Im Primär-Screening des Prostatakarzinoms wird das prostataspezifische Antigen (PSA) häufig verwendet. Es kann, wenn sich Patient und Arzt der ungelösten Fragen bewusst bleiben, als Screening-Biomarker hilfreich sein. 5-alpha-Reduktase-Hemmer werden zur Verlangsamung des Prostatawachstums bei Prostatahyperplasie wahrscheinlich häufig eingesetzt, wenn auch genaue Zahlen für die Schweiz nicht eruierbar sind. Diese Medikamente halbieren in etwa die Serumkonzentration des PSA. Verpasst man dadurch Prostatakarzinome und/oder sind die krebsspezifischen Verläufe dadurch schlechter? Eine Kohortenstudie in den USA untersuchte knapp 81 000 Männer, bei denen zwischen 2001 und 2015 ein Prostatakarzinom diagnostiziert wurde, die Nachbeobachtung wurde Ende 2017 abgeschlossen. Bei Patienten unter 5-alpha-Reduktase-Behandlung wurde das Prostatakarzinom im Schnitt mehr als zwei Jahre später diagnostiziert als ohne eine solche Behandlung. Die Karzinome waren zudem von einem aggressiveren Typ und weiter fortgeschritten. Das Risiko der Patienten mit vorbestehender Behandlung, an den spezifischen Folgen des Prostatakarzinoms zu versterben, war ca. 40% höher (sog. «hazard ratio» 1,39, p<0,001). Ebenso war die Gesamtmortalität erhöht.
Die Studie ist ein indirekter Hinweis auf den Nutzen des PSA-Screenings, vor allem aber ein wichtiger Warnhinweis, sich bei so vorbehandelten Patienten nicht auf die üblichen Normwerte des PSA zu verlassen. Auch sollte dies wohl Thema der Diskussion mit den Patienten sein, wenn eine 5-alpha-Reduktase-Therapie erwogen wird.
Verfasst am 16.06.2019, auf Hinweis von Prof. R. Herrmann (Basel).
Asthma bronchiale, gleich mehrmals
Gemäss aktuellen Behandlungsempfehlungen werden für das milde, intermittierende Asthma bronchiale (siehe Definition in Tabelle 1) kurz wirksame Beta-2-Agonisten (SABAs), beim persistierenden, milden Asthma chronisch inhalative Glukokortikoide empfohlen. In der Realität scheint die Compliance aber schlecht zu sein und Patient(inn)en bevorzugen von sich aus den Gebrauch der SABAs, eine Taktik, die man mit den Glukokortikoiden eben einschränken wollte. Schon vor einem Jahr zeigten die auch hier besprochenen SYGMA-1- und -2-Studien, dass beim milden, persistierenden Asthma die bedarfsgesteuerte Glukokortikoid-/Beta-2-Agonist-Inhalation (Budenosid/Formoterol) in der Verhinderung von Exazerbationen gleich gut wie chronische Glukokortikoidinhalationen waren, wenn auch die spirometrisch gemessene Asthmakontrolle unter letzterer Therapie besser geblieben war [1, 2]. Nun findet eine Studie, dass die Häufigkeit eines eosinophilen Asthmas (nach Massgabe der Sputum-Eosinophilie von >2%) nur bei einem Viertel der Patient(inn)en mit mildem, persistierendem Asthma vorliegt. Diese Patient(inn)en scheinen von der chronischen Glukokortikoidinhalation erwartungsgemäss zu profitieren, bei allen anderen (= 3/4 aller Fälle) war die Asthmakontrolle mit einem langwirksamen Muskarinantagonisten (LAMA, Tiotropium) gleich gut [3]. Eine zweite Studie bestätigt im Wesentlichen die früheren Befunde, dass bedarfsgerechtes Budenosid/Formoterol gleich wirksam wie chronisches Budenosid (2×/Tag) ist [4]. Im Editorial wird vermerkt, dass bei dieser Asthmaform wegen der häufigen Exazerbationen nicht auf SABAs bei Bedarf abgestellt werden soll [5]. Bei Asthma mit Sputum-Eosinophilie bleiben Glukokortikoide erste Wahl, fehlt erstere, kann mit Glukokortikoiden/Beta-2-Mimetika nach Bedarf oder mit chronischer Inhalation mit einem LAMA wie Tiotropium «gearbeitet» werden.
Tabelle 1: Schweregrade* und Definitionen des intermittierenden/persistierenden Asthmas (verwendet in den besprochenen Publikationen [1–5]).
Intermittierend
Maximal an 2 Tagen pro Woche, dazwischen asthmafrei
Mild, persistierend
Asthmasymptome an mehr als 2 Tagen, aber nicht täglich. FEV1 ≥80% des Solls.
Mittelschwer, persistierend
Tägliche Asthmasymptome, oft mit täglichen Aktivitäten interferierend, Schlafprobleme. FEV1 60–80% des Solls.
Schwer, persistierend
Täglich und dabei mehrmals Asthma, FEV1 ≤60%
* Eine andere gebräuchliche Einteilung des Schweregrades beruht auf der Therapieintensität, die zur Kontrolle des Asthmas notwendig ist (retrospektive Beurteilung; https://ginasthma.org/). FEV1: forciertes exspiratorisches Volumen.
Hypertonie und über 70-jährig: welches Blutdruckziel?
Basierend auf einer Subgruppenanalyse im Rahmen der sogenannten SPRINT-Studie [1] bestehen Empfehlungen, bei über 70-jährigen, im eigenen Umfeld lebenden Menschen medikamentös einen maximalen systolischen Blutdruck von 130 mm Hg anzustreben. Die Berliner Initiative ist eine Kohorte behandelter Hypertoniepatient(inn)en, die zwischen 2009 und 2011 eingeschlossen und bis Ende 2016 nachkontrolliert wurden [2]. Die Blutdruckwerte wurden als Mittelwerte von zwei Messungen in der Arztpraxis aufgezeichnet. Eine Normalisierung der Blutdruckwerte (systolisch/diastolisch) auf unter 140/90 mm Hg hatte bei über 80-Jährigen und solchen mit vorbestehenden kardiovaskulären Krankheitsmanifestationen einen signifikanten, die Gesamtmortalität fördernden, negativen Effekt. In der Altersgruppe zwischen 70 und 79 Jahren waren normalisierte Blutdruckwerte bezüglich Mortalität sicher, wobei sich keine Angaben über Stürze, Schwindel und andere Orthostasesymptome finden. Zumindest bei 80-jährigen und älteren Patient(inn)en sowie jenen mit vorbestehenden kardiovaskulären Ereignissen soll man den Blutdruck also weniger streng zu kontrollieren versuchen. Wie hoch man ihn aber einstellen/belassen kann, ist numerisch nicht klar.
Fekale Mikrobiom-Transplantation: ein Schlag ins Gesicht
Am 13. Juni 2019 publizierte die «Food and Drug Administration» (FDA) folgende Sicherheitswarnung respektive Information zu dieser für schwere Clostridium-difficile-Infekte (allenfalls auch Mikrobiom-Modulationen) vielversprechenden, aber immer noch experimentellen Therapie: Bei zwei immunkompromittierten Patienten trat nach einer fekalen Transplantation eine schwere Sepsis mit sogenannten «extended spectrum beta-lactamase» (ESBL) produzierenden, aus dem Transplantat stammenden Escherichia coli auf. Einer der Patienten verstarb daran. Die transplantierten Proben waren vorgängig anscheinend nicht auf die Anwesenheit von multiresistenten Bakterien getestet worden.
Im Vergleich zu 2015 wurden in den USA im letzten Jahr 3500 mehr Nierentransplantationen durchgeführt, die Zahl der Patient(inn)en auf der Warteliste sank von über 100 000 auf knapp 95 000 (Ende März 2019). Die gestiegene Inzidenz von Drogentoten spielt dabei eine Teilrolle. Im Vergleich zu 2013 stieg die Zahl der Organspenden von Drogenopfern von 514 auf 1313 im Jahre 2018! Die medial allgegenwärtige, für diese Veränderungen verantwortliche «opioid crisis» erinnert philosophisch kurz und bündig an: «Nichts im Leben oder niemand ist nur schlecht, nichts oder niemand ist auch nur gut». Im «Der gute Mensch von Sezuan» wird dieses Dilemma meisterlich verarbeitet (Bertold Brecht).
Limiten des Antigen-basierten Screenings auf Hepatitis C
Die Antigen-basierte Testung auf Hepatitis C (HCV) hat gegenüber der RNA-Testung (mittels reverser Transkription und dann PCR-Multiplizierung) den Vorteil der geringeren Kosten, bei allerdings geringerer Sensitivität bei tiefen Viruslasten (≤3000 IU/ml). Die Daten der Schweizerischen HCV-Kohorte wurden analysiert im Hinblick auf zwei Fragen:
1. Wird der Antigentest bei tiefen Viruslasten in relevanter Zahl falsch negativ?
2. Wie gefährlich ist es, wenn diese Patient(inn)en nicht als HCV-infiziert erkannt werden?
Bei 2533 «therapienaiven» HCV-Patient(inn)en der Kohorte traten Viruslasten ≤3000 IU/ml (bestimmt mit RT-PCR) eher selten auf, konkret in etwa 5% (133 Fälle) im gesamten Verlauf der Kohortenbeobachtung. Viruslasten ≤3000 IU/ml wurden in nur einem Drittel vom Antigentest erkannt. Die meisten Patient(inn)en hatten bei Retestung nach der tiefen Viruslast wieder höhere Viruskonzentrationen, gut 1/6 der Fälle heilten allerdings auch spontan aus trotz chronischer Infektion. Eine Zirrhose war ähnlich häufig bei Patient(inn)en mit oder ohne tiefe Viruslast. Alle Patient(inn)en mit tiefer Viruslast (die womöglich mit dem Antigentest verpasst worden wären) und Leberzirrhose wiesen eine Kombination mit einer Form von Immunsuppression auf.
Der pathophysiologische Zusammenhang dieser Konstellation ist unbekannt. Die Kostenersparnis durch HCV-Antigen kann für Länder mit knappen Ressourcen bedeuten, dass mehr Patient(inn)en auf HCV getestet werden können; dabei können aber einige fortgeschrittenen HCV-Infekte verpasst werden.
Hausärzt(inn)e(n) und Häufigkeit der Rehospitalisationen
Im US-Gesundheitssystem werden die Hausärzt(inn)e(n) als verantwortlich für die Häufigkeit der Rehospitalisationen angesehen, bei uns kann es im DRG-System Konflikte zwischen dem entlassenden Spital und dem wieder einweisenden Hausarzt geben. Gibt es Hausärzt(inn)e(n), die deutlich mehr oder deutlich weniger Rehospitalisationen veranlassen, was ein Hinweis auf unterschiedliche ambulante Betreuungsqualtität sein könnte? Nein, gemäss folgender Beobachtung: In der Zeitperiode von 2008 bis 2015 wurden texanische Hausärzt(inn)e(n), die mindestens 50 Hospitalisationen pro Jahr veranlassten, in die Studie eingeschlossen. Unter diesen (n=4230) war die Rehospitalisationsrate innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung mit sehr geringer Streuung erstaunlich gut vergleichbar: 12,9% ± 0,5%!
Determinanten für Rehospitalisationen sind also eher die Progression der Grunderkrankung, interkurrente Zusatzerkrankungen, allenfalls die Compliance der Patient(inn)en oder – eben doch auch – die Entlassungspolitik des Spitals.
In «Horizonte» [1], dem Forschungsmagazin des Schweizerischen Nationalfonds beschreibt dessen Präsident eine eigene Studie («Potential bias in peer-review of grant applications at the Swiss National Science Foundation» [2]), die – wenn auch nicht peer-reviewed (sic!) – gefunden hat, dass Frauen Nationalfondsgesuche weder unterschiedlich hart beurteilen noch als Forscherinnen in der Gesuchsbeurteilung benachteiligt werden. Allerdings musste man dazu für diverse Kovariablen korrigieren. Diejenigen Reviewer, die von den Gesuchstellenden vorgeschlagen werden konnten, gaben im Schnitt bessere Noten als andere, weshalb der Nationalfonds nun die Möglichkeit, Reviewer vorzuschlagen, umgehend unterbindet.
Eine gute Beurteilung der Chancen und der Durchführbarkeit wissenschaftlicher Projekte erfordert oft eine grosse Familiarität mit dem Forschungsinhalt und der spezifischen Situation der Forschungsgruppe. Das Kriterium sollte also nicht sein, wer bessere Noten gibt (und dafür eliminiert wird), sondern welche Beurteilungen – vorgeschlagen oder nicht – zu produktiveren und relevanteren, innovativeren Forschungsresultaten führ(t)en.
Verfasst am 17.06.2019.
Nicht ganz ernst gemeint
Die zehn Geheimnisse der Langlebigkeit
1. Gute Gene
2. Weiterhin wirksame Antibiotika, bessere Impfstoffe (die auch angewendet werden)
3. Risikofaktorinterventionen bei kardiovaskulären Erkrankungen
4. Weitere Fortschritte in chirurgischen Techniken
5. Elimination von Risikoverhalten («base-jumping» etc)
6. Gute familiäre und soziale Netzwerke
7. Bekämpfung von Kriegen und Armut
8. Glück (im Sinne von «luck» oder deutsch «Schwein»)
9. Gute (vor allem nicht zu viel davon) Ernährung und körperliche Aktivität
10. Pflege des Optimismus
Kurz und bündig haben die Punkte 8 und 10 am besten gefallen, eine gute Mischung zwischen Schicksal und eigenem Verhalten. Und Ihnen?