Kurz und bündig
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Kurz und bündig
Ausgabe
2019/3536
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08381
Swiss Med Forum. 2019;19(3536):569-572

Publiziert am 28.08.2019

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Masern

– Prodromalphase von 2–4 Tagen mit Fieber und (mind. 1 von 3) Husten, Rhinitis, Konjunktivitis.
– Danach makulopapuläres, teilweise konfluierendes Exanthem im Kopf-/Gesichtsbereich beginnend.
– Koplik-Flecken (weissliche Plaques in der Wangenschleimhaut, siehe Abbildung) pathognomonisch (in 70% vorkommend).
– Infektiosität: 4 Tage vor bis 4 Tage nach Beginn des Exanthems.
– Heilung: 7 Tage nach Auftreten des Exanthems.
– Differentialdiagnose: Röteln, Herpesvirus 6, Parvovirus B19, Dengue.
– Diagnose: RT-PCR der Masern-RNA (oder: Masern-IgM) im Serum/Nasopharyngealabstrich.
– Behandlung: bei schweren Fällen Vitamin A (Dosis altersabhängig).
– Postexpositionsprophylaxe aktiv (MMR-Impfung) oder passiv (Immunglobulin) möglich (Indikationen: siehe [2])
– Masernfälle sind innert 24 Stunden zu melden.
Weissliche Plaques – sogenannte Koplik-Flecken – in der Wangenschleimhaut bei ­einem Patienten am 3. Tag der Masern-Infektion (© Centers for Disease Control and Prevention, 1963).
1 N Engl J Med. 2019, doi: 10.1056/NEJMcp1905181.
2 Bundesamt für Gesundheit, Arbeitsgruppe Bekämpfung von Masernausbrüchen. Richtlinien zur Bekämpfung von Masern und Masernausbrüchen. Stand März 2019. www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/i-und-b/richtlinien-empfehlungen/empfehlungen-risikogruppen-risikosituationen/masern-richtlinien-bekaempfung.pdf.download.pdf/masern-richtlinien-bekaempfung-de.pdf.
Verfasst am 24.07. 2019.

Praxisrelevant

Wann Statine bei >75-Jährigen?

Bei älteren Patient(inn)en verliert das Gesamtcholesterin seine Rolle als negativer kardiovaskulärer Prognosefaktor und Werte unter 5,5 mmol/l könnten sogar mit einer erhöhten Mortalität korrelieren [1]. Bei knapp 7300 Patient(inn)en wurde im Alter von 75 Jahren die präventive Wirkung einer neu begonnenen Statintherapie evaluiert. Nach einer medianen Nachbeobachtung von 4,7 Jahren führten Statine bei Patient(inn)en mit einem akuten Koronarsyndrom in der Vergangenheit (sog. Sekundärprophylaxe) und solchen mit einem modifizierbaren Risikofaktor (Diabetes, Einnahme kardiovaskulär wirkender Medikamente) zu einer signifikanten Abnahme koronarer Ereignisse und der Mortalität. Ohne kardiovaskuläre Vorgeschichte und Diabetes waren Statine diesbezüglich aber wirkungslos [2]. Die genaue Charakterisierung der Patient(inn)en in dieser Kohortenstudie ist den Leserinnen und Lesern nicht im Detail zugänglich. Trotzdem zeigt sich, dass Statine nur bei einer – weit gefassten – kardiovaskulären Risikosituation einen Nutzen bringen. Ihre Indikation auf Basis des Cholesterinwertes allein oder als breite Primärprophylaxe scheint ab 75 Jahren nicht auf genügend Evidenz zu beruhen.
1 Age Ageing 2010, doi.org/10.1093/ageing/afq129.
Verfasst am 22.07.2019.

Ein Anästhetikum auf dem Weg zum ­Antidepressivum

Ketamin ist ein intravenös appliziertes, traditionelles Analgetikum und Anästhetikum und neu auch Anti­depressivum. Es bindet im Gehirn als sogenannter ­glutaminerger Antagonist an den N-methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptor. Es ist also ein Antidepressivum, das als erstes seit langem nicht mit dem Serotonin und noradrenergen System interferiert. Ob dies auch der Mechanismus der schnell eintretenden und in diesem Jahr den Zulassungsstempel der «Food and Drug Ad­ministration» (FDA) erhaltenen antidepressiven Wirkung ist, ist noch unbekannt. Eine analoge Substanz, Esketamin, ist als nasaler Spray (noch nicht in der Schweiz und Europa) für schwere Depressionen, die eine schnelle Beeinflussung erfordern (z.B. Suizidalität), und behandlungsresistente Depressionen zugelassen, mit einem Jahresbudget von eindrücklichen ca. CHF 40 000! Die Halbwertszeit beträgt nur gut zwei Stunden (dabei kann es zu lebhaften Träumen kommen), die therapeutische Wirkungsdauer – wahrscheinlich vermittelt durch einen oder mehrere der Metaboliten – jedoch sieben Tage und mehr. Die Langzeitnebenwirkungen psychischer und anderer Art sind aufgrund der publizierten Daten noch als weitgehend unbekannt zu werten.
2 Am J Psychiatry 2019, doi.org/10.1176/appi.ajp.2018.18070834.
Verfasst am 22.07.2019.

Neues aus der Biologie

Zu einfach, um auch langfristig wahr zu sein?

Leider gibt es immer noch keine verlässliche Methode, die im Labor menschliche hämatologische Stammzellen in so grosser Zahl herstellen könnte, dass sie zuverlässig zur Regeneration des Knochenmarkes bei mali­gnen hämatopoetischen Neoplasien eingesetzt werden könnten. Nun könnte das aber bei Mäusen gelungen sein. Hämatologische Stammzellen konnten dank einer Substanz, die Bestandteil von Leim (!) ist, etwa 900-fach in vitro vermehrt werden. Diese konnten erfolgreich transplantiert werden und reiften dann adäquat in alle drei Blutreihen aus. Die Substanz: Polyvinylalkohol. Bei Bestätigung, auch beim Menschen, wäre dies ein therapeutischer Quantensprung!
Verfasst am 24.07.2019.

Der Genetik des Typ-2-Diabetes auf der Spur

Wie bei vielen komplexen, multigenetisch bedingten Krankheiten hat man auch beim Typ-2-Diabetes in ­sogenannten genomweiten Untersuchungen (GWAS) nach genetischen Assoziationen/Ursachen gesucht (und in grosser Zahl gefunden). Die überwiegende Mehrheit der entsprechenden Genvarianten (Polymorphismen) findet sich aber in nicht-übersetzten DNA-­Abschnitten, sodass deren Relevanz für die Krank­heitsentstehung im Einzelfall zu beweisen bleibt. Im Rahmen einer genetischen «par force»-Leistung wurde bei fast 21 000 Diabetespatient(inn)en das gesamte Exom (alle in RNA übersetzte Gensequenzen) se­quenziert und mit mehr als 24 000 Kontrollen verglichen. Der grosse Informationsgewinn der Studie liegt in der Voraussage wirklich kausaler ­Genvarianten in den früheren GWAS ­Studien und der Voraussage der funktionellen Konsequenzen der Varianten. Ein gros­ser Schritt für ein verbessertes Verständnis der genetischen Einflüsse auf die Pathophysiologie des Diabetes Typ 2.
Alle Daten sind für Interessierte online einsehbar unter: www.type2diabetesgenetics.org.
Verfasst am 24.07.2019.

Einen (oder den?) Phosphatsensor gefunden

In der Regulation des Elektrolyt-, Wasser- und Säure-Basen-Haushaltes spielen Detektormechanismen (Sensoren) eine entscheidende Rolle. Sie signalisieren dem Körper, dass es zu viel oder zu wenig des zu regulierenden Metaboliten gibt, wodurch dann die homeostatische Regulation einsetzt. Es gibt eine Reihe von Protonensensoren, im Kalziumstoffwechsel ist es ein Kalziumkanal an den Nebenschilddrüsen, der zu einer veränderten Parthormon(PTH)-Sekretion und mittelbar einer Korrektur der Hypo- oder Hyperkalzämie führt. Wie das PTH für den Kalziumstoffwechsel so ist der – überraschenderweise in Osteozyten/Osteoblasten produzierte – FGF23 («fibroblast growth factor» 23) für den Phosphatstoffwechsel von primärer Bedeutung. FGF23 steigt (in Kooperation mit PTH) als Antwort auf eine Hyperphosphatämie / eine hohe diätetische Phosphatzufuhr an und diktiert der Niere, durch Hemmung der proximal-tubulären Phophatrückresorption, eine Phosphaturie zu induzieren und damit die Hyperphosphatämie zu korrigieren. Nun wurde gefunden, dass nicht besetzte Rezeptoren von FGF23 (sog. FGF-Rezeptoren 1) als eigentliche Phosphatsensoren in Osteozyten fungieren können. Erkennen sie Phosphat, setzen sie folgende Reaktion in Gang: FGF23 wird verstärkt glykosyliert, sodass sein (proteolytischer) Abbau verzögert und seine phosphaturische Wirkung verstärkt respektive verlängert wird.
Proc Natl Acad Sci USA. 2019, doi.org/10.1073/pnas.1815166116.
Verfasst am 30.07.2019.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Wie gross ist der ImpACT?

Das Ganglion sphenopalatinum (siehe Abbildung) ist für die parasympathische Innervation der anterioren Hirnzirkulation verantwortlich. Seine Stimulation führt – via Freisetzung von Nitratoxid, Azetylcholin und vasoaktivem intestinalen Peptid (VIP) – zur Vasodilatation und signifikanten Zunahme des ipsilateralen zerebralen Blutflusses. Im Rahmen der ImpACT-24B-Studie (73 Zentren, 18 Länder) wurde bei 481 Patient(inn)en 8–24 Stunden nach einem nicht-thrombolysierten, anterioren Hirninfarkt ein injizierbarer Neurostimu­lator ins Ganglion sphenopalatinum implantiert. Die Kontrollgruppe bestand aus 519 Patient(inn)en, die ­einer Scheinintervention unterzogen wurden. Leider waren die funktionellen Defizite nach drei Monaten nicht unterschiedlich. Die Tatsache, dass aber die in vivo erreichbare Stimulationsintensität mit einem besseren Verlauf korrelierte, weckt für die weitere Entwicklung und Verfeinerung dieser Methode für jene Patient(inn)en Hoffnung, die nicht für eine (zeitige) Thrombolyse in Frage kommen. Die Methode kommt in verschiedenen Zentren auch bei schwerer Erythro­prosopalgie (Cluster-Headache) zur Anwendung.
Darstellung des Ganglion sphenopalatinum in der Fossa pterygopalatina (Henry Vandyke Carter [Public domain] via Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gray779fossapterygopalatina.jpg) .
Verfasst am 22.07.2019.

Immer noch lesenswert

«The House of God»

Vor 40 Jahren publizierte Stephen Bergman unter dem Pseudonym Samuel Shem «The House of God», das ­inzwischen drei Millionen Mal verkauft wurde. Der Autor kommt im Roman selber als Assistenzarzt (Roy Basch) im Beth Israel Hospital in Boston vor. Er wird – zu Beginn – angeleitet von einem Assistenzarzt, dem «Fat Man», der inmitten des Stresses, von (bisweilen wilden) Sexabenteuern um ihn herum, grosser Arbeitsbelastung und Schlafentzügen ein illusionsloses, schlitzohriges (daher wohl: überlebensfähiges) Beispiel als Vorgesetzter abgibt. Im Grunde ist er aber ein wirklich bewundernswertes Vorbild für den vorbehaltlosen ärztlichen Einsatz zum besten Nutzen der Patient(inn)en. Immer wieder lacht man auch über die Rolle des «Leggoa», dem Chef des Departements für Innere Medizin. Es handelt sich um den verstorbenen Internisten und Nephrologen, Franklin H. Epstein, einen enorm intelligenten und erfolgreichen klinischen Forscher (siehe PubMed). Der Autor hat soeben einen kleinen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des Buches und die veränderte Situation der jetzigen Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung publiziert.
a «Leggo» ist die Abkürzung für «Let’s go» (Devise nach dem Morgenrapport respektive Weckruf für die Assistenten).
Verfasst am 23.07.2019.

Auch noch aufgefallen

Gehirnveränderungen bei US-Diplomaten

Kurz und bündig wurde schon über die Vermutung berichtet [1], dass die von US-Diplomaten in Kuba und China beschriebenen Störungen wie Kopfschmerzen, Schwindel, verschwommenes Sehen und auditive Halluzinationen durch eine Ultrabeschallung durch das «Gast»-Land erzeugt werden könnten. Bei 40 solcher Diplomaten fanden Forscher am «Center for Brain Injury and Repair» (University of Pennsylvania) im Vergleich zu (bis auf den Beruf) gut vergleichbaren Kon­trollen signifikante Abnahmen der kortikalen und zerebellären weissen und grauen Hirnmasse und eine Reihe detaillierter anderer Alterationen [2]. Die Ursache der offensichtlichen Schädigung in dieser kleinen Kohorte, namentlich ob es sich dabei um Folgen von Ultraschall handelt, bleibt unklar. Ultraschall bleibt aber aufgrund seiner Fähigkeit, auch therapeutische Neuromodulationen zu induzieren [1], ein offensichtlicher Kandidat. Allerdings ist die Korrelation des MRI-Phänotypen mit den klinischen Symptomen zumindest für einen Nicht-Neurologen auch nicht ganz zwangslos zu erklären.
1 Swiss Med Forum 2018, doi.org/10.4414/smf.2018.03177.
Verfasst am 25.07.2019.

Bioterror für die Tigermücke

Die Tigermücke (siehe Abbildung) hat es auf ihrer schnellen Ausbreitung innerhalb der letzten Jahre auch in unsere Breitengrade geschafft [1]. Die Mücken können Dengue-, Chikungunya- und Zika-Viren übertragen. Gegen die Folgekrankheiten gibt es noch keine breit anwendbare Impfung und keine viroziden Medikamente. Auf zwei Inseln im Guangzhou-Fluss in China soll es gelungen sein, über 90% der Tigermücken biologisch zu eliminieren, und zwar mit der Aussetzung von männlichen Mücken, die ein mutiertes, sonst kommensal in ihnen lebendes Bakterium (Wolbachia) beherbergen. Wenn diese Männchen sich paaren, können die Nachkommen nicht aus den Eiern schlüpfen: Das Paar ist steril, die Population nimmt ab. Interessanterweise können andererseits Mückenweibchen, die das gleiche mutierte Bakterium tragen, mit infizierten und normalen männlichen Mücken Nachkommen zeugen. Allerdings sollen die Nachkommen weit weniger erfolgreich in der Virusübertragung sein.
Die asiatische Tigermücke, Aedes albopictus (© Marcouliana | Dreamstime.com ).
Verfasst am 25.07.2019.

Nicht ganz ernst gemeint

Regeln des «Fat Man» – eine Auswahl

 1. GOMERsa go to ground.
 2. At a cardiac arrest, the first procedure is to take your own pulse.
 3. The patient is the one with the disease.
 4. Placement comes firstb.
 5. Age + BUNc = Lasix dose
 6. Theyd can always hurt you more.
 7. If you don’t take a temperature, you can find no fever.
 8. Show me the medical student who only triples my time and I will kiss his feet.
 9. If the radiology resident and the medical student both see a lesion on the chest x-ray, there can be no lesion there.
10. The delivery of good medical care is to do as much nothing as possible.
a GOMER = Akronym für «go out of my emergency room»: Meist verwahrloste «inner city» oder sehr alte Patienten mit multiplen Morbiditäten, sie kommen typischerweise immer dann auf den Notfall, wenn die Interns/Residents schon anderweitig am Anschlag sind.
b Also schon vor DRG!
c BUN = «blood urea nitrogen», in mmol/l angegeben entspricht 1:1 mmol/l Harnstoff. Hier ist allerdings die veraltete Konzentration mg/dl gemeint: BUN = Harnstoff in mg/dl × 0,467. BUN-Normwerte: etwa 7–25 mg/dl.
d In den 70er Jahren sprach man vom (Spital-)«Establishment».
Samuel Shem. The House of God. 1979. ISBN 0-440-13368-8.
Verfasst am 25.07.2019.