässige ­Bestimmungen der Serum-Tryptase und des Differentialblutbildes durchgeführt werden, um den Verlauf der indolenten systemischen Mastozytose und einen eventuellen Übergang in eine aggressive Form zu beurteilen.

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei Anaphylaxie, Synkope, Flush, Pruritus bzw. bräunlichen Hautveränderungen und Urtikaria sowie bei ungeklärten gastrointestinalen Beschwerden und Kopfschmerzen sollte immer an eine systemische Mastozytose gedacht werden.
• Die Tryptase im Serum gilt als Screening-Parameter, ein erhöhter Wert ist für die Diagnosestellung nicht ausreichend und ein normaler Wert schliesst eine systemische Mastozytose nicht aus.
• Zur Diagnosesicherung ist eine Knochenmark- und molekulargenetische Untersuchung sowie eine Erfüllung der diagnostischen Kriterien der WHO-Klassifikation 2016 nötig.
• Die Therapie erfolgt symptomorientiert. Mit dem Tyrosinkinaseinhibitor Midostaurin steht bei fortgeschrittenen systemischen Mastozytosen eine neue Therapieoption zur Verfügung.
• Wichtig ist die Ausrüstung mit Notfallmedikamenten und einem Adrenalin-Autoinjektor sowie eine Abklärung vor operativen/zahnärztlichen Eingriffen. Es besteht ein erhöhtes Risiko für schwergradige Reaktionen nach Hymenopterenstichen, auch bei Nichtallergikern.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Jeroen S. Goede
Medizinische Onkologie
und Hämatologie
Kantonsspital Winterthur
Brauerstrasse 15
CH-8401 Winterthur
jeroen.goede[at]ksw.ch
1 Theoharides TC, Valent P, Akin C. Mast cells, mastocytosis and related disorders. N Engl J Med. 2015;373(2):163–72.
2 Pardanani A, Tefferi A. Systemic mastocytosis in adults: 2017 update on diagnosis, risk stratification and management. Am J Hematol. 2016;91(11):1146–59.
3 Horny HP, Sotlar K, Valent P, Hartmann K. Die Mastozytose. Dtsch Arztebl. 2008;105(40):686–92.
4 Valent P, Sperr WR, Akin C. How I treat patients with advanced systemic mastocytosis. Blood. 2010;116:5812–17.
5 Valent P, Akin C, Metcalfe DD. Mastocytosis: 2016 updated WHO classification and novel emerging treatment concepts. Blood. 2017;129(11):1420–27.
6 Swerdlow SH, Campo E, Harris NL, Jaffe ES, Pileri SA, Stein H, et al. WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues. Revised 4th ed. International Agency for Research on Cancer; 2017.