Medikamente via Sonde: eine interprofessionelle Herausforderung
Teil 2: Praktische Überlegungen

Medikamente via Sonde: eine interprofessionelle Herausforderung

Übersichtsartikel
Ausgabe
2019/4142
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08349
Swiss Med Forum. 2019;19(4142):669-675

Affiliations
a TopPharm Apotheke Meyer, Sursee; b Pharmaceutical Care Research Group, Universität Basel

Publiziert am 09.10.2019

Nach den theoretischen Überlegungen im ersten Teil werden im zweiten Teil dieser Übersicht die Herausforderungen der ärztlichen Verordnung bis hin zur praktischen Verabreichung von Medikamenten via Sonde angesprochen.

Datenlage zur Anwendung von Medikamenten via Ernährungssonde

Etablierte Standards zur Gabe von Medikamenten via Sonde sind kaum vorhanden, die verfügbaren Informationen sind meist länderspezifisch. Die Gabe eines Medikaments über die Sonde ist in den meisten Fällen keine bestimmungsgemässe Anwendung und entspricht einem Off-label-Use. So ist jeweils zu dokumentieren, welche Abklärungen zur finalen Verordnung geführt haben bzw. welche Fachexpertisen vorgängig eingeholt worden sind.
Um die Sondengängigkeit schlüssig beurteilen zu ­können, sind neben den patientenindividuellen Kriterien genaue Angaben zu den physikalisch-chemischen ­Eigenschaften sowie zur Galenik des Arzneimittels nötig. Neben den offiziellen Arzneimittelinformationen unter www.swissmedicinfo.ch stellen verschiedene Schweizer Spitalapotheken ihre Erfahrungswerte in Form von Listen als Hilfsmittel im Internet zur Ver­fügung. Für individuelle Abklärungen empfiehlt sich eine Zusammenarbeit mit einer Fachperson mit klinisch-pharmazeutischer Expertise.

Vor- und Nachteile galenischer Formen bei der Verabreichung über die Sonde

Die verschiedenen Arzneiformen weisen unterschiedliche Vor- und Nachteile in der Verabreichung via Sonde auf.

Tropfen, Suspensionen, Sirup, Parenteralia

Flüssige Arzneiformen sind, wenn immer möglich, zu bevorzugen. Im Vergleich zu gemörserten Pulvern passieren diese die Sondenleitung besser, so dass weniger Rückstände daran haften bleiben. Aus diesem Grund sollten bei einem umfassenden Medikationsprofil die Flüssigkeiten immer zuerst gegeben werden. Aber auch diese Arzneiformen können Probleme für den Patienten verursachen. Insbesondere bei einer Sondenlage im Darm können gastrointestinale Beschwerden wie lokale Reizungen oder Diarrhöen entstehen. Grund dafür sind unphysiologische pH-Werte, eine hohe Osmolarität (>800 bis 1000 mosmol/l) sowie ein hoher Gehalt an Zuckeraustauschstoffen wie Sorbitol, da die Lösung in diesem Fall nicht im Magen verdünnt wird, sondern hochkonzentriert ins Duodenum gelangt. Ab Tagesdosierungen von 7,5–10 g Sorbitol ist mit Diarrhöen zu rechnen.
Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass es bei Verdünnung von alkoholischen Lösungen oder Lösungen mit lipophilen Arzneistoffen zu Ausfällungen von Wirk- oder Hilfsstoffen kommen kann und damit unter Umständen zu einer verminderten Wirkung des Medikaments.
Bei direktem Kontakt von stark sauren Flüssigkeiten (pH <5) mit der Sondennahrung können zudem Pro­teine ausgefällt werden und die Sonde möglicherweise verstopfen. Vor der Verabreichung müssen daher auch orale Lösungen mit mindestens demselben Volumen Wasser verdünnt werden (gastral), besser sogar im Verhältnis 1:5 bzw. 1:10 (insbesondere bei duodenaler Verabreichung).
Findet sich kein geeignetes flüssiges perorales Fertigprodukt, kann unter Umständen auch eine parenterale Arzneiform genutzt werden. Aus Stabilitätsgründen liegt in Parenteralia teilweise ein anderes Salz des Wirkstoffs als in der per os verfügbaren Arzneiform vor, was die Bioverfügbarkeit verändern kann (z.B. Dexamethason [Fortecortin®]). Parenteralia können unphysiologische pH-Werte aufweisen und bei unverdünnter Gabe lokale Reizungen im Gastrointestinaltrakt auslösen. So gilt es zunächst kritisch folgende Eigen­schaften abzuklären: Absorptionspotential an der Sondenspitze, Schleimhautverträglichkeit, geeignete physikalisch-chemische Eigenschaften wie pH-Wert und Osmolarität sowie allenfalls erforderliche Dosisanpassung. Ebenfalls sollte ein Augenmerk auf die Mehrkosten von Parenteralia gegenüber oralen Produkten gelegt werden.

(Film-)Tabletten, Dragées

Feste Arzneimittel stellen im Alltag die häufigste verordnete galenische Form dar, bergen aber in Zusammenhang mit der Verabreichung via Sonde immer ein Problem: Sie müssen bearbeitet werden. Bei Tabletten sollte der Anwender zuerst prüfen, ob diese in angemessener Zeit in Wasser zerfallen (max. 15 Minuten vor der Applikation). Wenn ja, sollte man diesen Vorgang direkt in einer 20-ml-Spritze vornehmen. Hierdurch entfallen das Mörsern sowie die Überführung der zerkleinerten Substanz in die Spritze. Das spart Zeit und beugt einem Substanzverlust vor. Das direkte Auflösen in einer Spritze ist aber nicht immer machbar. Muss und darf eine Tablette gemörsert, also pulverisiert werden, so ist ein dafür geeignetes Hilfsmittel zu verwenden (professioneller PillCrusher). Dieses soll Staubbildung möglichst vermeiden und so den Anwender und die Umgebung vor den freigesetzten Wirkstoffen schützen.
Filmüberzüge haben in der Regel keinen Einfluss auf das Freisetzungsverhalten, sondern dienen dem Schutz vor Feuchtigkeit, Licht und Luft und dem Schutz des Anwenders. Doch können diese Filmrückstände störend wirken, da sie rasch aufquellen oder sich schlecht fein zermörsern lassen. Sie sind mit einer Pinzette bestmöglich vom Pulver zu entfernen, da sie unter Umständen stark aufquellen und damit die Sonde verstopfen können. Dragées können ebenfalls pulverisiert werden, obwohl sie durch die umhüllende Zuckerschicht sehr hart sein können.
Kritisch wird es bei Tabletten, deren Filmüberzug den Wirkstoff vor dem sauren Magenmilieu schützen soll. Muss der Wirkstoff gastral verabreicht werden, so darf die Tablette nicht gemörsert werden, sondern muss durch eine andere galenische Form oder einen anderen Wirkstoff ersetzt werden (z.B. Wechsel von Pantoprazol zu Esomeprazol oder Lansoprazol). Wird hingegen ein säurelabiler Wirkstoff duodenal verabreicht, so darf die magensaftresistente Arzneiform gemörsert werden.
Präparate mit der Bezeichnung «MUPS» (Multi Unit Pellet System) dürfen nicht gemörsert werden. Sie können in Wasser suspendiert werden, ohne dass der Schutzfilm um die Pellets zerstört wird. Trotzdem muss eine Gabe über die Sonde vorsichtig evaluiert werden, da die Austrittsöffnungen von gewissen Sonden zu klein sind und es so zu Verstopfungen kommen kann.

Retard-Formen

Hier zerstört das Zerkleinern das ursprünglich angedachte Retardierungsprinzip und der Arzneistoff wird rascher freigesetzt, was zu Überdosierungen und verkürzter Wirkdauer führen kann. Entsprechend zurückhaltend sollte diese Arzneiform zerstört werden bzw. sollten die Einzeldosierung und das Verabreichungs­intervall angepasst werden. Teilweise lässt sich auch ein Retardierungsprinzip trotz Aufschwemmen der Ta­blettenmatrix erhalten, wie z.B. bei BelocZOK® (Meto­prolol): Die Tablette zerfällt in Wasser, die überzogenen Pellets oder Körner bleiben intakt, werden von der ­Matrix freigelegt und lassen sich unter Schwenken als Suspension verabreichen.

Kapseln

Kapselhüllen von Hartgelatinekapseln dienen neben ihrer Funktion als Behältnis teils als Schutz vor irritierenden Wirkstoffen oder schlechtem Geschmack und können häufig geöffnet werden. Der Inhalt der Kapsel (Pellets, Pulver) wird in jedem Fall in Wasser suspendiert oder gelöst, nicht aber zermörsert. Bei dünnen Sonden muss der Durchmesser der Pellets geprüft und mit dem Durchmesser der Sonde bzw. deren endständigen Austrittsöffnungen verglichen werden.
Insbesondere bei Medikamenten mit enger therapeutischer Breite oder säurelabilen Inhaltsstoffen müssen Sinn der Verkapselung und Beschaffenheit des ­Inhalts durch Nachfrage beim Hersteller geklärt werden. So ist zum Beispiel die Verabreichung von Dabigatran (Pradaxa®) über die Sonde nicht möglich, da die orale Bioverfügbarkeit um 75% gesteigert sein kann, wenn die Kapseln geöffnet und die Pellets ohne die Kapselhülle eingenommen werden. Die Kapselhülle schafft die Voraussetzungen für eine kontrollierte Auflösung der Pellets und Resorption des Wirkstoffs. Um eine ­unabsichtlich erhöhte Bioverfügbarkeit von Dabiga­tran­etexilat zu vermeiden, dürfen die Kapseln nicht geöffnet werden. Alternativen mit vergleich­barem Indikationsspektrum stehen genügend zur Verfügung (z.B. wurde für gemörsertes und per Sonde verabreichtes Edoxaban (Lixiana®) eine vergleichbare Fläche unter der Kurve (AUC) bzw. Spitzenkonzen­tration cmax, Halbwertszeit t½ und Gesamt-Clearance wie bei der Einnahme von intakten Tabletten nach­gewiesen [1].

Sublinguale/bukkale Arzneiformen, ­Schmelztabletten

Sublingual- und Bukkaltabletten wurden entwickelt, um eine lokale Wirkung von Arzneistoffen im Mund und Rachenraum zu ermöglichen, einen hohen «First-pass»-Effekt bestimmter Wirkstoffe zu vermeiden (z.B. Buprenorphin oder Glyceroltrinitrat) oder eine rasche Resorption zu ermöglichen. Sie bilden eine gute alternative Darreichungsform für Sondenpatienten, sofern sie nicht zermörsert und über die Sonde verabreicht werden. Nicht zu verwechseln mit den eben beschriebenen Tablettenarten sind Schmelztabletten. Zusätze wie Expidet, Lingual, Odis, Soltab, Velotab oder Zydis im Produktnamen liefern Hinweise auf diese Arzneiform. Sie zergehen im Mund, werden aber mit dem Speichel heruntergeschluckt und über den Magendarmtrakt resorbiert. Diese Arzneiformen können bei einer Schluckunfähigkeit des Patienten in Wasser zergehen gelassen über die Sonde appliziert werden.

Brausetabletten

Brausetabletten sollen immer in ausreichend Wasser ­gelöst werden (50–100 ml), da die Hilfsstoffe häufig schleimhautreizend sein können. Zudem sollte die Lösung solange gerührt werden, bis die Kohlensäure vollständig entwichen ist, bevor sie via Sonde infundiert wird. Andernfalls besteht die Gefahr von Blähungen oder Völlegefühlen. Bleiben nach dem Aufbrausen Rückstände im Behältnis zurück, so stellen diese Hilfsstoffe dar und müssen nicht der Sonde zugeführt werden.
Da Brausetabletten häufig mit Natriumhydrogencarbonat als Hilfsstoff formuliert werden, sind diese insbesondere bei Risikopatienten mit täglich mehrfacher Anwendung als relevante Natrium-Quellen zu berücksichtigen. So beinhaltet beispielsweise eine Brausetablette Dafalgan® 1 g 567,3 mg (= 24,6 mmol) Natrium. Wird die Tagesmaximaldosierung von 4 g Paracetamol über diese Form verabreicht, so wird mehr als 2 g Na­trium aufgenommen. Damit wird die von der World Health Organisation (WHO) empfohlene Tageszufuhr von 1,5 g bereits überschritten [2].

Verabreichung der Medikation

Das Verabreichen von Medikamenten via Sonde erfordert speziell geschultes Personal, geeignete Hilfsmittel und vor allem Zeit. Diesen Umständen ist bei jeder Verordnung unbedingt Rechnung zu tragen, damit die Pflegedienstleitung in der Einteilung die verantwortlichen Teams mit den nötigen Ressourcen versehen kann. Andernfalls werden Richtlinien kaum in der geforderten Qualität umgesetzt, was zu vermehrtem Verstopfen von Sonden, zu Therapieversagen und damit zur Gefährdung der Patientensicherheit führen kann. Die Interpretation von Hilfsmitteln in tabellarischer Form stellt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar und sollte nicht leichtfertig an die Pflege «abdelegiert» werden.
Sind mehrere Arzneimittel zum gleichen Zeitpunkt zu applizieren, müssen diese nacheinander und durch Spülungen getrennt voneinander verabreicht werden (Empfehlungen zu den unterschiedlichen Volumina siehe Abbildung 1). Dies ist zeitaufwendig, aber zwingend erforderlich, um Inkompatibilitäten und damit Verstopfungen der Sonde zu vermeiden. Allenfalls kann unter Verwendung eines Kombinationsproduktes als Vereinfachung des Therapieplans das aufwendige Verarbeiten der Einzelstoffe umgangen werden (z.B. Exforge HCT® statt Amlodipin, Valsartan und Hydro­chlorothiazid einzeln).
Abbildung 1: Algorithmus zur Anwendung von Medikamenten via Sonde nach erfolgter Prüfung (gemäss Abbildung 1 in Teil 1: Theoretische Überlegungen, erschienen in Heft 39–40 des Swiss Medical Forum).
* Wasser = Leitungswasser mit Trinkqualität (Ausnahme bei immunsupprimierten Patienten und auf der Intensivstation: ­steriles, bzw. abgekochtes Wasser verwenden).
In der Praxis werden zunächst allenfalls vorhandene flüssige Arzneiformen nacheinander verabreicht, da sie ein deutlich geringeres Potenzial für Sondenverstopfungen aufweisen als suspendierte Pulver. Die ­Medikamente werden mit einer 20-ml-Spritze langsam verabreicht, damit nicht zu viel Druck ausgeübt werden kann. Bei Suspensionen ist mehrfach ein Schütteln der Spritzen nötig, damit sich der Feststoff nicht absenken kann und am Schluss keine Restpartikel zurückbleiben bzw. die Spritze verstopft. Auch empfiehlt sich bei Suspensionen ein Nachspülen der Spritze mit 5–10 ml Wasser, damit der Substanzverlust möglichst klein gehalten werden kann. Das Aufschwemmen von Pulvern soll immer unmittelbar vor der Applikation erfolgen und die Suspension innert 2–3 Minuten verabreicht werden, da sonst Hilfsstoffe derart aufquellen können, dass sie die Zuleitung verstopfen.
Grundsätzlich wird empfohlen, mit normalem Trinkwasser zu spülen (frisches, körperwarmes Leitungswasser). Am besten ist die Verträglichkeit, wenn die Spülflüssigkeit Raumtemperatur hat. Kohlensäurehaltige Flüssigkeiten, Fruchtsäfte oder Tees sind nicht als Träger- bzw. Spülflüssigkeiten geeignet. Sie können ­unangenehmes Aufstossen auslösen oder durch ihre Inhaltsstoffe (wie den Gerbstoffen oder Fruchtsäuren) zum Ausfallen von Wirk- bzw. Hilfsstoffen und damit zum Verstopfen der Sonde führen. Bei immunsupprimierten Patienten bzw. auf Intensivpflegestationen ist die Verwendung von sterilem Wasser oder physiologischer Kochsalzlösung indiziert.
Wird das Volumen an Spülflüssigkeit nicht aus den ­ohnehin verordneten Wassermengen entnommen, ist die Wasserbilanz des Patienten entsprechend zu ergänzen. Insbesondere bei Flüssigkeitsrestriktionen, z.B. bei Dialyse- oder Herzinsuffizienzpatienten, ist dieser zusätzliche Volumenanteil zu berücksichtigen und zu dokumentieren.

Probleme und Komplikationen in der Anwendung von Medikamenten via Sonde

Die häufigste Ursache für verstopfte Sonden sind Pulvercocktails, also unsachgemäss verabreichte Medikamente sowie ungenügendes Spülen. In Tabelle 1 werden weitere häufige Probleme mit der Anwendung von Medikamenten via Sonde aufgeführt.
Tabelle 1: Mögliche Probleme in der Anwendung von Medikamenten via Sonde und Lösungsansätze.
ProblemeBeschriebMöglicher Lösungsansatz
Verstopfung der SondeMögliche Gründe:
Ausfällung von Proteinen infolge einer Inkompatibilität zwischen Wirkstoff und Nährlösung bei gleichzeitiger Anwendung.
Siehe «Massnahmen bei verstopften Sonden» im Text.
Unzureichende Spülung nach vorangehender Nährlösung- oder Medikamentenapplikation.
Zu grosse Partikel in Verbindung mit ungeeigneten Öffnungen (= unzureichender Sondendurchmesser bzw. unzureichende seitliche Öffnung).
Patienten mit Restrik­tionen der FlüssigkeitszufuhrPatienten mit schwerer Nieren- oder ­Herzinsuffizienz.Anzahl Medikamente reduzieren, ­hochkalorische Nährlösungen erwägen.
InteraktionspotenzialIA Wirkstoff mit Wirkstoff/Hilfsstoff: Identisch zu normaler Applikation per os.Es ist entsprechend der klinischen Relevanz 
abzuwägen, ob eine Interaktion toleriert oder durch geeignete Massnahmen vermieden werden kann. Komplexbildende Interaktionen sind strikt zu vermeiden (Verstopfung der Sonde).
IA Wirkstoff mit Nahrung:Es ist zu berücksichtigen, dass die Nahrung oft kontinuierlich verabreicht wird und somit keine «nüchterne» Phase eintritt. Entsprechend kann bei Wirkstoffen mit enger therapeutischer Breite ein TDM indiziert sein.Bei kritischen Medikamenten, wie z.B. Anti­epileptika (u.a. Carbamazepin, Phenytoin), und unklarem Ausmass einer Interaktion ist die Absorption der Medikamente mittels Monitoring der Blutspiegelmessungen der jeweiligen Wirkstoffe zu überwachen.
IA Wirkstoff mit Sondenmaterial: Insbesondere bei Sonden aus Polyvinylchlorid kann es zu Interaktionen zwischen Material und Wirkstoff kommen (Absorption von lipophilen Substanzen), so dass die Wirkung des Medikaments nicht gewährleistet und der Patient unterversorgt ist.Heutzutage ist Silikon das gebräuchlichste Sondenmaterial.
Fragliche Resorption sublingualer Arznei­formenBei Medikamenten, die explizit über die Schleimhäute absorbiert werden (z.B. Temgesic® Sublingualtabletten), kann die Resorption im Magendarmtrakt nur unzuverlässig abgeschätzt werden.Weiterhin sublingual applizieren. Dies betrifft Schmelztabletten, wie z.B. Motilium Lingual® nicht, da diese nur im Mund gelöst werden, die Wirkstoffaufnahme jedoch im Gastrointestinaltrakt stattfindet.
Unerwünschte Wirkungen von SirupenKönnen unverdünnt zum Verstopfen der Sonde und/oder je nach Volumen aufgrund der teilweise hohen Osmolarität zu unerwünschten Arzneimittel­wirkungen beim Patienten führen (Unwohlsein/Diarrhoe).Ausreichendes Verdünnen des Sirups. 
(1:5 bis 1:10, Zielwerte für gastrale Sondenlage: max. 1000 mosmol/l, für duodenale/jejunale Sondenlage: max. 300–500 mosmol/l, Osmolalität Tegretol® Susp: 1728 mosmol/kg)
Substitution von
oralen Produkten
durch Parenteralia
Parenterale Arzneimittel können nur selten enteral verabreicht werden. Sie wurden gezielt für die direkte Applikation in den Kreislauf entwickelt und weisen daher oftmals eine hohe Osmolarität auf, sind aufgrund unterschiedlicher Salzformen der Wirkstoffe nur schlecht resorbierbar oder unterliegen einem hohen First-pass-Effekt.Konsultation der Fachinformation bzw. Nachfrage bei den Herstellerfirmen.
Substitution von
Produkten mit identischem Wirkstoff, z.B. Wechsel auf
Generika
Weil sich Produkte mit identischem Wirkstoff unterschiedlicher Hersteller häufig in ihrer Hilfsstoffzusammensetzung unterscheiden, muss im Falle einer Substitution die Sondengängigkeit erneut abgeklärt werden.Konsultation der Fachinformation bzw. Nachfrage bei den Herstellerfirmen
IA = Interaktion; TDM = Therapeutic Drug Monitoring.

Massnahmen bei verstopften Sonden

Als erste Massnahme soll versucht werden, den gestauten Sondeninhalt abzusaugen. Zudem werden die Ansätze überprüft und gegebenenfalls ausgetauscht. Ist damit die Ursache nicht behoben, bzw. gelingt das Absaugen nicht, wird versucht, die Sonde mit einer 20-ml-Spritze und warmem Wasser frei zu spülen. Kleinere Spritzen erzeugen einen zu grossen Druck auf die Zuleitung, was zum Platzen der Sonde führen kann, und sind daher kontraindiziert.
Obwohl aus der Praxis diverse Spülungen mit kohlensäurehaltigen Getränken wie Coca-Cola, Vitamin-C-Lösungen oder Pepsinwein bekannt sind, hat keine dieser Massnahmen einen wesentlichen Vorteil gegenüber warmem Wasser gezeigt. Im Gegenteil: Da es bei sauren Getränken wie Cola-Cola zu Ausfällungen mit noch vorhandener Sondennahrung kommen kann, werden derartige Experimente nicht empfohlen.
Allenfalls prüfenswert ist das Herstellen einer Lösung mit Pankreasenzymen: Nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt werden zwei Kapseln Creon® 25 000 geöffnet und deren Inhalt in eine Sondenspritze aufgenommen. Zu den Pellets werden 20 ml Natriumbicarbonat-Lösung 8,4% aufgezogen. Der Inhalt der Spritze wird vorsichtig geschüttelt, so dass die Pellets sich lösen (dauert einige Minuten). Die Spülflüssigkeit sollte mindestens drei Minuten einwirken. Bei Bedarf wird die Spülflüssigkeit abgesaugt und der Vorgang zwei- bis dreimal wiederholt.
Lässt sich die Verstopfung nicht beheben, ist ein Patient mit einer PEG-Sonde an den betreuenden Gastroenterologen zu überweisen bzw. bei einer nasogastralen Sonde ist diese durch geschultes Pflegepersonal zu ziehen. Keinesfalls soll mechanisch (z.B. mit einem Draht) versucht werden, die Verstopfung zu entfernen. Dies kann zur Sondenruptur und gravierenden Verletzungen des Pa­tienten führen und ist zwingend zu unterlassen.

Arbeitssicherheit bei der Anwendung von Medikamenten via Sonde

Besondere Vorsicht gilt bei der Vorbereitung und ­Applikation von Arzneistoffen, die kanzerogen, mutagen oder reproduktionstoxisch sind, sogenannte CMR-Arzneistoffe (Tab. 2). So sind die Arbeiten mit Zyto­statika, Antiinfektiva/Virostatika, Hormonen und Immunsuppressiva individuell auf das jeweilige Gefährdungsrisiko einzuschätzen und mit den nötigen bzw. geeigneten Schutzmassnahmen durchzuführen (z.B. Handschuhe, Staubmaske, Schutzbrille). Angehörige und Pflegepersonen müssen nachdrücklich auf das relative Gefahrenpotential aufmerksam gemacht werden. Die Pflegenden müssen wissen, dass der Umgang mit diesen Substanzen eine persönliche Gefährdung bedeuten kann. Die steigende Anzahl an oralen Antitumortherapien auf dem Arzneimittelmarkt wird in Zukunft zu vermehrten Anfragen zur Handhabung von entsprechenden Substanzen in der ambulanten Versorgung führen (siehe auch www.oraletumortherapie.ch/).
Tabelle 2: Beispiele von Medikamenten mit unterschiedlichem CMR-Potenzial bei der Anwendung über eine Sonde.
Amiodaron
(Cordarone®)
Tierstudien haben unerwünschte Effekte auf den Föten gezeigt (Embryotoxizität). Wegen der langen Halbwertszeit von Amiodaronhydrochlorid sollten Frauen, die eine Schwangerschaft wünschen, den Anfang der Schwangerschaft frühestens sechs Monate nach Exposition planen, damit das Kind am Anfang der Schwangerschaft dem Amiodaron nicht ausgesetzt wird.
Bicalutamid
(Casodex®)
Hormonantagonist! Von Frauen im gebärfähigen Alter nur unter strengen Schutzmassnahmen zermörsern lassen.
Bosentan
(Tracleer®)
In Tierversuchen wurde Reproduktionstoxizität festgestellt (Teratogenität, Embryotoxizität). Es liegen minimale Daten von wenigen Fällen aus der Post-Marketing-Periode zur Anwendung von Bosentan bei Schwangeren vor.
Capecitabine
(Xeloda®)
Es ist davon auszugehen, dass die Einnahme von Capecitabine während der Schwangerschaft zur Schädigung des Fötus führen kann. Es ist daher anzunehmen, dass der Wirkstoff auch im Falle von Kontamination für gesunde Menschen ein Risiko darstellt.
Finasterid
(Proscar®)
Frauen sollten wegen der möglichen Absorption von Finasterid und des daraus resultierenden möglichen Risikos für einen männlichen Fötus keine zerdrückten oder zerbrochenen Filmtabletten handhaben, wenn sie schwanger sind oder schwanger werden könnten.
Metronidazol (Flagyl®)Die Sicherheit einer Anwendung von Metronidazol in der Schwangerschaft ist nicht ausreichend belegt. Insbesondere für die Frühschwangerschaft liegen widersprüchliche Berichte vor. Einige Studien haben Hinweise auf eine erhöhte Fehlbildungsrate ergeben. Das Risiko möglicher Spätfolgen, einschliesslich des kanzerogenen Risikos, ist bisher nicht geklärt. Die Anwendung im 1. Trimenon ist kontraindiziert. Im 2. und 3. Trimenon ist Metronidazol nur anzuwenden, wenn dies klar erforderlich ist.
Im Falle einer uneingeschränkten Anwendung von Nitroimidazolen durch die Mutter besteht für das Ungeborene bzw. Neugeborene das Risiko einer Krebsauslösung oder Erbgutschädigung.
Methotrexat
(Verschiedene)
Manipulationen am offenen Produkt erfordern erhöhte hygienische Massnahmen (Handschuhe beim Umpacken und bei der Abgabe durch Angehörige oder Pflegende). Bei der Handhabung sollten möglichst Einmalhandschuhe verwendet bzw. unmittelbar nach dem Kontakt mit den Tabletten die Hände gewaschen werden. Es ist darauf zu achten, dass allfällige Tablettenteilchen (z.B. bei einer Beschädigung einer Tablette) nicht eingeatmet werden und nicht mit der Haut oder Schleimhaut in Kontakt kommen. Falls es zu einem Hautkontakt kommt, ist die Stelle mit Wasser und Seife zu waschen, bei Augenkontakt ist mit Wasser zu spülen.
Mycophenolat-Mofetil
(Cellcept®)
Mycophenolat-Mofetil ist ein humanes Teratogen mit einem erhöhten Risiko für Spontanaborte (hauptsächlich im 1. Trimenon) und angeborene Fehlbildungen bei mütterlicher Exposition in der Schwangerschaft
Schwangere und stillende Frauen sind von derartigen Tätigkeiten zu befreien, weiter dürfen diese Arbeiten nicht an ungeschultes Personal oder Angehörige delegiert werden. Darüber hinaus muss das Personal über Alternativen in Form von sichereren Arzneiformen und Schutzmassnahmen informiert werden. Ein direkter offener Umgang mit CMR-Stoffen sollte stets vermieden werden. Schon eine flüssige Arzneiform, die man lediglich abmessen muss, birgt weniger Gefahr als Tabletten, die geteilt oder gemörsert werden müssen. Als Hilfestellung in der Betreuung kann eine involvierte Apotheke dank ihren Laboreinrichtungen Medikamente mit CMR-Risiko als Kapsel oder bereits als pulverbestückte Spritze bereitstellen, um die Exposition durch das Mörsern auf den Stationen möglichst zu verhindern.

Ausblick

Die Betreuung von Patienten mit Ernährungssonden erfordert ein hohes Bewusstsein für die Herausforderungen in der Verabreichung von Medikamenten. Ein regelmässiger, direkter Austausch zwischen den Berufsgruppen der Ärzteschaft, der Pflegenden und den Apothekern stellt eine weitere wichtige Grundlage für die umfassende Beurteilung der Patientensituation dar. Als Resultat eines solchen interprofessionellen Konsils gewährleistet ein individueller, schriftlicher Plan zur Verabreichung der Medikation via Sonde die Therapiesicherheit auch über Schnittstellen hinaus.

Das Wichtigste in Kürze

• Das Verordnen von Medikamenten via Sonde stellt hohe Anforderungen an das Verständnis der unterschiedlichen galenischen Formen von Medi­kamenten.
• Das praktische Verabreichen von Medikamenten via Sonde kann durch umsichtige Verordnungen erheblich vereinfacht werden. Auftretende ­Herausforderungen wie zum Beispiel das Verstopfen einer Sonde sind im interprofessionellen Austausch zu erörtern.
• Neben der Patientensicherheit stellen sich auch relevante Fragen zur ­Arbeitssicherheit für das ausführende Personal bzw. Angehörige, wenn sie Medikamente via Sonde verabreichen.
Die Abbildungen und Tabellen sind auch Teil des Themenhefts ­pharm­Actuel 03/2017 und durften mit freundlicher Genehmigung von pharmaSuisse in adaptierter Form reproduziert werden.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. phil. Markus Messerli
Offizinapotheker und
klinischer Pharmazeut FPH
TopPharm Apotheke Meyer
Centralstrasse 1
CH-6210 Sursee
markus.messerli[at]
unibas.ch
1 Duchin K, Duggal A, Atiee GJ, Kidokoro M, Takatani T, Shipitofsky NL, et al. An Open-label crossover study of the pharmacokinetics of the 60-mg edoxaban tablet crushed and administered either by a nasogastric tube or in apple puree in healthy adults. Clin Pharmacokinet. 2018;57(2):221–8.
2 WHO Guidelines approved by the Guidelines Review Committee. In: WHO. Guideline: Sodium Intake for Adults and Children. Geneva: World Health Organization (WHO); 2012.