Akute Oxalat-Nephropathie bei chronischer Pankreatitis
Akutes Nierenversagen als Erstmanifestation

Akute Oxalat-Nephropathie bei chronischer Pankreatitis

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08342
Swiss Med Forum. 2019;19(5152):833-835

Affiliations
Kantonsspital St. Gallen:
a Klinik für Allgemeine Innere Medizin; b Klinik für Nephrologie/Transplantationsmedizin; c Institut für Pathologie

Publiziert am 18.12.2019

Ein 85-jähriger Patient stellte sich auf der Notaufnahme vor, da er wegen rezidivierenden Erbrechens seit etwa vier Tagen nicht mehr essen und nur geringe Mengen trinken konnte.

Hintergrund

Die chronische Oxalat-Nephropathie ist eine bekannte Komplikation einer chronischen Pankreatitis. Im Gegensatz dazu wurde die akute Oxalat-Nephropathie viel seltener in Zusammenhang mit einer chronischen Pankreatitis beschrieben, kann jedoch zu einem oft irre­versiblen akuten Nierenversagen führen. Da zu den Risikofaktoren neben einer vorbestehenden Nierenschädigung auch akut prärenale Zustände zählen, ist bei suggestiver Anamnese die Gefahr gegeben, eine Fehldiagnose aufgrund der häufigeren Ursache zu stellen.

Fallbericht

Anamnese und Status

Der 85-jährige Patient stellte sich auf der Notaufnahme vor, da er wegen rezidivierenden Erbrechens seit etwa vier Tagen nicht mehr essen und nur geringe Mengen trinken konnte. Vorangehend sei es bereits seit etwa einem Monat zu einer deutlichen Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit Diarrhoe und Erbrechen gekommen. Eine schleichende Verschlechterung sei schon seit etwa einem halben Jahr aufgefallen, ins­besondere durch eine Veränderung des Geschmacksempfindens.
In der Anamnese fiel eine hohe Stuhlfrequenz (alle drei Stunden) auf, wobei der Stuhl als breiig ohne Blutbeimengung und ohne faulen Geruch beschrieben wurde. Es bestand keine Dysurie oder Pollakisurie, die Urinportionen hätten jedoch in den letzten 14 Tagen deutlich abgenommen. In den letzten eineinhalb Jahren sei es zu ­einem unbeabsichtigten Gewichtsverlust von ca. 30 kg gekommen, in den letzten zwei Tagen aber zu einer Zunahme um 2,5 kg, einhergehend mit einer leichten symmetrischen Beinschwellung. Eine B-Symptomatik wurde verneint. In der Reiseanamnese war ein Urlaub in Sizilien bis zwei Wochen vor der Präsentation auf der Notaufnahme eruierbar. Der Patient ist Nichtraucher, der Konsum von Alkohol und anderen Drogen wurde verneint.
Als Vorerkrankungen bekannt sind ein Diabetes mellitus Typ 2, eine arterielle Hypertonie, ein Vorhofflimmern und eine chronische Niereninsuffizienz CKD («chronic kidney disease») G3a. Zur regelmässigen Medikation gehören Aspirin®, Biso­prolol, Lisinopril, Janumet® und Insulin Novomix 30. Nichtsteroidale Antirheumatika hat der Patient nicht eingenommen.
Der betagte, jedoch rüstig wirkende und afebrile (36,4 °C) Patient mit einem Body-Mass-Index von 22,8 kg/m² präsentierte sich in deutlich reduziertem Zustand. Es bestand eine Hypotonie (100/47 mm Hg) mit normalem, rhythmischem Puls (67/min) und eine regelrechte Oxygenation (SpO2 98% unter Raumluft). In der klinischen Untersuchung zeigte sich der Patient kardiopulmonal kompensiert und neurologisch unauffällig. Es bestanden Zeichen der Exsikkose mit ausgetrockneter Mundschleimhaut, leeren Jugularvenen und vermindertem Hautturgor. Keine Petechien. Abdominell palpatorisch gab es keine Resistenzen, jedoch eine Druckdolenz im Epigastrium. Sichtbar waren leichte Unterschenkelödeme beidseits. Die digital-rektale Untersuchung war unauffällig. Die vom Patienten bereits beschriebene Abnahme der Urinausscheidung bestätigte sich, die Diurese lag bei 25 ml innerhalb von drei Stunden. Sonographisch wurde eine postrenale Stauung ausgeschlossen.

Diagnostik

Im initialen Labor fielen in erster Linie stark erhöhte Werte von Kreatinin (1253 µmol/l) und Harnstoff (48 mmol/l) auf. Passend dazu bestand eine schwere metabolische Azidose (pH 7,03, CO₂ 2,28 kPA, HCO3 4,3 mmol/l, Lactat 1,0 mmol/l). CRP (9 mg/l) und Elek­trolyte waren unauffällig. ALT (57 U/l) und ALP (129 U/l) lagen minim über dem Referenzbereich, Bilirubin, AST, GGT und α-Amylase waren nicht erhöht. Im Blutbild zeigte sich bei normalen Leukozyten (7,3 G/l) eine hyporegenerative, normochrom-makrozytäre Anämie (Hb 76 g/l, MCH 31 pg; MCHC 309 g/l, Retikulozyten 2%) und eine milde Thrombopenie (133 G/l). Der Urinstatus zeigte keine relevante Erythrozyturie, eine gering­gradige Leukozyturie konnte bei gleichzeitig massenhaft Plattenepithelien durch Kontamination erklärt werden. In der Urinchemie zeigte sich ein konzentrierter Urin (Dichte 1,018 kg/l, Kreatinin 12,4 mmol/l) mit verhältnismässig niedrigem Natrium (38 mmol/l) und Harnstoff (141 mmol/l). Der Protein-/Kreatinin-Quo­tient betrug 222 mg/mmol.

Erste Einschätzung und Therapie

Aus diesen Werten ergab sich eine fraktionierte Harnstoffexkretion von 30%, so dass in Zusammenschau mit der Anamnese und den klinischen Befunden von einer prärenalen Genese des akuten Nierenversagens auf Basis einer vorbestehenden diabetischen Nephropathie ausgegangen wurde. Aufgrund der Thrombozytopenie und Anämie erfolgte der Ausschluss einer thrombotischen Mikroangiopathie (Haptoglobin und LDH normal, Fragmentozyten einmalig 1,4%, danach rasch <0,5%, ADAMS-TS-13-Aktivität jedoch im Normbereich) und einer autoimmun-hämolytische Anämie (negativer Coombs-Tests). Der Patient wurde initial in­travenös hydriert und die antihypertensive Therapie mit Lisinopril wurde pausiert.
Aufgrund des Gewichtsverlustes von 30 kg wurde parallel ein hämato-onkologisches Workup in die Wege geleitet.

Verlauf und weitere Diagnostik

Ein multiples Myelom konnte ausgeschlossen werden. Die Gastro-/Koloskopien zeigten keinen Hinweise auf ein Malignom, es wurde jedoch gastroskopisch ein ­Barett-Ösophagus nachgewiesen und koloskopisch wurde vier Polypen ohne höhergradige Dysplasie abgetragen. Hinweise auf Sprue, Morbus Whipple, Lamblien oder mikroskopische Kolitis konnten nicht gefunden werden.
In der Abdomen-Sonographie zeigte sich ein «double-duct-sign» (Dilatation des Ductus hepaticus communis und Ductus pancreaticus auf je 9 mm) sowie eine Inhomogenität des Pankreas, so dass Verdacht auf eine Pankreatikolithiasis mit Abflusshindernis bestand. Eine Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP) mit Sekret­stimulation zeigte zwei Konkremente im distalen Ductus pancreaticus mit deutlicher Dilatation, ­wobei jedoch der Sekretabfluss unbeeinträchtigt war und unter Sekretinstimulation keine Beschwerden auftraten. Eine ergänzende Endosonographie bestätigte den Verdacht einer chronischen kalzifizierenden Pan­kreatitis. Als Ursache wurde eine chronische intermit­tierende Obstruktion des Ductus pancreaticus gesehen. Zusätzlich bestand eine exokrine Pankreasinsuffizienz (Pankreas-Elastase <50 µg/g, Norm >200 µg/g). Bei einer Wiederholung der Stuhlanamnese mit gezielter Frage nach der Stuhlfarbe gab der Patient an, dass sein Stuhl in den letzten Wochen sehr hell gewesen sei. Da ihm dieses Detail nicht wichtig erschienen war, hatte er es im ersten Anamnesegespräch nicht erwähnt.
Seit dem Spitaleintritt war keine Diarrhoe mehr aufgetreten, und der Volumenstatus des Patienten hatte sich normalisiert. Zwar hatte wieder eine normale Diurese eingesetzt, jedoch kam es zu einem weiteren Anstieg der Retentionsparameter, so dass am dritten Tag der Hospitalisation eine intermittierende Hämodialyse begonnen werden musste und die Indikation zur Nieren­biopsie gestellt wurde.
Hier zeigte sich als Korrelat der vorbekannten, chronischen diabetischen Nephropathie interstitiell eine Fibrose mit Tubulusatrophie (zirka 50%). Vier von 22 Glomerula waren global sklerosiert und verödet, in den übrigen Glomerula bestanden eine geringgradige, teils segmentale Sklerose, leichte Kollapsveränderungen ­sowie Kapselfibrose. Daneben fanden sich jedoch fortgeschrittene Zeichen der Tubulusepithelschädigung mit Nachweis zahlreicher intratubulärer doppeltlichtbrechender, kristalloider Einlagerungen, fokal mit granulomatöser peritubulärer Reaktion bei Kristallextravasation (Abb. 1).
Abbildung 1: Akute Oxalat-Nephropathie. Kalziumoxalat-Kristalle verursachen eine ­De­struktion der Tubuli mit granulomatöser Reaktion.

Diagnose und Therapie

Es konnte somit eine Kombinationsschädigung im Sinne einer Kristallnephropathie vom Typ einer sekundären Oxalose in Kombination mit einer vorbestehenden chronischen Nephropathie festgestellt werden.
Zusammenfassend ist es bei diesem Patienten mit bereits vorbestehender CKD G3a im Rahmen einer chronischen Pankreatitis mit exokriner Pankreasinsuffizienz zu einer akuten Oxalat-Nephropathie mit in der Folge dialysebedürftigen Nierenversagen gekommen.
Es wurde eine Enzymsubstitution mit Creon® begonnen und dem Patienten zur Oxalat-Bindung CaCO3 verabreicht. Obwohl auch in der Folge eine ausreichende ­Di­urese erreicht werden konnte, war die Nierenfunktion mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 6 ml/min auch im Verlauf so gering, dass der Patient weiterhin Hämodialyse-bedürftig blieb.

Diskussion

Die einer Oxalat-Nephropathie zugrunde liegende metabolische Störung ist die Hyperoxalurie, definiert als Oxalurie >0,45 mmol/24 Stunden. Normalerweise werden im Darm nur 10% des mit der Nahrung zu­geführten Oxalats resorbiert, da der grösste Teil mit Kalzium komplexiert und mit dem Stuhl ausgeschieden wird. Bei exokriner Pankreasinsuffizienz kommen mehrere ungünstige Faktoren zusammen (Abb. 2): Nicht resorbierte Fettsäuren im Darmlumen binden Kalzium, womit eine grössere Menge ungebundenes Oxalat resorbiert werden kann. Daneben erhöhen freie Fettsäuren die Permeabilität der Kolonmukosa für Oxalat um bis zu 40% [1]. Die erhöhte Resorption führt zu einem erhöhten Plasmaspiegel des Oxalats und damit zu einer erhöhten renalen Ausscheidung. Speziell bei gleichzeitiger Diarrhoe und damit einhergehender Dehydratation mit Produktion eines konzentrierten Urins kommt es rasch zu einer Überschreitung der Löslichkeit und zur Ausfällung von Oxalat-Kristallen in den Tubuli mit Destruktion der histologischen Struktur.
Abbildung 2: Pathomechanismen der akuten Oxalat-Nephropathie bei Pankreasinsuffizienz.
Therapeutisch ist daher von Bedeutung, einerseits eine Hypovolämie zu verhindern und andererseits das resor­bierbare Oxalat im Darmlumen zu reduzieren; letzteres wird erreicht mit einer Enzymsubstitution der exokrinen Pankreasinsuffizienz, einer kalziumreichen Diät sowie gegebenenfalls Kalziumcarbonat als Oxalat-Binder.
Prognostisch lassen sich betroffene Patienten je nach Ausmass eines eventuell vorbestehenden Nierenschadens und des Diuresestatus bei der Präsentation in zwei Gruppen unterteilen [2]: Patienten mit einer ­vorgängig normalen Nierenfunktion und erhaltener Diurese bei der Präsentation haben gute Chancen, im Verlauf wieder eine ausreichende Nierenfunktion zu erlangen, auch wenn intermittierend ein Nierenersatzverfahren benötigt wird. Im Falle einer vorbestehenden chronischen Niereninsuffizienz oder mit initialer Anurie ist in über der Hälfte der Fälle mit einer dauerhaften Dialysebedürftigkeit zu rechnen.

Das Wichtigste für die Praxis

• Die akute Oxalat-Nephropathie ist eine seltene Komplikation einer chronischen Pankreatitis und kann zu einem irreversiblen akuten Nierenversagen führen. Das frühzeitige Erkennen der Ursache ist entscheidend, da eine rasche Therapie für die Langzeitprognose zentral wichtig ist.
• Bei noch nicht bekannter Pankreatitis besteht die Gefahr, das Nierenversagen fälschlicherweise als prärenal einzustufen.
• Eine ausführliche Anamnese und explizite Fragestellung nach allen Stuhlqualitäten kann die seltene Ursache hervorheben und dadurch die Therapie in die richtige Richtung steuern.
Diana Marinescu, dipl. Ärztin
Klinik für Innere Medizin
Spital Altstätten
F.-Marolani-Strasse 6
CH-9450 Altstätten
ancadiana.marinescu[at]srrws.ch
1 Robijn S, Hoppe B, Vervaet BA, D’Haese P, Verhulst A. Hyperoxaluria: a gut kidney axis? Kidney Int. 2011;80(11):1146–58.
2 Cartery C, Faguer S, Karras A, Cointault O, Buscail L, Modesto A, et. al. Oxalate Nephropathy Associated with Chronic Pancreatitis. CJASN. 2011;6(8):1895–902.